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Geflüchtete sitzen auf den griechischen Inseln fest

Auf den griechischen Inseln leben ca. 41.000 Schutzsuchende unter prekärsten Bedingungen. Auf der Insel Moria gibt es für etwa 20.000 Menschen drei Ärzt*innen, acht Krankenpfleger*innen und sieben Dolmetscher*innen. Auf der Insel Lesbos ist die Lage ähnlich. Hygienevorkehrungen, Sicherheitsabstand, medizinische Versorgung – all das, was so wichtig ist um die Ausbreitung des Corona Virus zu hemmen, ist auf den Inseln nicht möglich. Würde die Pandemie die Geflüchteten auf den Inseln erreichen, wären die Folgen unabsehbar.


Informationsblätter zum Corona Virus

Im Rahmen des Projekts „Welcome2BW“ sind mehrsprachige Informationsblätter entstanden mit allgemeinen Informationen zum Coronavirus und zu Maßnahmen des Infektionsschutzes, sowie mit Informationen über die aktuellen einschränkenden Maßnahmen der Bundes- und der Landesregierung. Tagesaktuelle Informationen in verschiedenen Sprachen bietet außerdem das Handbook Germany an und von Pro Asyl gibt es einen Newsticker zum Thema Corona.


Flüchtlingspolitische Positionen von PRO ASYL zu Covid 19

PRO ASYL hat seine flüchtlingspolitischen Positionen zur Corona-Krise zusammengefasst. Hier ein Auszug: „Angesichts der Verbreitung des Corona-Virus in Deutschland und weltweit braucht es einen sofortigen Abschiebungsstopp und die Freilassung von Menschen aus der Abschiebungshaft. Außerdem sollte das BAMF keine ablehnenden Bescheide mehr verschicken, da die Betroffenen aktuell keine Chance haben, innerhalb von zwei Wochen Klage einzureichen“.


Offener Brief verschiedener Organisationen zu nötigen Schutzmaßnahmen für Geflüchtete vor dem Corona-Virus

Verschiedene Organisationen, darunter PRO ASYL, medico international und die GGUA Flüchtlingshilfe, fordern in einem offenen Brief die Bundesregierung dazu auf, die Schutzmaßnahmen gegen das Corona-Virus auch auf Geflüchtete auszudehnen. 


Gesundheitsversorgung sicherstellen! Lager auflösen! Menschen und ihre Rechte schützen!

Während Bundes- und Landesregierungen in nahezu allen Lebensbereichen strikte Maßnahmen gegen eine weitere Ausbreitung der COVID-19-Epidemie ergreifen, werden Geflüchtete in den Lagern (Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften, sogenannten Ankerzentren) und in der Abschiebehaft sowie Illegalisierte und Menschen ohne Krankenversicherungsschutz nur unzureichend geschützt. Aufgrund der engen Belegung und der meist gemeinschaftlichen Nutzung von Bädern, Küchen und anderen Flächen sind die in den Sammelunterkünften untergebrachten Menschen besonders gefährdet, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren. Gleichzeitig haben sie aufgrund mangelnder Informationen, geringerer finanzieller Mittel und oft fehlender sozialer Netzwerke nur wenig Möglichkeit, sich an die gegenwärtige Situation anzupassen.
 
We’ll Come United, die Landesflüchtlingsräte, die bundesweiten Medibüros/Medinetze und viele weitere Organisationen und Initiativen appellieren an die Bundes- und Landesregierungen, dem dynamischen Epidemiegeschehen sofort zu begegnen, Gesundheitsversorgung für alle zu garantieren und einen Leerzug der Massenunterkünfte zu veranlassen. Geflüchtete, die den Risikogruppen angehören, müssen unverzüglich einen adäquaten Schutzraum und angemessene Versorgung erhalten – zum Schutz der Einzelnen und zum Schutz aller Menschen in dieser Gesellschaft.

Verminderung sozialer Kontakte, das Einhalten eines Mindestabstands und Sicherung hygienischer Standards sind notwendig, um eine weitere Ausbreitung des neuartigen Corona-Virus zu verhindern. All das ist für Tausende von Menschen derzeit nicht möglich. In einigen Geflüchtetenunterkünften kam es bereits zu Erkrankungen und häuslicher Quarantäne von Hunderten von Menschen auf engstem Raum, beispielsweise in Suhl (Thüringen), in Berlin und in München. Zuverlässige Informationen in den benötigten Sprachen fehlen, Menschen harren in Unsicherheit und Angst hinter verschlossenen Türen aus und versorgen schwer erkrankte Zimmernachbar*innen, wie zum Beispiel in München, von wo es außerdem bereits Berichte von Willkür und Gewalt durch Sicherheitspersonal gibt.

Oder die Polizei rückt in einem Großeinsatz an, um eine Quarantäne durchzusetzen, bevor die Bewohner*innen auch nur ansatzweise strukturierte mehrsprachige Informationen erhalten haben, was Quarantäne bedeutet und warum sie verhängt wurde, und löst damit eine große Verunsicherung und Proteste aus, wie in Suhl (Thüringen).

Einem akuten Infektionsgeschehen darf nicht mit Zwangsquarantäne einer gesamten Unterkunft und ihrer Bewohner*innen und gewaltvoller Durchsetzung der Maßnahmen begegnet werden. Vielmehr sind Informationen und Aufklärung hierbei unumgänglich, um die Menschen vor sowohl gesundheitlichen als auch psychischen Schäden zu schützen. Wir fordern die dauerhafte Sicherstellung des Zugangs zu Information, mehrsprachigen Materialien, Verdolmetschung und Vermittlung von zuverlässigen Informationen. Zugang zum Internet über WLAN muss unverzüglich und flächendeckend für alle Geflüchtetenunterkünfte organisiert werden. 

Auch ist Zugang zu psychologischer Beratung notwendig, da die Situation der Quarantäne auch traumatisierend oder retraumatisierend wirken kann.
Wir fordern eine sofortige Auflösung der Massenunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften, Erstaufnahmeeinrichtungen und Ankerzentren. Das damit verbundene Infektionsgeschehen ist nicht zu verantworten. Geflüchteten, die Risikogruppen angehören wie Ältere oder Menschen mit Vorerkrankungen müssen insbesondere geschützt werden. Im gesamten Bundesgebiet stehen zahlreiche Wohnungen, Ferienapartments und Hotels leer. Diese Räume müssen sofort durch die zuständigen Behörden zur dezentralen Unterbringung aktiviert und genutzt werden.

Der eingeschränkte Zugang zu Gesundheitsversorgung in Abhängigkeit vom Aufenthaltstitel und Sozialleistungsanspruch kann in der momentanen Lage über Leben und Tod entscheiden. Wir fordern eine sofortige flächendeckende Öffnung des Gesundheitswesens und einen unbürokratischen Zugang zur regulären Versorgung für alle Menschen. Auch illegalisierte Menschen und Personen ohne Krankenversicherung müssen ab sofort getestet und gegebenenfalls behandelt werden. Es muss ausdrücklich zugesichert werden, dass sensible Daten nicht an die Ausländerbehörde übermittelt werden (Aussetzung §87 Aufenthaltsgesetz). Die Kosten für diese dringend notwendigen Gesundheitsleitungen sind selbstverständlich aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten (z.B. Handhabung im Sinne von §19, §25, §69 Infektionsschutzgesetz und Anwendung des „Nothelferparagraphen“ §6a Asylbewerberleistungsgesetz).

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge muss die Versendung negativer Bescheide unverzüglich einstellen. Aufgrund von geschlossenen Beratungsstellen und eingeschränktem Besuchsverkehr bei Anwält*innen ist es momentan für Geflüchtete kaum möglich, gegen negative Bescheide rechtlich fristgerecht vorzugehen.

Sämtliche Kürzungen von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz müssen aufgehoben werden. Da Beratungsstellen und Kanzleien nach und nach schließen, ist der Zugang zu einer effektiven Rechtsberatung nicht mehr gewährleistet.

Wir fordern einen Abschiebestopp und die pauschale Verlängerung aller Aufenthaltstitel mit sofortiger Wirkung. Bei geschlossenen Grenzen und weltweiten Reisewarnungen ist es absurd Abschiebungen weiter durchzuführen. Menschen in Abschiebehaft sind sofort zu entlassen.
Wer sich momentan an der griechisch-türkischen Grenze und in den Lagern auf den griechischen Inseln befindet, ist hygienischen Zuständen und psychischen Belastungen fern jeglicher Standards ausgesetzt. Wir fordern, die Menschen aus Griechenland sofort zu evakuieren!
#LeaveNoOneBehind!

Unterzeichner*innen:

BAfF Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer.
SEEBRÜCKE
Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant_innen e.V,
XENION – Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V., 
Bon Courage e.V., Borna
AG Asylsuchende Sächsische Schweiz/ Osterzgebirge e.V.
Kampagne „100 Jahre Abschiebehaft“
Abschiebehaftkontaktgruppe Dresden
ausbrechen – Antifa Paderborn
Initiativkreis: Menschen.Würdig, Leipzig
Migrationsrat Berlin e.V.
Verein iranischer Flüchtlinge in Berlin e.V.
IniRromnja
RomaniPhen e.V.
YAAR e.V.
AKuBiZ e.V., Pirna
AGIUA e.V., Chemnitz
Aufstehen gegen Rassismus, Chemnitz
Women in Exile e.V.
Jugendliche Ohne Grenzen
Refugees4Refugees
Anlaufstelle PRO ROMA Waldkirch
United Refugees Rights Movement Karlsruhe


Arbeit und Corona – Flyer IQ Netzwerk Thüringen

Das Corona-Virus wirkt sich auch auf den Arbeitsmarkt aus. Um Geflüchtete oder Menschen aus Drittstaaten für die arbeitsrechtlichen Fragestellungen, die diese Situation aufwirft, zu sensibilisieren und vor Missbrauch zu schützen, hat das IQ Netzwerk Thüringen kompakte Flyer zu den Themen Kinderbetreuung und Aufhebungsvertrag erstellt.


Rechtsfreie Räume?

Die Nachrichten dieser Tage beschränken sich auf die Corona-Pandemie, während die miserable, erschreckende und rechtlose Situation von Flüchtenden an der griech.-türk. Grenze und auf den griechischen Inseln unverändert geblieben ist.

Auf der türkischen Seite nutzt Präsident Erdogan Flüchtenden für seine innen- und außenpolitischen Ziele und setzt die EU unter Druck, indem Flüchtende teilweise gewalttätig an die griechische Grenze geschafft werden. Flüchtende erfahren in der Türkei vielfache Ausgrenzungen, so auch vom Wohnungs- und Arbeitsmarkt, weiter haben sie einen ungewissen rechtlichen Aufentaltsstatus und werden teilweise nach Syrien und andere Länder abgeschoben. Somit ist bei vielen die Hoffnung nach Europa weiter zu fliehen groß – doch nun sind etliche an der türk.-griech. Grenze gefangen zwischen griechischen und türkischen Grenzpolizist*innen. Kommt das überraschend?

An der Grenze verweigern, zu Wasser und zu Land, griechische und andere europäische Grenzpolizist*innen, so auch deutsche, Flüchtenden den Zutritt. Damit ist gemeint, dass gegen Flüchtende anscheinend ohne ethische oder rechtliche Bedenken Gummigeschosse, Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt werden. Schlauchboote mit Flüchtenden werden zurückgedrängt und teilweise zerstochen – mit Hilfe von rechtsradikalen Mobs – angereist aus ganz Europa. Diejenigen, die es geschafft haben einzureisen werden inhaftiert, völkerrechtswidrig und auf erniedrigende Weise zurückgeschoben oder gerichtlich zu hohen Strafen wegen unerlaubter Einreise verurteilt. Dabei ignorieren die Richter*innen, dass nach internationalem Recht, Flüchtlinge nicht wegen unerlaubtem Grenzübertritt belangt werden dürfen (Art. 31 GFK). Ist das Europa? Sascha Seidl stellt fest, „[d]as, was die AfD in Deutschland 2015 noch erträumt hat und wofür die Partei damals heftig kritisiert wurde, wird mit rasender Geschwindigkeit Realität an den europäischen Außengrenzen“. 

Auf griechischer Seite wurde das Grundrecht aus Asyl entgegengesetzt des Art. 18 der EU-Grundrechtecharta und der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt. Kann man ein Grundrecht “pausieren”? Nun, die griechischen Behörden nehmen in diesem Monat einfach keine Asylanträge mehr entgegen. Zudem werden 500 Geflüchtete in einem Kriegsschiff interniert, ein Lager brennt, Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen werden angegriffen und aufgrund des Corona Virus erhalten diejenigen, die noch da sind keinen Zugang zu den Lagern mehr. Dass die Lager teilweise um das heillos überbelegt sind, Menschen in Dreck, Fäkalien und Kälte hausen, medizinische Versorgung kaum existent ist und besonders Schutzbedürftige all dem ausgesetzt sind, ist seit Jahren Normalität. Warum sollte sich da noch was ändern?

Auf der Seite der EU und den anderen europäischen Staaten hört man lobende Worte an die griechische Regierung und man schickt finanzielle und personelle Unterstützung für die weitere Abschottung der Grenze. Spricht da jemand von Rechtsbruch? Nach Maximilian Pichl, trägt “[d]ie Auslagerung des Flüchtlingsschutzes (…) dazu bei, dass sich Gesellschaften daran gewöhnen, wenn grundlegende Rechte gebrochen werden. Dass die Zustände auf den Inseln nicht schon vor Jahren beendet und die Menschen in Europa verteilt wurden, beweist diese Annahme (…).“ Auch zeigen die schleppenden Bemühungen zur Aufnahme eines minimalen Kontingents und die haarspaltende Auswahl von 1500 Kindern von den Inseln, wie wenig Interesse an einer Beendigung des Ausnahmezustands besteht. Bezüglich Edogans Vorgehen hat Angela Merkel weitere EU-Mittel zugesichert. Mit finanziellen Spritzen soll also der Status Quo wiederhergestellt werden. Ist die EU von Erdogan also erpressbar? Valeria Hänsel bewertet den EU-Türkei Deal von 2016 als Kardinalsfehler und “[a]nstatt aus den fatalen Fehlern zu lernen, spricht der Architekt des Deals Gerald Knaus nun von einer „Übereinkunft 2.0 zwischen der EU und der Türkei“. Denn die europäische Grenzpolitik basiert in ihren Grundfesten auf Erpressbarkeit – Abhängigkeiten von autoritären Regimen, die die Drecksarbeit für sie erledigen.“ 

In Zeiten der Corona Krisen gibt es weitaus schwerere humanitäre und menschenrechtliche Krisen an den geographischen Grenzen Europas. Hier grenzt sich momentan die öffentliche Berichterstattung ein, stößt unser Vorstellungsvermögen auf Grenzen, und wird die Einhaltung internationalen und europäischen Rechts begrenzt.


Aufnehmen statt Sterben lassen! Die Faschisierung Europas stoppen!

Gemeinsam mit einem breiten Bündnis veröffentlicht der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg den Appell „Aufnehmen statt Sterben lassen! Die Faschisierung Europas stoppen!“ anlässlich von vier Jahren EU-Türkei-Deal und den dramatischen Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen.

Anlässlich des vierjährigen Bestehens des EU-Türkei-Deals vom 18. März 2016 haben sich zahlreiche Vereine, Initiativen und NGOs in einem Appell an die europäische Öffentlichkeit gewandt. Sie kritisieren die derzeitige Eskalation auf den griechischen Inseln und an der griechisch-türkischen Grenze als das „absehbare Ergebnis einer jahrelangen desaströsen Politik“. Außerdem sei die drohende humanitäre Katastrophe durch einen möglichen Ausbruch des Covid-19-Virus in den Flüchtlingslagern eine „ultimative Aufforderung zu sofortigem Handeln“.

„Die EU hat mit ihrer Flüchtlingspolitik der letzten Jahre eine Situation geschaffen, in der jetzt zehntausende Menschen in den Flüchtlingslagern schutzlos der Pandemie ausgeliefert sind – unter katastrophalen hygienischen Bedingungen und ohne jede medizinische Infrastruktur. Die Verantwortlichen müssen jetzt sofort handeln und ihre katastrophalen Fehler korrigieren. Die Flüchtlingslager müssen sofort evakuiert werden und der Schutz und die medizinische Versorgung der Menschen sichergestellt werden“, so Ramona Lenz von der Frankfurter Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international.

„Wir erleben eine Verletzung grundlegender Menschenrechte, dem Europarecht und der Genfer Flüchtlingskonvention. Menschen, die in Europa Schutz suchen, werden mit Tränengas und scharfer Munition beschossen, zusammengeschlagen, ausgezogen und illegal über die Grenze zurückgeschoben. Das Recht auf Asyl wurde in Griechenland einfach suspendiert und Menschenrechte ausgesetzt. Dieser Skandal verdient all unsere Aufmerksamkeit und die offensichtlichen Rechtsbrüche müssen verfolgt und aufgeklärt werden“, so der Rechtswissenschaftler Robert Nestler.

Während am Dienstag Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Macron mit dem türkischen Staatsoberhaupt Erdogan über eine Aktualisierung des Deals verhandelten, fordern die Unterzeichner das „sofortige Ende der Vereinbarung und einen Stopp der Gewalt gegen Migranten an den Außengrenzen. „Der EU-Türkei Deal hat noch nie wirklich funktioniert. Allerdings hat er erneut einem autoritären Regime Macht über die europäische Politik gegeben. Und Erdogan hat diese Macht schon oft – nicht zuletzt beim Krieg gegen die Kurden – ausgenutzt. Jetzt hat er erneut seinen Drohungen Taten folgen lassen. Dabei ging es ihm immer nur um Bilder, es war eine schreckliche Inszenierung auf dem Rücken der Fliehenden. Doch es ist Europas Migrationspolitik selbst, die ihm die Macht dazu in die Hand gelegt hat“, sagt die Migrationsforscherin Prof. Sabine Hess.


Geflüchtete vor Corona schützen!

Flüchtlingsrat fordert weitgehende Maßnahmen zum Schutz von Geflüchteten und Personal in Unterkünften und Behörden zur Eindämmung der Pandemie. Der Ausbruch des Corona-Virus betrifft die gesamte Gesellschaft, auch Geflüchtete. Diese sind aufgrund der sozial beengten Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften besonders von einer Infektion mit dem Coronavirus bedroht. Aufgrund der schnellen Verbreitung wird sich der Virus in solchen Unterkünften einfach zwischen den Bewohner*innen übertragen. Dort kann weder ein Sicherheitsabstand eingehalten werden, noch können soziale Kontakte vermieden werden. Wer sich Gemeinschaftsküchen teilt, in Mehrbettzimmern wohnt, aus derselben Kantine versorgt wird und die Sanitäranlagen gemeinsam nutzt, ist immer mit anderen Menschen in Kontakt. Zudem müssen Geflüchtete regelmäßige Termine bei Behörden wahrnehmen.

Überall treffen Geflüchtete auf eine große Zahl weiterer Geflüchtete, sowie auf Mitarbeiterinnen aus Behörden, Unterkunftsverwaltung, Sicherheitsdiensten, Richterinnen, Dolmetscher*innen, und sonstigem Personal. Deshalb setzt sich der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg für erhöhte Schutzmaßnahmen ein und fordert:

Gesundheitsversorgung

  • Illegalisierten (Menschen ohne Papiere) muss der Zugang zum regulären Gesundheitssystem und zu Corona-Tests ermöglicht werden. Dies erscheint auch epidemiologisch sinnvoll! Voraussetzung dafür ist eine Zusage, dass Gesundheitsämter keine Informationen an Ausländerbehörden und Polizei weitergeben werden. Eine temporäre Gesundheitskarte einzuführen, wäre eine Lösung.

Unterbringung

  • Das Land muss dringend in Kooperation mit den Kommunen die Anzahl der Personen in den Massenunterkünften deutlich reduzieren und möglichst viele Menschen dezentral unterbringen. Hierzu sind sämtliche freie Kapazitäten einzubeziehen, ggf. muss über die Anmietung von Hotels oder Pensionen nachgedacht werden, um die Belegungsdichte zu reduzieren.
  • Sofortige Verteilung aller besonders gefährdeten Personen (Personen über 60, Personen mit Vorerkrankungen) aus Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften auf dezentrale Unterkünfte, in denen der gebotene Sicherheitsabstand eingehalten werden kann.
  • Kostenfreie Tests für alle Bewohnerinnen von Massenunterkünften, in denen bereits Menschen positiv auf das Corona-Virus getestet wurden, mit anschließender Verteilung derjenigen, die negativ getestet wurden, aus Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften auf dezentrale Unterkünfte, in denen der gebotene Sicherheitsabstand eingehalten werden kann. Nur so kann eine schnelle Ausbreitung verhindert werden.
  • In Unterkünften und Einrichtungen, in denen Bewohnerinnen positiv getestet wurden, muss für eine adäquate Betreuung gesorgt werden. Werden einfach nur Gebäudetrakte oder ganze Unterkünfte von Polizei und Sicherheitsdiensten abgeriegelt, wirkt das nicht wie eine Schutzmaßnahme, sondern wie Strafarrest. Die Verlegung der Gesunden erlaubt eine adäquate Betreuung der Erkrankten. Die Erkrankten sollten weiterhin für Freunde und Familie, Sozialarbeiterinnen, Ehrenamtliche und Behörden kontaktierbar sein, in dem ihnen Internetzugang gewährt wird und ggf. Telefone zur Verfügung gestellt werden.
  • Menschen, die unter häuslicher Quarantäne in Erstaufnahmeeinrichtungen stehen, müssen sich entsprechend ihren Ernährungsgewohnheiten versorgen können und die dazu nötigen Lebensmittel erhalten. Auch muss bei Quarantäne die Auszahlung von Bargeld zur Deckung des persönlichen Bedarfs sichergestellt sein. Weiterhin sollten diese Personen für Freundinnen und Familie, Sozialarbeiterinnen, Ehrenamtliche und Behörden kontaktierbar sein, indem ihnen Internetzugang gewährt wird und ggf. Telefone zur Verfügung gestellt werden.
  • In vielen Unterkünften stehen Betten leer, regelmäßig werden deshalb einzelne Zimmer und ganze Gebäudetrakte geschlossen. Die leerstehenden Zimmer müssen geöffnet werden, um die Belegung der Unterkünfte zu entzerren und die Einhaltung eines Sicherheitsabstandes zwischen den Bewohnerinnen zu ermöglichen.
  • Es muss sichergestellt werden, dass in allen Sanitärräumen und Küchen ausreichend Flüssigseife, Papierhandtücher, WC-Papier und ggf. Desinfektionsmittel zur Verfügung steht. Zusätzlich regen wir an, Mittel zur Desinfektion der Hände auf allen Etagen bereitzustellen.
  • Die Reinigungsfrequenz der Sanitärräume, Küchen und übrigen Gemeinschaftsflächen sollte erhöht werden (mind. 2x täglich). Das durch angemessene Ausstattung zu schützende Reinigungspersonal sollte Türgriffe, Türflächen und -rahmen im Griffbereich sowie die Sanitärobjekte mit Desinfektionsmittel reinigen, soweit noch nicht der Fall.
  • Um zum Infektionsschutz ein häufigeres Wäschewaschen zu ermöglichen, sollten die Unterkünfte mit mehr Waschmaschinen und Trocknern ausgestattet werden. Beschränkungen der Waschtemperatur auf 40 Grad sind ggf. aufzuheben.
  • Für die Unterkünfte von Geflüchteten sollte das Gleiche gelten wie für jedes private Wohnhaus. Dies beinhaltet auch das Recht, nach eigenem Ermessen Besuch zu empfangen, so lange es keine allgemeine Ausgangs- und Kontaktsperre gibt. Pauschale Besuchsverbote in Unterkünften lehnen wir deshalb ab.

Umfassende Information

  • Die Bevölkerung ist höchst verunsichert ob der Gefahren einer Coronainfektion. Das gilt umso mehr für Geflüchtete, die aufgrund fehlender oder geringer Deutschkenntnisse vom öffentlichen Informationsfluss abgeschnitten sind und auf informelle Kanäle zurückgreifen. In Zusammenarbeit mit den Gesundheitsbehörden müssen deshalb schnell offizielle Informationsmaterialen übersetzt und in den Unterkünften in den Sprachen der dort untergebrachten Geflüchteten zur Verfügung gestellt werden. Zudem sollten Telefon-Hotlines mit Dolmetscherinnen geschaltet werden für alle Geflüchteten und Migrantinnen, umdrängende Fragen direkt beantworten zu können.

Behördliche Verfahren

  • Termine bei Behörden bergen ein unabsehbares Infektionsrisiko, weil sich hier besonders viele Geflüchtete in engen Wartebereichen über längere Zeit aufhalten müssen. Deshalb müssen alle nicht unbedingt notwendigen Termine zur persönlichen Vorsprache abgesagt werden, um Infektionsgefahren zu minimieren. Auch Delegationsvorführungen müssen sofort abgesagt werden. Es ist unverantwortlich, dass diese Woche in Karlsruhe  gerade Vorführungen bei einer nigerianischen Delegation stattfinden.
  • Das BAMF sollte keine, insbesondere keine nachteiligen, Entscheidungen mehr erlassen! Beratungsstellen und Kanzleien schließen nach und nach. Der Zugang zu einer effektiven Rechtsberatung ist nicht mehr gewährleistet.
  • Es muss verhindert werden, dass Geflüchtete aus Angst vor ablaufenden Fristen trotz massiver Infektionsrisiken zu Rechtsanwältinnen, Behörden, Gerichten, Botschaften und Konsulaten fahren. Vorbildlich ist hierbei die Stadt Mannheim, die bekannt gegeben hat, dass niemandem ein rechtlicher Nachteil entstehen wird, wenn er oder sie aufgrund der Corona-Pandemie eine Behörde nicht aufsucht und deshalb eine Frist nicht einhalten kann. Wir fordern dieses Vorgehen von allen Behörden in Baden-Württemberg.
  • Auf persönliche Vorsprachen bei Ausländerbehörden sollte verzichtet werden. Aufenthaltsgestattungen, Aufenthaltserlaubnisse und Duldungen müssen vorübergehend unbürokratisch von Amts wegen verlängert und am besten mit der Post zugestellt werden. Sämtliche öffentliche Stellen wie Jobcenter, Sozialämter, Polizei, Zoll sowie Arbeitgeberverbände, Immobilieneigentümerinnen sollten darüber informiert werden, dass für in Baden-Württemberg wohnhafte ausländische Personen befristete Dokumente zum Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet als fortbestehend gelten, solange die Landes- und Bundesregierung die Corona-Maßnahmen aufrecht erhalten.
  • Es muss vermieden werden, dass Geflüchtete die ihnen zustehenden Sozialleistungen nicht erhalten, weil die Sozialämter nicht mehr für den Publikumsverkehr geöffnet sind. Die Auszahlung des menschenwürdigen Existenzminimums muss gewährleistet werden, notfalls vor Ort in den Unterkünften oder per Überweisung.
  • Es muss ermöglicht werden, Arbeitserlaubnisverfahren für Asylsuchende und Geduldete online zu erledigen und alle Infos zum Verfahren auf der Website der jeweiligen Behörden zur Verfügung zu stellen.
  • Im Rahmen des Familiennachzugs gebuchte Flüge und Visa verfallen, da nicht-Europäer*innen nicht mehr einreisen dürfen. Die Botschaften müssen Visa unkompliziert und ohne erneute Überprüfung verlängern, gerade deshalb, weil viele Familien schon jahrelang getrennt sind und der Nachzug unverschuldet nicht stattfinden kann. Die Länder sollten finanzielle Unterstützungsleistungen bereitstellen, sodass die Familienangehörigen zeitnah nach einer Corona Entwarnung Tickets buchen und einreisen können.

Abschiebungen und Abschiebungshaft aussetzen!

  • Abschiebungen innerhalb Europas finden nur noch eingeschränkt statt, da der Luftverkehr und grenzüberschreitender Verkehr deutlich reduziert sind. Soweit es immer noch zu Abschiebungen kommt, sind diese unverzüglich einzustellen, da sie sowohl für die abzuschiebenden Geflüchteten als auch die Landes- und Bundespolizeibeamt*innen und das Flugpersonal ein inakzeptables Infektionsrisiko bergen. Zudem besteht die Gefahr, dass der Coronavirus in andere Länder weitergetragen wird. Abschiebungen müssen deshalb generell ausgesetzt werden.
  • Immer noch befinden sich Menschen in der Abschiebungshafteinrichtung Pforzheim, obwohl davon auszugehen ist, dass ihre Abschiebungen nicht in absehbarer Zeit durchgeführt werden können. Die inhaftierten Menschen müssen sofort entlassen werden!

Solidarität mit Wohnungslosen!

  • Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg schließt sich weiterhin den Initiativen an, die den Zugang für Wohnungslose zu geschützten Räumen, weg von Notunterkünften, fordern und zur Prävention von Wohnungslosigkeit einen Stopp von Zwangsräumungen und dergleichen fordern.

Aufenthaltsrechtliche Konsequenzen

  • Es ist absehbar, dass sich aufgrund der Corona-Pandemie die wirtschaftliche Lage vieler Betriebe verschlechtern wird. Infolge dessen werden wahrscheinlich auch Menschen ihre Arbeit verlieren. Hiervon sind erfahrungsgemäß überproportional prekäre Beschäftigungsverhältnisse betroffen, die häufig von Menschen mit Migrationshintergrund ausgeübt werden. Gerade bei Regelungen wie der Bleiberechtsregelung oder der neuen Beschäftigungsduldung hängt der Aufenthalt davon ab, dass man den Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit sichert. Hier sollte per Erlass klargestellt werden, dass Unterbrechungen der Lebensunterhaltssicherung infolge der Corona-Pandemie keine negativen aufenthaltsrechtlichen Auswirkungen haben. Entsprechende Aufenthaltserlaubnisse und Ermessensduldungen zur Arbeitssuche sollten großzügig und über einen mindestens neunmonatigen Zeitraum ausgestellt werden.

#LeaveNoOneBehind

Kampagne zur Evakuierung von Geflüchteten von den griechischen Inseln
Die Situation von Geflüchteten auf den griechischen Inseln spitzt sich durch das Coronavirus weiter zu. Deshalb fordert die Kampagne #LeaveNoOneBehind die Evakuierung der überfüllten Flüchtlingslager, notwendige Schutzmaßnahmen in Aufnahmelagern gegen das Virus, medizinische Versorgung und Zugang zum Asylverfahren. Der Druck auf die europäischen Regierungen soll durch die Kampagne erhöht werden. Deshalb, unterschreiben und verbreiten Sie die Petition und starten Sie Aktionen in Ihrer Region. Mehr Informationen finden Sie hier: