Afghanische Asylsuchende: Zugang zu Integrationskursen

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat mitgeteilt, dass Afghan*innen während des laufenden Asylverfahrens zu Integrationskursen zugelassen sind.

Der Zugang zu Integrationskursen für Personen im Asylverfahren ist stark eingeschränkt. So dürfen nur Asylsuchende aus bestimmten Ländern mit einer sogenannten „guten Bleibeperspektive“ Integrationskurse besuchen. Das waren bisher nur Personen aus Syrien, Eritrea und Somalia. Ausgenommen sind Asylsuchende aus diesen Ländern in einem sogenannten Dublin-Verfahren. Hier wird abgewartet, ob die Zuständigkeit für das Asylverfahren an Deutschland übergeht oder die Person in einem anderen europäischen Land ihr Asylverfahren durchlaufen muss. Geflüchtete aus anderen Herkunftsstaaten erhalten einen Zugang in der Regel erst nach einer Anerkennung im Asylverfahren. Das Bundesinnenministerium geht jetzt davon aus, dass Afghan*innen absehbar nicht mehr nach Afghanistan zurückkehren können und deshalb sollen sie die Möglichkeit erhalten, so früh wie möglich einen Integrationskurs zu besuchen.

Bereits im November 2021 haben afghanische Asylsuchende zu berufsbezogenen Sprachkurse, die über das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert werden, Zugang erhalten.


Übersichtstabelle Niederlassungserlaubnis

Ausländer*innen haben unterschiedliche Möglichkeiten, einen unbefristeten Aufenthaltstitel zu erlangen. Darunter fallen 18 verschiedene Arten der Niederlassungserlaubnis und zudem gibt es die Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU. Die übersichtliche Tabelle des IQ Netzwerks Niedersachsen stellt die Voraussetzungen und Ausnahmemöglichkeiten zu den Möglichkeiten eines unbefristeten Aufenthalts dar. Zudem informiert sie über die grundsätzlichen Regelungen. Sie gibt also einen hilfreichen ersten – naturgemäß verkürzten – Überblick über die Optionen eines unbefristeten Aufenthalts.


Forderung: Kindergrundsicherung für alle

Die neue Bundesregierung plant eine Kindergrundsicherung. Diese soll Leistungen wie Kindergeld, Sozialhilfeleistungen für Kinder, Teile des Bildungs- und Teilhabepakets sowie der Kinderzuschlag beinhalten und unbürokratisch den Kindern zu Gute kommen.

Claudius Voigt von der Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e. V. (GGUA) Münster ordnet im Blog des Paritätitischen Gesamtverbands das Vorhaben ein. Er fordert, dass die Kindergrundsicherung für alle Kinder in Deutschland gelten muss und zwar unabhängig vom Aufenthaltsstatus und von der Staatsangehörigkeit. Bislang werden etliche Kinder von Leistungen ausgeschlossen, zum Beispiel aufgrund des Aufenthaltsstatus der Eltern. „Diese Ausschlüsse sind nicht nur verfassungsrechtlich und europarechtlich hoch umstritten, sondern auch sozial- und integrationspolitisch kontraproduktiv. Und: Sie verletzen den Schutz des Kindeswohls, der bei allen staatlichen Maßnahmen vorrangig berücksichtigt werden muss.“

Die neugeplante Kindergrundsicherung darf nicht länger Kinder ausschließen, sondern muss allein zum Wohle eines jeden Kindes allen Kindern in Deutschland gewährt werden.


Fortbildung für arabischsprachige Jurist*innen

Die deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit (IRZ) sucht neue Teilnehmer*innen für eine Fortbildungsreihe zu juristischen Fachthemen im Jahr 2022. Ziel des Fortbildungsprogramms ist die Förderung der sozialen und beruflichen Integration der arabischsprachigen Jurist*innen sowie des Verständnisses für rechtliche Zusammenhänge in Deutschland. Zudem sollen den Teilnehmenden Einblicke in die praktische Arbeit juristischer Institutionen gewährt und ihnen die Möglichkeit eröffnet werden, ein Netzwerk aufzubauen um dadurch den Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern.


Pro Asyl: »Sonder-Asylrecht« für osteuropäische Grenzstaaten

Mit einem »Sonder-Asylrecht« für die Grenzstaaten zu Belarus will die Kommission u.a. Grenzverfahren massiv ausweiten. Anstatt gegen Pushbacks an der Grenze vorzugehen, kommt die Kommission den Staaten also stark entgegen. Doch die Beschwichtigungstaktik schlägt fehl: Polen lehnt den Vorschlag ab – und will das Asylrecht vollständig aussetzen.

Menschen die in Wäldern in Eiseskälte ausharren und nicht versorgt werden, Zugangsverbote für Presse und humanitäre Organisationen und gewaltsame Pusbacks – das ist schon den ganzen Herbst über die bittere Realität an den europäisch-belarussischen Grenzen. Europäische Werte und Menschenrechte? Fehlanzeige an vielen Außengrenzen, doch die Offenheit mit der diese Rechtsbrüche insbesondere von der polnischen Regierung vertreten werden hat eine neue Qualität. Gerechtfertigt wird dies, indem schutzsuchende Menschen als »hybride Bedrohung« geframed werden – eine entmenschlichende Sprache, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union bereits übernahm.

Anstatt wie früher, zum Beispiel mit Vertragsverletzungsverfahren gegen die ungarischen Transitzonen, europäisches Recht zu verteidigen, geht die Kommission mit ihrem am 1. Dezember vorgestellten Vorschlag weitgehend vor der polnischen Regierung in die Knie.

Verschärfung des Asylrechts als Kuhhandel mit Rechtspopulisten

Mit ihrem Vorschlag will die Europäische Kommission den Grenzstaaten zu Belarus – Polen, Lettland und Litauen – eine massive Verschärfung des Asylrechts erlauben. Konkret schlägt die Kommission vor:

  • De facto Aussetzung des Asylrechts für 4 Wochen: Das EU-Recht sieht vor, dass Asylanträge bei einer hohen Zahl von Antragsteller*innen spätestens innerhalb von 10 Tagen registriert werden sollen. Dies soll für die Grenzstaaten zu Belarus auf vier Wochen ausgeweitet werden. Griechenland inhaftierte während eines solchen europarechtswidrigen Registrierungsstopps im März 2020 viele Asylsuchende willkürlich unter schlimmen Bedingungen. Es stellt sich auch die Frage, wie Asylsuchende ohne Registrierung vor Pushbacks geschützt sein sollen.
  • Massive Ausweitung von Grenzverfahren: Grenzverfahren sollen auf alle Asylsuchenden angewendet werden können und anstatt vier Wochen bis zu vier Monate (16 Wochen) dauern können. Die Kommission geht davon aus, dass die Personen in der Zeit noch als »nicht-eingereist« gelten. Entsprechend ist damit zu rechnen, dass die Betroffenen in geschlossenen Zentren bleiben müssten, um eine solche »Nicht-Einreise« tatsächlich durchzusetzen. Wenn die Phase der Nicht-Registrierung noch dazu gerechnet wird, dann geht es letztlich um bis zu 20 Wochen in denen schutzsuchende Menschen voraussichtlich an den Grenzen festgesetzt werden.
  • Absenkung von Unterbringungsstandards: Bei der Unterbringung von Asylsuchenden sollen die drei Mitgliedstaaten nicht mehr die Standards der EU-Aufnahmerichtlinie einhalten, sondern müssen quasi nur das Überleben der Personen sicherstellen.
  • Vereinfachte Abschiebungen von der Grenze: Auch beim Thema Abschiebungen sollen Polen, Litauen und Lettland sich nicht an geltendes Recht, die EU-Rückführungsrichtlinie, halten müssen, sondern können hiervon abweichen.
  • Registrierungspunkte: Die drei Mitgliedstaaten sollen Orte bestimmen, zum Beispiel konkrete Grenzübergänge, an denen schutzsuchende Menschen ihren Asylantrag stellen können und wo dieser registriert wird. Das wäre zwar wünschenswert, es ist aber angesichts der Politik der polnischen Regierung nicht zu erwarten, dass dies in der Praxis tatsächlich passiert – denn mit Konsequenzen aus Brüssel muss Warschau offensichtlich nicht rechnen.

Diese Sonderregeln sollen für alle Asylsuchenden gelten, die über die Grenze von Belarus in eins der drei Länder kommen oder gekommen sind. Das Sonderrecht soll zunächst für sechs Monate gelten, wobei die Kommission bereits darauf hinweist, dass es auch zu einer Verlängerung kommen könnte.

Keine Überforderung sondern politisches Kalkül

Die Kommission begründet ihren Vorschlag damit, dass die Mitgliedstaaten mit der Umsetzung des gültigen Rechts in der aktuellen Situation überfordert wären – dabei hat insbesondere Polen überhaupt nicht versucht, geltendes Recht bezüglich Asylverfahren und Unterbringungsstandards anzuwenden. Die polnische Regierung hat sich direkt darüber hinweg gesetzt und lässt ihre Grenzbeamt*innen illegal und oft auch gewalttätig Menschen über die Grenze zurück schieben.

Damit läuft die Argumentation der Kommission, bessere Verfahren und angemessene Unterbringung seien aktuell nicht möglich, ins Leere. Denn Polen und Lettland haben bislang noch nicht einmal zur Verfügung stehende europäische Unterstützung, wie zum Beispiel Zelte, Betten und Heizsysteme, wie sie an Litauen gegangen sind, angenommen.

Im einem Verfahren gegen Ungarn vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu den Transitzonen hatte die Kommission 2020 zu Recht noch festgehalten: »Überdies sei der Fall, dass eine große Zahl von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gleichzeitig internationalen Schutz beantrage, vom Unionsgesetzgeber berücksichtigt worden.« Nur ein Jahr später verteidigt die Kommission bestehendes Recht nicht mehr, sondern beteiligt sich selbst an der Erosion des Flüchtlingsschutzes und der Rechtsstandards in der EU – schon das ist ein Gewinn von Rechtspopulisten in Europa.

Kommission schweigt zu Pushbacks nach Belarus

Aktuell zwingen polnische Grenzschützer*innen die meisten Frauen, Männer und Kinder immer wieder über die Grenze zurück nach Belarus und ignorieren die Versuche der Menschen,  Asylanträge zu stellen. In den wenigen Fällen in denen ein Asylantrag tatsächlich registriert wird, werden die Asylsuchenden in (de facto) Haftzentren gebracht (siehe hierzu das Interview mit der polnischen Anwältin Marta Górczyńska).

Nach europäischem Recht muss an offiziellen Grenzübergängen ein Asylantrag gestellt werden können und die Person darf nicht ohne individuelle Prüfung ihres Asylantrags in ein anderes Land abgeschoben werden. Nur durch dieses Verbot von Pushbacks (das sogenannte non-refoulement Gebot), das sich aus Menschenrechtsverträgen wie der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, kann sichergestellt werden, dass Menschen nicht in Länder gebracht werden, in denen sie gefoltert oder wegen ihrer politischen Haltung, Religion oder sexuellen Orientierung verfolgt werden. Auch die EU-Grundrechtecharta verbietet explizit Kollektivausweisungen, also Abschiebungen ohne individuelle Prüfung (Art. 19 Abs. 1 Grundrechtecharta)

Die krasse Missachtung europäischen Rechts an der polnisch-belarussischen Grenze wurde bislang von der Kommission nur mit Schweigen quittiert. Kritik richtet sich stets an den belarussischen Diktator Lukaschenko, nicht an das EU-Mitgliedland Polen.

In ihrem Vorschlag betont die Kommission mehrfach das non-refoulement Gebot und zielt vermutlich auch mit der Benennung von Registrierungspunkten auf ein Ende der Pushbacks ab. Doch ist eine solche Kehrtwende nicht zu erwarten. Polen dürfte sich durch die Vorschläge der Kommission vielmehr darin bestärkt sehen, mit seiner offensichtlichen Missachtung von Europarecht durchzukommen.

Verfehlte Rechtsgrundlage

Die Kommission will das temporäre »Sonder-Asylrecht« auf eine Grundlage stützen, die bislang nur einmal 2015 mit einer gänzlich anderen Zielrichtung genutzt wurde. Der Artikel 78 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sieht im Absatz 3 vor:

»Befinden sich ein oder mehrere Mitgliedstaaten aufgrund eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen  in  einer  Notlage,  so  kann  der  Rat  auf  Vorschlag  der  Kommission  vorläufige  Maßnahmen  zugunsten  der  betreffenden  Mitgliedstaaten  erlassen.  Er  beschließt  nach  Anhörung  des  Europäischen  Parlaments.«

Diese Notfallkompetenz ermöglicht also Maßnahmen außerhalb des regulären europäischen Gesetzgebungsverfahrens, wie es aktuell im Rahmen des »New Pact on Migration and Asylum« erfolgt. Im Jahr 2015 wurde aufgrund der hohen Zahl der Ankünfte von schutzsuchenden Menschen in Griechenland und Italien per Ratsbeschluss auf Basis dieser Norm die Umverteilung (Relocation) von Asylsuchenden aus den beiden Ländern beschlossen. Dies war eine Abweichung von den regulären Zuständigkeitsregeln nach der Dublin-III-Verordnung.

Während 2015 mit der Ratsentscheidung also Solidarität mit den betroffenen Mitgliedstaaten in einer tatsächlichen Ausnahmesituation gezeigt wurde und letztlich auch im Sinne vieler Asylsuchender war, ist von solch praktischer Solidarität im jetzigen Vorschlag der Kommission nichts zu sehen. Auch ist schon allein die Ausgangslage 2015 mit der 2021 schlicht nicht vergleichbar. Suchten 2015 fast eine Million Menschen in Europa Schutz vor Krieg und Verfolgung, geht es aktuell um wenige Tausend Menschen – eine leicht zu bewältigende Situation, wenn der politische Wille da wäre. Es ist eine hausgemachte Krise, die nun als Vorwand für die Aushöhlung des Asylrechts genutzt wird.

Es ist bezeichnend, dass sich Griechenland im März 2020 bezüglich der Aussetzung des Asylrechts durch die vierwöchige Nicht-Registrierung von Asylanträgen auf den gleichen Artikel berufen wollte. Doch damals wurde das europarechtswidrige Vorgehen zumindest von der Kommission nicht rechtlich unterstützt – wenn auch nie öffentlich kritisiert.

Problematische Umgehung des Parlaments

Die Kommission will das »Sonder-Asylrecht« also durch einen Ratsbeschluss herbeiführen. Das Europäische Parlament ist damit außen vor und muss lediglich angehört werden. Besonders brisant: Im Europäischen Parlament wird aktuell der »New Pact on Migration and Asylum« verhandelt und somit auch ganz ähnliche Regelungen im Vorschlag für eine Krisen-Verordnung. Zu dieser hat der zuständige Berichterstatter nur einen Tag vorher, am 30. November 2021, seinen Bericht im zuständigen Ausschuss im Parlament vorgestellt und genau die problematischen Maßnahmen gestrichen, die die EU jetzt am Parlament vorbei temporär einführen will.

Entsprechend empört äußern sich viele Parlamentarier*innen zu dem Vorstoß der Kommission, der vielfach als unverhältnismäßig kritisiert wird (siehe Pressemitteilung  und Äußerungen der S&D Fraktion, der Grünen/EFA, der Linken und Renew Europe).

Entscheidung im Rat auch Stresstest für neue deutsche Regierung

Doch noch ist unklar, wie es im Rat mit dem Vorschlag weitergeht. Denn Polen hat bereits signalisiert, dass sie mit dem Vorschlag nicht zufrieden sind – die Asylverfahren sollen laut dem polnischen Botschafter komplett ausgesetzt werden. Der nächste Rat für Inneres und Justiz ist am 9. Dezember 2021, wobei noch nicht feststeht, ob der Vorschlag auf der Tagesordnung steht.

Vermutlich noch vor dem Ratstreffen will die Kommission zudem ihre Reform für den Schengener Grenzkodex vorstellen – wo sich zeigen wird, wie ernst es die Kommission mit dem non-refoulement Gebot tatsächlich meint oder ob sie auch hier nachgeben und gefährliche Ausnahmen schaffen wird. Das wird die Schicksalsfrage für den europäischen Flüchtlingsschutz sein.

Je nach genauem Zeitplan der deutschen Regierungsbildung könnte dies der erste Termin für eine*n neue*n Innenminister*in werden. Im Koalitionsvertrag steht: »Wir wollen die illegalen Zurückweisungen und das Leid an den Außengrenzen beenden«. Die Abstimmung über den Vorschlag der Kommission wird ein erster Stresstest sein, wie ernsthaft sie für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in Europa eintritt.


Aktualisierte Arbeitshilfe: Grundlagen Asylverfahren

Das Asylverfahren ist sowohl von seinen Rechtsgrundlagen als auch in seiner Umsetzung äußerst komplex. Besonders herausfordernd ist das Zusammenspiel von deutschem und europäischem Asylrecht. Die aktualisierte Arbeitshilfe des Paritätischen Gesamtverbands greift Fragen rund um die Rechtsgrundlagen und die Praxis des Asylverfahrens auf. Sie richtet sich an neue Asylverfahrensberater*innen und sonstige Personen, die Asylsuchende begleiten.


EuGH-Generalanwalt: Zusammenlegung von Strafgefangenen und Abschiebehäftlingen europarechtswidrig

Pressmitteilung Flüchtlingsrat Niedersachsen.

Nach Auffassung von Jean Richard de la Tour, Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, ist das deutsche Gesetz zur Abschiebungshaft teilweise rechtswidrig. Das niedersächsische Abschiebungshaftgefängnis genüge ebenfalls nicht den europarechtlichen Anforderungen. Dies stellte der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen am vergangenen Donnerstag fest. Das Urteil steht noch aus, häufig folgen die Richter*innen am EuGH der Linie des Generalanwalts. Rechtsanwalt Peter Fahlbusch, PRO ASYL und der Flüchtlingsrat Niedersachsen erwarten deswegen von der Ampel-Koalition, dass sie die Inhaftierung von Abschiebungs-haftgefangenen in Strafanstalten unverzüglich beendet. Von der Niedersächsischen Landesregierung fordern sie, das Abschiebungshaftgefängnis des Landes umgehend zu schließen.

Bundesregierung ignorierte Trennungsgebot
Bereits im Jahr 2014 entschied der Europäische Gerichtshof in einem Verfahren gegen die Bundesrepublik, dass Abschiebungshaftgefangene nicht in Strafanstalten und nicht zusammen mit Strafgefangenen inhaftiert werden dürfen, sondern grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen untergebracht werden müssen. Dennoch setzte die schwarz-rote Bundesregierung dieses europarechtliche Trennungsgebot im August 2019 mit dem sogenannten „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ bis zum 30. Juni 2022 aus und erlaubte die Inhaftierung von Abschiebungshaftgefangenen in Strafanstalten. Das von Horst Seehofer (CSU) geführte Bundesinnenministerium begründete diesen Schritt mit einem unvorhersehbaren Defizit an circa 600 Abschiebungshaftplätzen aufgrund der „Migrationskrise“ im Jahr 2015. Die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt haben bereits Abschiebungshaftgefangene in Strafanstalten inhaftiert. Die niedersächsische Landesregierung belegt ein Gebäude auf dem Gelände des zentralen Abschiebungshaftgefängnisses in Langenhagen mit Strafgefangenen.

Wie Jean Richard de la Tour nun in seinen Schlussanträgen feststellt, dürfen nach europäischem Recht Abschiebungshaftgefangene nur dann in Strafanstalten inhaftiert werden, wenn „eine außergewöhnlich Zahl von Drittstaatangehörigen, deren Rückkehr sicherzustellen ist, zu einer unvorhersehbaren Überlastung der Kapazitäten der Hafteinrichtungen führen“ (Art. 18 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG). Eine derartige „Notlage“ sei in Deutschland jedoch nicht gegeben, so der EuGH-Generalanwalt.

„Defizit an Rechtsstaatlichkeit“
Rechtsanwalt Peter Fahlbusch von der Kanzlei LSFW in Hannover, der das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof führt, PRO ASYL und der Flüchtlingsrat Niedersachsen sehen sich in ihrer jahrelangen Kritik bestätigt.

Peter Fahlbusch, Kanzlei LSFW (Hannover):

„Der Bundesregierung ist es zu keinem Zeitpunkt auch nur im Ansatz gelungen, das behauptete Defizit an Abschiebungshaftplätzen zu belegen. Dies war von Anfang an absehbar. Die EU-Kommission hat bei der Besichtigung deutscher Abschiebungshaftanstalten festgestellt, dass die Kapazitäten nicht überlastet sind. In Niedersachsen wurden sogar Strafgefangene in der Abschiebungshaftanstalt untergebracht, weil dort ganze Gebäude leer stehen. Selbst als die EU-Kommission der Bundesregierung empfohlen hat, die Lage erneut zu bewerten und das Gesetz gegebenenfalls abzuschaffen, ist die große Koalition untätig geblieben. Es gibt kein Defizit an Haftplätzen, aber dafür ein großes an Rechtsstaatlichkeit.“

Peter von Auer, rechtspolitischer Referent bei PRO ASYL:

„Die Argumente des Generalanwalts müssen ernst genommen werden. Die Ampel-Koalition muss auch im Bereich der Abschiebungshaft aktiv werden. Sie darf nicht wegsehen und muss verhindern, dass Geflüchtete auf der Suche nach einem Leben in Sicherheit und Würde in deutschen Gefängnissen verschwinden und um ihre Rechte gebracht werden. Wir erwarten von der zukünftigen Bundesregierung, der Inhaftierung von Abschiebungshäftlingen in Strafanstalten unverzüglich ein Ende zu setzen. Flucht ist kein Verbrechen.“

Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent der Geschäftsführung beim Flüchtlingsrat Niedersachsen:

„Seit Jahren kritisieren wir, dass die Bedingungen im niedersächsischen Abschiebungshaftgefängnis gegen die Vorgaben des EU-Rechts verstoßen. Seit Jahren weisen wir auf die rechtswidrige Haftpraxis hin und fordern ein Abschiebungshaftvollzugsgesetz für Niedersachsen. Der EuGH-Generalanwalt Jean Richard de la Tour gibt uns nun Recht. Die Landesregierung muss Konsequenzen aus dem Gutachten des Generalanwalts ziehen und das Abschiebungshaftgefängnis in Langenhagen umgehend schließen.“

PRO ASYL unterstützt das Verfahren über seinen Rechtshilfefonds.


VG Magdeburg: Flüchtlingsanerkennung für Kurden, dessen BAMF-Akte türkischen Behörden in die Hände fiel

Mit Urteil vom 13.09.2021 (Az.: 7 A 482/17 MD), hat das Verwaltungsgericht Magdeburg das BAMF verpflichtet, dem kurdischen Flüchtling T. die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Dessen Asylakte fiel den türkischen Verfolgungsbehörden in die Hände, als ein türkischer Vertrauensanwalt der Deutschen Botschaft in der Türkei mit dem Vorwurf, für Deutschland und andere europäische Staaten Spionage zu betreiben, verhaftet wurde. Das BAMF hatte den Asylantrag des Mannes zuvor abgelehnt und sich auch nach Vorlage eines vom Gericht eingeholten ausführlichen Gutachtens der Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 27.04.2021 geweigert, dem Kurden die Flüchtlingsanerkennung zuzusprechen.


VG Freiburg: keine Dublin-Überstellung vulnerabler Personen nach Italien

Das Verwaltungsgericht Freiburg hat einem Eilantrag einer vulnerablen Person im Rahmen eines Dublin-Verfahrens mit Italien stattgegeben (B.v.10.11.2021, A 9 K 2793/21). In dem Fall bestanden Zweifel an der psychischen Gesundheit des Asylsuchenden, die mit Attesten im Hauptsacheverfahren noch zu prüfen ist. Doch diese Zweifel genügten dem VG, um den Aslysuchenden als möglicherweise vulnerabel einzustufen. Die Versorgung, Behandlung und Betreuung von vulnerablen und insbesonderen traumatisierten, psychisch erkrankten Asylsuchenden sei in Italien nach wie vor ungenügend. Auch lag keine ausdrückliche individuell konkrete Zusicherung der italienischen Behörden gegenüber dem BAMF über eine angemessene Versorgung im Falle einer Überstellung vor.


OVG Bremen: Keine Unzulässig-Ablehnung für in Griechenland Anerkannte

„Asylanträge von Personen, denen bereits in Griechenland internationaler Schutz zuerkannt wurde, dürfen derzeit – vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls – nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden.“ So entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) der Freien Hansestadt Bremen mit dem Urteil vom 16.11.2021, Az.: 1 LB 371/21.

Das BAMF lehnt bisher Geflüchtete, die in anderen europäischen Ländern internationalen Schutz (Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärem Schutz) bekommen haben, als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ab. Bereits 2019 hatte der Europäische Gerichtshof (C-540/17 und C-541/17) aber entschieden, dass Asylanträge von Anerkannten in einigen Fällen nicht als unzulässig abgelehnt werden dürfen. Und zwar dann, wenn ihnen in dem Mitgliedstaat die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der Grundrechtecharta der Europäischen Union bzw. des Artikels 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention drohe. Da in Griechenland Anerkannten eine solche Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, hat das OVG Bremen das BAMF nun verpflichtet, das Asylverfahren fortzuführen.

Etliche Obergerichte haben inzwischen festgestellt, dass Anerkannten in Griechenland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Das BAMF entscheidet zudem seit ca. zwei Jahren nicht mehr über Asylanträgen von Anerkannten in Griechenland.