Verwandte und Unterstützer*innen von Gylten und Gylije Tahiri haben am Mittwoch eine Petition mit rund 35 000 Unterschriften an das Innenministerium von Baden-Württemberg übergeben. Die beiden Schwestern, die 1998 als Kleinkinder aus dem Kosovo nach Deutschland geflüchtet waren, wurden am 27. September nach Serbien abgeschoben.
„Sie wurden abgeschoben in eine Situation der Rechtlosigkeit. Dies wurde vorher nicht ordnungsgemäß geprüft“, erklärte Walter Schlecht vom Antirassistischen Netzwerk. Die beiden seien in Deutschland verwurzelt gewesen – ihre Familie, ihr Freundeskreis, ihre Arbeitsplätze, ihre Wohnungen und sämtliche Lebensinhalte seien hier. „Nur die rechtliche Verwurzelung scheiterte, weil sie mangels Papiere keine Pässe bekommen konnten“, erklärte Schlecht weiter. Abgeschoben wurden die beiden mit „Laissez-Passers“ der EU, die in Serbien nicht als Identitätsnachweis akzeptiert werden und keinerlei Rechte mit sich bringen. Deshalb befinden sich die Schwestern in einer ausweglosen Situation.
Senad Tahiri, einer der Brüder der beiden Abgeschobenen, hat seine Schwestern nach der Abschiebung besucht. Er war zusammen mit ihnen auf verschiedenen Ämtern. „Sie haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen oder Krankenversicherung, sie bekommen keine Pässe oder Personalausweise. Es scheitert alles an der fehlenden Wohnsitzanmeldung. Diese kann durchaus noch Jahre dauern. Eine Mitarbeiterin der Caritas, die mit Rückkehrenden arbeitet, kennt Fälle, in denen Abgeschobene seit zwei Jahren immer noch auf ihre Wohnsitzanmeldung warten. Die Cartias-Mitarbeiterin betonte auch, dass gerade alleinstehende junge Frauen in einer solchen Situation besonders gefährdet sind“, berichtet er.
Im Moment, so die Schilderung von Senad Tahiri, haben die beiden von einem Priester eine notdürftige Unterkunft bekommen, nachdem sie zwischenzeitlich auf der Straße gelebt haben. Ihre Familie unterstützt sie nach Kräften finanziell, ansonsten wären sie völlig mittellos. Eine Änderung dieser Situation sei nicht in Sicht. Obwohl mittlerweile serbische Geburtsurkunden vorliegen, geht aus Sicht des serbischen Staates nichts ohne Wohnsitzanmeldung.
Für Medina Bozza, eine Freundin der beiden Abgeschobenen, die die Petition initiiert hat ist klar: „Sie müssen zurück, denn sie gehörten hierher. Hier haben sie ihre Familie und Freunde, dort haben sie nichts. Sie kennen niemanden und können die Sprache nicht, weil sie hier immer nur Deutsch gesprochen haben. Sie haben keine Möglichkeit, eine Wohnung oder Arbeit oder auch nur Sozialhilfe oder Krankenversicherung zu bekommen. Weil sie keine Ausweise haben, ist es sogar schwierig, ihnen Geld zu schicken.“
„Die Tahiri-Schwestern sind Opfer der aktuellen Abschiebungs-Hysterie. Die Behörden haben da keinen Blick auf die Menschen“, kritisierte Walter Schlecht. Seán McGinley vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg stimmt dieser Einschätzung zu und verweist auf die Statistiken zu den Sammelabschiebungen in die Westbalkan-Staaten: „Unseren Schätzungen zufolge ist eine große Mehrheit der Abgeschobenen seit 2015 oder länger in Deutschland. Fälle wie diese, in denen Menschen Jahrzehnten in Deutschland gelebt haben, teilweise hier geboren sind, und ins absolute Nichts abgeschoben werden, sind leider auch keine Seltenheit, sondern werden uns immer wieder gemeldet.“
Kritisiert wurde auch, dass die Ausländerbehörden entgegen der Beschlusslage der Landesregierung offensichtlich nicht konsequent über die existierenden Bleiberechtsregelungen aufklären. „Viele dieser Abschiebungen würden sich verhindern lassen, wenn die Personen die Bleiberechtsoptionen in Anspruch nehmen würden. Doch oft wissen sie nicht davon. Für die Tahiri-Schwestern wurde zum Beispiel nie ein Härtefallantrag gestellt. Es wird gerne so getan, als seien diese Abschiebungen alternativlos, man würde nur das Recht durchsetzen. Unerwähnt bleibt dabei, dass es durchaus Möglichkeiten gibt, im Rahmen des geltenden Rechts Humanität walten zu lassen und ein Bleiberecht zu gewähren – gerade in Fälle wie diesem. Entscheidend ist der politische Wille, der offensichtlich nicht vorhanden ist“, so Seán McGinley.
Die Unterstützer*innen hoffen, dass die große öffentliche Aufmerksamkeit für diesen Fall dazu führen wird, dass die Landesregierung von Baden-Württemberg eine Wiedereinreise der Tahiri-Schwestern prüft. Diesen Wunsch gab Medina Bozza dem Mitarbeiter des Innenministeriums mit auf den Weg. „Wir werden Ihr Schreiben prüfen“, sagte er.