EuGH: Kontrollen an Binnengrenzen nur bei ernsthafter Bedrohung

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 26.04.2022 (C-368/20 u. C-369/20) entschieden, dass die Binnengrenzkontrollen innerhalb der EU europarechtswidrig sind. Grenzkontrollen dürfen nur über die Fristen des Schengener Grenzkodex (sechs Monate) hinaus verlängert werden, wenn eine neue Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegt. Eine weitere Verlängerung der Kontrollen über sechs Monate hinaus mit derselben Begründung oder einfach ohne Begründung ist nicht zulässig. Nun müssen Dänemark, Deutschland, Frankreich, Österreich und Schweden die seit 2015 durchgeführten Kontrollen an den Binnengrenzen umgehend einstellen.

„Im Übrigen stellt der Gerichtshof fest, dass eine Person nicht unter Androhung einer Sanktion verpflichtet werden kann, bei der Einreise aus einem anderen Mitgliedstaat einen Reisepass oder einen Personalausweis vorzuzeigen, wenn die Wiedereinführung von Grenzkontrollen gegen den Schengener Grenzkodex verstößt.“ Dies dürfte besonders geflüchtete Personen betreffen.


BVerwG: Maßstab Gefahrenprognose bei Rückkehr

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG Az: 1 C 10.21) hat mit Urteil vom 21. April 2022 im Falle eines afghanischen Asylsuchenden den Maßstab für die im Rahmen der Prüfung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK anzustellende Gefahrenprognose weiter definiert. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH BW) hatte dem Afghanen am 17. Dezember 2020 ein Abschiebungsverbot zugesprochen (A 11 S 2042/20). Dagegen war das BAMF in Berufung gegangen.

Nun stellt das BVerwG fest, dass es für die Gefahrenprognose grundsätzlich ist, ob der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer nach seiner Rückkehr, gegebenenfalls durch ihm gewährte Rückkehrhilfen, in der Lage ist, seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen. Nicht entscheidend ist hingegen, ob das Existenzminimum eines Ausländers in dessen Herkunftsland nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist.

Der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat das Berufungsurteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den VGH BW zurückverwiesen. Der von diesem für die Gefahrenprognose zugrunde gelegte Maßstab, nach dem auch unter Berücksichtigung von Rückkehrhilfen eine „nachhaltige“ und nicht nur vorübergehende Existenzsicherung erforderlich ist, steht mit Art. 3 EMRK und mit dem Erfordernis einer „schnell“ oder „alsbald“ nach der Rückkehr eintretenden Gefahr nicht im Einklang. Die Gefahr eines Art. 3 EMRK-widrigen Zustands ist nicht schon dann gegeben, wenn zu einem beliebigen Zeitpunkt nach der Rückkehr in das Heimatland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Sie muss vielmehr in dem Sinne konkret sein, dass die drohende menschenrechtswidrige Beeinträchtigung in einem derart engen zeitlichen Zusammenhang zu der Rückkehr eintritt, dass bei wertender Betrachtung noch eine Zurechnung zu dieser – in Abgrenzung zu späteren Entwicklungen im Zielstaat oder Verhaltensweisen des Ausländers – gerechtfertigt ist.

Kann der Rückkehrer Hilfeleistungen in Anspruch nehmen, die eine Verelendung innerhalb eines absehbaren Zeitraums ausschließen, so kann Abschiebungsschutz ausnahmsweise nur dann gewährt werden, wenn bereits zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt davon auszugehen ist, dass dem Ausländer nach dem Verbrauch der Rückkehrhilfen in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine Verelendung mit hoher Wahrscheinlichkeit droht. Der Rechtsstreit war an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen, um diesem Gelegenheit zu geben, die zu den vorstehenden Maßstäben unzureichende tatrichterliche Würdigung nachzuholen.


VG Sigmaringen: Eritreer erhält Niederlassungserlaubnis

Das Verwaltungsgericht (VG) Sigmaringen hat mit Urteil vom 16.02.2022 (5 K 4651/20) im Falle eines Eritreers mit Flüchtlingseigenschaft entschieden, dass trotz fehlenden Passes die Niederlassungserlaubnis zu erteilen ist. Denn „die Aufforderung der Ausländerbehörde, sich zur Passbeschaffung in den Einfluss- und Machtbereich desjenigen Staates zu begeben, dessen Verfolgung der Kläger fürchtet, widerspricht der Schutzfunktion der ihm zuerkannten Flüchtlingseigenschaft und ist bereits deshalb für die mit der Maßnahme verfolgten Zwecke nicht zumutbar… Insoweit ist bei einem Flüchtling im Regelfall von einer generellen Unzumutbarkeit der Passbeantragung auszugehen.“

Laut dem VG lägen zudem keine begründete Zweifel an der Identität des Klägers vor, sodass das Ermessen nach § 5 Abs. 3 S. 2 AufenthG, wonach von den Regelerteilungsvoraussetzungen (hier: Identitätsklärung) abgesehen werden kann, hier auf Null reduziert ist.


Fördermittel BW: lokale Integrationsprojekte

Mit dem Förderaufruf „Integration vor Ort – Stärkung kommunaler Strukturen“ unterstützt das Land lokale und regionale Integrationsprojekte. Damit sollen die Teilhabechancen von Menschen mit Einwanderungsgeschichte weiter verbessert werden. Die Antragsfrist für die Förderrunde 2022 endet am 3. Juni 2022.

Für eine finanzielle Unterstützung kommen zahlreiche Projekte von Kommunen und teilweise auch von freien Trägern in Frage. Eine Förderung von ehrenamtlichen Behördenlotsinnen und -lotsen oder kommunalen Migrantenvertretungen ist genauso möglich wie beispielsweise die Einrichtung von Begegnungsräumen und Willkommenstreffpunkten. Aber auch Initiativen zur psychosozialen Unterstützung von Geflüchteten, die physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt sind, können eingereicht werden.

Integration findet insbesondere vor Ort in den Kommunen statt“, sagte Sozial- und Integrationsminister Manne Lucha.  „Die vor uns liegenden Herausforderungen sind vielfältig. Deshalb unterstützen wir unsere Partnerinnen und Partner vor Ort weiterhin tatkräftig bei der Integration und haben uns bei der Ausgestaltung des Förderprogramms bewusst an den momentanen Bedarfen vor Ort orientiert. Wir möchten gezielt dort unterstützen, wo der Schuh drückt. Gerade die psychosoziale Versorgung der Geflüchteten ist derzeit natürlich ein wichtiges Thema.“

Gefördert werden Kommunen und freie Träger wie zum Beispiel Verbände, Vereine, Stiftungen, juristische Personen und Projektpartnerschaften aus den Genannten, die einen anteiligen Zuschuss zu ihren Maßnahmen in Höhe von bis zu 75 beziehungsweise bis zu 90 Prozent erhalten können. Der Höchstfördersatz beträgt 40.000 Euro pro Kalenderjahr.

Geförderte Maßnahmen

Im Einzelnen können folgende Maßnahmen gefördert werden:

  • Maßnahmen zur Förderung von kommunalen Migrantenvertretungen
  • Maßnahmen zur Förderung des Verständnisses der zentralen Bereiche der Gesellschaft sowie der gesellschaftlichen und politischen Mitgestaltungsmöglichkeiten vor Ort  
  • Maßnahmen zur Förderung von ehrenamtlichen Behördenlotsinnen und -lotsen 
  • Maßnahmen zur Einrichtung von Begegnungsräumen und Willkommenstreffpunkten 
  • Maßnahmen zur Förderung von vulnerablen Personen mit Fluchtgeschichte 

Das Regierungspräsidium Stuttgart übernimmt die Antragsberatung. Dort sind die Anträge mit dem vorgesehenen Antragsformular bis zum 3. Juni 2022 einzureichen. 

Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration: Integration vor Ort – Stärkung kommunaler Strukturen


Anerkannte Griechenland: BAMF entscheidet wieder

Seit 2019 entschied das BAMF nicht mehr über Asylanträge von Geflüchteten, die bereits in Griechenland internationalen Schutz (Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz) zuerkannt bekommen hatten. Diese sogenannte „Rückpriorisierung“ wurde zum 1. April 2022 aufgegeben. Nun entscheidet das BAMF wieder und zwar zuerst die Anträge von besonders schutzbedürftigen oder vulnerablen Asylsuchenden und in „sicherheitsrelevanten Fällen“.

Die meisten Anerkannte aus Griechenland haben bis jetzt in Aufenthaltsgestattung auf die Entscheidung ihres Asylantrags gewartet. Nun entscheidet das BAMF ganz neu und orientiert sich nicht an der in Griechenland getroffenen Entscheidung. Dies könnte im schlimmsten Fall für einige in Griechenland Anerkannte bedeuten, dass sie in Deutschland einen schlechteren oder womöglich gar keinen Schutzstatus mehr bekommen.

Als „unzulässig“ dürften jedoch die wenigstens Asylanträge abgelehnt werden. Zwar wurden bisher ganz generell Anträge von Geflüchteten mit einer Anerkennung in einem anderen europäischen Staat als unzulässig abgelehnt (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes 2019 (C-540/17 und C-541/17) sollten diese Anträge nicht mehr als unzulässig abgelehnt werden dürfen. Das BAMF müsste also inhaltlich prüfen, ob ein Schutzstatus zuerkannt wird. Doch seit ca. 2,5 Jahren hat das BAMF über gar keine Anträge von in Griechenland Anerkannten mehr entschieden – somit auch keine Unzulässigkeitsentscheidung getroffen. Nun kündigt das BAMF an, nur noch in Einzelfällen den Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abzulehnen. Allerdings „nur“ wenn es keine Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh gibt, z.B. weil Geflüchtete unter menschenrechtwidrigen Bedingungen in Griechenland lebten.


Ukraine: SGB II bzw. SGB XII Leistungen ab Juni

In der Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder der Bundesregierung am 07.04.2022 wurden weitere Beschlüsse zwecks Verteilung, Registrierung, Arbeitsmarktzugang, Anerkennung von ukrainischen Abschlüssen, Zugang zu Schulen und Hochschulen und Anspruch auf Sozialleistungen getroffen. Neu ist vor allem, dass ab Juni 2022 alle Geflüchtete aus der Ukraine mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG Sozialleistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII, statt wie bisher nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, erhalten sollen. „Voraussetzung dafür wird eine
Registrierung im Ausländerzentralregister und die Vorlage einer aufgrund der Registrierung ausgestellten Fiktionsbescheinigung oder eines Aufenthaltstitels nach § 24 Abs. 1 AufenthG sein“. Ein entsprechendes Gesetz muss noch erarbeitet und verabschiedet werden.


Ukraine: Visumsfreie Einreise und legaler Aufenthalt bis 31.8.22

Die Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung wird bis zum 31. August 2022 verlängert. Damit bleiben die Ausnahmeregelungen zur Einreise von Geflüchteten aus der Ukraine weiter bestehen. Dies hat der Bundesrat mit am 8. April 2022 beschlossenen. Eigentlich sollte die Verordnung am 23.05.2022 auslaufen. Mit der Verlängerung ist nun sichergestellt, dass Geflüchtete weiterhin visumsfrei einreisen und sich legal in Deutschland aufhalten dürfen. Sie dürfen eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland beantragen und sollten dies bis zum 31.08.2022 tun.


Online-Fortbildungsreihe „Nach der Ablehnung des Asylverfahrens – Wege zum Bleiberecht“: Aufenthaltserlaubnis nach § 25a und 25b AufenthG

In Modul 4 der NIFA-Online-Fortbildungsreihe „Nach der Ablehnung des Asylverfahrens – Wege zum Bleiberecht“ für haupt- und ehrenamtlich Engagierte in der Flüchtlingsarbeit geht es um die „Aufenthaltserlaubnis nach § 25a und 25b AufenthG“: Geduldete, die entsprechende Integrationsleistungen erfüllen, können unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis für nachhaltige Integration bekommen. Für Jugendliche und Heranwachsende unter 21 Jahren gelten andere Bedingungen als für erwachsene Geduldete. Die Voraussetzungen für die Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG (für Geduldete unter 21) und § 25b AufenthG (für Erwachsene) werden in diesem Online-Seminar erläutert.

Referentin: Maren Schulz Flüchtlingsrat Baden-Württemberg

Der Fortbildungstermin findet über die Plattform Zoom statt.

Anmeldung und weitere Informationen


Online-Fortbildungsreihe „Nach der Ablehnung des Asylverfahrens – Wege zum Bleiberecht“: Aufenthaltserlaubnis nach § 19d AufenthG

In Modul 3 der NIFA-Online-Fortbildungsreihe „Nach der Ablehnung des Asylverfahrens – Wege zum Bleiberecht“ für haupt- und ehrenamtlich Engagierte in der Flüchtlingsarbeit geht es um die „Aufenthaltserlaubnis nach § 19d AufenthG“: Geduldete mit beruflicher Qualifikation können unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 19d AufenthG bekommen. Auch Geflüchtete mit einer Ausbildungsduldung haben nach erfolgreichem Ausbildungsabschluss einen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 19d AufenthG. Das Online-Seminar informiert über die Voraussetzungen und was bei der Antragsstellung beachtet werden muss.

Referentin: Melanie Skiba, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg

Der Fortbildungstermin findet über die Plattform Zoom statt.

Anmeldung und weitere Informationen


Online-Fortbildungsreihe „Nach der Ablehnung des Asylverfahrens – Wege zum Bleiberecht“: Ausbildungsduldung

In Modul 2 der NIFA-Online-Fortbildungsreihe „Nach der Ablehnung des Asylverfahrens – Wege zum Bleiberecht“ für haupt- und ehrenamtlich Engagierte in der Flüchtlingsarbeit geht es um die „Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG“: Menschen mit Duldung, die eine Ausbildung absolvieren oder aufnehmen möchten, können unter bestimmten Umständen eine Ausbildungsduldung beantragen. Eine Ausbildungsduldung schützt vor Abschiebung und kann perspektivisch zu einer gesicherten Aufenthaltserlaubnis führen. Das Online-Seminar informiert über Hürden und Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen, um eine Ausbildungsduldung beantragen zu können.

Referentin: Melanie Skiba, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg

Der Fortbildungstermin findet über die Plattform Zoom statt.

Anmeldung und weitere Informationen