PRO ASYL zum Krieg gegen die Ukraine: Fluchtwege öffnen!

 
PRO ASYL fordert den sofortigen Stopp aller Kampfhandlungen. Alle Beteiligten müssen zurück an den Verhandlungstisch. Die Fortsetzung des Krieges wird zu vielen Toten und vielen Tausend Flüchtlingen führen. Auch Deutschland muss sich darauf einstellen und sich aktiv an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen.

PRO ASYL fordert:

1) Die leidtragende Zivilbevölkerung flieht in die direkten Nachbarstaaten.  Wir fordern deshalb alle östlichen EU-Staaten – Polen, Ungarn, Rumänien und Slowakei – auf, die Grenzen nicht weiter für Flüchtlinge zu verschließen. Das muss auch für die Tausenden Transitflüchtlinge gelten, die bereits vor anderen Konflikten in die Ukraine geflohen sind. Darunter sind Menschen aus Syrien Afghanistan, Tschetschenien und Somalia. Die Fluchtwege müssen für alle offen sein.

Polen hat in eklatanter Verletzung von Menschenrechten die Grenzen für Flüchtlinge dichtgemacht. Jetzt müssen die Grenzzäune zurückgebaut werden. Wenn es um Gefahren für Leib und Leben geht, müssen Menschen Grenzen überschreiten dürfen.

Die osteuropäischen Staaten müssen zurückkehren zur Einhaltung von Menschenrechten, Völkerrecht und Europarecht.

2) Deutschland und die anderen Staaten müssen sich auf das Ankommen einstellen. Auch Deutschland muss sich aktiv an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen.   

3) Zudem muss eine schnelle und unbürokratische Hilfe für Geflüchtete sichergestellt werden. Wo Menschen auf ihrer Flucht stranden, benötigen sie humanitäre Unterstützung: Nahrungsmittel, Unterkünfte, medizinische Versorgung.

4) Die Europäische Union muss einen europäischen Solidarmechanismus installieren, der die Interessen der Schutzsuchenden ins Zentrum rückt. Dazu gehört auch, dass die Schutzsuchenden die Möglichkeit bekommen müssen, zu Familienmitgliedern oder Mitgliedern ihrer Community zu gelangen.

5) Die visafreie Einreise für Menschen aus der Ukraine in die EU darf nicht eingeschränkt werden. Die seit 2017 bestehende Möglichkeit für ukrainische Bürger*innen, ohne Visum in die EU einzureisen, ist gerade jetzt überlebenswichtig. Allerdings besitzen nur die allerwenigsten Ukrainer*innen den dafür geforderten biometrischen Pass. Daher sollte diese formale Hürde umgehend ausgesetzt werden.

6) Der Aufenthalt für ukrainische Staatsangehörige, die bereits in Deutschland sind,  muss unbürokratisch verlängert werden. Das schließt selbstverständlich auch einen Abschiebestopp ein.


Gericht: Hausordnung von Aufnahmeeinrichtungen in wichtigen Punkten rechtswidrig

Verwaltungsgerichtshof entscheidet: Zimmer sind grundrechtlich geschützte Wohnungen

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat heute seine Entscheidung zur Hausordnung in der Erstaufnahmeeinrichtung Freiburg bekanntgegeben und der Klage mehrerer Geflüchteter in wichtigen Punkten stattgegeben. Das Verfahren wird unterstützt von der Gesellschaft für Freiheitsrechte, PRO ASYL, der Aktion Bleiberecht und dem Flüchtlingsrat Baden-Württemberg. Der Verwaltungsgerichtshof entschied, dass die in der Hausordnung geregelten Befugnisse des Sicherheitsdienstes, die Zimmer der Geflüchteten jederzeit zu kontrollieren und zu betreten, unwirksam sind. Das Gericht bestätigte, dass die Schlafzimmer in den Unterkünften grundrechtlich geschützte Wohnräume sind.

„Die Unverletzlichkeit der Wohnung gilt auch in Erstaufnahmeeinrichtungen, und Geflüchtete haben dort ein Recht auf Privatsphäre – was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, stellt der Verwaltungsgerichtshof Mannheim mit dem Urteil endlich klar“, sagt Sarah Lincoln, Juristin bei der GFF. „Die Entscheidung macht eine klare Ansage an das Land Baden-Württemberg. Weitreichende Grundrechtseingriffe per Hausordnung regeln – das geht nicht. Das Land muss Einschränkungen gesetzlich festlegen, nur dann sind Grundrechte und Demokratieprinzip gewahrt“.

Der Flüchtlingsrat kritisiert, dass das Land dafür überhaupt Nachhilfe durch ein Gericht braucht: „Es ist bezeichnend, dass ein Gericht die Landespolitik zu einer grundgesetzkonformen Ausgestaltung der Unterbringung von Geflüchteten zwingen muss. Das zeigt, wie es um die Rechte von Schutzsuchenden in Baden-Württemberg bisher bestellt war. Die Landesregierung muss die systematische Entrechtung von Menschen jetzt umgehend beenden. Wir fordern selbstbestimmte Wohnformen, die die Rechte eines jeden Menschen achten und ein Ende der repressiven Massenunterbringung“, sagt Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg.

Auch die Kläger Emmanuel Annor und Ba Gando erhoffen sich nach dem Urteil eine Verbesserung der Situation in den Unterkünften: „Nach der Flucht brauchen wir einen Ort, an dem wir zur Ruhe kommen können. Bislang hatten wir in der Unterkunft kaum Privatsphäre. Das heutige Urteil macht Hoffnung auf Veränderung und ist für uns ein wichtiges Signal. Es bestärkt uns, weiter für uns und unsere Rechte einzustehen“.

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg stützt sich mit dieser Entscheidung auf den weiten Wohnungsbegriff des Bundesverfassungsgerichts. Der Schutz der Wohnung ist eng mit der Menschenwürde verbunden. Geschützt sind nach der Karlsruher Rechtsprechung alle Räume, in denen das Privatleben stattfindet.

„Dieses Urteil ist von bundesweiter Bedeutung, denn es macht klar, dass die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art.13 Grundgesetz auch in Sammelunterkünften gilt. Das gibt geflüchteten Menschen ein Stück Eigenständigkeit und Würde zurück“, sagt Peter von Auer, rechtspolitischer Referent bei PRO ASYL.

Hintergrund

Am 16. Dezember 2020 reichten sechs Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung Freiburg mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte, der Aktion Bleiberecht Freiburg, PRO ASYL und dem Flüchtlingsrat Baden-Württemberg einen Normenkontrollantrag beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg gegen die restriktive Hausordnung ein.

Die in allen Erstaufnahmeeinrichtungen Baden-Württembergs einheitlich ausgestaltete Hausordnung reguliert den Alltag der Bewohner*innen umfassend. Die Türen zu den Schlafräumen sind nicht abschließbar. Der Sicherheitsdienst kontrolliert täglich die Zimmer und darf diese auch nachts und gegen den Willen der Bewohner betreten. Sie dürfen keinen Besuch empfangen. Auf dem gesamten Gelände ist es ihnen verboten, sich politisch zu betätigen. Selbst einfache Haushaltsgegenstände wie eine Packung Reis, einen Gebetsteppich, einen Schraubenzieher oder einen Haarschneider dürfen sie nicht mit in die Einrichtung nehmen. Gegen weitere Regelungen der Hausordnung läuft ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht.

Weiterführende Informationen finden Sie hier:


Dienstanweisungen des BAMF

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erlässt Dienstanweisungen, um die Entscheidungspraxis bundesweit zu vereinheitlichen. Auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes hat Pro Asyl erreicht, dass das BAMF seine Dienstanweisungen teilweise zur Veröffentlichung freigegeben hat.


VG KA: Asyl Nigeria wegen Menschenhandel und Zwangsbeschneidung

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe (VG KA) hat einer Mutter und ihrem Sohn die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen. Die Klägerin ist als Menschenhandelsopfer und ehemalige Prostituierte Teil einer bestimmten sozialen Gruppe, die staatlich nicht ausreichend geschützt ist. Die bisherigen Bemühungen des nigerianischen Staates zur Bekämpfung des Menschenhandels sind nicht hinreichend wirksam. Der Kläger ist ebenfalls Teil einer solchen Gruppe, da ihm eine rituelle Zwangsbeschneidung gegen den Willen seiner Mutter droht. Betont wird die weite Verbreitung der Beschneidung von Männern (min. 80 %) und die Üblichkeit der rituellen Beschneidung durch nicht medizinisch geschulte Beschneider (S. 14). Interner Schutz wird mit Blick auf die individuelle Situation der Familie verneint, da die Klägerin als HIV Erkrankte einen besonderen Bedarf hätte, den sie als stigmatisierte ehemalige Prostituierte nicht erwirtschaften können wird. Die staatliche Versorgung von HIV-Infizierten ist nach wie vor defizitär, was sich durch die Corona-Pandemie verschlechtert hat. Das VG bleibt aber (leider) bei der Auffassung, dass Rückkehrer*innen, selbst wenn sie nicht durch soziale Strukturen abgesichert sind, grundsätzlich keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet werden. Bei der individuellen Prognose sind auch die nötigen Vorsorgeaufwendungen gegen Malaria-Erkrankungen von Kindern zu berücksichtigen.


VG KA: Asyl Nigeria weibliche Genitalverstümmelung

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe (VG KA) entschied, dass die in Deutschland geborene Tochter einer Nigerianerin einen Anspruch auf Zuerkennung von Asyl und Flüchtlingseigenschaft, da ihr weibliche Genitalverstümmelung (FGM) droht. Die Tradition ist in praktisch allen religiörsen und ethnischen Gruppen in Nigeria tief verwurzelt. Eltern könnten dies zwar vermeiden, insbesondere bei finanziell schwachen Eltern droht eine Veranlassung durch die Großeltern, ggf. auch gegen den Willen der Eltern. Ausreichender staatlicher Schutz steht nicht zur Verfügung, da in der Praxis die Reaktion der Polizei hierauf unzureichend ist. Interner Schutz wird mit Blick auf die individuelle Situation der Familie verneint.


VG KA: Abschiebungsverbot Nigeria wegen Krankheit

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe (VG KA) hat entschieden, dass die – in Nigeria häufig vorkommende – Blutkrankheit Sichelzellenanämie in Nigeria nicht ausreichend behandelt werden kann. Jedes Jahr werden in Nigeria 150.000 Kinder mit einer Sichelzellenanämie geboren, von denen schätzungsweise 100.000 ihren fünften Geburtstag nicht erleben. Die Versorgung insbessondere mit Bluttransfusionen ist mangelhaft.


VG KA: Flüchtlingsanerkennung für Gambierin wegen Zwangsheirat

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe entschied, dass der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft aufgrund Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zuzuerkennen ist. Die Zwangsverheiratung ist eine Verfolgungshandlung, vor der der Staat Gambia keinen ausreichenden Schutz bietet, da er sich für innerfamiliäre Angelegenheiten nicht zuständig sieht. Die Zwangsverheiratung von Frauen mit dem Bruder des Ehemannes nach dessenTod, ist eine an das Geschlecht anknüpfende Verfolgung. Die Gruppe der Frauen stellt in Gambia eine soziale Gruppe dar, die eine deutlich abgegrenzte Identität hat, und von der Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Die Frage, ob dies bei geschlechtsspezifischer Verfolgung überhaupt erforderlich ist, kann daher offen bleiben.


Auswärtiges Amt: Verfolgungsgefahr von rückkehrenden Iraner*innen

Das Auswärtige Amt (AA) hat eine Stellungnahme zur Verfolgungsgefahr von Iraner*innen durch iranische Behörden im Falle einer Rückkehr in den Iran verfasst. Dies erfolgte im Rahmen eines Amtshilfeersuchens des Verwaltungsgerichts Oldenburg.

Laut dem Auswärtigen Amt ist es möglich, dass iranische Behörden über soziale Medien von sowohl Konversionen zum Christentum als auch von regimekritischen Äußerungen erfahren und somit zu einer Überwachung durch die Behörden führen kann. Das AA geht davon aus, dass exilpolitische Aktivitäten von Iraner*innen im Internet überwacht werden. Nach den Einschätzungen des AA sei es nicht möglich, pauschal zu erklären, welche Folgen dies für Personen bei einer Rückkehr in den Iran haben wird. Jedoch sind Iraner*innen, die sich im Ausland regimekritisch äußerten, bei einer Rückkehr in den Iran von Repressionen bedroht. Abhängig von der Bewertung durch die iranischen Behörden müssen Rückkehrende mit Befragungen, Vorladungen, Inhaftierungen und Verurteilungen rechnen. Insgesamt geht das AA von einer weiteren Verschlechterung der Lage in Form einer Zunahme von Repressionen gegen im Exil lebende Iraner*innen sowie vermehrter Festnahmen von Rückkehrer*innen aus.

Das Auswärtige Amt betont, dass es keine weiteren Erkenntnisse darüber hat, wie eine Konversion aus asyltaktischen Gründen und eine Distanzierung von den Äußerungen in den sozialen Medien bei einer Rückkehr von den iranischen Behörden bewertet werden. Somit kann es keine Aussage darüber treffen, ob der betroffenen Person bei einer Rückkehr Folter, Misshandlungen oder Bestrafungen drohen.


Flüchtlingsrat BW: Beratungsangebot

Sie brauchen Beratung rund um Fragen zu Flucht und Asyl? Wir beraten telefonisch und per E-Mail.

Telefonisch erreichen Sie uns Montag, Dienstag und Mittwoch von 14:00 bis 16:00 Uhr unter 0711 55 32 834. Die Telefonberatung richtet sich an Geflüchtete und Ehrenamtliche.

Per E-Mail gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Welche auch immer Sie wählen, schreiben Sie uns gerne auch Ihre Telefonnummer, sodass wir Sie bei Rückfragen schnell erreichen können.

  • Sind Sie selbst geflüchtet oder unterstützen Sie ehrenamtlich Geflüchtete, dann schicken Sie Ihre Fragen an info@fluechtlingsrat-bw.de.

    Die Beratung von Ehrenamtlichen und Geflüchteten wird über das vom Land Baden-Württemberg geförderte Projekt „Aktiv für Integration“ finanziert und ist kostenlos.

  • Unterstützen Sie besonders schutzbedürftige Geflüchtete ehrenamtlich, schreiben Sie uns an partizipation@fluechtlingsrat-bw.de.

    Zur Gruppe besonders schutzbedürftiger Personen zählen beispielsweise Menschen mit Behinderung, (unbegleitete) Minderjährige, LSBTTIQ-Geflüchtete, Alleinerziehende, Folteropfer, kranke oder traumatisierte Menschen. Die Beratung erfolgt über das von der Aktion Mensch geförderte Projekt „Perspektive durch Partizipation“ und ist kostenlos. Inhaltlich liegt unsere größte Expertise auf Fragestellungen im Kontext des Asyl-, Asylbewerberleistungs- und Aufenthaltsgesetzes. In darüber hinaus gehenden Fragen kooperieren wir mit Fachberatungsstellen.
  • Sind Sie hauptamtlich tätig, dann schicken Sie uns Ihre Anfrage bitte an hauptamtlichenberatung@fluechtlingsrat-bw.de.

    Die Beratung von Hauptamtlichen wird vom Zweckerfüllungsfonds Flüchtlingshilfen in der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der UNO-Flüchtlingshilfe gefördert.


Rechtliche Expertise: Bisexualität als Fluchtgrund

Die Untersuchung geht der Frage nach, mit welchen Problemen bisexuelle Geflüchtete im Asylverfahren konfrontiert sind. Im Laufe der Untersuchung werden immer wieder Strategien aufgezeigt, die es ermöglichen sollen, der Vielfalt sexueller Orientierungen im Asylverfahren angemessen Rechnung zu tragen.

Die Broschüre kann hier kostenlos runtergeladen werden.