Aufnahme statt Abschreckung

30 Jahre nach der Verabschiedung des Asylbewerberleistungsgesetzes im Bundestag muss die unwürdige Behandlung geflüchteter Menschen in Deutschland endlich ein Ende haben. Der Flüchtlingsrat und der Paritätische in Baden-Württemberg fordern eine Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik und die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Diese Spezialgesetzgebung verhindert eine menschenwürdige Aufnahme aller Geflüchteten und schränkt ihre gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten drastisch ein.

30 Jahre ist es inzwischen her, dass der deutsche Bundestag am 26. Mai 1993 das Asylbewerberleistungsgesetz im Rahmen des sogenannten „Asylkompromisses“ beschlossen hat – ein trauriger Meilenstein in der Geschichte der Entrechtung geflüchteter Menschen in Deutschland. Damit wurde das Grundrecht auf Asyl drastisch ausgehöhlt. Dieses Gesetz hat den Zugang für Geflüchtete zu gesundheitlicher Versorgung während ihrer Asylverfahren massiv verschlechtert und die staatlichen Leistungen, die sie beziehen können, unter das Existenzminimum gedrückt. Zu diesem Schluss kam auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 2012. Dennoch besteht das Gesetz bis heute fort.

„Das Asylbewerberleistungsgesetz fußt auf der Annahme, dass Menschen nicht nach Deutschland fliehen, wenn Aufnahmebedingungen so schlecht wie möglich gestaltet werden. Dies wird auch in der aktuellen Debatte immer wieder suggeriert. Doch dabei handelt es sich um einen Trugschluss, dem die Politik nun offiziell seit 30 Jahren unterliegt“, so Anja Bartel, Geschäftsleiterin vom Flüchtlingsrat. „Wir fordern ein Ende der Abschreckungspolitik und eine echte Aufnahmepolitik für alle Geflüchteten“.

„Die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine hat gezeigt, dass ein Rechtskreiswechsel und damit der direkte Zugang zu allgemeinen Sozialleistungen, dem Arbeitsmarkt, Integrationskursen und medizinischer Versorgung für Geflüchtete durchaus möglich ist und die Integration fördert. Deshalb ist die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes anzustreben. Das bestehende System unterteilt Geflüchtete in zwei Klassen und steht im Widerspruch zu unseren Grundrechten und einem menschenwürdigen Umgang mit Geflüchteten“, sagt Uta-Micaela Dürig, Vorständin Sozialpolitik beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg.

Hinweis: Im Rahmen der bundesweiten Aktionswoche der Kampagne zur Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes finden vom 16. bis zum 27. Mai 2023 verschiedene Veranstaltungen in ganz Deutschland statt.


Keine Kompromisse auf Kosten des Flüchtlingsschutzes bei der europäischen Asylrechtsreform!

Als Teil eines Bündnisses von mehr als 50 Organisationen fordert der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg die Bundesregierung zur Abkehr von ihren Plänen zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems auf. Mit Blick auf das Treffen der EU-Innenminister*innen am 8. Juni 2023 appelliert das Bündnis an Innenministerin Nancy Faeser (SPD), ihrer humanitären Verantwortung gerecht zu werden und ihren eigenen Koalitionsvertrag ernst zu nehmen. Es darf keine Kompromisse auf Kosten des Flüchtlingsschutzes geben.

Am 8. und 9. Juni 2023 treffen sich die EU-Innenminister*innen im Rat der Europäischen Union (EU), um sich politisch auf Regelungen zu einigen, die schwerwiegende Folgen haben würden: Unter anderem wird diskutiert, verpflichtende Grenzverfahren einzuführen, das Konzept der „sicheren Drittstaaten“ auszuweiten und am Dublin-System festzuhalten. Die unterzeichnenden Organisationen sind enttäuscht von der kürzlich bekannt gewordenen Position der Bundesregierung zu diesen Vorhaben und halten in einem gemeinsamen Statement fest: „Anstatt sich dem Trend der Entwertung europäischer Grund- und Menschenrechte und der Erosion rechtsstaatlicher Grundsätze entschieden entgegenzustellen, signalisiert die Regierung mit ihrer Position die Bereitschaft, diesen Weg, um jeden Preis mitzugehen. Damit gerät sie in eklatanten Widerspruch zu zentralen Versprechen des Koalitionsvertrags.“

„Unter Druck von rechtspopulistischen Regierungen von Rom bis Budapest wird in Europa gerade an einer weitgehenden Abschaffung des Flüchtlingsschutzes gearbeitet. Daran darf sich die Bundesregierung nicht beteiligen! Es geht um mehr als das Asylrecht, es geht um die  Grundlagen der Europäischen Union. Der Zugang zum Recht auf Asyl, das Recht auf ein faires, rechtstaatliches Verfahren, die Überprüfung behördlichen Handelns durch Gerichte und vor allem der Schutz der Würde der Schutzsuchenden ist keine politische Verhandlungsmasse, um faule Kompromisse zu erzielen “, so Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL.

Aushebelung des Flüchtlingsschutzes durch Prüfung von „sicheren Drittstaaten“ in Grenzverfahren

In den geplanten verpflichtenden Grenzverfahren werden absehbar keine Fluchtgründe der Schutzsuchenden geprüft, sondern nur, in welchen außereuropäischen Drittstaat die fliehenden Menschen geschickt werden können. Schutzsuchende könnten dann in ein außereuropäisches Land abgeschoben werden, in dem sie möglicherweise nicht in allen Landesteilen sicher sind oder in dem sie noch nie waren. Flüchtlingsschutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention müsste dort ebenfalls nicht gewährt werden – nach der deutschen Position soll der Schutz zwar im Wesentlichen der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechen und eine Verbindung zu dem Land soll bestehen, gemäß anderer im Rat diskutierter Vorschläge liegen die Anforderungen an den Schutz jedoch weit unter diesem Niveau. Setzt sich ein solcher Vorschlag durch, wird dies voraussichtlich massiv die Gefahr völkerrechtswidriger Kettenabschiebungen in Herkunftsländer wie Syrien oder Afghanistan erhöhen. Dies wird von den Organisationen im gemeinsamen Statement wie folgt kommentiert: „Das bedeutet einen Rückzug aus dem Flüchtlingsschutz in der Europäischen Union, vergleichbar mit dem deutschen Asylkompromiss vor dreißig Jahren.“

In Kombination mit der Anwendung des Konzepts der “Fiktion der Nicht-Einreise“ können die Grenzverfahren auch nur durch Inhaftierung der Schutzsuchenden umgesetzt werden.

Zugang zu Asyl darf nicht zur Verhandlungsmasse werden

Zudem soll am eigentlich gescheiterten Dublin-System – das zur Überlastung von Außengrenzstaaten führt – festgehalten und dieses sogar noch verschärft werden. Ein wirksamer Solidaritätsmechanismus bei dem Asylsuchenden auch von anderen Mitgliedstaaten als den Außengrenzstaaten aufgenommen werden, wird dagegen nicht ernsthaft verhandelt. Denn aktuell soll die „Solidarität“ auch durch Geldzahlungen oder materiellen Leistungen erbracht werden können – sogar in außereuropäischen Drittstaaten. Anstatt Flüchtlingsaufnahme, würde so also die Externalisierung des europäischen Grenzschutzes als Solidarität verbucht werden.

„Die Bundesregierung darf nicht den Fehler machen, den Zugang zum Recht auf Asyl gegen einen angeblichen Solidaritätsmechanismus zwischen den Mitgliedstaaten zu verhandeln. Dass es soweit in Europa gekommen ist, zeigt, dass eine Reform mit den aktuellen politischen Mehrheitsverhältnissen absehbar nur zu einer massiven Verschlechterung für nach Europa fliehende Menschen führt. Stattdessen sollten Bundesregierung und die Europäische Kommission sich für eine Einhaltung der bestehenden Standards für Asylverfahren und Aufnahme von Asylsuchenden sowie für ein Ende der illegalen Pushbacks einsetzen“, fordert Wiebke Judith abschließend.

Hintergrund zu den Reformvorhaben

Bezüglich der Reformvorschläge der Europäischen Kommission aus dem Herbst 2020 war sich die Bundesregierung zu entscheidenden Punkten wie den Grenzverfahren, der Anwendung von „sicheren Drittstaaten“ und den künftigen Zuständigkeitsregeln lange uneins. Seit dem 26. April 2023 gibt es ein Prioritätenpapier der Bundesregierung, laut dem auch verpflichtende Grenzverfahren in Kauf genommen werden sollen.
Bis zum nächsten Ratstreffen der EU-Innenminister*innen am 8. Juni 2023 müssen sich die Mitgliedstaaten auf Verhandlungspositionen einigen, um den Reformprozess bis zur Europawahl im Frühjahr 2024 abschließen zu können.

Infomaterial

Link zum gemeinsamen Statement: https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/Gemeinsames-Statement_GEAS_16.05.2023_final.pdf

PRO ASYL hat in einem Kurzpositionspapier die wichtigsten menschenrechtlichen roten Linien für die Verhandlung benannt: https://www.proasyl.de/material/notwendige-rote-linien-der-bundesregierung-fuer-die-verhandlungen-zum-new-pact-on-migration-and-asylum/

In der Sachverständigenanhörung im Bundestag zur europäischen Flüchtlingspolitik hat Wiebke Judith als rechtspolitische Sprecherin für PRO ASYL auf die Gefahren der Reform hingewiesen: https://www.proasyl.de/material/stellungnahme-zur-oeffentlichen-anhoerung-des-innenausschusses-zur-reform-des-gemeinsamen-europaeischen-asylsystems-geas/


Klimawandel und Migration

Der Klimawandel verschärft bereits vorhandene soziale, ökonomische oder politische Problemlagen. Der Druck zu migrieren, nimmt für viele Betroffene zu. Besonders stark betroffen sind wirtschaftlich benachteiligte Bevölkerungsgruppen und Länder des globalen Südens aufgrund ihrer geografischen Lage sowie geringerer finanzieller Ressourcen. Der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) hat in seinem Jahresgutachten „Klimawandel und Migration: Was wir über den Zusammenhang wissen und welche Handlungsoptionen es gibt“ untersucht, wie der Klimawandel das globale, regionale und lokale Migrationsgeschehen beeinflusst und welche Erfordernisse sich hieraus für migrations- und flüchtlingspolitisches Handeln ergeben.

Der SVR fordert:

  • einen Klima-Pass: Daueraufenthalt für Personen, deren Länder ihr gesamtes Territorium aufgrund des Klimawandels verlieren,
  • eine Klima-Card: befristetes Aufenthaltsrecht für Menschen, dir ihr Land vorübergehend aufgrund starker Zerstörung verlassen müssen,
  • ein Klima-Arbeitsvisum: erleichterter Zugang zum Arbeitsmarkt mit einer Aufenthaltserlaubnis für Personen aus bestimmten Staaten

Der Klimawandel ist menschengemacht und es braucht ein rasches Handeln auf allen politischen Ebenen, in Wirtschaft und Gesellschaft. Entscheidend wird sein, in welchem Maße und wie schnell es gelingt, den CO2-Ausstoß weltweit zu begrenzen, so der SVR.



Vergissmeinnicht – terre des hommes und PRO ASYL fordern von der Bundesregierung umgehende Verbesserungen beim Familiennachzug

Zum Internationalen Tag der Familie am 15. Mai fordern terre des hommes und PRO ASYL sowie weitere Menschenrechts- und Kinderrechtsorganisationen von der Bundesregierung, endlich ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einzulösen, den Familiennachzug zu erleichtern. Unter dem Motto #Vergissmeinnicht machen dies bundesweit Aktivist*innen mit der Übergabe einer Vergissmeinnicht-Blume gegenüber ihren Abgeordneten stark. Mit der zentralen Aktion in Berlin wird die Bundesregierung durch ein Blumenmeer von 416 Vergissmeinnicht – eine pro Abgeordnete*n – und der Übergabe einer Blume an Fraktionsvertreter*innen vor dem Reichstag an ihr Versprechen erinnert.

Aktuell warten zehntausende Familien, die durch Flucht und Verfolgung getrennt wurden, darauf, in Deutschland wieder vereint zu werden. Vor allem rechtliche Regelungen verhindern, dass ihr Familiennachzug schnell, rechtssicher und human erfolgen kann. So ist bei Kriegsflüchtlingen, die subsidiären Schutz erhalten, der Nachzug auf 1.000 Personen im Monat beschränkt und an zusätzliche Bedingungen geknüpft. Bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die etwa aufgrund von drohender Zwangsrekrutierung oder Zwangsverheiratung aus Ländern wie Afghanistan oder Somalia allein fliehen mussten, haben zwar die Eltern, nicht aber die Geschwister ein Recht auf Familiennachzug. Lange Verfahrensdauern aufgrund mangelnder Digitalisierung und langsam arbeitender Behörden verzögern den Familiennachzug teils um mehrere Jahre und halten die Betroffenen in einem schier endlosen Wartezustand.

„Jeder Tag, an dem geflüchtete Kinder und Jugendliche von ihren Familien getrennt sind, ist einer zu viel“, erklärt Sophia Eckert, Referentin für Migration und Flucht bei terre des hommes. „Das gilt nicht nur für Ehepartner*innen, Eltern und Kinder, sondern auch für Geschwister. Eine von terre des hommes in Auftrag gegebene Forsa-Umfrage zeigt: Die enge aufenthaltsrechtliche Definition von Familie, die Geschwister ausschließt, ist nicht mehr zeitgemäß. Über zwei Drittel der Befragten befürworten den Geschwisternachzug, 96 Prozent und damit nahezu alle Befragten gaben an, dass Geschwister für Kinder nach ihrer Meinung zur Kernfamilie gehören. Als Teil der Kernfamilie müssen auch sie endlich, genau wie die Eltern, ein Nachzugsrecht erhalten. Entsprechende Erleichterungen aus dem Koalitionsvertrag müssen unverzüglich umgesetzt werden“, so Eckert.

Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag 2021 versprochen, die beschriebenen Missstände aufzuheben, den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten und den Geschwisternachzug zu erleichtern sowie Verfahren zu beschleunigen und zu digitalisieren. Doch die Umsetzung in gesetzliche Regelungen blieb bislang aus.

„Die notwendigen Verbesserungen beim Familiennachzug waren eines der zentralen Versprechen des Koalitionsvertrags in Asylfragen. Es ist unsäglich, dass die Bundesregierung diese Verbesserungen weiter verzögert und stattdessen nun neue Verschärfungen bei der Abschiebungshaft plant. Dass nach Deutschland geflüchtete Menschen etwa aus Afghanistan oder Eritrea mehrere Jahre auf ihre Kinder oder Ehepartner*innen warten müssen, ist für sie persönlich und integrationspolitisch eine Katastrophe“, kommentiert Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL.

Der Koalitionsvertrag war für zehntausende auf der Flucht getrennte Familien ein Hoffnungsschimmer. Es ist aktuell nicht absehbar, wann dieses Vorhaben nun endlich angegangen wird. PRO ASYL und terre des hommes fordern die Bundesregierung auf, diese unhaltbare Situation zu beenden und durch entsprechende gesetzliche Veränderungen beim Familiennachzug das Recht auf Familienleben der Betroffenen und die damit verbundenen Kinderrechte endlich angemessen zu würdigen.


Flüchtlingsgipfel – Analyse der Ergebnisse

Auf dem Flüchtlingsgipfel der Ministerpräsident*innen mit Bundeskanzler Scholz am 10. Mai wurde sich auf einige umfassende Rechtsverschärfungen geeinigt. PRO ASYL bezeichnet die Ergebnisse als einen „menschenrechtlichen Dammbruch, der den Koalitionsvertrag der Regierung konterkariert“. Verschärfungen wurden unter anderem in den Bereichen Abschiebung und Abschiebungshaft beschlossen. Auch einigte man sich auf verstärkte Grenzkontrollen sowie eine verschärfte Überwachung der deutschen Binnengrenzen. Die Ministerpräsident*innenkonferenz schloss sich auch den aktuellen Reformvorhaben des Europäischen Asylsystems an, die u.a. Asylverfahren an den EU-Außengrenzen unter Haftbedingungen vorsehen. Die auf dem Flüchtlingsgipfel beschlossenen Änderungsvorhaben bedürfen zum Teil intensiver Gesetzesänderungen, sie sind also nicht ohne Weiteres gültig. PRO ASYL und Berlin.hilft analysieren die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels und nehmen eine kritische Einordnung vor. Auch Jusos und Grüne Jugend kritisieren die Beschlüsse.



PRO ASYL: Wenn Menschenrechte verschwinden: Wir wollen ein anderes Europa!

Ein Horrorszenario droht – und das mit Unterstützung der Bundesregierung: Flüchtlinge erreichen einen Staat an der EU-Außengrenze. Sie bitten um Asyl. Sofort werden sie inhaftiert. Alles, was sie ab diesem Moment von Europa noch zu sehen bekommen, sind Mauern, Stacheldraht und Sicherheitspersonal. Das soll jetzt Realität in der EU werden. Denn die Ampel-Koalition hat ihre im Koalitionsvertrag verankerte Position geändert: Innenministerin Nancy Faeser will den geplanten Grenzverfahren nun doch zustimmen.

Was in der Debatte als »Asylverfahren an den Außengrenzen« bezeichnet wird, hat mit einem fairen, rechtsstaatlichen Vorgang nichts zu tun. Geflüchtete erwartet vielmehr ein Schnellverfahren, an dessen Ende für viele die direkte Abschiebung in einen sogenannten »sicheren Drittstaat« steht, weil ihr Asylantrag als »unzulässig« abgelehnt wird. Ohne inhaltliche Prüfung der Fluchtgründe.Dagegen müssen wir protestieren – und die Zeit drängt, denn schon am 8. Juni wollen die Innenminister*innen im EU-Rat darüber entscheiden! Bitte setzt euch also JETZT mit uns für die Rechte von Geflüchteten ein und schickt über unser Tool E-Mails an die Parteivorstände von SPD, Grünen und FDP.



OVG NRW: Rundschreiben laufende Flugabschiebungen

Eine Flugabschiebung ist erst dann abschließend vollzogen, „wenn der Ausländer die Transitzone des Zielflughafens verlassen hat und sich wieder im Hoheitsgebiet des Abschiebezielstaats befindet“. Das erläuterte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) in einem Rundschreiben an alle Ausländerbehörden in Nordrhein-Westfalen am 11. November 2022. Das Abschiebungsreporting NRW veröffentlicht das Rundschreiben, um es der allgemeinen Öffentlichkeit und interessierten Fachkreisen zur Verfügung zu stellen, da es eine hohe Praxisrelevanz hat.

Eine Zusammenfassung der Bewertung des Abschiebungsreporting NRW veröffentlichen wir hier, denn auch für die Abschiebungspraxis in BW sind die Einschätzungen des OVG NRW nützlich.

Auch kurz vor oder während laufender Abschiebungen ist jederzeit Rechtsschutz vor den deutschen Verwaltungsgerichten möglich. Wegen der regelmäßigen Nichtankündigung von Abschiebeterminen werden die Gerichte teils sehr kurzfristig angerufen. Kommt es dann zu einer gerichtlichen Entscheidung, dass eine Abschiebung unterbleiben oder abgebrochen werden muss, stellt sich die Frage, wie dies in der Praxis von den Behörden umgesetzt wird, um die Rechte der betroffenen Menschen zu gewährleisten.

Das OVG NRW führt nun aus, wie die dortigen Ausländersenate des Gerichtes zukünftig „bei Abschiebungsschutzgesuchen in Fällen einer Flugabschiebung bei unmittelbar bevorstehendem Start des Flugzeugs“ regelmäßig verfahren wollen: es werde eine „Garantieerklärung der beteiligten Ausländerbehörde eingefordert, dass die Abschiebung (auch nach Abheben des Flugzeugs) bis zu deren Vollzug abgebrochen und der Ausländer „zurückgeholt“ werden“ könne. Werde eine solche Garantieerklärung nicht unverzüglich abgegeben, müsse „die Ausländerbehörde damit rechnen, dass zur Verhinderung einer Rechtsvereitelung ein sog. „Hängebeschluss“ erlassen werde, sofern die Beschwerde nach erster überschlägiger Prüfung der Beschwerdebegründung nicht erkennbar aussichtslos“ sei. Das hieße dann, die Abschiebung würde vorläufig ausgesetzt, um die Rechte der Betroffenen von vornherein zu schützen.
Weiterhin macht das OVG NRW in dem Rundschreiben deutlich, dass eine gerichtliche einstweilige Anordnung, „mit der eine Abschiebung bzw. deren Abbruch verfügt wird, sofort vollziehbar und damit von der Ausländerbehörde umgehend umzusetzen“ sei. Eine Beschwerde zum OVG NRW habe keine aufschiebende Wirkung.
Weiterhin führt das OVG NRW in dem Rundschreiben aus, dass „erhebliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Übertragung behördlicher Vollstreckungsmaßnahmen (wie der Abschiebung) auf dritte jedenfalls dann bestehen, wenn die zuständige Behörde die Vollstreckungsmaßnahme nicht bis zu deren abschließendem Vollzug unter Kontrolle halten „könne.

Das OVG NRW wirft in seinem Rundschreiben also wichtige Praxisfragen auf. Denn: gerade kommunale Ausländerbehörden übertragen bei Abschiebungen oft eine Fülle an Aufgaben auf andere Stellen. Oft übernehmen die Zentralen Ausländerbehörden in NRW den Abschiebevollzug bis zum Flughafen, die Bundespolizei begleitet viele Flüge. Und die europäische Agentur Frontex bekommt zunehmend mehr Aufgaben bei Sammelabschiebungen, organisiert und finanziert diese, vielfach auch als gemeinsame „Maßnahme“ mehrerer EU-Mitgliedstaaten.



Online-Seminar: Leben unterm Minimum? – Das AsylbLG im Lichte verfassungsrechtlicher Anforderungen

„Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativeren.“ Mit diesen Worten stellte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits 2012 klar, dass das Existenzminimum von Asylsuchenden und Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus anhand des tatsächlichen Bedarfs zu bemessen ist.  Dennoch reizt der Gesetzgeber mit dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) auch mehr als ein Jahrzehnt später die Anforderungen an das menschenwürdige Existenzminimum auf’s Äußerste aus und überschreitet bisweilen die Grenze zur Verfassungswidrigkeit. Das verdeutlicht der aktuelle Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Sonderbedarfsstufe nach § 2 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 AslybLG.

Dieser Workshop möchte die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Existenzminimum von Asylsuchenden nachzeichnen und aufzeigen, wie sich verfassungsrechtliche Argumente in der Beratungssituation einsetzen lassen. Neben den Auswirkungen der Entscheidung zur Sonderbedarfsstufe auf die Rechtspraxis ist hierbei auch auf das anhängige Verfahren beim BVerfG zur Bemessung der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG sowie auf die bislang ungeklärte Frage der Verfassungsmäßigkeit der Leistungseinschränkungen nach § 1a AsylbLG einzugehen.

Referent: Julian Seidl (Wissenschaftlicher Mitarbeiter Goethe-Universität Frankfurt a.M.)

Anmeldung: E-Mail an info@fluechtlingsrat-bw.de

Die Veranstaltung richtet sich in erster Linie an ehrenamtlich Engagierte in der Geflüchtetenarbeit. Sie wird mit Zoom durchgeführt und ist kostenlos. Hinweise zum Datenschutz finden Sie hier. Die Teilnahme am Online-Seminar erfolgt am PC. Sie benötigen dazu einen gängigen Internetbrowser, eine stabile Internetverbindung und einen Kopfhörer bzw. Lautsprecher.

Sie erhalten die Zugangsdaten spätestens am Tag vor der Veranstaltung. Bitte beachten Sie: Für die Teilnahme an kostenlosen Online-Seminaren stellen wir keine Teilnahmebestätigungen aus. Von entsprechenden Anfragen bitten wir abzusehen.

Die Veranstaltung findet im Rahmen des Projekts „Aktiv für Flüchtlinge“ statt, unterstützt durch das Ministerium der Justiz und für Migration aus Landesmitteln, die der Landtag Baden-Württemberg beschlossen hat.


Mehrsprachige FAQs für geflüchtete Menschen mit Behinderung

Die Lebenssituation von geflüchteten Menschen mit einer Behinderung ist sehr komplex und nicht zu allen Leistungen der Behindertenhilfe haben auch geflüchtete Menschen mit einer Beeinträchtigung Zugang. Handicap International stellt auf der Homepage der Organisation Antworten auf die am häufigsten gestellten Fragen rund um Themen wie Aufenthaltstitel, medizinische Versorgung oder Zugang zu Teilhabeleistungen zur Verfügung. Diese sind auf Deutsch, Englisch, Arabisch, Farsi und Kurdisch verfügbar.


Sprachmittlung für geflüchtete Menschen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte

Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte beschreiben das Menschenrecht, frei und selbstbestimmt über den eigenen Körper, die Sexualität, Gesundheit und Reproduktion zu entscheiden. Insbesondere geflüchtete Frauen und queere Geflüchtete sind beim Zugang zu diesen Rechten jedoch häufig mit erheblichen Barrieren konfrontiert. Für viele Menschen sind die Themenbereiche der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte sensible Bereiche, häufig betreffen diese Themen belastende Situationen. Für Menschen, die auf eine Sprachmittlung angewiesen sind, ist eine sensibilisierte und qualifizierte Sprachmittlung umso wichtiger. Die vorliegende Arbeitshilfe gibt Handlungsempfehlungen für die Praxis der Sprachmittlung im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte. Als Leitfaden richtet sie sich direkt an Sprachmittler*innen, die in diesem Themenbereich mit geflüchteten Menschen arbeiten (möchten). Sie dient aber auch als Orientierung für alle Interessierten in Beratungsstellen und einschlägigen Institutionen, die bereits Sprach- und Kulturmittler*innen einsetzen oder sie gerne in Zukunft einsetzen möchten.