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Stellungnahmen: Grundleistungen nach § 3 AsylbLG auf dem Prüfstand

Auf Grund von zu niedrigen Leistungen, Intransparenz, fehlenden Begründungen  und  massiver Benachteiligung von Leistungsbezieher*innen ist der Grundbedarf des AsylbLG als verfassungswidrig und diskriminierend einzustufen. Zudem haben Leistungskürzungen im Bereich Bildung und Teilhabe eine negative Wirkung auf die Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt.

Das Bundesverfassungsgericht prüft umfassend die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG, die Asylsuchende in den ersten 18 Monaten ihres Aufenthalts erhalten. Auch Geduldete erhalten unter Umständen diese Leistungen. Für das Verfahren wurden unter anderen Pro Asyl und das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) eingeladen, Stellungnahmen zu schreiben.

Volker Gerloff schreibt für Pro Asyl und stellt fest, dass es keine transparenten Begründungen und Nachweise für anscheinend geringere Bedarfe von Asylbewerber*innen und Geduldete gibt. Es kommt zu Bedarfsunterdeckungen und fehlerhaften Bescheiden. Bisher wurde politisch argumentiert, dass soziale Transferleistungen sogenannte Pull-Effekte für Migration auslösen. Dies wird durch die Migrationsforschung entkräftet, da es dazu keine empirisch belastbaren Befunde gibt, berichten Herbert Brücker und Philipp Jaschke für das IAB.

Deshalb fordert Pro Asyl, dass das AsylbLG abgeschafft wird und Geflüchtete in das reguläre Leistungssystem nach SGB II/XII aufgenommen werden.



Verlängerung Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung

Die Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung wurde bis zum 31. Mai 2023 verlängert. Sie war ursprünglich bis zum 28. November 2022 befristet. Somit sind nun bis zum 31.05.2023 weiterhin alle Personen, die sich am 24.02.2022 in der Ukraine aufgehalten haben, für einen Zeitraum von 90 Tagen ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Einreise in das Bundesgebiet vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit.


Online-Fortbildung: Hintergrundwissen und Informationen zum Umgang mit Betroffenen von weiblicher Genitalverstümmelung (FGM/C)

Immer wieder sind geflüchtete Frauen von weiblicher Genitalbeschneidung bzw. -verstümmelung betroffen. Sie sind ehrenamtlich in der Geflüchtetenarbeit engagiert und fragen sich, wie Sie betroffene Frauen unterstützen können? In unserer Online-Fortbildung liefern Ihnen unsere Referent*innen Milena Heidger und Ebou Sarr wichtige Hintergrundinformationen zum Thema FGM/C (female genital mutilation/cutting). Was genau ist FGM/C und welche unterschiedlichen Formen gibt es? In welchen Kontexten kommt es zu Genitalbeschneidung bzw. -verstümmelung und was sind die Folgen für die betroffenen Frauen, zum Beispiel bei Geburten? Welche Strategien gibt es in unterschiedlichen Ländern zur Bekämpfung von FGM/C und welche Rolle spielt dabei die Entwicklung alternativer Übergangsrituale? Welche Beratungsstellen und Präventionsmöglichkeiten gibt es in Baden-Württemberg? Unsere Referent*innen zeigen nicht nur Daten und Fakten rund um das Thema FGM/C auf, sondern vermitteln Ihnen auch Hilfreiches für den Kontakt zu betroffenen Frauen.

Referent*innen:
Milena Heidger ist ausgebildete Hebamme und Vorstandsmitglied im Freundeskreis Asyl Rottweil e.V.
Ebou Sarr ist Mitarbeiter beim Flüchtlingsrat Baden-Württemberg und Sozialarbeiter, Forscher und Ausbilder für Gesundheitsfachkräfte in den Bereichen Prävention, Management und Förderung eines alternativen Übergangsrituals zu FGM/C.

Die Veranstaltung wird mit Zoom durchgeführt und ist kostenlos. Hinweise zum Datenschutz finden Sie hier.

Über folgenden Link können Sie an der Veranstaltung teilnehmen: https://us06web.zoom.us/j/84413937831?pwd=TnFJSDNML1N2dHVKM3ppeFRHYm1Fdz09
Meeting-ID: 844 1393 7831
Kenncode: 237526
Schnelleinwahl mobil

Die Fortbildung findet im Rahmen des Projekts „Perspektive durch Partizipation“, gefördert durch die Aktion Mensch.


Wir fordern eine humanitäre Flüchtlingspolitik vom Land

Angesichts der weiterhin hohen Zugangszahlen von geflüchteten Menschen nach Baden-Württemberg lädt Ministerpräsident Winfried Kretschmann heute verschiedene staatliche, kommunale und zivilgesellschaftliche Akteur*innen zum Flüchtlingsgipfel ein. Zu diesem Anlass fordern der Paritätische Wohlfahrtsverband und der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg ein Umdenken in der Flüchtlingspolitik des Landes. Gute Aufnahmebedingungen und die Inanspruchnahme ihres Rechts auf Schutz vor Verfolgung müssen für alle Geflüchteten in Baden-Württemberg sichergestellt werden.

Wir begrüßen die Solidarität der Zivilgesellschaft und die politischen Entscheidungen auf EU-Ebene, welche zu einer vereinfachten Aufnahme von Ukrainer*innen in Deutschland geführt haben. Darüber darf jedoch nicht vergessen werden, dass auch in anderen Regionen der Welt Menschen tagtäglich durch Kriege und bewaffnete Konflikte zur Flucht gezwungen werden. Auch diesen Menschen gegenüber sollten wir uns solidarisch zeigen. Die jüngste Forderung der baden-württembergischen Justizministerin nach einem Stopp des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan ist völlig inakzeptabel und scharf zu verurteilen. „Schutzsuchende Menschen unterschiedlicher Herkunft dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden“, erklärt Anja Bartel, Geschäftsleiterin des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg. Darüber hinaus fordern wir, dass die Art und Weise, wie Ukrainer*innen aufgenommen wurde, als Positivbeispiel für die Aufnahme aller Geflüchteten im Land dient. „Es ist ethisch-moralisch nicht zu begründen, dass geflüchtete Menschen aufgrund ihrer Herkunft unterschiedlich behandelt werden“, so Lucia Braß, erste Vorsitzende des Flüchtlingsrats.

„Wir brauchen eine lösungsorientierte Debatte um die kommunale Unterbringung von allen Geflüchteten im Land. Dabei müssen Qualitätsstandards in der Unterbringung und begleitende Flüchtlingssozialarbeit für eine nachhaltige Integration berücksichtigt werden. Wir sehen Bund und Land in der Pflicht, die Kommunen hierfür finanziell entsprechend auszustatten“, erklärt Ulf Hartmann, Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Baden-Württemberg. „Wir benötigen eine humanitäre Flüchtlingspolitik, die nicht nach Aufnahmeprogrammen oder Herkunftsländern unterscheidet, sondern das Recht auf Schutz vor Verfolgung als ein unantastbares Menschenrecht anerkennt und dauerhafte Integration fördert“, so Hartmann.

Trotz der aktuellen Herausforderungen darf der öffentliche Diskurs nicht auf finanzielle Überforderung und Überlastung reduziert werden. Dies könnte in der Zivilgesellschaft zu einer verstärkten Abwehrhaltung gegenüber geflüchteten Menschen beitragen. Hier sehen wir die Landesregierung klar in der Verantwortung, die Notstandrhetorik nicht weiter zu befeuern, sondern flexible Unterbringungskonzepte zu erarbeiten, die Land und Kommunen in Zukunft besser auf die Unterbringung geflüchteter Menschen vorbereiten. Gemeinsam fordern der Paritätische Wohlfahrtsverband und der Flüchtlingstrat die Landesregierung dazu auf, die Realität aktueller und zukünftiger Fluchtbewegungen pragmatisch anzuerkennen und gute Aufnahmebedingungen für alle Geflüchteten zu schaffen.


Das Recht an den EU-Außengrenzen einhalten, nicht verbiegen

Seit Jahren verüben Mitgliedstaaten der Europäischen Union an den Außengrenzen der EU schwerwiegendste Menschenrechtsverletzungen. Statt frierenden Menschen in den Urwäldern zu Belarus medizinisch zu helfen und ihr Asylverfahren einzuleiten, prügeln polnische Grenzschützer sie über die Grenze zurück. Statt Menschen aus Seenot zu retten, drängt die griechische Küstenwache schutzsuchende Menschen auf der Ägäis Richtung Türkei.

Das ist eine Krise der Menschlichkeit und eine Krise der Menschenrechte. Es ist auch eine Krise des europäischen Rechtsstaats. Ob es noch eine Chance geben wird, dass sich Europa auf grundlegende Werte wie Menschenwürde und Flüchtlingsschutz zurückbesinnt, entscheidet sich auch in den nächsten Tagen.

Koalitionsvertrag umsetzen: „Das Leid an den Außengrenzen beenden“
Die Bundesregierung hat es sich mit dem Koalitionsvertrag zum Ziel gemacht, „die illegalen Zurückweisungen und das Leid an den Außengrenzen [zu] beenden“. Wie ernst es die Koalitionäre ein Jahr nach dem Koalitionsvertrag mit diesem Versprechen meinen, wird sich nun zeigen. Denn in Brüssel steht am 8. Dezember die Entscheidung über einen Gesetzesvorschlag an, der diesem Ziel grundlegend zuwiderläuft. Der Vorschlag namens Instrumentalisierungsverordnung legitimiert Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen und untergräbt fundamentale rechtsstaatliche Prinzipien in Europa. Die unterzeichnenden Organisationen fordern die Bundesregierung hiermit auf, am 8. Dezember klar und deutlich mit „‚Nein“ zu stimmen.

Recht einhalten, nicht verbiegen
Die Instrumentalisierungsverordnung sieht vor, europäische Vorschriften für Asylverfahren sowie für die Unterbringung und Versorgung von Schutzsuchenden weit unter jedes erträgliche Minimum abzusenken. Die Verordnung würde es durch die Schließung von Grenzübergängen für fliehende Menschen nahezu unmöglich machen, an den Außengrenzen einen Asylantrag zu stellen. Statt schutzsuchende Menschen zu schützen, erhöht die Verordnung sogar noch die Gefahr, illegal – und oft mit Gewalt – zurückgeschoben zu werden. Wenn es doch jemand schafft, einen Asylantrag zu stellen, erlaubt es die Verordnung, die Menschen bis zu fünf Monate zu inhaftieren. Dies betrifft auch Traumatisierte, Menschen mit Behinderung, Familien und allein fliehende Kinder. An den Grenzen werden die Bedingungen, wie auf den griechischen Inseln und anderswo häufig genug gesehen, absehbar menschenunwürdig sein. Notwendige unabhängige rechtliche Beratung oder medizinische und psychologische Unterstützung werden kaum
möglich sein.

Nein zur Instrumentalisierungsverordnung
Die Instrumentalisierungsverordnung droht, an den Außengrenzen den schon bestehenden Ausnahmezustand rechtlich zu zementieren. Das können und wollen wir nicht hinnehmen. Europäisches Recht muss wieder angewendet werden – die vorgelegte Verordnung verbiegt aber das Recht und gibt so denen, die es derzeit an den Außengrenzen brechen, recht. Die unterzeichnenden Organisationen fordern die Bundesregierung eindringlich auf, gegen diesen Vorschlag zu stimmen.

Gemeinsames Statement von 35 Organisationen


Teilweiser Abschiebestopp in den Iran

Die Innenminister*innen von Bund und Ländern haben sich in ihrer Herbstkonferenz (IMK) darauf geeinigt, vorerst keine Menschen mehr in den Iran abzuschieben. Dabei handelt es sich nicht um einen formalen Abschiebestopp gemäß § 60a Abs 1 Aufenthaltsgesetz. So sollen auch weiterhin Gefährder und Straftäter sowie Personen, die „hartnäckig ihre Mitwirkung an der Identitätsfeststellung verweigern“, abgeschoben werden. Mit dieser Entscheidung wird verkannt, dass allen Abgeschobenen im Iran Menschenrechtsverletzungen drohen. Einige Bundesländer haben einen eigenen Abschiebestopp erlassen, Baden-Württemberg gehört nach wie vor nicht dazu.


Online-Tagung: Menschenrechte im Mittleren Osten – Postmigrantische Rollenwechsel hier

Wieso müssen Menschen aus ihrer Heimat im Mittleren Osten fliehen? Wie gelingt Flüchtlingsschutz in einem Europa, das Grenzen schließt und in dem der Rassismus wieder gesellschaftsfähig wird? Vor welchen Herausforderungen stehen Geflüchtete im neuen Land? Und was können migrantische und nichtmigrantische Initiativen und Verbände GEMEINSAM unternehmen, damit geflüchtete Menschen hier einen guten Ort und ein gutes Leben finden? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der beiden Online-Abendveranstaltungen im Rahmen der digitalen Tagung der Evangelischen Akademie Bad Boll, bei der unter anderem der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg Kooperationspartner ist.

Programm und Anmeldung über die Website der Ev. Akademie Bad Boll


Familientrennung durch Abschiebung

Ende Oktober 2022 kam es in Baden-Württemberg bei einer Abschiebung nach Georgien zur Trennung einer Familie. Während die Polizei Mutter und Kinder im Alter von drei, fünf und sechs Jahren am frühen Morgen aus ihrer Unterkunft abgeholt hatte, wurde der Vater der Familie in Deutschland zurückgelassen.
Gegen fünf Uhr morgens drang die Polizei am 17.10.2022 in die Unterkunft der fünfköpfigen georgischen Familie in Baden-Württemberg ein, deren Asylantrag zu Beginn des Jahres endgültig abgelehnt worden war. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich Mutter und Kinder allein in der Unterkunft. Laut Berichten der Familie flehte die Mutter die Polizist*innen an, sie mögen mit der Abschiebung warten, bis ihr Ehemann zurückgekehrt sei. Die Beamten hätten ihr allerdings ihr Mobiltelefon abgenommen, so dass sie über keine Möglichkeit verfügte, diesen zu kontaktieren. Die Abschiebung der Mutter und Kinder sei in großer Hektik durchgeführt worden. In Georgien angekommen seien sie völlig mittellos sich selbst überlassen worden. Der Ehemann, der die gemeinsame Unterkunft bei seiner Rückkehr leer vorgefunden hatte, ist inzwischen „freiwillig“ nach Georgien ausgereist. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg verurteilt diese Abschiebepraxis aufs Schärfste. „Offensichtlich sind der Landesregierung Abschiebungen wichtiger als der Schutz der betroffenen Familien und Kinder. Ich bin immer wieder schockiert davon, welche menschlichen Tragödien in Kauf genommen werden, um die Abschiebezahlen zu steigern“, kommentiert Anja Bartel vom Flüchtlingsrat. Dass es im Vorfeld von Abschiebungen zur Beschlagnahmung von Handys kommt, hat der Flüchtlingsrat schon häufiger beobachtet. Dies sabotiert nicht nur die Möglichkeit der Betroffenen, einen Rechtsbeistand zu kontaktieren, sondern erschwert ihnen auch nach der Ankunft im Herkunftsland die Kontaktaufnahme zu Unterstützer*innen.
Grundsätzlich sind durch Abschiebung herbeigeführte Familientrennungen in Baden-Württemberg legal. Laut der baden-württembergischen Leitlinien zur Abschiebepraxis im Land sollen bei drohenden Familientrennungen allerdings die Grundsätze des Artikels 6 des Grundgesetzes zum besonderen Schutz der Familie sowie des Artikels 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention zum Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens berücksichtigt werden. „Dabei ist grundsätzlich fragwürdig, inwiefern sich diese Grundsätze überhaupt mit Familientrennungen vereinbaren lassen“, kommentiert Meike Olszak vom Flüchtlingsrat. Der Flüchtlingsrat fordert eine
grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem migrationspolitischen Instrument der Abschiebungen. Zahlreiche Studien haben die drastischen Auswirkungen, die Abschiebungen für Betroffene haben, zur Genüge untersucht. Insbesondere bei Kindern und Jugendliche hinterlässt diese menschenfeindliche Praxis langfristig Spuren.


Umfassende Analyse des Asylbewerberleistungsgesetzes

Seit 2015 werden Kürzungen im Asylbewerberleistungsrecht oft damit begründet, dass die Leistungesbezieher*innen geringere Bedarfe in ihrem Leben hätten als andere Menschen. Diese Annahme ist eine Behauptung, für die es keine Daten gibt, und dafür aber erhebliche Zweifel. Die Analyse schlüsselt die fehlenden und unzureichenden Begründungen auf und identifiziert sogar Mehrbedarfe statt geringere Bedarfe. Konkret geht es um Personen, die z.B. als Asylsuchende und Geduldete Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten.

Die Analyse basiert auf einer Stellungnahme, die für ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingeholt wurde. Hierüber hat das BVerfG inzwischen im Sinne der Leistungsbezieher*innen entschieden. Bevor die „Bedarfsposten“, aus denen sich die Regelsätze zusammensetzen, detailliert analysiert werden, ordnet der Autor das AsylbLG historisch ein mit Schwerpunkt auf den Gesetzesänderungen seit 2015.