Menschen mit Fluchtgeschichte für Projekt gesucht

Der von Geflüchteten gegründete Verein Pyramidea e.V. möchte Menschen mit Fluchtbiografie dazu ausbilden mit Hilfe eines selbst entwickelten Planspiels das Thema Flucht anderen Menschen näher zu bringen und Ressentiments abzubauen. Menschen mit Fluchtgeschichte sollen hier bei als Multplikatori*innen dabei unterstützt werden selbst aktiv zu sein.

Gesucht werden Menschen mit Fluchthintergrund ab 18 Jahren, für einen Start bis Ende 2022.

Bei Interesse oder Fragen kann man sich gerne an Anja Wilhelm (anja.wilhelm@pyramidea.de) wenden.

Weitere Informationen und den digitalen Flyer für das Projekt gibt es auf der Homepage

Pyramidea e.V., Reinsburgstraße 82, 70178 Stuttgart


Das Projekt Fugeezipation wird im Rahmen des Programms Vielfalt gefällt! – Orte der Toleranz von der Baden-Württemberg Stiftung gefördert.


Handreichung „Einbürgerung von Schutzberechtigten“

Viele geflüchtete Menschen leben bereits seit einigen Jahren mit Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis in Deutschland. Unter bestimmten Voraussetzungen können sie sich einbürgern lassen und erhalten dann einen deutschen Pass. Mit dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit gehen umfassende Rechte einher (zum Beispiel Freizügigkeit in der EU, Wahlrecht und ein möglicher konsularischer Schutz im Ausland). Die Handreichung zeigt auf, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit schutzberechtigte Personen eingebürgert werden können. Sie kann kostenfrei als PDF-Datei heruntergeladen und in gedruckter Form bestellt werden.

Diese Publikation entstand im Rahmen des Projekts „Aktiv für Flüchtlinge 2021“, gefördert vom Land Baden-Württemberg, Ministeriums des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen mit Unterstützung der UNO Flüchtlingshilfe und der Deutschen Postcode-Lotterie.


Libyen: Flüchtende protestieren gegen Unmenschlichkeit und organisieren sich

Am ersten Oktober stürmten Polizei- und Militäreinheiten den von Flüchtenden bewohnten Ort Gargaresh in Libyen. Viele wurden brutal verhaftet und in Arbeitslager gebracht. Seit diesen Angriffen haben sich Fliehende aus vielen verschiedenen Herkunftsländern in Libyen zusammengeschlossen und protestieren vor dem Gelände des UNHCR. Die Situation spitzt sich weiter zu und einige der Flüchtenden werfen dem UNHCR Untätigkeit vor.

Diese Forderungen haben die Flüchtenden aufgestellt:

  • Evakuierungen in sichere Länder, in denen unsere Rechte geschützt werden.
  • Gerechtigkeit und Gleichbereichtigung von Flüchtlingen und Asylsuchenden, die beim UNHCR in Libyen registriert sind.
  • Die Abschaffung der Finanzierung der libyschen Küstenwache, die ständig und gewaltsam Flüchtlunge, die vor der libyschen Hölle fliehen, abgefangen und nach Liybien gebracht hat, wo sie von uns alle Gräultaten getroffen werden
  • Die Schließung aller Haftanstalten in ganz Libyen, die vollständig von den italienischen und europäischen Behörden finanziert werden.
  • Die Behörden sollten die Täter vor Gericht bringen, die unsere Brüder und Schwestern in und außerhalb der Haftanstalten erschossen haben.
  • Die libyschen Behörden sollen die willkürliche Inhaftierung von besorgniserregenden Personen im Büro des UNHCR einstellen.
  • Aufruf an Libyen, die Verfassung der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 zu unterzeichnen und zu ratifizieren.

Hier können Sie die Proteste der Flüchtenden nachverfolgen:

Möchten Sie ihre Forderungen unterstützen, unterzeichnen Sie gerne ihr Manifest.

Im selben Zeitraum wurde beim Internationalen Strafgerichtshof Anzeige gegen Libyen gestellt:

Das European Center for Constitutional and Human Rights e.V. (ECCHR), die Lawyers for Justice in Libya (LFJL) und die International Federation for Human Rights (FIDH) haben zusammen mit 14 Überlebenden im November 2021 Strafanzeige beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) gegen Libyen gestellt. Sie werfen Libyen vor, dass dort systematisch Versklavung, willkürliche Inhaftierung und sexuelle Gewalt gegen Fliehende ausgeübt wird

Weitere aktuelle Meldungen und Informationen aus dem zentralen Mittelmeer und Libyen gibt es auf dem Twitter-Account des Alarm Phones und der Website von Alarm Phones.


Online-Veranstaltung: Nach der Flucht: Das Verorten GEMEINSAM gestalten

Das Versagen der europäischen Migrationspolitik zeigen aktuell die unhaltbaren Zustände an den Grenzen zu Belarus wie am Ärmelkanal.
Auch in Aktionen einer europäischen Organisation wie Frontex, die zusieht, wie an den Außengrenzen der Europäischen Union schutzsuchende Menschen gewaltsam zurückgetrieben werden und ihnen damit das Recht, Asyl zu beantragen, von Europa schlicht verweigert wird.

Welche neue gemeinsame Politik braucht es da auf europäischer Ebene, damit die Rechtstaatlichkeit und der Schutz der Menschenrechte keine leeren Worte bleiben?
Was für eine Gesellschaft braucht es, damit die geflüchteten Menschen sich im neuen Land gut verorten können und hier ein neues Zuhause finden?

Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Online-Tagung der Evangelischen Akademie Bad-Boll, die der Flüchtlingsrat BW mit ausrichtet. Informationen zum Programm, zu den Referierenden, den Workshops und zur Anmeldung finden sie hier.


Petitionsübergabe: Aufnahme und Bleibeperspektiven für Menschen aus Afghanistan

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg hat dem für Migrationsfragen zuständigen Justizministerium eine Petition unter dem Motto „Solidarität mit Afghan*innen: Humanitäre Aufnahme und sichere Bleibeperspektiven jetzt!“ überreicht. Die Petition wurde von 10 334 Personen unterzeichnet und fordert die Landesregierung auf, sich für sichere und legale Fluchtwege aus Afghanistan einzusetzen, ein Landesaufnahmeprogramm für Menschen aus Afghanistan aufzulegen und aufenthaltsrechtliche Sicherheit für hier lebende afghanische Staatsangehörige zu schaffen.

„Immer noch werden wir regelmäßig von gefährdeten Menschen aus Afghanistan kontaktiert, und auch von hier lebenden Afghan*innen, die sich um ihre Angehörigen sorgen“, erklärte Meike Olszak vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg. „Der bisherige Bundesinnenminister Seehofer hat seit dem Sommer Vorstöße für Landesaufnahmeprogramme blockiert, doch nach dem Regierungswechsel in Berlin braucht es dringend neue Anläufe. Unsere Landesregierung muss gerade für Personen mit familiären Bezügen zu Baden-Württemberg eine Aufnahme ermöglichen. Gleichzeitig braucht es umgehend eine aufenthaltsrechtliche Sicherheit für die zahlreichen Menschen aus Afghanistan, deren Asylanträge abgelehnt wurden und die lediglich geduldet und somit ausreisepflichtig sind, obwohl Abschiebungen nach Afghanistan in absehbarer Zeit nicht mehr stattfinden werden“, so Meike Olszak.

Aus Sicht des Flüchtlingsrats wird es weiteren Druck aus der Zivilgesellschaft brauchen, um zu verhindern, dass die politisch Verantwortlichen auf Landes- und Bundesebene das Thema „aussitzen“. „Auch wenn Afghanistan in den letzten Monaten weitgehend aus den Nachrichten verschwunden ist, ist die Not weiterhin groß. Aber auch die Solidarität mit der afghanischen Bevölkerung ist groß, wie die Resonanz auf unsere Petition zeigt. Deshalb rufen wir alle, die die Anliegen dieser Petition unterstützen, dazu auf, weiterhin dranzubleiben, sich an Aktionen zu beteiligen und sich an politische Entscheidungsträger*innen zu wenden, damit diese Forderungen endlich umgesetzt werden!“, so Meike Olszak abschließend.

Meike Olszak vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg übergibt die Petition an den Pressesprecher des Justizministeriums.

Handreichung: „Widerruf, Rücknahme und Erlöschen des Schutzstatus“

Wenn im Asylverfahren ein Schutzstatus zuerkannt wurde – sei es die Asylberechtigung oder die Flüchtlingseigenschaft, der subsidiäre Schutz oder ein Abschiebungsverbot – gilt dieser Status ohne zeitliche Befristung. Die Entscheidung über den Status trifft in aller Regel das BAMF. An diese Entscheidung ist die für die Erteilung der darauf aufbauenden Aufenthaltserlaubnis zuständigen Ausländerbehörde gebunden (§§ 6 S. 1, 42 S. 1 AsylG). Dementsprechend muss sie eine Aufenthaltserlaubnis, die auf einem vom BAMF festgestellten Schutzstatus beruht, immer weiter verlängern, so lange der Schutzstatus besteht. Erst wenn dieser entfallen ist, kommt die Versagung oder der Entzug des Aufenthaltstitels in Betracht. Nach dem Asylgesetz kann der Verlust des Schutzstatus Folge eines Widerrufs oder einer Rücknahme sein oder kraft Gesetzes eintreten.
In dieser Handreichung werden die rechtlichen Rahmenbedingungen des Erlöschens, des Widerrufs und der Rücknahme sowie der Ablauf des Verfahrens vorgestellt. Die Handreichung kann kostenfrei als PDF-Datei heruntergeladen und in gedruckter Form bestellt werden.

Diese Publikation entstand im Rahmen des Projekts „Aktiv für Flüchtlinge 2021“, gefördert vom Land Baden-Württemberg, Ministeriums des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen mit Unterstützung der UNO Flüchtlingshilfe und der Deutschen Postcode-Lotterie.


Informations- und Diskussionsabend: Afghanistan

Donnerstag, 16.12.2021, 18.00 Uhr
Eberhardsgemeindehaus, Eugenstr. 21, Tübingen

move on – menschen.rechte Tübingen e.V. lädt zu einem spannenden Themenabend unter dem Titel „Afghanistan nach der Machtübernahme durch die Taliban –
Was wird aus den „gefährdeten Menschen“ und wie können wir sie unterstützen?“ ein.

Eingeladen sind:

Heike Hänsel (Die Linke, ex-MdB)
Vertreter*innen der Luftbrücke Kabul und von medico international – angefragt
Afghanische Geflüchtete aus dem Kreis Tübingen („save our families“)
Eine Journalistin und Menschenrechtsaktivistin, die einen Aufnahmeantrag gestellt hat
Journalist, ehemalige „Ortskraft“, seit Kurzem in Reutlingen Mehr Informationen finden Sie hier


Fortbildung für arabischsprachige Jurist*innen

Die deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit (IRZ) sucht neue Teilnehmer*innen für eine Fortbildungsreihe zu juristischen Fachthemen im Jahr 2022. Ziel des Fortbildungsprogramms ist die Förderung der sozialen und beruflichen Integration der arabischsprachigen Jurist*innen sowie des Verständnisses für rechtliche Zusammenhänge in Deutschland. Zudem sollen den Teilnehmenden Einblicke in die praktische Arbeit juristischer Institutionen gewährt und ihnen die Möglichkeit eröffnet werden, ein Netzwerk aufzubauen um dadurch den Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern.


Pro Asyl: »Sonder-Asylrecht« für osteuropäische Grenzstaaten

Mit einem »Sonder-Asylrecht« für die Grenzstaaten zu Belarus will die Kommission u.a. Grenzverfahren massiv ausweiten. Anstatt gegen Pushbacks an der Grenze vorzugehen, kommt die Kommission den Staaten also stark entgegen. Doch die Beschwichtigungstaktik schlägt fehl: Polen lehnt den Vorschlag ab – und will das Asylrecht vollständig aussetzen.

Menschen die in Wäldern in Eiseskälte ausharren und nicht versorgt werden, Zugangsverbote für Presse und humanitäre Organisationen und gewaltsame Pusbacks – das ist schon den ganzen Herbst über die bittere Realität an den europäisch-belarussischen Grenzen. Europäische Werte und Menschenrechte? Fehlanzeige an vielen Außengrenzen, doch die Offenheit mit der diese Rechtsbrüche insbesondere von der polnischen Regierung vertreten werden hat eine neue Qualität. Gerechtfertigt wird dies, indem schutzsuchende Menschen als »hybride Bedrohung« geframed werden – eine entmenschlichende Sprache, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union bereits übernahm.

Anstatt wie früher, zum Beispiel mit Vertragsverletzungsverfahren gegen die ungarischen Transitzonen, europäisches Recht zu verteidigen, geht die Kommission mit ihrem am 1. Dezember vorgestellten Vorschlag weitgehend vor der polnischen Regierung in die Knie.

Verschärfung des Asylrechts als Kuhhandel mit Rechtspopulisten

Mit ihrem Vorschlag will die Europäische Kommission den Grenzstaaten zu Belarus – Polen, Lettland und Litauen – eine massive Verschärfung des Asylrechts erlauben. Konkret schlägt die Kommission vor:

  • De facto Aussetzung des Asylrechts für 4 Wochen: Das EU-Recht sieht vor, dass Asylanträge bei einer hohen Zahl von Antragsteller*innen spätestens innerhalb von 10 Tagen registriert werden sollen. Dies soll für die Grenzstaaten zu Belarus auf vier Wochen ausgeweitet werden. Griechenland inhaftierte während eines solchen europarechtswidrigen Registrierungsstopps im März 2020 viele Asylsuchende willkürlich unter schlimmen Bedingungen. Es stellt sich auch die Frage, wie Asylsuchende ohne Registrierung vor Pushbacks geschützt sein sollen.
  • Massive Ausweitung von Grenzverfahren: Grenzverfahren sollen auf alle Asylsuchenden angewendet werden können und anstatt vier Wochen bis zu vier Monate (16 Wochen) dauern können. Die Kommission geht davon aus, dass die Personen in der Zeit noch als »nicht-eingereist« gelten. Entsprechend ist damit zu rechnen, dass die Betroffenen in geschlossenen Zentren bleiben müssten, um eine solche »Nicht-Einreise« tatsächlich durchzusetzen. Wenn die Phase der Nicht-Registrierung noch dazu gerechnet wird, dann geht es letztlich um bis zu 20 Wochen in denen schutzsuchende Menschen voraussichtlich an den Grenzen festgesetzt werden.
  • Absenkung von Unterbringungsstandards: Bei der Unterbringung von Asylsuchenden sollen die drei Mitgliedstaaten nicht mehr die Standards der EU-Aufnahmerichtlinie einhalten, sondern müssen quasi nur das Überleben der Personen sicherstellen.
  • Vereinfachte Abschiebungen von der Grenze: Auch beim Thema Abschiebungen sollen Polen, Litauen und Lettland sich nicht an geltendes Recht, die EU-Rückführungsrichtlinie, halten müssen, sondern können hiervon abweichen.
  • Registrierungspunkte: Die drei Mitgliedstaaten sollen Orte bestimmen, zum Beispiel konkrete Grenzübergänge, an denen schutzsuchende Menschen ihren Asylantrag stellen können und wo dieser registriert wird. Das wäre zwar wünschenswert, es ist aber angesichts der Politik der polnischen Regierung nicht zu erwarten, dass dies in der Praxis tatsächlich passiert – denn mit Konsequenzen aus Brüssel muss Warschau offensichtlich nicht rechnen.

Diese Sonderregeln sollen für alle Asylsuchenden gelten, die über die Grenze von Belarus in eins der drei Länder kommen oder gekommen sind. Das Sonderrecht soll zunächst für sechs Monate gelten, wobei die Kommission bereits darauf hinweist, dass es auch zu einer Verlängerung kommen könnte.

Keine Überforderung sondern politisches Kalkül

Die Kommission begründet ihren Vorschlag damit, dass die Mitgliedstaaten mit der Umsetzung des gültigen Rechts in der aktuellen Situation überfordert wären – dabei hat insbesondere Polen überhaupt nicht versucht, geltendes Recht bezüglich Asylverfahren und Unterbringungsstandards anzuwenden. Die polnische Regierung hat sich direkt darüber hinweg gesetzt und lässt ihre Grenzbeamt*innen illegal und oft auch gewalttätig Menschen über die Grenze zurück schieben.

Damit läuft die Argumentation der Kommission, bessere Verfahren und angemessene Unterbringung seien aktuell nicht möglich, ins Leere. Denn Polen und Lettland haben bislang noch nicht einmal zur Verfügung stehende europäische Unterstützung, wie zum Beispiel Zelte, Betten und Heizsysteme, wie sie an Litauen gegangen sind, angenommen.

Im einem Verfahren gegen Ungarn vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu den Transitzonen hatte die Kommission 2020 zu Recht noch festgehalten: »Überdies sei der Fall, dass eine große Zahl von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gleichzeitig internationalen Schutz beantrage, vom Unionsgesetzgeber berücksichtigt worden.« Nur ein Jahr später verteidigt die Kommission bestehendes Recht nicht mehr, sondern beteiligt sich selbst an der Erosion des Flüchtlingsschutzes und der Rechtsstandards in der EU – schon das ist ein Gewinn von Rechtspopulisten in Europa.

Kommission schweigt zu Pushbacks nach Belarus

Aktuell zwingen polnische Grenzschützer*innen die meisten Frauen, Männer und Kinder immer wieder über die Grenze zurück nach Belarus und ignorieren die Versuche der Menschen,  Asylanträge zu stellen. In den wenigen Fällen in denen ein Asylantrag tatsächlich registriert wird, werden die Asylsuchenden in (de facto) Haftzentren gebracht (siehe hierzu das Interview mit der polnischen Anwältin Marta Górczyńska).

Nach europäischem Recht muss an offiziellen Grenzübergängen ein Asylantrag gestellt werden können und die Person darf nicht ohne individuelle Prüfung ihres Asylantrags in ein anderes Land abgeschoben werden. Nur durch dieses Verbot von Pushbacks (das sogenannte non-refoulement Gebot), das sich aus Menschenrechtsverträgen wie der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, kann sichergestellt werden, dass Menschen nicht in Länder gebracht werden, in denen sie gefoltert oder wegen ihrer politischen Haltung, Religion oder sexuellen Orientierung verfolgt werden. Auch die EU-Grundrechtecharta verbietet explizit Kollektivausweisungen, also Abschiebungen ohne individuelle Prüfung (Art. 19 Abs. 1 Grundrechtecharta)

Die krasse Missachtung europäischen Rechts an der polnisch-belarussischen Grenze wurde bislang von der Kommission nur mit Schweigen quittiert. Kritik richtet sich stets an den belarussischen Diktator Lukaschenko, nicht an das EU-Mitgliedland Polen.

In ihrem Vorschlag betont die Kommission mehrfach das non-refoulement Gebot und zielt vermutlich auch mit der Benennung von Registrierungspunkten auf ein Ende der Pushbacks ab. Doch ist eine solche Kehrtwende nicht zu erwarten. Polen dürfte sich durch die Vorschläge der Kommission vielmehr darin bestärkt sehen, mit seiner offensichtlichen Missachtung von Europarecht durchzukommen.

Verfehlte Rechtsgrundlage

Die Kommission will das temporäre »Sonder-Asylrecht« auf eine Grundlage stützen, die bislang nur einmal 2015 mit einer gänzlich anderen Zielrichtung genutzt wurde. Der Artikel 78 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sieht im Absatz 3 vor:

»Befinden sich ein oder mehrere Mitgliedstaaten aufgrund eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen  in  einer  Notlage,  so  kann  der  Rat  auf  Vorschlag  der  Kommission  vorläufige  Maßnahmen  zugunsten  der  betreffenden  Mitgliedstaaten  erlassen.  Er  beschließt  nach  Anhörung  des  Europäischen  Parlaments.«

Diese Notfallkompetenz ermöglicht also Maßnahmen außerhalb des regulären europäischen Gesetzgebungsverfahrens, wie es aktuell im Rahmen des »New Pact on Migration and Asylum« erfolgt. Im Jahr 2015 wurde aufgrund der hohen Zahl der Ankünfte von schutzsuchenden Menschen in Griechenland und Italien per Ratsbeschluss auf Basis dieser Norm die Umverteilung (Relocation) von Asylsuchenden aus den beiden Ländern beschlossen. Dies war eine Abweichung von den regulären Zuständigkeitsregeln nach der Dublin-III-Verordnung.

Während 2015 mit der Ratsentscheidung also Solidarität mit den betroffenen Mitgliedstaaten in einer tatsächlichen Ausnahmesituation gezeigt wurde und letztlich auch im Sinne vieler Asylsuchender war, ist von solch praktischer Solidarität im jetzigen Vorschlag der Kommission nichts zu sehen. Auch ist schon allein die Ausgangslage 2015 mit der 2021 schlicht nicht vergleichbar. Suchten 2015 fast eine Million Menschen in Europa Schutz vor Krieg und Verfolgung, geht es aktuell um wenige Tausend Menschen – eine leicht zu bewältigende Situation, wenn der politische Wille da wäre. Es ist eine hausgemachte Krise, die nun als Vorwand für die Aushöhlung des Asylrechts genutzt wird.

Es ist bezeichnend, dass sich Griechenland im März 2020 bezüglich der Aussetzung des Asylrechts durch die vierwöchige Nicht-Registrierung von Asylanträgen auf den gleichen Artikel berufen wollte. Doch damals wurde das europarechtswidrige Vorgehen zumindest von der Kommission nicht rechtlich unterstützt – wenn auch nie öffentlich kritisiert.

Problematische Umgehung des Parlaments

Die Kommission will das »Sonder-Asylrecht« also durch einen Ratsbeschluss herbeiführen. Das Europäische Parlament ist damit außen vor und muss lediglich angehört werden. Besonders brisant: Im Europäischen Parlament wird aktuell der »New Pact on Migration and Asylum« verhandelt und somit auch ganz ähnliche Regelungen im Vorschlag für eine Krisen-Verordnung. Zu dieser hat der zuständige Berichterstatter nur einen Tag vorher, am 30. November 2021, seinen Bericht im zuständigen Ausschuss im Parlament vorgestellt und genau die problematischen Maßnahmen gestrichen, die die EU jetzt am Parlament vorbei temporär einführen will.

Entsprechend empört äußern sich viele Parlamentarier*innen zu dem Vorstoß der Kommission, der vielfach als unverhältnismäßig kritisiert wird (siehe Pressemitteilung  und Äußerungen der S&D Fraktion, der Grünen/EFA, der Linken und Renew Europe).

Entscheidung im Rat auch Stresstest für neue deutsche Regierung

Doch noch ist unklar, wie es im Rat mit dem Vorschlag weitergeht. Denn Polen hat bereits signalisiert, dass sie mit dem Vorschlag nicht zufrieden sind – die Asylverfahren sollen laut dem polnischen Botschafter komplett ausgesetzt werden. Der nächste Rat für Inneres und Justiz ist am 9. Dezember 2021, wobei noch nicht feststeht, ob der Vorschlag auf der Tagesordnung steht.

Vermutlich noch vor dem Ratstreffen will die Kommission zudem ihre Reform für den Schengener Grenzkodex vorstellen – wo sich zeigen wird, wie ernst es die Kommission mit dem non-refoulement Gebot tatsächlich meint oder ob sie auch hier nachgeben und gefährliche Ausnahmen schaffen wird. Das wird die Schicksalsfrage für den europäischen Flüchtlingsschutz sein.

Je nach genauem Zeitplan der deutschen Regierungsbildung könnte dies der erste Termin für eine*n neue*n Innenminister*in werden. Im Koalitionsvertrag steht: »Wir wollen die illegalen Zurückweisungen und das Leid an den Außengrenzen beenden«. Die Abstimmung über den Vorschlag der Kommission wird ein erster Stresstest sein, wie ernsthaft sie für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in Europa eintritt.


Mehrsprachige Broschüre: Tipps für Termine bei Behörden – Cool bleiben!

Die Broschüre „Tipps für Termine bei Behörden – Cool bleiben!“ informiert zu den Rechten bei Behördenterminen und gibt Tipps, damit diese Termine erfolgreich verlaufen. Sie wurde in dem Projekt CoRa, ein Kooperationsprojekt des DGB-Bildungswerks Thüringen e. V. und des Flüchtlingsrats Thüringen e. V., erstellt.

Die Broschüre ist sowohl online als auch als Printversion in folgenden Sprachen erhältlich:
Arabisch | Dari | Deutsch | Englisch | Französisch

Bestellungen sind per Mail mit Angabe der Menge und Anschrift an praktikum[at]fluechtlingsrat-thr.de möglich.