Verlängerung der Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung in angepasster Form

Zum 31. August endete für viele Drittstaatsangehörige, die bislang nicht den vorübergehenden Schutz oder eine andere Aufenthaltserlaubnis erhalten konnten, der Zeitraum, in dem sie sich rechtmäßig ohne Aufenthaltstitel in Deutschland aufhalten können.

Dies hat der Bundesrat am 08.07.2022 mit der Zustimmung über die Verlängerung der Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung beschlossen. Geflüchtete aus der Ukraine können zwar auch über den 31.08.2022 hinaus visumsfrei einreisen und sich legal in Deutschland aufhalten. Die Verordnung wurde allerdings dahingehend verändert, dass der visumsfreie Aufenthalt nun nur noch für 90 Tage gilt. Die geänderte Verordnung wird am 01.09.2022 in Kraft treten. Die Beschränkung des visumsfreien Aufenthalts auf 90 Tage hat zur Folge, dass all diejenigen, die sich am 01.09.2022 bereits länger als 90 Tage im Bundesgebiet aufhalten, nun noch vor dem 01.09.2022 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 Abs. 1 AufenthG stellen müssen, um die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3 AufenthG auszulösen. Andernfalls ist der Aufenthalt ab dem 01.09.2022 unrechtmäßig. Diejenigen, die nach dem 01.09.2022 nach Deutschland einreisen, müssen binnen 90 Tagen nach Ankunft entsprechend handeln. Die Verordnung gilt nur für Personen, die bis zum 30.11.2022 nach Deutschland einreisen.

Weitere Informationen und Hintergründe sind bei Pro Asyl, dem Netzwerk Berlin hilft und der Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchende nachzulesen.


Landesregierung muss illegale Abschiebungsversuche aufklären und künftig verhindern!

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg weist auf zwei Fälle hin, in denen die Polizei versucht hat, einen geflüchteten Menschen zwecks Abschiebung festzunehmen, obwohl ein Gericht die Abschiebung ausgesetzt hatte, und fordert von der Landesregierung Aufklärung und Konsequenzen.

Im Juni war im südbadischen Schallstadt ein Nigerianer aus dem Fenster gesprungen und hatte sich dabei beide Beine gebrochen, als die Polizei ihn entgegen einer am Vortrag ergangenen richterlichen Entscheidung festnehmen wollte. Die Information über die Aussetzung der Abschiebung sei – so die Polizeimeldung – nicht intern weitergegeben worden.

Ein Jahr zuvor hatte es in Karlsruhe einen ähnlichen Vorfall gegeben, als die Polizei in die Wohnung eines Mannes aus Pakistan eindrang, um ihn zwecks Abschiebung festzunehmen. Auch in diesem Fall hatte ein Gericht kurz zuvor die Abschiebung ausgesetzt. Der Gesuchte war in diesem Fall nicht anwesend. Die Polizei ließ sich auch nicht davon beeindrucken, dass die Ehefrau des Gesuchten den entsprechenden Gerichtsbeschluss vorlegte. Die Ehefrau und die kleine Tochter des Betroffenen, die beide einen sicheren Aufenthaltsstatus haben, sind durch dieses Erlebnis schwer psychisch belastet. Umso mehr, weil die Ausländerbehörde weiterhin darauf beharrt, die Familie zwecks Nachholung des Visumsverfahrens für den Familienvater trennen zu wollen, obwohl das Gericht entschieden hat, dass dies zu einer unzumutbar langen Trennung führen würde.

„Jeder solche Fall ist einer zu viel, und richtet physische und psychische Schäden bei den Betroffenen und den ihnen nahestehenden Personen an. Die Landesregierung ist ihnen Antworten schuldig, warum die Polizei rechtswidrige Abschiebungen durchzuführen versucht und dabei klare Hinweise auf die Aussetzung der Abschiebung ignoriert, ob es neben diesen beiden Fällen noch weitere Fälle dieser Art gegeben hat, welche konkreten Schritte unternommen und Verfahrensabläufe geändert wurden, damit so etwas nicht nochmal passiert“, fordert Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg. Er kritisiert, dass sowohl Regierung als auch Opposition immer sehr schnell dabei sind, die Durchsetzung des Rechts zu fordern, wenn es um Abschiebungen und Repression gegen Geflüchtete geht, aber schwerwiegende Verletzungen der Grundrechte von Geflüchteten auf parteiübergreifende Gleichgültigkeit stoßen.

Inzwischen hat der Betroffene in Schallstadt laut Presse eine Ausbildungsduldung in Aussicht. „Daran wird eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den beiden Fällen sichtbar, neben der versuchten Durchsetzung einer rechtswidrigen Abschiebung, nämlich die Hartnäckigkeit, mit der Behörden versuchen, Menschen abzuschieben, die eine konkrete Perspektive auf einen legalen Aufenthalt hat. Dies zeigt leider einmal mehr, dass die im Koalitionsvertrag angekündigte ‚konsequente Anwendung von Bleiberechtsmöglichkeiten‘ seitens der Behörden nicht umgesetzt wird. Wir fordern die Landesregierung abermals dazu auf, Wort zu halten und dafür zu sorgen, dass solche Abschiebungsversuche nicht mehr stattfinden.“, so Seán McGinley abschließend.


Heilbronn: Angebot für alle, die mit traumatisierten Geflüchteten arbeiten

Die Citykirche Heilbronn bietet zusammen mit der ARGE-Flüchtlingsarbeit Heilbronn ein Gesprächs- und Schulungsangebot für Gastgebende und Unterstützer*innen an. Kontaktpersonen und Gastgebende von traumatisierten Geflüchteten können sich kostenlos informieren und schulen lassen für den Umgang mit Menschen, die in Kriegsgebieten, auf der Flucht oder nach ihrer Ankunft in Deutschland (z.B. durch Todesnachrichten aus der Heimat) traumatisiert wurden. Zweimal im Monat stehen geschulte Fachkräfte zur Verfügung, um den Austausch zu begleiten, Fragen zu beantworten und Hilfestellungen
zu geben. Ausführliche Informationen sowie alle Termine finden Sie in einem Flyer der Citykirche.


Chancen-Aufenthalt? Baden-Württemberg schiebt lieber schnell noch ab

Flüchtlingsrat kritisiert bevorstehende Abschiebung einer Person, die von der neuen Regelung der Bundesregierung profitieren würde

Wenige Tage nachdem das Bundeskabinett das neue Chancen-Aufenthaltsrecht verabschiedet hat, welches Menschen, die am 01.01.22 seit fünf Jahren in Deutschland aufhältig waren und zudem weitere Voraussetzungen erfüllen, die Option auf einen einjährigen Aufenthaltstitel gibt, steht mindestens ein potenzieller Nutznießer der neuen Bleiberechtsoption in Baden-Württemberg vor der Abschiebung. Möglich ist dies, da der Gesetzesentwurf erst nach der Sommerpause im September verabschiedet werden soll und es bis dahin in Baden-Württemberg nicht wie in anderen Ländern eine sogenannte „Vorgriffsregelung“ für Fälle gibt, die alle Anforderungen erfüllen.

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg hat von dem Fall eines Mannes aus Sri Lanka erfahren, der seit zehn Jahren in Deutschland lebt und alle Voraussetzungen für die Aufenthaltserlaubnis bei nachhaltiger Integration nach § 25b AufenthG erfüllt, bis auf den Besitz eines gültigen Reisepasses. Diesen hat er beantragt, aber noch nicht erhalten. Der Betroffene hat das Deutschniveau B1 erreicht, hat einen Vollzeit- und einen Minijob, hat den „Leben in Deutschland“-Test bestanden, keine strafrechtlichen Verurteilungen, und ist darüber hinaus ehrenamtlich in seiner Kirchengemeinde aktiv. Jetzt sitzt er in Pforzheim in Abschiebungshaft.

„Genau für solche Personen ist das neue Chancen-Aufenthaltsrecht gedacht. Würde man ihm noch etwas Zeit einräumen, bis sein beantragter Pass vorliegt, würde er ein legales Aufenthaltsrecht erwerben. Wäre das Gesetz zum Chancen-Aufenthalt schon in Kraft, könnte er davon profitieren. Und wenn Baden-Württemberg eine Vorgriffsregelung hätte, wie es viele andere Bundesländern haben, würde er nicht abgeschoben werden“, erklärt Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg.

Gleichzeitig befinden sich zwei weitere Personen aus Sri Lanka in Abschiebungshaft, die mit unbefristeten Vollzeitverträgen berufstätig sind, keine Straftaten begangen haben und seit 2017 in Deutschland sind. Für den Chancen-Aufenthalt in seiner aktuellen Form kommen sie nicht in Frage, weil dieser am ursprünglichen Stichtag des 1. Januar 2022, an dem der fünfjährige Aufenthalt gegeben sein muss, festhält – aus Sicht des Flüchtlingsrats ein Beispiel dafür, warum dieser Stichtag aus dem Gesetzesentwurf gestrichen werden muss.

Bereits im vergangenen Jahr hatte es mehrere Fälle gegeben, in denen Abschiebungen bei Personen eingeleitet wurden, die eine konkrete Bleibeperspektive in Aussicht hatten. Der Fall von Andi Olalere Adegbite aus Bad Schönborn in Landkreis Karlsruhe erregte dabei besondere Aufmerksamkeit. Seine Abschiebung war bereits eingeleitet worden, obwohl er die Voraussetzungen für eine Beschäftigungsduldung erfüllte. Aufgrund der Bemühungen seiner Unterstützer*innen, seines Arbeitgebers und des Flüchtlingsrats konnte die Abschiebung gerade noch abgewendet werden. Mittlerweile hat er eine Aufenthaltserlaubnis.

Vor einem Jahr hat die Landesregierung im Koalitionsvertrag angekündigt, alle rechtliche Möglichkeiten auszuschöpfen, um Bleiberechtsoptionen zu nutzen und darüber hinaus Betroffene rechtzeitig entsprechend zu beraten, bevor eine Abschiebung droht. Nach Erfahrung des Flüchtlingsrats ist der Gegenteil der Fall: „Die Behörden scheinen stattdessen darauf aus zu sein, möglichst viele Abschiebungen zu ermöglichen, bevor ein Bleiberecht ‚droht‘. Die Weigerung der Landesregierung, eine Vorgriffsregelung zum Chancen-Aufenthaltsrecht einzuführen – mit der hahnebüchenen Ausrede, dies sei rechtlich gar nicht zulässig, obwohl es vor drei Jahren mal eine solche Regelung gab – lässt befürchten dass es viele weitere solche Fälle geben wird. Wir fordern die Landesregierung auf, die Abschiebungen sofort zu stoppen, endlich die lange geforderte Vorgriffsregelung einzuführen und Position zu beziehen gegen diese wiederholten Missachtung des Koalitionsvertrages.“, so Seán McGinley.


Betroffene des Messerangriffs in Kressbronn melden sich zu Wort

Am 26. Juni ist es in der Asylunterkunft Kressbronn im Bodenseekreis zu einem Messerangriff gekommen, bei dem ein Bewohner einen syrischen Mitbewohner getötet und fünf weitere Menschen teils schwer verletzt hatte. Nun haben sich Betroffene zu Wort gemeldet: Im Südkurier berichtet ein ehemaliger Bewohner der Unterkunft über die Perspektivlosigkeit und die mangelnde persönliche Zuwendung in der Asylunterkunft Kressbronn. Die Website Agora-LA berichtet von einer Demonstration der syrischen Community aus Kressbronn und Umgebung. Auch hier kamen die Betreuungsmissstände in der Unterkunft zur Sprache, ohne die die Tat vielleicht hätte verhindert werden können.


867 Abschiebungen im ersten Halbjahr 2022

Im ersten Halbjahr 2022 wurden insgesamt 867 Menschen aus Baden-Württemberg abgeschoben, 392 davon im ersten Quartal. Im Vergleich zu den beiden Vorjahreszeiträumen hat die Zahl der Abschiebungen deutlich zugenommen: Im ersten Halbjahr 2021 wurden 518 Menschen, im gleichen Zeitraum 2020 655 Menschen aus Baden-Württemberg abgeschoben. Häufigstes Zielland ist Nordmazedonien, wohin 138 Abschiebungen durchgeführt wurden, gefolgt von Italien mit 77 Abschiebungen.

Abschiebungen nach Herkunftsland:  

Nordmazedonien 138
Syrien 61
Nigeria 58
Pakistan 57
Algerien 51
Serbien 47
Georgien  44
Kosovo 44
Türkei 44
Albanien 36
Afghanistan 32
Rumänien 31
Tunesien 30
Gambia 28
Irak 19
Sri Lanka 17
Polen 12
Russische Föderation 12
Somalia 11
Kamerun 9
Bosnien-Herzegowina 8
Iran 8
Montenegro 7
Kroatien 5
Senegal 5
Bulgarien 4
Italien 4
Marokko 4
Togo 4
Tschechische Republik  4
Unbekannt 4
Moldawien 3
Eritrea 2
Ghana 2
Libanon 2
Litauen 2
Niederlande 2
Ägypten 1
Algerien  1
Brasilien 1
China 1
Dominikanische Republik 1
Griechenland 1
Großbritannien 1
Indien 1
Kolumbien 1
Malaysia 1
Portugal 1
Schweiz 1
Spanien 1
Sudan 1
Ungarn 1
Vietnam 1

Gesamt: 867

Abschiebungen nach Zielland:

Nordmazedonien 138
Italien 77
Pakistan 57
Georgien  44
Nigeria 44
Kosovo 43
Türkei 38
Spanien 38
Serbien 37
Rumänien 35
Albanien 35
Frankreich 29
Algerien 28
Tunesien 20
Bulgarien 19
Österreich 17
Sri Lanka 17
Gambia 13
Polen 12
Kroatien 12
Luxemburg 11
Schweiz 10
Slowenien 9
Bosnien-Herzegowina 8
Niederlande 8
Montenegro 7
Portugal 6
Schweden 6
Griechenland 5
Senegal 4
Lettland 4
Tschechische Republik  4
Litauen 4
Irak 4
Moldawien 3
Finnland 3
Ghana 2
Dänemark 2
Libanon 2
Sudan 1
Ungarn 1
Ägypten 1
Russische Föderation 1
Kamerun 1
Estland 1
Kolumbien 1
Vietnam 1
Dominikanische Republik 1
Großbritannien 1
Iran 1
Malaysia 1

Gesamt: 867


Basisinformationen zu Rechten und Pflichten von Asylsuchenden

Der Informationsverbund Asyl & Migration hat die dritte Ausgabe ihrer Reihe „Basisinformationen“ zum Thema „Die Rechte und Pflichten von Asylsuchenden“ in völlig überarbeiteter Neuauflage veröffentlicht. Die Handreichung befasst sich mit der Situation von Personen, die sich im Asylverfahren befinden. Dabei werden vor allem die Rechtsstellung (also in der Regel die Aufenthaltsgestattung) und die daraus folgenden Rechten und Pflichten betrachtet.

Die einzelnen Abschnitte der Basisinformation behandeln diese Themen:

1. Rechtsstellung
2. Unterbringung
3. Geld- und Sachleistungen
4. Medizinische Versorgung
5. Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Ausbildung
6. Zugang zu Bildung
7. Familienzusammenführung
8. Garantien für unbegleitete Minderjährige
9. Weitere besonders schutzbedürftige Gruppen
10. Mitwirkungspflichten

Neben dieser Handreichung gibt es noch weitere Basisinformationen für die Beratungspraxis.


Folgen strafrechtlicher Verurteilungen für das Aufenthaltsrecht – Wann gefährden Straftaten den Aufenthalt in Deutschland?

Viele von uns werden – möglicherweise unbewusst – schon eine Straftat begangen haben. Wird man dafür verurteilt, erhält man zumeist eine Geld- oder Freiheitsstrafe. Für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit kann eine solche Verurteilung zusätzlich gravierende aufenthaltsrechtliche Folgen haben, wie den Verlust eines bestehenden oder den Ausschluss eines erhofften Bleiberechts. Die Veranstaltung gibt einen Überblick zu den Konstellationen, in welchen dies der Fall ist und in welchen nicht. Dabei besteht auch die Möglichkeit, sich mit eigenen Fragen einzubringen.

Die kostenlose Veranstaltung findet im Rahmen des Plenums des AK Asyl Stuttgart statt. Der Vortrag startet um 20 Uhr. Interessierte sind aber auch herzlich zur Teilnahme am Plenum eingeladen, das um 19 Uhr beginnt. Der Vortrag findet im Rahmen des Projekts „Aktiv für Flüchtlinge“ statt, unterstützt durch das Ministerium der Justiz und für Migration aus Landesmitteln, die der Landtag Baden-Württemberg beschlossen hat.

Referent: Sebastian Röder

Anmeldung: Joachim.Schlecht@elkw.de


Aufnahmeprogramm Afghanistan

Die Bundesregierung hatte nach der Übernahme der Taliban 2021 ein Aufnahmeprogramm für gefährdete Menschen in Afghanistan versprochen. Am 02.06.2022 gab der Haushaltsausschuss des Bundestags 25 Millionen Euro für ein Bundesaufnahmeprogramm frei.

Wie genau das Programm ausgestaltet werden soll und wie viele Personen darüber einreisen könnten, ist allerdings noch unklar. Befürchtet wird, dass statt der angestrebten 20.000 gefährdeten Afghan*innen nur ca. 5.000 einreisen könnten. Dies alles soll bis Ende August geklärt werden.



Griechisches Festland, Kreta und Rhodos: Seit 6 Monaten kein geregelter Zugang zum Asylsystem

Die Bedingungen, unter denen Geflüchtete in Griechenland leben, stehen immer wieder im Fokus der Öffentlichkeit. Dabei geht es meistens um die menschenunwürdigen Zustände in den Camps auf den ägäischen Inseln. Aber auch auf dem griechischen Festland sind die Herausforderungen, denen Geflüchtete begegnen, umfassend. Unser Mitglied des Sprecher*innenrates Mariella Lampe arbeitet derzeit mit der NGO Mobile Info Team in Thessaloniki und untersucht von dort aus die Lebensumstände der Menschen, die teilweise seit Jahren keinen Zugang ins griechische Asylsystem finden.

Seit einer Neuregelung im November 2021 besteht auf dem griechischen Festland, Rhodos und Kreta kein allgemein gültiger Zugang zum Asylsystem mehr. Schon vorher war dieser signifikant erschwert, da für die persönliche Antragstellung eine Vorab-Registrierung per Skype notwendig war. Diese funktionierte jedoch nur äußerst mangelhaft, was dazu führte, dass Asylsuchende im Schnitt 14 Monate auf einen Termin bei der zuständigen Behörde warten mussten.

Seit das Skype-System ausschließlich für Folgeanträge geöffnet ist, gibt es nur noch drei Ausnahmefälle, in denen Menschen außerhalb der griechischen “Hotspots”auf Lesbos, Samos, Chios, Leros und Kos Asyl beantragen können: wenn sie bereits bei der Polizei registriert sind und entsprechende Papiere (“police notes”) erhalten haben, indem sie eine Vulnerabilität nachweisen oder wenn sie sich selbst bei dem einzigen zuständigen “Reception and Identitfication Center” (RIC) im Norden Griechenlands, Fylakio, vorstellen.

Die in Thessaloniki ansässige Nichtregierungsorganisation Mobile Info Team (MIT) hat in ihrem neusten Bericht “Blocked from the system” (www.mobileinfoteam.org/blockedfromthesystem)  untersucht, inwieweit diese Zugänge zum Asylsystem funktionieren und die Situation der Menschen dokumentiert, die sich aus diesem Grund ohne Papiere in Griechenland aufhalten.

Die Auswertung von 144 Fällen aus der Datenbank der Rechtsberatung von MIT sowie 18 semi-strukturierten Interviews ergab, dass auch diese Wege ins griechische Asylsystem häufig nicht gangbar sind, selbst wenn die jeweiligen Kriterien erfüllt sind.

So ist es nach wie vor nicht nachvollziehbar, unter welchen Umständen die Polizei “police notes” ausgibt. In vielen Fällen haben Menschen, die sich an die Polizei gewendet haben, keine Papiere ausgehändigt bekommen. Dazu kommt die Angst, sich überhaupt an die Behörden zu wenden, da die Gefahr von gewaltsamen und illegalen Rückführungen in die Türkei besteht (sogenannte Pushbacks).

Zudem stellte es sich heraus, dass es äußerst schwierig ist, eine Vulnerabilität nachzuweisen. Zum einen liegt dies daran, dass Menschen ohne Papiere keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben und somit in der Regel keine Arztberichte erhalten können. Zum anderen ist unklar, welche Vulnerabilitäten eigentlich anerkannt werden und welchen Schweregrad diese aufweisen muessen.

Zu guter Letzt stellt die Alternative, sich selbst im RIC Fylakio zu registrieren, keinen gangbaren Weg dar: 71% der in Griechenland im letzten Jahr stattgefundenen Pushbacks spielte sich in der Region Evros ab, wo das RIC gelegen ist. Die Wahrscheinlichkeit, auf dem Weg dorthin festgenommen und illegal abgeschoben zu werden, ist demnach extrem hoch. MIT hat gemeinsam mit dem  Border Violence Monitoring Network, dessen Mitglied die NGO ist, diverse Pushbacks im Zusammenhang mit dem RIC Fylakio dokumentiert. In einem besonders signifikanten Fall war ein kubanisches Paar betroffen, welches sich selbstständig zum RIC begeben hatte, dort gedemütigt und dann ohne gesetzliche Grundlage in die Türkei zurückgeführt wurde – ohne dort jemals gewesen zu sein.

Die von MIT durchgeführten Interviews zeigen außerdem die äußerst schwierigen Lebensumstände, die Geflüchtete und Migrant*innen ohne Papiere in Griechenland erdulden müssen. 80% der befragten Personen hatten Obdachlosigkeit erlebt oder waren darauf angewiesen, dass Bekannte oder auch Fremde sie umsonst bei sich wohnen ließen. 60% berichteten von ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen mit Arbeitszeiten von bis zu 12 Stunden für 20 bis 25 Euro am Tag. Daraus resultierend scheint es wenig überraschend, dass 60% der Befragten angaben, unter körperlichen oder mentalen Einschränkungen zu leiden, ohne eine entsprechende Unterstützung erhalten zu können.