Forderung an die Bundesregierung: Recht auf Familiennachzug umsetzen!

Im Koalitionsvertrag hat die Regierungskoalition Verbesserungen beim Familiennachzug für Geflüchtete versprochen. Zum Weltkindertag am 20. September ruft das internationale Kinderhilfswerk terre des hommes gemeinsam mit vielen weiteren Verbänden zur Umsetzung dieser Verbesserungen sowie der EuGH-Urteile und zur Abschaffung zahlreicher Hürden beim Familiennachzug auf.

Die Forderung nimmt Bezug auf das aktuelle Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 1. August 2022, in dem festgestellt wurde, dass Deutschland europarechtswidrig Familiennachzug verhindert. Geflüchteten Jugendlichen wurde der Familiennachzug verweigert, wenn sie zwischen Antragsstellung und Entscheidung über den Asylantrag volljährig geworden sind. Das Bündnis fordert die Umsetzung der minderjährige Geflüchtete begünstigenden EuGH-Urteile.

Überdies fordern die Organisationen, einen Rechtsanspruch für den Nachzug der Geschwister beim Elternnachzug zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zu schaffen. Nach derzeitiger Rechtslagekönnen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zwar ihre Eltern, nicht aber ihre Geschwister nachziehen lassen. Diese Form von Familientrennung sei für viele Kinder und Jugendliche eine starke psychische Belastung, die negative Folgen für ihre weitere Entwicklung haben kann.

Des Weiteren fordert die Initiative sowohl die Herstellung des Rechtanspruchs auf Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten als auch den Abbau der administrativen Hürden im Visumsverfahren. „Wir erwarten, dass die Bundesregierung ihren Versprechungen zur Verwirklichung des Grundrechts auf Familienleben für Geflüchtete oberste Priorität einräumt“, erklärte Beat Wehrle, Vorstandssprecher von terre des hommes.



Ludwigsburg: Mahnwache „Flucht nach Europa. Die Festung Europa ist unerbittlich“

Die Ökumenische Fachstelle Asyl ruft zu einer Mahnwache auf dem Rathausplatz in Ludwigsburg auf. Sie möchte darauf aufmerksam machen, dass immer noch Menschen das Risiko auf sich nehmen und unter den widrigsten Umständen über das Meer nach Europa kommen.

Nach der Mahnwache (um 12:30 Uhr) wird Peter Schmidt seine Skulptur „Festung Europa“ in der Stadtbibliothek vorstellen. Die Skulptur wird dort vom 24.9. bis zum 8.10. ausgestellt.

Um 13:00 Uhr gibt es einen Imbiss und Theresa Bischof wird über ihre Einsätze in Flüchtlingslagern auf der griechischen Insel Lesvos im Kulturzentrum Ludwigsburg berichten.


Pro Asyl: Hürden beim Familiennachzug von Ehepartner*innen

Der Verband binationaler Familien und Partnerschaften, DGB, PRO ASYL und zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen fordern die Ampelkoalition auf, das Erfordernis eines deutschen Sprachnachweises für die Einreise zu in Deutschland lebenden Ehepartner*innen endlich zu streichen. Die Regelung verhindert jährlich tausendfach das Recht auf eheliches Zusammenleben. 

Rund ein Drittel aller Menschen, die zu ihrem Ehemann oder zu ihrer Ehefrau nach Deutschland ziehen möchten, scheitern an den dafür erforderlichen Deutschkenntnissen, die sie vorab zur Einreise nachweisen müssen. Das sind im Jahr circa 10.000 Paare, denen dadurch das gemeinsame Leben versagt wird (siehe Plenarprotokoll vom 16.3.22, Frage 31).

Die Regierungsparteien haben vor der parlamentarischen Sommerpause den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts vorgelegt. Dieser sieht vor, dass Ehegatt*innen von in Deutschland lebenden Fachkräften für den Nachzug keinen Nachweis über bestehende deutsche Sprachkenntnisse mehr erbringen müssen. „Wir fragen uns, warum denn nicht gleich für alle? Warum werden die Paare und Familien im partnerschaftlichen Familiennachzug erneut übergangen? Hier könnten die Regierungsparteien ihr Versprechen doch auf ganzeinfache Art einlösen. Da genügt ein kleiner zusätzlicher Satz“, so Chrysovalantou Vangeltziki, Bundesgeschäftsführerin Verband binationaler Familien und Partnerschaften.

Auf Initiative des Verbands binationaler Familien und Partnerschaften haben PRO ASYL und weitere zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter DER PARITÄTISCHE Gesamtverband, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), das Bundesjugendwerk der AWO und zahlreiche Landesflüchtlingsräte nun einen Aufruf veröffentlicht. Darin beklagen sie, dass das Spracherfordernis für die Betroffenen in vielen Fällen eine unzumutbare Belastung darstellt und auch unverhältnismäßig ist, denn die deutsche Sprache kann sehr viel leichter in Deutschland als im Ausland erworben werden.

Die unterzeichnenden Organisationen sehen in dem Spracherfordernis zudem einen Verstoß gegen das Recht auf eheliches und familiäres Zusammenleben nach Art. 6 GG sowie einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 GG, weil die Vorgabe nur einige Paare trifft und andere nicht. Angehörige von in Deutschland lebenden Hochqualifizierten, Unionsbürger*innen und Menschen bestimmter Herkunftsländer (definiert in §41 AufenthV) sind von dem Spracherfordernis befreit. Im Zuge des geplanten Chancen-Aufenthaltsrecht könnte das bald ebenso für nachziehende Ehepartner*innen von in Deutschland lebenden Fach- und IT-Kräften gelten. Menschen hingegen, die zu ihren Ehepartner*innen nach Deutschland ziehen wollen, die schon die deutsche Staatsbürgerschaft erlangt haben, sowie Ehepartner*innen anderer in Deutschland lebender Drittstaater*innen müssen den Nachweis weiterhin erbringen. Dies ist weder aus wirtschaftlichen noch aus humanitären Gründen nachvollziehbar. „Es wird wirklich Zeit, diese Ungleichbehandlung endlich aufzugeben“, fordert Chrysovalantou Vangeltziki, Bundesgeschäftsführerin des Verbands binationaler Familien und Partnerschaften.

Hintergrund

Im Jahr 2007 wurde für den Familiennachzug von Ehepartner*innen der Nachweis einfacher deutscher Sprachkenntnisse (Niveau A1) als Voraussetzung eingeführt. Dieser umfasst auch schriftliche Deutschkenntnisse und muss bereits vor Einreise erbracht werden. Begründet wurde dies damit, Integration zu fördern und Zwangsverheiratung verhindern zu wollen. Die gesetzlichen Ausnahmeregelungen (in § 30 Abs. 1 S. 3 AufenthG) werden behördlich so restriktiv gehandhabt, dass sie kaum Anwendung finden.

Die Regierungsparteien hatten in ihrem Koalitionsvertrag bereits Ende vergangenen Jahres eine Änderung der Rechtslage angekündigt, so dass „zum Ehepartner oder zur Ehepartnerin nachziehende Personen […] den erforderlichen Sprachnachweis auch erst unverzüglich nach ihrer Ankunft erbringen [können]“ (S.111). In ihrem Aufruf erinnern die Organisationen die Regierung an ihr Versprechen.



Verstärkung der Bleibeperspektive für Drittstaatsangehörige

In einem neuen Urteil vom 7. September hat der Europäische Gerichtshofs (EuGH) entschieden, dass ein Drittstaatsangehöriger, der als Familienangehöriger eines Unionsbürgers über einen Aufenthaltstitel verfügt, eine langfristige Aufenthaltserlaubnis erlangen kann.

Die Entscheidung wurde in der Sache einer ghanaischen Mutter und ihrem niederländischen Sonn getroffen. Die Frau hat seit 2013 um ihren Sonn, der EU-Bürger ist, in den Niederlanden gekümmert. Sie versuchte 2019 eine langfristige Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, allerdings wurde das von den niederländischen Behörden abgelehnt, da sie der Ansicht waren, dass ihr Aufenthaltsrecht als Familienangehörige nur von vorübergehender Natur sei.

Nun hat der EuGH allerdings zugunsten der Frau entschieden: der Aufenthalt als Familienmitglied eines Unionsbürgers ist nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen. Dabei hat der EuGH deren vorrangiges Ziel betont, nämlich die Integration von Drittstaatsangehörigen, die in einem Mitgliedstaat langfristig bleiben. Laut dem EuGH seien nur solche Drittstaatsangehörigen, die sich ausschließlich vorübergehend im Mitgliedstaat aufhalten, z.B. Au-pairs, Saisonarbeitnehmer, entsendete Arbeitnehmer oder bei förmlich begrenzten Aufenthaltsgenehmigungen, vom Anwendungsbereich der Daueraufenthaltsrichtlinie ausgeschlossen.

Für mehr Information lesen Sie den Migazin Artikel dazu sowie die Pressemitteilung des EuGH.


Presseerklärung von Pro Asyl: Frontalangriff auf das europäische Asylrecht

PRO ASYL und rund 60 NGOs aus ganz Europa warnen in einem Brandbrief vom 8. September angesichts einer derzeit diskutierten EU-Verordnung vor einer weitreichenden Aushebelung des europäischen Asylrechts.

In Brüssel und den europäischen Hauptstädten soll im Hauruck-Tempo eine EU-Verordnung durchgepeitscht werden, die das europäische Asylsystem weitgehend aushebelt. „Diese Verordnung darf nicht verabschiedet werden – sie ist ein Frontalangriff auf das europäische Asylsystem und die Rechtsstaatlichkeit in Europa. Die Bundesregierung darf ihr im Rat keinesfalls zustimmen“, fordert Karl Kopp, Leiter der Europa-Abteilung von PRO ASYL.

Im Dezember 2021 legte die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung vor, die den EU-Mitgliedstaaten in Situationen der „Instrumentalisierung“ von Migration und Asyl ermöglicht, von ihren Verpflichtungen nach dem EU-Asylrecht abzuweichen. Auslöser war die Initiative des belarussischen Diktators Lukaschenko, der die Not von Schutzsuchenden schamlos ausnutzte und diese an die EU-Grenze brachte. Der Mechanismus, der nun diskutiert wird, soll den EU-Mitgliedstaaten dauerhaft zur Verfügung stehen und in verschiedenen Situationen in Anspruch genommen werden. Die Folge ist, dass die Nationalstaaten nach Belieben von ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen abweichen können.

„Wir beobachten seit Jahren eine Erosion des Asylrechts und der Rechtsstaatlichkeit an den europäischen Außengrenzen. Doch mit dieser Verordnung würden schäbige Praktiken von Rechtsbrüchen in Gesetzesform gegossen. Das bedeutet einen Freifahrtschein für repressive Regierungen in der EU, die die Rechte von Schutzsuchenden mit Füßen treten“, warnt Karl Kopp.

Gefährlicher Präzedenzfall: Rechtsstaatlichkeit in Europa wird in Frage gestellt


Die Stellungnahme wurde von knapp sechzig NGOs aus ganz Europa unterzeichnet, darunter der Europäische Flüchtlingsrat ECRE, Amnesty International, Caritas Europa und Human Rights Watch. Sie warnen: Eine Einigung über die sogenannte Instrumentalisierungsverordnung wird der letzte Schlag gegen ein gemeinsames europäisches Asylsystem in Europa sein. Die unterzeichnenden Nichtregierungsorganisationen lehnen die Einführung und Anwendung des Konzepts der Instrumentalisierung und seine Kodifizierung im EU-Recht entschieden ab. Wir lehnen ferner Reformen ab, die weitreichende Ausnahmen vom EU-Recht ermöglichen“, heißt es in dem am 8. September veröffentlichten Positionspapier (hier in deutscher Übersetzung).

Die vorgeschlagenen Ausnahmeregelungen sind unverhältnismäßig, kontraproduktiv, unnötig, fehlgeleitet und ungerecht, wie in der Stellungnahme der NGOs weiter ausgeführt wird. „Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass diese Reformen die Achtung des EU-Rechts insgesamt untergraben. Die Einführung eines Modells, das (…) beliebige Ausnahmen zulässt, könnte einen Präzedenzfall schaffen, insbesondere da die Rechtsstaatlichkeit in ganz Europa in Frage gestellt wird.“

Soweit bekannt, gibt es unter den Mitgliedstaaten eine breite Unterstützung für die vorgeschlagene Verordnung. Die tschechische Ratspräsidentschaft strebt die Verabschiedung einer gemeinsamen Verhandlungsposition bis Dezember an. Die zuständige Asylarbeitsgruppe des Rates wird voraussichtlich am 21. September weiter über das Thema beraten.

Quelle: Pro Asyl


Heilbronn: „Klimagerechtigkeit als globales Friedenprojekt“

Klimawandel ist ein dringendes Problem, das viel zu wenig bearbeitet wird. Das Bewusstsein der Klima-Krise muss deswegen immer wieder geschärft werden, besonders in Bezug auf ihre umweltgefährdenden als auch humanitären und politischen Folgen auf den globalen Süden.

Die Veranstaltung ist als ein Treffen mit Mamadou Mbodji konzpiert, Vizepräsident der NaturFreunde Internationale und Präsident der afrikanischen NaturFreunde. Mamadou Mbodji warnt schon seit Jahren vor den Folgen der Klima-Krise. Er spricht nicht nur über die Ursachen der Klima-Krise, sondern auch über praktische und praktikable Projekte in Afrika, deren Ziel es ist, die Klima-Katastrophe abzumildern.

Zum Flyer der Veranstaltung.


Schnell noch abschieben – bevor das Chancen-Aufenthaltsrecht kommt

Herr K. aus Sri Lanka lebt seit fast sieben Jahren in Deutschland, arbeitet seit fünf Jahren in Vollzeit, ist nie straffällig geworden und soll nun trotzdem abgeschoben werden. Die baden-württembergische Landesregierung weigert sich nicht nur, praktikable Lösungen zu finden bis das Bundesgesetz in Kraft tritt, sondern legt auch jeden rechtlichen Ermessensspielraum negativ aus. Wir fordern die Landesregierung auf, eine schnelle Lösung für Herr K. zu finden und sich endlich an die Versprechungen des Koalitionsvertrags zu halten.

Seit dem 01.01.2022 warten tausende Menschen mit einer Duldung darauf, dass endlich das neue Bundesgesetz zum Chancen-Aufenthaltsrecht, einer einjährigen Aufenthaltserlaubnis, auf den Weg gebracht wird. Seit Juli gibt es einen Kabinettsentwurf der Bundesregierung, aber wann das Gesetz im Bundestag verabschiedet wird, ist noch unklar. Baden-Württemberg nutzt dieses Vakuum, um potentielle Kandidat*innen noch schnell abzuschieben. Ein „Vorgrifferlass“ auf Landesebene könnte schon vor Verabschiedung des Bundesgesetzes Personen, die alle Voraussetzungen für das Chancen-Aufenthaltsrecht erfüllen, vor Abschiebung schützen. Offensichtlich entspricht dies jedoch nicht dem Willen der Landesregierung.

So ist nun wieder einmal ein potentieller Anwärter des Chancen-Aufenthaltsrechts in der Abschiebehaft Pforzheim inhaftiert und soll diesen Donnerstag abgeschoben werden. Obwohl er eigentlich eine Bleibeperspektive über das Chancen-Aufenthaltsrecht in Deutschland hätte. Zudem erfüllt er in sechs Wochen die Voraussetzungen für eine Beschäftigungsduldung, die ihn vor einer Abschiebung schützen würde. In solchen Fällen kann eigentlich ein Antrag bei der Härtefallkommission gestellt werden. Herr K. muss sich jedoch der akuten Abschiebegefahr nicht bewusst gewesen sein und zudem gab es offensichtlich niemand, der ihn bei einem solchen Antrag unterstützt hat. In genau diesen Fällen, kann die Landesregierung von einer Abschiebung absehen und sollte es laut dem Koalitionsvertrag auch tun! Denn dort heißt es, die Landesregierung wolle alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um Bleiberechtsoptionen zu nutzen und Betroffene rechtzeitig vor einer drohenden Abschiebung zu beraten.

Doch wieder sträubt sich das Justizministerium, einem geliebten Onkel, einem hartarbeitenden und finanziell unabhängigen Menschen und einem unverzichtbaren Mitarbeiter einer Firma eine Zukunft in Baden-Württemberg zu ermöglichen. Zum Beispiel über eine Ermessensduldung aus dringenden persönlichen Gründen. Dies hat das Regierungspräsidium Karlsruhe aber abgelehnt: Es ist wohl nicht dringlich oder persönlich genug, wenn in absehbarer Zeit Anspruch auf das Chancen-Aufenthaltsrecht oder eine Beschäftigungsduldung besteht. Die baden-württembergische Landesregierung zeigt ein weiteres Mal, dass sie eine unmenschliche Abschiebepolitik verfolgt, anstatt das Chancen-Aufenthaltsrecht per Vorgrifferlass zu ermöglichen. „Dass die Bundesregierung ihrem Vorhaben das Chancen-Aufenthaltsrecht auf den Weg zu bringen, hinterherstolpert, ist eine Sache. Dass wir immer wieder zusehen müssen, wie Kandidat*innen auf das Chancen-Aufenthaltsrecht in Baden-Württemberg abgeschoben werden, ist zynisch. Mir wird schlecht, wenn ich an die nun so hohlklingenden Versprechungen aus dem Koalitionsvertrag der Landesregierung denke. Aber da dieses Verhalten die Schwächsten unserer Gesellschaft betrifft, kann es ihr wohl egal sein“, so Maren Schulz, Mitarbeiterin des Flüchtlingsrates Baden-Württemberg.

Herr K. ist nicht der Einzige, der abgeschoben werden soll, obwohl ein Bleiberecht zum Greifen nahe ist. In den letzten Monaten hat der Flüchtlingsrat ähnliche Fälle begleitet.

„Wir müssen davon ausgehen, dass die Landesregierung versuchen wird, noch weitere Personen, für die das Chancen-Aufenthaltsrecht in Frage kommt, abzuschieben. Doch wir bleiben dran, kämpfen für jeden Einzelfall, pochen auf die Einhaltung des Koalitionsvertrages und bringen die Unmenschlichkeit dieser Regierung an die Öffentlichkeit,“ erklärt Lucia Braß, erste Vorsitzende des Flüchtlingsrates Baden-Württemberg.


Offener Brief weiblicher Ortskräfte aus Afghanistan

Wer sind wir?

Wir sind eine Gruppe, die sich aus ehemaligen afghanischen Mitarbeiterinnen deutscher Organisationen, afghanischen Aktivistinnen und Verfechterinnen von Frauenrechten zusammensetzt. Wir haben für verschiedene deutsche Institutionen und andere Organisationen gearbeitet, die mit der Umsetzung von Entwicklungsprojekten betraut waren; wir haben u. a. für Menschenrechtsorganisationen und Initiativen für Frauen- und Kinderrechte gearbeitet, Demokratisierungs- und Bildungsprojekte umgesetzt, die Einhaltung des Wahlgesetzes durch unsere Arbeit gesichert, ausländische Regierungstruppen unterstützt und uns aktiv an Maßnahmen gegen den Terror der Taliban beteiligt. Wir haben den Kampf gegen Armut fortgeführt und uns für Klimaschutz eingesetzt, damit es eine bessere Zukunft für alle Menschen gibt. Vor unserer Evakuierung waren wir im direkten Kontakt mit den Medien, Institutionen der Regierung und einflussreichen Menschen. Daher sind wir bekannte Personen in unserer Gesellschaft und der Nachbarschaft.

Warum wenden wir uns an Sie?

Wir haben unser Land nur aus Sicherheitsgründen verlassen – aus keinem anderen Grund. Wir haben im selben Haushalt wie unsere Familien gelebt und jegliche Sicherheitsrisiken, die unser Leben bedrohen könnten, bedrohen auch das ihre. Die Taliban nutzen jede Gelegenheit, um die Häuser unserer Angehörigen zu durchsuchen. Unsere Familienmitglieder werden geschlagen, beleidigt, erniedrigt und mit dem Tode bedroht. Darüber hinaus gab es in letzter Zeit Entführungen und mysteriöse Morde an Aktivist:innen, Journalist:innen, internationalen Angestellten und deren Familien durch unbekannte Personen. Die Lage in Afghanistan ist für Menschen, die sich bekanntermaßen gegen die Taliban eingesetzt haben, sowie für deren Angehörige katastrophal.

Die Tatsache, dass unsere engen Angehörigen noch in Afghanistan sind, schränkt auch uns selbst in unserem Recht auf freie Meinungsäußerung und in unserer menschenrechtsaktivistischen, feministischen und politischen Arbeit ein. Wir haben Angst, uns online oder in anderen Medien zu äußern, denn damit könnten wir unsere Familien in Afghanistan in höchste Gefahr bringen. Viele von uns sind vor diesem Hintergrund in einer schlechten mentalen und physischen Verfassung. Wir sind hervorragend ausgebildet und würden uns gern aktiv in die deutsche Gesellschaft einbringen – die Angst um unsere Angehörigen macht das vielen von uns aber unmöglich.

Nachdem die Taliban am 15. August 2021 an die Macht kamen, wurden wir ohne unsere Familien nach Deutschland evakuiert. Uns wurde mitgeteilt, dass nur die Kernfamilie, also Ehefrauen, Ehemänner und minderjährige Kinder, nach Deutschland evakuiert würden. Wir konnten jedoch beobachten, dass viele andere Ortskräfte, Menschenrechtsaktivist:innen und Journalist:innen zusammen mit ihrer ganzen Familie inklusive ihren Eltern und teilweise sogar mit ihren verheirateten Söhnen und Töchtern nach Deutschland gebracht wurden.

Uns ist dieser Vorgang unverständlich. Die Definition von Kernfamilie ist zu eng, um die Menschen zu schützen, die durch unsere Verbindung zu ausländischen Organisationen in Gefahr sind. Das Leben unserer Eltern, unserer volljährigen Kinder und unserer Geschwister ist bedroht, auch wenn sie nicht unter die sog. „Kernfamilie“ fallen. Sie leben ununterbrochen in der begründeten Angst, dass die Taliban an ihnen Rache üben. Zugleich haben unsere Familienmitglieder durch unsere Ausreise auch ihre Versorgungssicherheit verloren, da wir in den meisten Fällen die Hauptverdienerinnen waren. Dass nun verschiedene Maßstäbe für unsere Angehörigen gelten als für die Familienmitglieder anderer als gefährdet eingestufter Personen, ist in keiner Weise nachvollziehbar. Aus welchem Grund durfte ein Teil der Ausreisenden Angehörige mitnehmen, die nicht zur Kernfamilie gehören, während uns das verwehrt blieb?

Was erwarten wir?

Während der letzten Monate, haben wir mit großem Interesse und großer Bewunderung das politische und zivilgesellschaftliche Engagement beobachtet, mit dem ukrainischen Geflüchteten geholfen wurde. Wir halten diese Haltung den Flüchtenden gegenüber für angemessen und richtig.

Doch wir kommen nicht umhin, uns zu fragen, wo diese Unterstützung für unsere Familien in Afghanistan bleibt, die immer noch um ihr Leben fürchten und deren Situation sich in absehbarer Zeit noch verschlimmern wird: Beobachter:innen sind der Überzeugung, dass die Taliban die Ablenkung der internationalen Gemeinschaft durch den Krieg in der Ukraine nutzen werden, um weitere extreme Regelungen im Land einzuführen.

Wir erinnern uns genau an die Tage nach dem 15. August 2021, als die deutsche Regierung versprochen hat, alle Ortskräfte und ihre Familien in Sicherheit zu bringen. Es gab damals keine erkennbare Intention, die Familien zu trennen. Das Schicksal der Menschen in Afghanistan darf nicht vergessen werden. Deutschland muss seiner Verantwortung gerecht werden. Wir mussten unser Land, unsere Karrieren, unsere Familien und viele unserer Träume zurücklassen, weil wir mit den internationalen Truppen und Organisationen zusammen gearbeitet haben.

Unsere Forderung an die deutsche Regierung ist, dass Sie ihr Versprechen unsere Familien in Sicherheit zu bringen, einhalten. Für das kommende Bundesaufnahmeprogramm sollte die deutsche Regierung uns die Möglichkeit geben, unsere Familien auf die Liste der Personen setzen zu dürfen, die beschützt und nach Deutschland evakuiert werden.

Wir sind eine starke und große Gruppe ehemaliger Ortskräfte, und wir haben uns entschieden aufzustehen, unsere Stimmen für die Sicherheit unserer Familien zu erheben und unsere Forderung auf eine friedliche Art und Weise an politische Entscheidungsträger:innen, die Medien und weitere Organisationen heranzutragen, die unsere Rechte unterstützen wollen.

Mit hoffnungsvollen Grüßen

Amena Rahemy, KFW banking group
BiBi Mariam Arween, FEFA
Anisa Rahman Niazy, WHH (Welthungerhilfe)
Zala Alami, TDH (Terre des Hommes) Germany
Hosnia Eftikhari, GIZ/GFA Consulting Group
Brishna Habibi, Save the Children International
Gulbibi Juya, GIZ role of law

im Namen der Gruppe der afghanischen Aktivistinnen und weiblichen Ortskräfte


Der Brief wurde ursprünglich auf der Website des Flüchtlingsrates Niedersachsen veröffentlicht.


Fachinformation: Rechtsprechung des EuGH zum Familiennachzug

Die Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) müssen zu gravierenden Veränderungen in Eltern- und Kindernachzügen von anerkannten Flüchtlingen in Deutschland führen, da es entscheidend auf die Minderjährigkeit der involvierten Kinder ankommt. Dies hatte der EuGH in zwei Entscheidungen am 01.08.2022 erneut klar gestellt. Ausschlaggebend ist allein, ob das (in Deutschland oder im Herkunftsland lebende) Kind zum Zeitpunkt des Asylantrags noch minderjährig ist.

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) hat eine ausführliche Fachinformation zum Familiennachzug zu und von anerkannten Flüchtlingen auf Basis der neuen Entscheidungen veröffentlicht. In der Publikation werden außerdem der Familiennachzug von und zu subsidiär Schutzberechtigen und prozessuale Voraussetzungen und Fristen erläutert.


Stellungnahme: Verfassungsrechtliche Bedenken gegen Asylbewerberleistungen

Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) sind von erheblichen Unterdeckungen betroffen. Dies und vieles mehr macht die ausführliche Stellungnahme des Flüchtlingsrates deutlich, welche für ein Verfahren beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingeholt wurde. So legitimieren haushaltspolitischen Gründe kein geringeres Existenzminimum. Auch gibt es keine Minderbedarfe, basierend auf einem angeblichen Näheverhältnis zwischen Alleinstehenden/Alleinerziehenden in Sammelunterkünften.

Im September 2019 wurden Leistungen nach dem AsylbLG für alleinstehende und alleinerziehende Geflüchtete in Sammelunterkünften gekürzt. Die Gesetzgeberin geht davon aus, dass diese gemeinsam wirtschaften und sich gegenseitig finanziell unterstützen würden, sodass es ihnen möglich sei, die gleichen Einsparungen wie Paarhaushalte zu erzielen. Diese Annahme wurde bereits mehrfach kritisiert. Nun befasst sich auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit der Verfassungsmäßigkeit der Herabstufung.

Das Sozialgericht Düsseldorf hatte das BVerfG um eine Prüfung gebeten, ob die Herabstufung mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sei. In diesem Verfahren wurde der Flüchtlingsrat Berlin um eine Stellungnahme gebeten.

Der Flüchtlingsrat betont: Das AsylbLG darf nicht als migrationspolitisches Instrument benutzt werden. Migrationspolitische Ziele, wie über Leistungskürzungen Migrant*innen zur Ausreise zu drängen und potentielle Migrant*innen abzuschrecken, können die Verletzung von Grundrechten nicht begründen. Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.