Weiterhin keine Sicherheit für Betroffene und Arbeitgeber*innen

Die aktuelle Einigung der Grün-Schwarzen Koalition in Baden-Württemberg beinhaltet nach Auffassung des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg kaum greifbare Neuerungen und wird den Betroffenen – gut integrierten Geduldeten, die die hohen Voraussetzungen für die Beschäftigungsduldung noch nicht erfüllen – und ihren Arbeitgeber*innen nicht die Sicherheit geben, die sie sich erhofft haben.

Wie aus der gemeinsamen Presseerklärung der beiden Regierungsfraktionen hervorgeht, gibt es unterschiedliche Meinungen dazu, ob es rechtlich möglich wäre, über Ermessensduldungen nach § 60a Abs. 2 S. 3 Aufenthaltsgesetz Abhilfe zu schaffen. Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg entschieden, dass die Erteilung von Ermessensduldungen in der fraglichen Konstellation eben nicht gesperrt ist. Aus Sicht des Flüchtlingsrats ist dies einzig und alleine eine Frage des politischen Willens. So hat beispielsweise in Nordrhein-Westfalen hat die Landesregierung genau diesen Weg gewählt, und bei der Ausbildungsduldung hat die Landesregierung von Baden-Württemberg 2018 Ermessensduldungen für Personen in Helfer*innenausbildungen eingeführt, die nicht vom damaligen Gesetzeswortlaut zur Ausbildungsduldung erfasst waren.

Die als Errungenschaft präsentierte Möglichkeit, in solchen Fällen einen Härtefallantrag zu stellen, ist keine Neuerung. „Bereits vorher war es möglich und auch keinesfalls unüblich, dass Arbeitergeber*innen für ihre Mitarbeiter*innen Härtefallanträge stellten. Bei der Einführung der Beschäftigungsduldung und der Neufassung der Ausbildungsduldung mit den jeweils geforderten Vorduldungszeiten war absehbar, dass in vielen Fällen Härtefallanträge gestellt werden würden, um die Zeit zu überbrücken. Hierfür braucht es keinen Beschluss der Landesregierung“, betont Klaus Harder von Sprecher*innerat des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg. Des Weiteren sei es auffällig, dass das Innenministerium seit langem bemüht ist, die Anzahl der Eingaben an die Härtefallkommission mit Zugangsbeschränkungen zu reduzieren, und nun ein ganzer zusätzlicher Personenkreis an die Härtefallkommission verwiesen wird, für die es eine andere Lösung geben könnte, wenn dies nur gewollt wäre. „Die Landesregierung wäre gut beraten, die Härtefallkommission in ihrer eigentlichen Funktion ernst zu nehmen – dazu würde gehören, ihre Empfehlungen nicht regelmäßig zu missachten und die mit fraglichen und unehrlichen Ausreden zu begründen. Auch sollte die Härtefallkommission nicht Abstellgleis sein für Fälle, in denen der politische Wille zu einer pragmatischen Lösung zu fehlen scheint.“, ergänzt Lucia Braß, 1. Vorsitzende des Flüchtlingsrats.

Die Absicht, „prioritär“ Personen abzuschieben, die nicht arbeiten und / oder straffällig geworden sind, wird nach Einschätzung des Flüchtlingsrats keine Sicherheit geben. „Die Betroffenen und ihre Arbeitgeber*innen wollen wissen: Bin ich vor Abschiebung geschützt? Und da lautet die Antwort nach wie vor: Nein. Auch wenn beispielsweise nach Gambia aktuell vergleichsweise wenig abgeschoben wird, kann sich dies jederzeit ändern. In einige andere Länder wird so viel abgeschoben, dass sich die Frage nach begrenzten Kapazitäten gar nicht stellt. Eine solch unkonkrete Regelung ist eine Steilvorlage für diejenigen im Innenministerium und in den Behörden, die diese vermeintliche Einigung ignorieren wollen, um weiterhin möglichst viele Personen abzuschieben. Jede Abschiebung einer berufstätigen, nicht-straffällig gewordenen Person kann damit begründet werden, dass „prioritär Nicht-Berufstätige und Straftäter“ eben nicht heißt, dass nur diese Personen abgeschoben werden – genau wie die Landesregierung einerseits sagt, dass „grundsätzlich nicht aus Schulen abgeschoben wird“, und wenn dann doch Fälle von Abschiebungen aus Schulen bekannt werden, dann verweist sie darauf, dass ‚grundsätzlich‘ bedeutet, dass es im Einzelfall doch gemacht wird“, so Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats.


Die Maske der Zivilisation

Seán McGinley vom Flüchtlingsrat BW schreibt in der Wochenzeitung „Kontext:“ über die Aussetzung von internationalem Recht an der türkisch-griechischen Grenze. Hintergrund ist, dass der türkische Präsident Recep Erdoğan Geflüchtete nicht mehr davon abhält in die EU weiterzuwandern, wie es in dem strittigen Deal der europäischen Regierungschefs*innen mit der Türkei 2016 verhandelt worden war. McGinley kommentiert treffend: „Wenn Griechenland – stellvertretend für die ganze EU – jetzt sagt, dass die Flüchtenden mit Waffengewalt aufgehalten werden, dass sie selbst im Falle eines Grenzübertritts keine Asylanträge werden stellen dürfen und in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden, dann ist das ein eklatanter Rechtsbruch, der unter dem Beifall der EU mit brachialer, menschenverachtender Gewalt durchgesetzt wird.“


Bis auf Weiteres: Keine Dublin-Überstellungen nach Italien

Nach einer Meldung des Bundesinnenministeriums werden bis auf Weiteres keine Dublin-Überstellungen nach Italien vollzogen werden, um die Ausbreitung des Corona Virus einzudämmen. Dies bedeutet vor allem für Personen, deren Überstellungsfrist nach der Dublin III Verordnung im März enden würde, dass ihre Asylanträge im nationalen Verfahren bearbeitet werden müssen. Wir raten allen Betroffenen sich an Beratungsstellen zu wenden, wenn sie weitere Bescheide vom BAMF erhalten.


„Places of Safety in the Mediterranean in the Context of the European Policy of Outsourcing Responsibility”

In dieser Studie beleuchten Prof. Dr. Anuscheh Farahat and Prof. Dr. Nora Markard Fragen rund um die Seenotrettung von Flüchtenden auf dem Mittelmeer. Dürfen diese nach internationalem und europäischen Recht in nordafrikanische Staaten gebracht werden? Kann von Ägypten, Algerien, Marokko, Libyen und Tunesien als sichere Orte für gerettete Flüchtende gesprochen werden? Falls nein, dürfen Schiffe, die Flüchtende gerettet haben, angeordnet werden diese in die nordafrikanischen Staaten zu bringen? Diesen und vielen weiteren spannenden Fragen gehen die Autorinnen im Hinblick auf die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen nach.


Mehr als 120 Einzelpersonen und Initiativen fordern Landesregierung zum Handeln auf

Die Situation auf den griechischen Inseln an der Grenze zur Türkei sorgt europaweit für Entsetzen. Die Europäische Union vernachlässigt ihre Verpflichtung gegenüber schutzsuchenden Menschen und beschädigt den solidarischen Gedanken einer gemeinsamen Werteunion nachhaltig. Deshalb haben 122 Erstunterzeichner*innen auf Initiative der „Global Initiative on Health, Migration and Development“ ein Forderungspapier an die Landesregierung Baden-Württemberg unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann versendet.

Aufgrund der katastrophalen und menschenunwürdigen Situation in Griechenland wenden sich verschiedene Organisationen und Erstunterzeichner*innen an die Landesregierung Baden-Württemberg, um diese zu sofortigem Handeln aufzufordern. Die Situation auf den griechischen Inseln an der Grenze zur Türkei sorgt europaweit für Entsetzen. Die Europäische Union vernachlässigt ihre Verpflichtung gegenüber schutzsuchenden Menschen und beschädigt den solidarischen Gedanken einer gemeinsamen Werteunion nachhaltig. Daher fordern die Erstunterzeichner*innen Ministerpräsident Winfried Kretschmann, die Landesregierung und die obersten Landesbehörden dazu auf, mit sofortigem politischen Handeln Einfluss zu nehmen und zumindest 5.300 unbegleitete Minderjährige vor drohender und bereits dokumentierter körperlicher, psychischer und sozialer Misshandlung zu beschützen. Die körperliche und die psychische Gesundheit dieser unbegleiteten minderjährigen Kinder und Jugendlichen ist akut gefährdet.


Situation auf Lesbos nicht tragbar

Die Situation in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln ist außer Kontrolle. Ein Beispiel ist der sogenannte „Hotspot Moria“ auf Lesbos, wo ständig neue Geflüchtete ankommen, für die schlicht kein Platz ist. Ende Januar 2020 lebten in diesem Lager, das für 2.840 Flüchtlinge angelegt war, 19.411 Menschen. Die Situation der unbegleiteten Minderjährigen ist besonders dramatisch: In ganz Griechenland registrierten die Behörden Ende 2019 über 5.300 unbegleitete Minderjährige, für die es aktuell in 52 Heimen nur 1.352 Plätze gibt (vgl. Le Monde diplomatique, Februar 2020).


Forderungen entsprechen rechtlichen Möglichkeiten

Die Unterzeichner*innen fordern die obersten Landesbehörden dazu auf, Kontakt zu den Akteur*innen vor Ort aufzunehmen. Neben staatlichen Behörden ist dies insbesondere die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Unter der Berücksichtigung der dort bereits seit Jahren geleisteten Hilfe soll ein Krisenstab einberufen werden, der Sofortmaßnahmen einleitet. Die Unterzeichner*innen fordern weiterführend eine sofortige Übernahme der unbegleiteten Minderjährigen aus humanitären Gründen gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG. Darin kann “die oberste Landesbehörde […] aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird” (§ 23 Abs. 1; Zustimmung des Bundesministeriums des Inneren
regelt § 23 Abs. 2). Die Erstunterzeichner*innen dieses Dokuments fordern dazu auf, sich auf
Basis der bereits vorliegenden Rechtsgutachten über den Handlungsspielraum Kenntnis zu verschaffen.

Die Global Initiative on Health, Migration and Development ist die erste gemeinnützige Denkfabrik, die sich mit aktuellen Fragen aus den Bereichen Global Health, Migration und gesellschaftlicher Entwicklung auseinandersetzt. Gemeinsam mit der Schöpflin Stiftung und Bildung für alle e.V. konnte ein vielfältiges Netzwerk an Erstunterzeichner*innen gewonnen werden. Mehr Informationen unter www.global-initiative.org