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Eine unheilige Allianz

Kürzlich hat die Regierung von Oberfranken in Bayern die Zusammenarbeit mit dem Arzt Dr. Richard Barabasch beendet. Geflüchtetensolidarische Organisationen hatten herausgefunden, dass der Arzt, der im Auftrag von Behörden Atteste zur Reisefähigkeit im Kontext von Abschiebungen erstellt hatte, flüchtlingsfeindliche und verschwörungstheoretische Aussagen getätigt hatte und Vorstandmitglied eines Vereins gewesen war, der Berührungspunkte zur AFD hat.

Aus baden-württembergischer Sicht ist dies bedeutsam, weil Barabasch lange Zeit in Baden-Württemberg tätig war, und die gleiche Arbeit im Auftrag des Regierungspräsidiums Karlsruhe geleistet hat. Zudem hatte er 2018 gegenüber den Badischen Neuesten Nachrichten behauptet, es würden im großen Stil – konkret „in vier von fünf Fällen“ – „Scheinatteste“ ausgestellt werden, um Abschiebungen zu verhindern. In dem von Dominic Körner verfassten Artikel wurden Barabaschs Aussagen unhinterfragt und unwidersprochen wiedergegeben. Die naheliegenden Fragen, wie es angesichts der mittlerweile sehr hohen und spezifischen Anforderungen an Atteste so einfach möglich sein soll, Scheinatteste auszustellen und warum die Behörden solche Atteste akzeptieren, wenn sie doch die Möglichkeit haben, eigene Gutachten – beispielsweise von Dr. Barabasch – in Auftrag zu geben, hat Körner nicht gestellt. Die journalistische Sorgfaltspflicht hätte es geboten, anderen Organisationen oder Akteur*innen – beispielsweise den Psychosozialen Zentren oder dem Flüchtlingsrat – Gelegenheit zu geben, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Obwohl Körner für diesen Artikel auch mit dem Flüchtlingsrat Kontakt hatte, waren die Vorwürfe von Barabasch dabei kein Thema. Das ist schlechter und verantwortungsloser Journalismus.

Barabaschs Vorwürfe haben nach Erscheinen des Artikels starke Reaktionen hervorgerufen. Die AfD stellte im Landtag eine Anfrage zum Thema und erstattete öffentlichkeitswirksam Strafanzeige gegen den Verein zur Unterstützung traumatisierter Migranten. Weit weniger öffentlichkeitswirksam erfolgte mittlerweile die Einstellung der Ermittlungen wegen des Fehlens eines hinreichenden Verdachts einer Straftat. Doch nicht nur die AfD griff die Steilvorlage auf. Der CDU-Landtagsabgeordnete Tobias Wald wiederholte die Anschuldigungen von Barabasch in einem Brief an Innenminister Strobl und richtete Vorwürfe an den Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, der angeblich „vor bevorstehenden Abschiebungen warnen“ würde. In einem Artikel im „Focus“ im Mai 2018 formulierte Barabasch seine verschwörungstheoretischen Ansichten noch deutlicher aus: es gebe „eine gut organisierte Anti-Abschiebe-Industrie“, in dem „unter dem Deckmantel der Menschlichkeit“ „getrickst, gelogen und verzögert“ werde – „alles mit dem Ziel, sich die Taschen vollzustopfen.“

Die Empörungsspirale drehte sich weiter. Als nächster griff Rainer Wehaus in der Stuttgarter Zeitung die Vorlage auf und mutmaßte darüber, dass die Kürzung der Landesförderung für den Flüchtlingsrat damit zusammenhängen würde, dass dieser als Teil eben jener „Anti-Abschiebe-Industrie“ wahrgenommen werde. So würde es zumindest „hinter vorgehaltener Hand“ heißen. Die gleichen gute Verbindungen ins Innenministerium, die es Wehaus ermöglichten, zu wissen, was dort „hinter vorgehaltener Hand“ gesagt wurde, haben offenbar mehr als einmal zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium und dem ihm nahestehenden Journalisten geführt: Nachdem die GEW und der Flüchtlingsrat 2017 einen Leitfaden für Lehrkräfte zum Thema Abschiebungen aus Schulen herausgebrachten hatten, erhielten die Vorsitzenden der beiden Organisationen einen Brief vom damaligen Staatssekretär im Innenministerium, Martin Jäger, der unter anderem den Vorwurf erhob, man würde die Lehrkräfte „zum Rechtsbruch anstiften“. Am gleichen Tag, als der Brief beim Flüchtlingsrat im Briefkasten lag, stand in den Stuttgarter Nachrichten ein Artikel, der in einem aufgeregten Ton über den Streit berichtete und ausführlich aus dem Brief zitierte – obwohl der Brief nicht als öffentlich oder als an andere Personen als die beiden Vorsitzenden verschickt gekennzeichnet war. Autor des Artikels: Rainer Wehaus.

Übrigens: Auf ihre Nachfrage, welche Inhalte der Broschüre konkret als Anstiftung zum Rechtsbruch betrachtet werden, hat die GEW-Vorsitzende nie eine Antwort bekommen. Möglicherweise steckte hinter dem Brief weniger der Wunsch, mit der GEW und dem Flüchtlingsrat über den Inhalt des Leitfadens zu kommunizieren, als eher der Wunsch, einen Anlass zu haben, um mit Unterstützung eines politisch nahestehenden Journalisten einen Skandal öffentlichkeitswirksam herbeizuschreiben. Dass dieser vermeintliche Skandal in Wahrheit keiner ist, muss ja niemand erfahren. Die Wirkung entfaltet sich bereits durch die Behauptung.

Das ist der gleiche Effekt, der sich auf Bundesebene beispielsweise beim vermeintlichen Bremer BAMF-Skandal gezeigt hat. Nach all den Vorwürfen, Diffamierungen und verbalen Eskalationen („hochkriminell und bandenmäßig“) und nachdem sowohl die Leiterin der BAMF-Außenstelle Bremen als auch die BAMF-Präsidentin in Zusammenhang mit den Vorwürfen ihre Stellen verloren haben, wissen wir, dass von den Vorwürfen so gut wie nichts mehr übrig geblieben ist – außer der von ihnen erzielten Wirkung durch ihre Rezeption und Weiterverbreitung in Politik und Medien. Die weniger spannende Information, wie sich die Vorwürfe in den letzten Jahren nach und nach immer mehr in Luft aufgelöst haben, stehen weder auf der Titelseite der BILD noch werden sie von profilierungssüchtigen Abgeordneten von CDU und AfD als Anlass genommen, um markige Pressemitteilungen rauszuhauen und Konsequenzen zu fordern. Und auch sonst so skandalfreudige Lokaljournalisten wie Dominic Körner und Rainer Wehaus packt bei diesem Skandal die Schreibwut nicht.

Die Liste der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen, das Muster ist im Grund gleich: Zweifelhafte Anschuldigungen werden von zweifelhaften Akteuren erhoben, durch schlechten Journalismus unhinterfragt in der Öffentlichkeit kolportiert und von politisch interessierter Seite rezipiert, um Skandale herbeizureden und Konsequenzen zu fordern. Diese unheilige Allianz zwischen bestimmten Akteuren in Medien, Politik und Gesellschaft weiß, dass die Vorwürfe nicht stimmen müssen – es reicht, wenn sie bestimmte Narrative bedienen, dann werden sie von genügend Leuten geglaubt. Genau diese Leute erzeugen die gesellschaftliche Stimmung, die die Politik „zum Handeln zwingt“. Sie erzeugen sie mit wütenden Äußerungen, z.B. in sozialen Medien oder in Briefen an die beteiligten Akteure. Jedes Mal, wenn es eine auffällige Häufung der wütenden Zuschriften an den Flüchtlingsrat gibt, schauen wir nach, ob die BNN mal wieder was über uns geschrieben haben – eine gewisse Korrelation scheint nicht unplausibel.

Nach diesem Schema wurde in den vergangenen Jahren ein ums andere Mal die entsprechende gesellschaftliche Stimmung erzeugt, um Verschärfungen des Asyl- und Aufenthaltsrechts eiligst durchs Parlament zu peitschen – mit realen Auswirkungen für reale Menschen. Beispielsweise für schwer kranke Menschen, denen es aufgrund der realitätsfremden Anforderungen an ärztliche Atteste kaum möglich ist, Abschiebungshindernisse geltend zu machen. Diese Menschen leben in ständiger Angst vor einer Abschiebung oder werden gar abgeschoben in eine lebensbedrohliche Situation. Es sei an der Stelle an Sali Krasniqi erinnert, der wenige Monate nach seiner Abschiebung verstarb, an den Parkinson-erkrankten und pflegebedürftigen Rentner Slave Stojanovski, der 2018 aus Stuttgart abgeschoben wurde, oder auch an die schwer kranke Jesidin in Nürnberg, die Richard Barabasch entgegen einer fachärztlichen Beurteilung zur Abschiebung freigegeben hat – mit einem fragwürdigen Gutachten, das letztlich die Kette der Ereignisse in Gang gesetzt hat, die zur Beendigung der Zusammenarbeit mit Barabasch seitens der bayerischen Behörden geführt hat. Sämtliche genannten Akteure der aggressiven Empörungsindustrie tragen eine Mitschuld am Schicksal dieser Menschen.

Übrigens ist der Artikel in der BNN vom 23. Januar 2018 mit den Vorwürfen von Dr. Richard Barabasch zu vermeintlichen „Scheinattesten“ seit einiger Zeit von der Website der Zeitung verschwunden.

Rainer Wehaus, der als Redakteur der Stuttgarter Nachrichten neben den bereits erwähnten Beiträgen unter anderem auch Kommentare mit Überschriften wie „Abschieben!“ oder „Merkels Flüchtlingspolitik ist gescheitert“ geschrieben hat, hat mittlerweile eine neue Position gefunden, von der aus er seine politische Agenda verfolgen kann – als Pressesprecher der CDU-Landtagsfraktion.

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg bittet alle (z.B. Anwält*innen, Beratungsstellen, Haupt- und Ehrenamtliche), die in Fällen involviert waren, in denen Atteste von Dr. Richard Barabasch eine Rolle gespielt haben, sich zu melden, am besten per Email an info@fluechtlingsrat-bw.de.

Mehrere Medien haben bereits über den Fall berichtet:

https://rdl.de/beitrag/abschiebearzt-hatte-auch-baden-w-rttemberg-gegen-fl-chtlingssolidarit-t-gewettert

https://www.deutschlandfunk.de/deutschland-heute.1665.de.html

https://www.infranken.de/lk/bamberg/bamberg-nach-schweren-vorwuerfen-regierung-stoppt-zusammenarbeit-mit-arzt-art-5211345

https://www.br.de/nachrichten/bayern/arzt-darf-nicht-mehr-fuer-auslaenderbehoerde-begutachten,SXt8FzH

https://www.nordbayern.de/region/nuernberg/abschiebung-fluchtlingshelfer-in-nurnberg-erheben-schwere-vorwurfe-1.11082597


Bundesrat soll Abschiebungshaft für Kinder ausschließen

Die Landesflüchtlingsräte und PRO ASYL begrüßen die Initiative Schleswig-Holsteins im Bundesrat, die Inhaftierung von minderjährigen Kindern und Jugendlichen – allein oder im Familienverbund – zwecks Abschiebung grundsätzlich gesetzlich auszuschließen.

Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg, erklärt dazu: „Die Landesflüchtlingsräte lehnen Abschiebungshaft und erst recht die Inhaftierung von Familien und Minderjährigen grundsätzlich ab. Als Flüchtlingsrat Baden-Württemberg begrüßen wir ausdrücklich, dass die neue Grün-Schwarze Landesregierung im Koalitionsvertrag klar formuliert hat, dass sie Abschiebungshaft für Minderjährige ablehnt, und dass diesen Worten Taten folgen werden in Form der Zustimmung Baden-Württembergs zum Antrag aus Schleswig-Holstein bei der Abstimmung im Bundesrat.

Nach den Regelungen der UN-Kinderrechtskonvention, an die Deutschland völkerrechtlich gebunden ist, sei eine Inhaftierung von Minderjährigen vor einer geplanten Abschiebung unverhältnismäßig und ein Verstoß gegen das Kindeswohl.

Dem trage der Antrag im Bundesrat Rechnung, erklärt Günter Burkhardt, Geschäftsführer bei PRO ASYL: „Wir fordern alle Landesregierungen auf, dem Vorhaben am Freitag zuzustimmen, damit der Bundestag diese überfällige Gesetzesänderung noch vor der Sommerpause beschließen kann!“

Die Landesflüchtlingsräte und PRO ASYL weisen darauf hin, dass der vorliegende Gesetzesantrag die Frage der möglichen Inhaftierung von Minderjährigen an Flughäfen (§ 18a AsylG) außen vorlässt. Die Verbände fordern, dass Haft Minderjähriger zwecks Abschiebung ausnahmslos gesetzlich untersagt wird und dieser Passus daher in den Gesetzentwurf aufgenommen wird.

Geflüchtete Kinder und Jugendliche sind regelmäßig aufgrund der Erlebnisse ihrer nicht selten lebensgefährlichen Flucht schwer belastet und traumatisiert“, mahnt Seán McGinley. Diese Kinder daraufhin neben der zwangsweisen Abschiebung auch noch der Inhaftierung anheim zu stellen, sei als strukturelle Körper- und Kindeswohlverletzung entschieden abzulehnen.

Auch das Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention stehen der Inhaftierung Minderjähriger deutlich entgegen. Der Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit verbietet die Zivilhaft für Minderjährige in praktisch allen Fällen. Minderjährige Geflüchtete sind besonders Schutzbedürftige gemäß Art. 21 der EU-Aufnahmerichtlinie.


LSG SH: Unvollständige Rechtsbehelfsbelehrung unter Bescheiden verhilft zur Jahresfrist

Nach Auffassung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts ist die bundesweit vielfach genutzte Rechtsbehelfsbelehrung, mit der Jobcenter nur Rechtsanwält*innen den elektronischen Weg für Widersprüche eröffnen, unvollständig. Über § 66 Abs. 2 SGG sei damit die Jahresfrist für das Rechtsmittel eröffnet. Dem Jobcenter sei es konkret verwehrt, den Zugang für die elektronische Kommunikation auf einen bestimmten Kreis potentieller Absender zu beschränken.

Praktische Bedeutung hat dieses Thema immer dann, wenn Anwält*innen oder Beratungsstellen mit Bescheiden konfrontiert werden, die außerhalb der Monatsfrist des Widerspruchs liegen.

Gerade unter den Bedingungen der Pandemie, während der es vielen Betroffenen nicht möglich war, zeitnah eine Beratungsstelle aufzusuchen, sind „verloren“-geglaubte Fälle nunmehr noch anfechtbar. Das ist insofern wichtig, da ein nachträglich eingereichter Widerspruch, wenn er in der Jahresfrist liegt, aufschiebende Wirkung hat.

Thomé Newsletter 18/2021, 09.05.

Den Beschluss des LSG SH vom 06. Mai 2021 finden Sie hier


Refugio sucht Sprachmittler*innen

Das psychosoziale Zentrum Refugio sucht Sprachmittler*innen für verschiedene Sprachen an den Standorten Stuttgart und Tübingen.

Die SprachmittlerInnen werden in drei Modulen a 2,5 Stunden geschult, um gut vorbereitet zu sein für den Einsatz in Beratung und Therapie. Die Module umfassen die Themen „Einführung in die Arbeit als Sprachmittle*-in im Kontext von refugio stuttgart e.v.“, „Sprachmitteln in der traumaspezifischen Therapie und Beratung“ und „Umgang mit schwierigen Situationen beim Sprachmitteln im therapeutischen Kontext“. Darüber hinaus gibt es Vertiefungsseminare, beispielsweise zu den Themen Asylrecht und Selbstfürsorge.

Ausführliche Informationen


Online-Workshop: „Verschwörungsmythen und Antisemitismus“

Nach einem Jahr Pandemie haben Verschwörungsmythen Hochkonjunktur. In Zeiten der Unsicherheit geben sie scheinbare Orientierung und liefern einfache Erklärungen für komplexe Zusammenhänge. Außerdem sind sie wichtiger geworden als verbindendes Element der politischen Rechten und als Mobilisierungsthema für AfD und Co. Wenngleich Verschwörungsdenken und Antisemitismus keine neuen Phänomene sind, kamen im vergangenen Jahr breitere Kreise der Bevölkerung damit in Berührung, sind im eigenen Umfeld mit entsprechenden Aussagen konfrontiert und motiviert, dagegenzuhalten. Daran knüpft dieser Workshop an und möchte Menschen befähigen und bestärken, sich einzumischen und das Wort zu ergreifen.

Die Veranstaltung wird von „Exil – Osnabrücker Zentrum für Flüchtlinge e.V.“ organisiert und von Referierenden des Bündnisses „Aufstehen gegen Rassismus“ geleitet.
Wir freuen uns über eine verbindliche Anmeldung via Email an: ehrenamt@exilverein de


Neues Informationsportal zum Thema „Geflüchtete Menschen mit Behinderung“

Mit der Roadbox hat Handicap International ein Portal mit Informationen zum Thema Geflüchtete mit Behinderung veröffentlicht. Die Roadbox ist ein barrierefreies Online-​Themenportal mit mehr als 30 Texten, Videos, Checklisten und Handlungsempfehlungen, das Handicap International in Zusammenarbeit mit renommierten Fachautor*innen erarbeitet hat. Das Portal bietet Informationen zu Themen wie Asylverfahren, Anspruchsgrundlagen für Leistungen, Leistungsdurchsetzung, Spracherwerb und Empowerment und wurde im Rahmen des Projekts Crossroads | Flucht. Migration. Behinderung. von Handicap International entwickelt.

  • Handicap International, April 2021: Roadbox

Online-Seminar: Der Weg zur Niederlassungserlaubnis

Die Niederlassungserlaubnis ist ein unbefristeter Aufenthaltstitel, den Personen mit einer Aufenthaltserlaubnis erhalten können, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Diese Voraussetzungen sind unterschiedlich, je nachdem, welche Aufenthaltserlaubnis die Person hat. In diesem Online-Seminar werden die unterschiedlichen Voraussetzungen für die Niederlassungserlaubnis, die je nach „Ausgangslage“ gelten, vorgestellt und erklärt.

Die Infoveranstaltung richtet sich in erster Linie an ehrenamtlich Engagierte in der Flüchtlingsarbeit. Sie wird mit Zoom durchgeführt und die Teilnehmenden erhalten die Zugangsdaten nach Anmeldung einen Tag vor dem Seminar.

Referent: Seán McGinley, Flüchtlingsrat BW

Das Online-Seminar findet im Rahmen des Projekts „Aktiv für Flüchtlinge“ statt, gefördert vom Land Baden-Württemberg, Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration mit Unterstützung der UNO Flüchtlingshilfe und der Deutschen Postcode-Lotterie.


Entscheidungsstopp und Leistungseinschränkungen: Anerkannte aus Griechenland

In Deutschland befinden sich im April 2021 12 100 Geflüchtete im Asylverfahren, die bereits in Griechenland eine Anerkennung erhalten haben (Flüchtlingseigenschaft oder subsidsiärer Schutz). Das BAMF hat die Entscheidungen über diese Asylanträge bereits seit knapp 1,5 Jahren „rückpriorisiert“. Es besteht also ein Entscheidungsstopp. Zugleich haben mehrere Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte bereits ergangene Unzulässigkeitsentscheidungen des BAMF aufgehoben: Anerkannte dürfen nicht nach Griechenland überstellt werden, da ihre Versorgung nicht gewährleistet ist. Mehr noch Anerkannten drohen dort Menschenrechtsverletzungen nach Artikel 3 der EMRK.

Geflüchtete, die in einem anderen europäischen Land internationalen Schutz bekommen haben, bekommen bei Asylantragstellung in Deutschland i.d.R. nur eingeschränkte Leistungen nach § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG. Von dieser Leistungseinschränkung ist aber bei Anerkannten aus Griechenland abzusehen, solange das BAMF nicht über ihre Asylanträge entscheidet. So ist es dem Bericht von der Sitzung der Länderarbeitsgemeinschat für Migration und Flüchtlingsfragen (ArgeFlü) vom 26.4.21 zu entnehmen.


Impfungen Geflüchteter in BW laufen langsam an

Bin ich impfberechtigt? Wann und wo bekomme ich einen Impftermin? Welche Nebenwirkungen haben die Covid-19 Impfstoffe? Solche Fragen stellen sich wohl viele Menschen in Deutschland in letzter Zeit. Für Haupt- und Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit liegt natürlich auch die Frage, welche Rechte und Möglichkeiten Geflüchtete im Hinblick auf die Covid-19 Impfungen in Baden-Württemberg haben, nahe.
Es ist nicht möglich, einen kompletten Überblick über den derzeitigen Impfstand Geflüchteter im Bundesland zu erhalten. Die Zahlen geimpfter Geflüchteter werden nicht überall erfasst, da die Impfentscheidung auf Freiwilligkeit beruht und kein zentrales Datensystem existiert. Außerdem ändern die Zahlen sich täglich, sodass maximal eine kurzfristige Momentaufnahme möglich wäre. Durch eine Anfrage an die zuständigen Ministerien, die Landkreise und die Sozialberater*innen in den Unterkünften hat der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg aber zumindest versucht, ein ungefähres Bild der derzeitigen Lage zeichnen zu können.

Impfanspruch seit Ende Februar

Bereits seit Ende Februar haben Personen, die in Gemeinschaftsunterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht sind, einen Anspruch auf eine Impfung gegen das Covid-19 Virus (§3 Abs. 1 Nr. 11 CoronaImpfV). Die Einstufung in die entsprechende Priorisierungsgruppe ist der erhöhten Ansteckungsgefahr durch die Art der Unterbringung geschuldet. Denn Bewohner*innen sind aufgrund der sozial beengten Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften besonders von einer Infektion mit dem Coronavirus bedroht.

Verzögerter Start der Impfungen

Trotzdem haben die für die Impfung Geflüchteter in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen zuständigen Ministerien sich erst Mitte März auf eine entsprechende Impfstrategie geeinigt. Für die Impfung von Personen, die in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind, sind die jeweiligen Landkreise verantwortlich. Die Impfungen der Betroffenen in Erstaufnahmeeinrichtungen sowie Gemeinschaftsunterkünften liefen größtenteils erst Anfang Mai an. Dementsprechend werden die Bewohner*innen der Unterkünfte trotz ihrer Zugehörigkeit zur Priorisierungsgruppe 2 faktisch parallel zur Priorisierungsgruppe 3 geimpft.

Informationen aus den Landkreisen

Grundlage für das Vorgehen der meisten Landkreise ist der Anfang des Jahres erschienene „Handlungsleitfaden zur aufsuchenden COVID-19-Impfung durch Mobile Impfteams in stationären Einrichtungen“ des Landes. Während die Impfungen in Gemeinschaftsunterkünften in den meisten Landkreisen im Mai begonnen haben sind sie in einigen Landkreisen bis heute lediglich in Planung. In der Regel erfolgen Impfungen nur in größeren Unterkünften mit einer ausreichenden Impfbereitschaft durch den Einsatz von mobilen Impfteams oder durch Sammeltermine in Impfzentren. Alternativ zu Sammelterminen können Betroffene eigenständig einen Impftermin in einem Impfzentrum oder in einer Arztpraxis ausmachen. Dies ist jedoch mit erheblichen Hürden verbunden und setzt entsprechende Informationen und sprachliche wie technische Fähigkeiten voraus. Dies zeigt, wie wichtig niedrigschwellige, aufsuchende und diversitätsorientierte Impfangebote sowie eine transparente und umfängliche Aufklärung sind.

Unzureichende Aufklärung & geringe Impfbereitschaft

Nach Aussage der Landkreise erfolgt eine Aufklärung über die Impfung durch Informationsmaterial in verschiedenen Sprachen. Eine lediglich auf Aushängen und Flyern basierende Aufklärung ist jedoch besonders für Analphabet*innen problematisch. Teilweise finden auch persönliche Gespräche zum Beispiel mit Dolmetscher*innen oder anderen Vertrauenspersonen statt. Eine solche Aufklärung ist allerdings lückenhaft geblieben. Viele kleinere und entferntere Unterkünfte bekamen bis heute keine koordinierte Aufklärung. Dort bleibt es den zuständigen Sozialarbeiter*innen überlassen, die Aufgaben der Gesundheitsämter zu übernehmen.

Eine unzureichende muttersprachliche Aufklärung kann mitunter Einfluss auf die Impfbereitschaft der Betroffenen nehmen. Sowohl aus den Landeserstaufnahmeeinrichtungen als auch aus vielen Gemeinschaftsunterkünften wird von einer geringen Impfbereitschaft der Betroffenen berichtet. Auch Falschinformationen, fehlendes Vertrauen, schlechte Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem, sowie indifferentes und vorschnelles Verhalten der Behörden im Krisenmanagement der Pandemie haben zu einem Misstrauen gegenüber der Impfung beigetragen.

Kontakt zu bereits geimpften Bewohner*innen sowie Impfungen durch Hausärzte, zu denen Geflüchtete bereits Vertrauen gefasst haben, wären aus Sicht des Flüchtlingsrates ein sinnvoller Weg, das Vertrauen in die Impfung zu stärken und die Impfbereitschaft zu erhöhen. 

Forderungen des Flüchtlingsrates

In dieser Pandemie zeigt sich deutlich was schon länger bekannt ist: Die beengten Lebensbedingungen, welche Geflüchtete in BW jahrelang ertragen müssen, machen krank. Menschen, die in Gemeinschaftsunterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht sind, haben laut einer Studie des Kompetenznetzwerk Public Health COVID-19 ein erhöhtes Ansteckungsrisiko. Klar ist: Verzögerte Impfungen bedeuten eine direkte Gefährdung der Gesundheit Betroffener. Symptomatische Maßnahmen wie kostenlose Verteilung von FFP2-Masken, Screenings durch PCR-Testungen oder Antigen-Schnelltest, zeitnahe, niedrigschwellige und aufsuchende Impfangebote sowie Entzerrung der Unterkünfte und zügige Isolierung von infizierten Personen sind in der derzeitigen Situation unerlässlich und müssen sichergestellt werden, reichen aber nicht aus. Es braucht eine Abkehr vom derzeitigen Unterbringungssystem hin zu einer dezentralen Unterbringung von Geflüchteten. Entsprechende Forderungen hat der Flüchtlingsrat noch vor dem Corona-Ausbruch mit über 400 infizierten Geflüchteten in Ellwangen gestellt.


VG Freiburg: Abschiebeverbot Gambia aufgrund psychischer Erkrankung

Das Verwaltungsgericht Freiburg hat in seinem Urteil vom 23.2.21 einem traumatisierten Gambier ein Abschiebeverbot zugesprochen. Der Mann hatte in Gambia widerrechtliche Hinrichtungen miterleben müssen und leidet aufgrund dessen an einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung. Das Gericht evaluierte das mangelhafte Gesundheitssystem Gambias sowie den diskriminierenden Umgang der gambischen Gesellschaft mit psychisch Erkrankten. Es stellte fest, dass „bei dem Kläger eine erhebliche und konkrete Gefahr im Falle seiner Rückkehr nach Gambia vor[liegt]. Wegen seiner schweren psychischen Erkrankung und des zu befürchtenden Behandlungsabbruchs wäre im Falle einer Abschiebung des Klägers nach Gambia mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit mit einer alsbald eintretenden erheblichen Verschlimmerung der Erkrankung zu rechnen.“