Aufnahme afghanischer Ortskräfte: das Ortskräfteverfahren muss dringend reformiert werden

Die in Kooperation mit PRO ASYL entstandene Expert Opinion „Grund- und menschenrechtskonforme Ausgestaltung der Aufnahme afghanischer Ortskräfte“ der Human Rights Clinic der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zeigt, dass Deutschland seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen für die Afghan*innen, die u.a. durch Ihre frühere Tätigkeit für eine deutsche Einrichtung gefährdet sind, nicht ausreichend nachkommt.

Die Aufnahme afghanischer Ortskräfte läuft im deutschen Recht über § 22 Satz 2 AufenthG. Eine Studie von PRO ASYL und FAU Erlangen-Nürnberg kommt zu folgenden Schlüssen:

  • Sowohl aus dem Grundgesetz, der Europäischen Menschenrechtskonvention als auch aus dem UN-Zivilpakt lassen sich extraterritoriale Schutzpflichten für Menschen ableiten, die früher für deutsche Organisationen gearbeitet haben. Deutschland ist für diese Menschen verantwortlich und damit rechtlich zu ihrer Aufnahme verpflichtet.
  • Die bisherige Definition der Ortskräfte im deutschen Ortskräfteverfahren ist zu eng, um alle Menschen in Afghanistan zu umfassen, die von den Schutzpflichten Deutschlands erfasst werden müssen.
  • Der § 22 Satz 2 AufenthG ist eine unpassende Rechtsgrundlage für das
    Ortskräfteverfahren, da die Aufnahme entsprechend dieses Paragrafens im Ermessen steht.
  • Die menschenrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands können zu einer
    Ermessensreduktion auf Null führen. In diesen Fällen muss § 22 Satz 2
    AufenthG menschenrechtskonform so ausgelegt werden, dass er einen
    Rechtsanspruch auf Aufnahme vermittelt
  • Das Ortskräfteverfahren weist Defizite auf (z.B. im Hinblick auf Transparenz, Gefährdungsanzeigestellung, Mitnahme der gefährdeten Familienmitglieder). Es muss folglich dringend reformiert werden und sollte hierbei auch auf eine bessere Rechtsgrundlage gestellt werden.

Darüber hinaus bietet die Expert Opinion auch einen Überblick über das Ortskräfteverfahren, die bisherige Praxis (basierend auf Interviews mit Betroffenen und Zivilgesellschaft) und den § 22 Satz 2 AufenthG als Rechtsgrundlage.

PRO ASYL hat eine Kurzfassung der Studie erstellt.


Geschlechtsspezifische Verfolgung im Asylverfahren – Eine Arbeitshilfe für Berater*innen

Geschlechtsspezifische Verfolgung ist mittlerweile ein anerkannter Fluchtgrund. In der Praxis ist jedoch festzustellen, dass von geschlechtsspezifischer Verfolgung betroffene Personen häufig nicht hinreichend genug im Asylverfahren erkannt werden bzw. sie Hürden gegenüberstehen, die eine Geltendmachung ihrer Bedürfnisse und Rechte erheblich erschweren. Die neue Arbeitshilfe des Paritätischen Gesamtverbandes vermittelt daher rechtliche Informationen und praktische Hinweise für die Beratung von Betroffenen geschlechtsspezifischer Verfolgung im Rahmen des Asylverfahrens.

Die Arbeitshilfe bietet rechtliche Grundlagen zum Ablauf des Asylverfahrens unter der besonderen Berücksichtigung von geschlechtsspezifischer Verfolgung und zeigt auf, wie geschlechtsspezifische Rechte im Asylverfahren geltend gemacht werden können.

Die Arbeitshilfe richtet sich insbesondere an Flüchtlingsberatungsstellen sowie an Akteure, die mit geflüchteten Betroffenen geschlechtsspezifischer Gewalt arbeiten.


PRO ASYL und Flüchtlingsräte warnen: Einige Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine werden ab September ausreisepflichtig!

Ein halbes Jahr nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine machen PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte auf die Kriegsflüchtlinge ohne ukrainischen Pass aufmerksam, die wegen neuer Regelungen ab dem 1. September Gefahr laufen, in die Duldung zu fallen und abgeschoben zu werden.

„Alle Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind, müssen gleich behandelt werden: Sie müssen Schutz bekommen und die Sicherheit, sich in Deutschland eine Perspektive aufbauen zu können. Das gehört zu einem von der Bundesregierung versprochenen Diskurswechsel in der Asyl- und Migrationspolitik“, sagt Wiebke Judith, Teamleiterin Recht & Advocacy bei PRO ASYL.

Sie sind vor denselben Bomben aus der Ukraine geflohen – doch in Deutschland gelten für sie nicht dieselben Rechte: Schutzsuchende mit und ohne ukrainische Staatsbürgerschaft. Laut Bundesinnenministerium haben 97 Prozent der aus der Ukraine nach Deutschland geflohenen Menschen einen ukrainischen Pass. Somit haben circa drei Prozent, rund 29.000 Menschen, bislang nicht die Sicherheit des vorübergehenden Schutzes – und sollen ihn nach dem Willen des Bundesinnenministeriums auch weiterhin nicht bekommen.

Bis zum 31. August dürfen diese mit Hilfe einer Übergangsregelung noch ohne Visum und ohne einen Aufenthaltstitel in Deutschland leben. Doch am 1. September wird ihr Status äußerst prekär: Wer sich dann länger als 90 Tage in Deutschland aufgehalten und noch keine Aufenthaltserlaubnis hat, wird ausreisepflichtig und könnte abgeschoben werden. Über einen rechtzeitigen Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis kann zumindest zwischenzeitlich durch die entstehende Fiktionswirkung der Aufenthalt bis zur Entscheidung über den Antrag legal bleiben.

Bundesland Berlin geht mit gutem Beispiel voran – aber ausreichend ist das nicht

„Es ist unerträglich, dass demnächst aus der Ukraine nach Deutschland geflohene Menschen abgeschoben werden könnten. Auch wenn sie den Pass eines anderen Landes haben, ist für viele der Krieg in der Ukraine eine Katastrophe, die Lebensperspektiven sind zerstört. Deutschland sollte ihnen mit einem dem temporären Schutz vergleichbaren Aufenthaltsrecht endlich Schutz und Sicherheit geben“, sagt Tareq Alaows vom Flüchtlingsrat Berlin im Namen der Landesflüchtlingsräte. Das hatten PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte auch schon im Vorfeld der Innenministerkonferenz im Juni 2022 von der Bundes- und Landespolitik gefordert.

Das Bundesland Berlin geht einen ersten Schritt in diese Richtung und erteilt zumindest allen studierenden Drittstaatsangehörigen aus der Ukraine eine Fiktionsbescheinigung, mit der sie sich sechs Monate lang weiterhin legal in Deutschland aufhalten dürfen. Doch das wird häufig nicht reichen, um die hohen Anforderungen an eine Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken oder zur Erwerbstätigkeit zu erfüllen. „Die Initiative aus Berlin ist zu begrüßen, jedoch wird das Problem so nur um sechs Monate verschoben und nicht gelöst“, sagt Tareq Alaows. „Zudem reicht es nicht, dass einzelne Länder aktiv werden. Das Bundesinnenministerium muss eine bundeseinheitliche Lösung erarbeiten“, fordert Wiebke Judith.

Das Mindeste, das getan werden muss: Alle Betroffenen müssen eine Fiktionsbescheinigung bekommen, die ein Jahr gültig ist, damit sie in diesen zwölf Monaten die Chance haben, die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis zu erfüllen. Das muss das Bundesinnenministerium an alle zuständigen Landes- und Kommunalbehörden kommunizieren.

Wenn Deutschland diese Menschen halten könnte, wäre das auch ein Beitrag zum Kampf gegen den Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel, da viele aus dieser Gruppe sich um Arbeit, Ausbildung oder Studium bemühen. Deutschland braucht jährlich circa 400.000 Menschen, um den Bedarf an Fachkräften zu decken. Es wäre also ein paradoxer Schritt, Menschen, die bereits hier sind, abzuschieben.

Zum Hintergrund:

Die Gruppe der Geflüchteten aus der Ukraine ohne ukrainischen Pass ist vielfältig. Es gibt Studierende – viele kurz vor dem Abschluss – zum Beispiel aus West- und Nordafrika und der Türkei, denen das Studium in ihrem jeweiligen Herkunftsland aus politischen oder sozio-ökonomischen Gründen verwehrt ist. Zur Gruppe gehören zudem zum Beispiel Geschäftsleute aus Vietnam; Menschen, die sich den repressiven Regimen in Minsk und Moskau entzogen haben; Arbeitnehmer*innen aus Usbekistan und anderen Anrainerstaaten. Hinzu kommen die de facto staatenlosen Menschen (unter anderem Angehörige der Rom*nja Minderheit), die ihr gesamtes Leben in der Ukraine verbracht haben. Sie alle haben ihren Lebensmittelpunkt mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine verloren.

Drittstaatenangehörige bekommen nur unter den eng gefassten Voraussetzungen, dass sie nicht unter „sicheren und dauerhaften Bedingungen“ in ihr Herkunftsland zurückkehren können, einen Schutzstatus innehatten oder in Familieneinheit mit ukrainischen Staatsbürger*innen lebten, eine Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage des EU-Beschlusses.


Wie kann man vermisste Familienangehörige über das Internet finden?

Im Fall der Trennung von Familienangehörigen während der Flucht stehen geflüchteten Menschen in Deutschland – und auch global – verschiedene Möglichkeiten, die Angehörigen zu suchen, zur Verfügung. Die folgenden Organisationen können kontaktiert werden:

  • Der DRK-Suchdienst hilft Menschen, die den Kontakt zu ihren Angehörigen aufgrund bewaffneter Konflikte, Katastrophen oder Flucht verloren haben, wieder mit ihren Familien in Kontakt zu kommen. Auf ihrer Website gibt es die Möglichkeit, eine Suchdienst-Beratungsstelle in der Nähe zu finden und ein persönliches Gespräch mit einem*einer Berater*in zu verabreden.
  • Auf der unter anderem vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) betriebenen Seite „Restoring Family Links“ gibt es ein Online-Portal namens „Trace the Face“, wo die Suchenden eigene Fotos hochladen können, die dann weltweit einsehbar sind. Sollte die gesuchte Person den suchenden Angehörigen auf dem Foto erkennen, kann sie eine Nachricht auf der Website verfassen.
  • Auf der Homepage Missing Children Europe kann generell nach vermissten Kindern gesucht werden. Unter der europaweiten Hotline 116000 können jetzt auch geflüchtete Kinder aus der Ukraine gesucht werden.  

Weitere Stellen können auf der Seite Missing Migrants Project der International Organisation for Migration (IOM) recherchiert werden.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat auch eine neue Info-Website „No Trace of You“ eingerichtet, die der Verbreitung des Bewusstseins für das Problem der vermissten Familienangehöriger dienen sollte.


Flüchtlingsrat enttäuscht: Neuer Erlass läuft weitgehend leer

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg bewertet die neuen Anwendungshinweise zu § 25b AufenthG kritisch. Der Erlass ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, er kommt jedoch viel zu spät und enttäuscht auch inhaltlich.

Die Anwendungshinweise soll(t)en zu einer häufigeren Verkürzung der für ein Bleiberecht nach § 25b AufenthG regelmäßig erforderlichen Voraufenthaltszeit von acht bzw. sechs Jahren führen. Ein entsprechender gesetzlicher Spielraum besteht seit Inkrafttreten der Vorschrift im August 2015. Dieser blieb jedoch in der ausländerbehördlichen Praxis unverständlicherweise jahrelang ungenutzt. Die vom Flüchtlingsrat seit langem geforderten und im Koalitionsvertrag versprochenen Anwendungshinweise werden nun eine derart kurze Halbwertzeit haben, dass ihr praktischer Wert gegen Null geht. In wenigen Monaten wird die nach § 25b AufenthG erforderliche Voraufenthaltszeit durch das Chancenaufenthaltsrechtsgesetz ohnehin auf sechs bzw. vier Jahre abgesenkt. Dann soll der Erlass schon wieder Makulatur sein, worauf das federführende Justizministerium in seinem Begleitschreiben spürbar genüsslich hinweist. Die neuen Anwendungshinweise, für deren Erlass die Landesregierung über ein Jahr gebraucht hat, werden also schon in wenigen Monaten wieder nutzlos sein. „Die Landesregierung lässt sich dafür feiern, ein längst überfälliges Vorhaben endlich umgesetzt zu haben – und torpediert dessen Zweck mit dem Begleitschreiben gleich wieder“, so Meike Olszak, Mitarbeiterin in der Geschäftsstelle des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg. Besonders eklatant ist die zeitliche Verschleppung auch deshalb, weil der Erlass in großen Teilen von den Anwendungshinweisen aus Nordrhein-Westfalen kopiert wurde, die schon deutlich früher erlassen wurden.

Auch inhaltlich bleiben die baden-württembergischen Anwendungshinweise hinter den Erwartungen sowie hinter bereits erlassenen Hinweisen in anderen Bundesländern zurück. Im Vergleich zu den nordrhein-westfälischen Hinweisen lässt der Erlass aus Baden-Württemberg den Ausländerbehörden an entscheidenden Stellen Ermessensspielräume bei der Verkürzung der Aufenthaltszeiten. Laut nordrhein-westfälischem Erlass muss die Ausländerbehörde die Voraufenthaltszeit zwingend um zwei Jahre verkürzen, wenn die betroffene Person ein B2 Sprachniveau nachweisen kann. Die baden-württembergischen Hinweise überlassen diese Absenkung der Aufenthaltszeit bei entsprechender sprachlicher Qualifikation hingegen dem Ermessen der Ausländerbehörde. Zu bemängeln ist auch, dass die nun erlassenen Hinweise entgegen der Versprechungen im Koalitionsvertrag nicht alle vorhandenen Spielräume nutzen. Der Erlass enthält zwar Vorgaben, welche besonderen Integrationsleistungen eine Absenkung der Aufenthaltszeit um zwei Jahre rechtfertigt. Er schafft es aber nicht, den Ausländerbehörden verständlich darzulegen, dass auch Integrationsleistungen, die diesen Vorgaben nicht ausnahmslos entsprechen, in der Gesamtschau aller Integrationsleistungen ein Absenken der Aufenthaltszeit begründen können. Deshalb besteht die Gefahr, dass die Ausländerbehörden diese Leistungen nicht entsprechend würdigen. „Es ist für uns nicht verständlich, warum die Landesregierung ein Jahr damit vergeudet hat, die bereits bestehenden Anwendungshinweise aus NRW größtenteils zu kopieren, um dann einen Erlass zu präsentieren, der an entscheidenden Stellen die vorhandenen Spielräume nicht ausschöpft und daneben auch noch schwer verständlich ist. Während es die Ministerialverwaltung damit einmal mehr geschafft hat, den augenscheinlich so verhassten Spurwechsel so schwer wie möglich zu machen, müssen sich die Grünen die Frage gefallen lassen, wie sie eine humane Migrationspolitik fordern und sich gleichzeitig so vom CDU-geführten Justizministerium am Nasenring durch die Manege führen lassen können.“ so Sebastian Röder vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg abschließend.


Neues Beratungsangebot des BumF e.V. mit ukrainischer Übersetzung

Der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF) bietet ab Mitte August eine kostenlose Beratung mit ukrainischer Übersetzung an. Mit besonderem Augenmerk auf die ukrainischen geflüchteten Kinder und Jugendliche haben zwei neue Projekte begonnen, deren Ziel ist, die Beratung der geflüchteten Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine in Deutschland zu unterstützen.

  • Das erste Projekt richtet sich an Fachkräfte und Ehrenamtliche, die sich um ukrainische Kinder und Jugendliche kümmern. Das Team vom BumF berät sowohl schriftlich als auch mündlich in zwanzigminütigen Beratungslots mit Dolmetscher*in.
  • Schriftliche Anfragen (auch auf Ukrainisisch) können an beratung@b-umf.de geschickt werden. Eine Buchung von Beratungsterminen mit ukrainischer Übersetzung ist ebenfalls möglich. Das Team vom BumF bittet darum, ihnen vorab die Fragen zuzuschicken, um eine möglichst kompetente Beratung zu ermöglichen.
  • Das zweite Projekt richtet sich an Fachkräfte aus öffentlicher und freier Jugendhilfe bundesweit. Sie können zur Situation unbegleiteter Minderjähriger sowie Minderjähriger in Familienbegleitung aus der Ukraine beraten.
  • Das Projekt verbindet die Einzelfallberatung von Fachkräften, die den ukrainischen Kinder, Jugendlichen und Familien helfen, mit der Erarbeitung von Arbeitshilfen für Fachkräfte einerseits und dem Transfer der Bedarfe von jungen ukrainischen Geflüchteten wie Fachkräften in Politik und Fachöffentlichkeit.


Solidarität mit Afghanistan: Kundgebung in Stuttgart

Ein breites Bündnis ziviligesellschaftlicher Initiativen und Organisationen ruft unter dem Motto „Solidarität mit Afghanistan“ zur Kundgebung am Samstag, dem 13.08.2022, von 14-16 Uhr am Schlossplatz in Stuttgart auf. Seit der Machtübernahme der Taliban vor genau einem Jahr ist die Lage für viele Menschen dort verheerend. Sadiq Zartila, Mitglied im Sprecher*innenrat des Flüchtlingsrats Baden-Württmeberg, schreibt für das Bündnis der Kundgebung:

„Durch den überstürzten Abzug des westlichen Militärs aus Afghanistan ist die Macht im Land wieder in die Hände der Terrororganisation Taliban gefallen. Mein Heimatland Afghanistan ist dadurch zum wiederholten Male zum Zentrum des internationalen Terrorismus geworden. Alle Ansätze einer demokratischen Entwicklung, die in den letzten 20 Jahren so mühsam erkämpft und erarbeitet wurden, sind zerstört, liberale und fortschrittliche Menschen werden verfolgt und ermordet, das Land steht wieder am Abgrund.

Die Wirtschaft des Landes liegt brach, selbstverständliche und notwendige Infrastruktur funktioniert nicht mehr. Hausdurchsuchungen und brutale Gewalt gegen Zivilisten schürt Angst und zwingt Millionen Menschen, aus dem Land zu fliehen. Nach Einschätzung der Welthungerhilfe WHO hungern 20 Millionen Afghanen, das ist die Hälfte der Bevölkerung. Frauen haben nahezu keine Rechte mehr, sie dürfen keiner Arbeit nachgehen, Mädchen dürfen nicht zur Schule. Tagtäglich verletzten die Milizen der Taliban die Menschenrechte der Bevölkerung und üben Terror aus.

Wir sind in großer Sorge um die Menschen im kommenden Winter und um die Zukunft des Landes. So wie die Situation sich entwickelt, bahnt sich neben der katastrophalen Lage der Menschenrechte auch eine humanitäre Katastrophe am Hindukusch an, dort wo Deutschland unsere deutsche Demokratie verteidigen wollte.

Es ist dringend notwendig, dass die Bundesrepublik gemeinsam mit der EU die Not in Afghanistan abwendet und sich für ein freies, unabhängiges und neutrales Afghanistan einsetzt, in dem die grundlegenden Menschenrechte gelten.

Der Bundestag setzte am 8. Juli 2022 mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP eine Enquete-Kommission ein, welche die Umstände des Abzugs der Bundeswehrtruppen aus Afghanistan im August 2021 aufklären soll. Der Auftrag der Kommission umfasst 38 Punkte. Im Ergebnis soll ein Gesamtbild entstehen zum Entscheidungsverhalten der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Abzug der Bundeswehr und anderer NATO-Kräfte und Diplomaten sowie der Evakuierung von Menschen im Zusammenhang mit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im Zuge des Doha-Abkommens. Der Untersuchungsausschuss soll zudem Empfehlungen geben, wie Fehler zukünftig vermieden werden können.

Wir haben in diesem Zusammenhang die folgenden Fragen:

  • Was unternimmt die Bundesregierung gegen die kommende humanitäre Katastrophe in Afghanistan?
  • Wie nützlich ist die Arbeit der Enquete-Kommission für den Friedensprozess in Afghanistan?
  • Wie sieht das nachhaltige Engagement der Bundesrepublik in Afghanistan aus?
  • Inwieweit hat die Bundesrepublik die gesetzten Ziele – Aufbau der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Afghanistan – nach dem 11. September 2001 in Afghanistan erreicht oder warum nicht erreicht?
  • Internationale Terroristen sammeln sich erneut in Afghanistan, weil sie die Unterstützung der Taliban genießen, wie geht die Bundesregierung und die EU mit dieser Tatsache um?
  • Die Taliban finanzieren sich durch den Anbau und Vertrieb von Opium und vergiften dadurch das Leben vieler Menschen auf der ganzen Welt, wie ist die Haltung der Bundesrepublik dazu?
  • Wie unterstützt die Bundesrepublik die fortschrittlichen und demokratischen Kräfte in Afghanistan?
  • Viele Intellektuelle und Menschenrechtler*innen, die sehr gefährdet sind, insbesondere die Frauenaktivistinnen befinden sich immer noch im Land. Wie sollen diese Menschen geschützt werden?
  • Im Land befinden sich immer noch die ehemaligen Ortskräfte und deren Familien, was passiert mit diesem Personenkreis?

Bitte unterstützt die fortschrittlichen Kräfte für ein neutrales und unabhängiges Afghanistan!
Afghanistan braucht Solidarität und Beistand, und kein Mitleid!“


EuGH: Geburt in Deutschland begründet Recht auf deutsches Asylverfahren

Mit Urteil vom 01.08.2022 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass ein Kind, das im Bundesgebiet auf die Welt kommt, Anspruch auf ein Asylverfahren in Deutschland hat. Der Antrag auf internationalen Schutz des Kindes darf nicht mit der Begründung als unzulässig abgelehnt werden, dass dessen Eltern bereits in einem anderen Mitgliedstaat internationaler Schutz zuerkannt worden ist (Az: C-720/20).

Im konkreten Fall ging es um eine in Deutschland geborene russische Minderjährige. Deren Eltern und Geschwister wurden in Polen als Flüchtlinge anerkannt, reisten dann aber im Dezember 2012 nach Deutschland weiter. Hier lehnte das BAMF ihren Asylantrag aufgrund der Anerkennung in Polen als unzulässig ab und drohten ihnen die Abschiebung an. Das Paar bekam dann ein weiteres Kind, für das ein Asylantrag in Deutschland gestellt wurde. Das BAMF lehnte den Asylantrag ab, da es Art. 20 Abs. 3 Dublin-III Verordnung analog für auf nachgeborene Kinder von in einem anderen Mitgliedstaat Anerkannten anwendbar hielt und verwies auf Polen. Das Verwaltungsgericht Cottbus legte den Streit dem EuGH zur Klärung vor. Dieser entschied nun, dass Art. 20 Abs. 3 Dublin-III Verordnung nur für Dublin-Fälle gilt und nicht analog auf Anerkannte übertragbar sei. Das Kind sei weder über Polen nach Deutschland eingereist noch habe es dort einen Asylantrag gestellt. Deutschland ist deshalb für das Asylverfahren des in Deutschland geborenen Kindes zuständig und muss darüber auch inhaltlich entscheiden.

Das bedeutet in der Praxis, dass nachgeborene Kinder von in anderen Mitgliedstaaten anerkannten Geflüchteten im Asylverfahren in Deutschland entweder einen Schutzstatus bekommen oder eine Ablehnung mit einer Abschiebungsandrohung in das Herkunftsland. Familien mit nachgeborenen Kindern sind zukünftig nicht mehr von einer Abschiebung in einen anderen Mitgliedstaat bedroht, da das nachgeborene Kind dorthin nicht abgeschoben und eine Trennung der Familie nicht hingenommen werden darf. Welche aufenthaltsrechtlichen Perspektiven die Familie in Deutschland hat, sollte sie am besten mit einer Beratungsstelle und/oder Anwält*in besprechen.

Weitere Informationen sind der Pressemitteilung des EuGH und einem Artikel auf migazin.de zu entnehmen.


VGH Baden-Württemberg: Aus der Ukraine Geflüchtete haben Anspruch auf Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung

In zwei Entscheidungen vom 2. August 2022 (Az: VGH 11 S 1469/22, VGH 11 S 1470/22) hat der VGH Baden-Württemberg klargestellt, dass Menschen, die einen Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG stellen, Anspruch auf Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung mit dem Zusatz „Erwerbstätigkeit gestattet“ haben. Abgesehen von einer erkennungsdienstlichen Behandlung setzt dieser Anspruch einzig und allein voraus, dass sich die betreffende Person rechtmäßig in Deutschland aufhält und eine Aufenthaltserlaubnis nach der Massenzustromrichtlinie beantragt. Ersteres ist aufgrund von § 2 Abs. 1 der Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung bei allen Personen der Fall, die sich am 24. Februar 2022 in der Ukraine aufgehalten haben. Das Gericht betont ausdrücklich, dass dies auch dann gilt, wenn es sich nicht – wie in diesen Verfahren – um ukrainische Staatsangehörige handelt. Mehr als die Beantragung der Aufenthaltserlaubnis aus einem rechtmäßigen Aufenthalt heraus setzt der Eintritt der Fiktionswirkung und der damit einhergehende Anspruch auf die Fiktionsbescheinigung nicht voraus. Insbesondere kommt es nicht darauf an, dass die Person voraussichtlich Anspruch auf die Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis hat. Die Vorinstanz, das VG Stuttgart, hatte dies noch anders gesehen. Auf diese – für Fachleute überraschende – Entscheidung hatte das Justizministerium in einem an die Ausländerbehörden gerichteten Schreiben vom 29. Juli 2022 Bezug genommen, dabei die Tatsache, dass gegen die Entscheidung des VG Stuttgart Beschwerde eingelegt worden war, aber unerwähnt gelassen. Der Flüchtlingsrat fordert das Justizministerium zur sofortigen Änderung des voreilig in die Welt gesetzten Schreibens und Umsetzung der Rechtsauffassung des ranghöchsten baden-württembergischen Verwaltungsgerichts auf.


Landesregierung schiebt weiter mit Bulgaria Air ab

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg kritisiert, dass sich die Landesregierung trotz Bekanntwerden der Verbindungen vom Bulgaria Air zum Milieu der organisierten Kriminalität weiterhin an der Durchführung von Sammelabschiebungen mit dieser Fluggesellschaft festhält. Am vergangenen Montag, 1. August wurden trotz der jüngsten Enthüllungen erneut 49 Personen im Begleitung von privaten „Sicherheitskräften“ mit einem Charter-Flug von Bulgaria Air vom Baden-Airpark nach Nordmazedonien abgeschoben.

Eine Woche zuvor hatte der Flüchtlingsrat auf die Recherchen der Initiative „No Border Assembly“ hingewiesen, denen zufolge Bulgaria Air im Besitz einer Holding-Gesellschaft ist, deren Besitzer wiederum von verschiedenen Quellen als wichtige Akteure des organisierten Verbrechens in Bulgarien bezeichnet werden.
„Selbst wenn es der Landesregierung davor nicht bekannt gewesen sein wollte, mit wem sie seit 2009 zusammenarbeitet, wäre es jetzt das Mindeste, nach den aktuellen Enthüllungen die Zusammenarbeit einzustellen und zu überprüfen“, sagt Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg. „Dass die Landesregierung nicht einmal dazu bereit ist, ist ein weiterer Beweis, dass ihr jedes Mittel Recht ist, um möglichst viele Abschiebungen durchzuführen. Zu den zahlreichen Fällen von Abschiebungen von Menschen, die kurz vor einem Bleiberecht stehen und den rechtswidrigen Inhaftierungen in Abschiebungshaft kommt nun eben auch noch eine Zusammenarbeit mit einem Unternehmen, hinter dem Kriminelle stehen. Daran wird deutlich, dass die Lippenbekenntnisse in der Öffentlichkeit und die schöne Prosa im Koalitionsvertrag tatsächlich nichts Wert sind.“ so Seán McGinley abschließend.