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Aufnahme afghanischer Ortskräfte: das Ortskräfteverfahren muss dringend reformiert werden

Die in Kooperation mit PRO ASYL entstandene Expert Opinion „Grund- und menschenrechtskonforme Ausgestaltung der Aufnahme afghanischer Ortskräfte“ der Human Rights Clinic der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zeigt, dass Deutschland seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen für die Afghan*innen, die u.a. durch Ihre frühere Tätigkeit für eine deutsche Einrichtung gefährdet sind, nicht ausreichend nachkommt.

Die Aufnahme afghanischer Ortskräfte läuft im deutschen Recht über § 22 Satz 2 AufenthG. Eine Studie von PRO ASYL und FAU Erlangen-Nürnberg kommt zu folgenden Schlüssen:

  • Sowohl aus dem Grundgesetz, der Europäischen Menschenrechtskonvention als auch aus dem UN-Zivilpakt lassen sich extraterritoriale Schutzpflichten für Menschen ableiten, die früher für deutsche Organisationen gearbeitet haben. Deutschland ist für diese Menschen verantwortlich und damit rechtlich zu ihrer Aufnahme verpflichtet.
  • Die bisherige Definition der Ortskräfte im deutschen Ortskräfteverfahren ist zu eng, um alle Menschen in Afghanistan zu umfassen, die von den Schutzpflichten Deutschlands erfasst werden müssen.
  • Der § 22 Satz 2 AufenthG ist eine unpassende Rechtsgrundlage für das
    Ortskräfteverfahren, da die Aufnahme entsprechend dieses Paragrafens im Ermessen steht.
  • Die menschenrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands können zu einer
    Ermessensreduktion auf Null führen. In diesen Fällen muss § 22 Satz 2
    AufenthG menschenrechtskonform so ausgelegt werden, dass er einen
    Rechtsanspruch auf Aufnahme vermittelt
  • Das Ortskräfteverfahren weist Defizite auf (z.B. im Hinblick auf Transparenz, Gefährdungsanzeigestellung, Mitnahme der gefährdeten Familienmitglieder). Es muss folglich dringend reformiert werden und sollte hierbei auch auf eine bessere Rechtsgrundlage gestellt werden.

Darüber hinaus bietet die Expert Opinion auch einen Überblick über das Ortskräfteverfahren, die bisherige Praxis (basierend auf Interviews mit Betroffenen und Zivilgesellschaft) und den § 22 Satz 2 AufenthG als Rechtsgrundlage.

PRO ASYL hat eine Kurzfassung der Studie erstellt.


VG Sigmaringen: Umfassende Prüfung Aufenthaltstitel für nicht-ukrainische Geflüchtete

Das Gericht hat in seinem Beschluss klargestellt, dass die Ausländerbehörde das Prüfprogramm für einen Aufenthaltstitel nicht auf § 24 AufenthG begrenzen darf, wenn – wie hier – auch andere Ermächtigungsgrundlagen zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Betracht kommen. Das Verwaltungsgericht (VG) Sigmaringen entschied dies am 18.08.2022 (5 K 1804/22). Eine Nigerianerin in medizinischer Ausbildung als Assistenzärztin mit befristeter Aufenthaltserlaubnis in der Ukraine floh im März nach Deutschland. Sie beantragte eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Ausbildung oder Erwerbstätigkeit oder zum vorübergehenden Schutz nach § 24 AufenthG. Diese wurde mit der Begründung abgelehnt, die Antragstellerin könne sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland zurückkehren. Das Gericht hat dem Eilantrag stattgegeben, unter anderem da die Ausländerbehörde nur die Voraussetzungen für den § 24 AufenthG geprüft habe, aber nicht noch weitere für die Antragstellerin in Betracht kommende Aufenthaltstitel prüfte. „Denn für nicht-ukrainische Staatsangehörige kann im Einzelfall auch eine Aufenthaltserlaubnis aus anderen Gründen in Betracht kommen (vgl. Schuster/Voigt, Asylmagazin 2022, 109; Dörig, jM 2022, 249).“ Zudem deutet das Gericht an, dass die Ausländerbehörde bei der Beurteilung der Frage, ob die Antragstellerin sicher und dauerhaft nach Nigeria zurückkehren kann, das BAMF hätte beteiligen müssen. Die Klägerin erhält bis zum Abschluss des Verfahrens eine Fiktionsbescheinigung.


Geschlechtsspezifische Verfolgung im Asylverfahren – Eine Arbeitshilfe für Berater*innen

Geschlechtsspezifische Verfolgung ist mittlerweile ein anerkannter Fluchtgrund. In der Praxis ist jedoch festzustellen, dass von geschlechtsspezifischer Verfolgung betroffene Personen häufig nicht hinreichend genug im Asylverfahren erkannt werden bzw. sie Hürden gegenüberstehen, die eine Geltendmachung ihrer Bedürfnisse und Rechte erheblich erschweren. Die neue Arbeitshilfe des Paritätischen Gesamtverbandes vermittelt daher rechtliche Informationen und praktische Hinweise für die Beratung von Betroffenen geschlechtsspezifischer Verfolgung im Rahmen des Asylverfahrens.

Die Arbeitshilfe bietet rechtliche Grundlagen zum Ablauf des Asylverfahrens unter der besonderen Berücksichtigung von geschlechtsspezifischer Verfolgung und zeigt auf, wie geschlechtsspezifische Rechte im Asylverfahren geltend gemacht werden können.

Die Arbeitshilfe richtet sich insbesondere an Flüchtlingsberatungsstellen sowie an Akteure, die mit geflüchteten Betroffenen geschlechtsspezifischer Gewalt arbeiten.


PRO ASYL und Flüchtlingsräte warnen: Einige Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine werden ab September ausreisepflichtig!

Ein halbes Jahr nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine machen PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte auf die Kriegsflüchtlinge ohne ukrainischen Pass aufmerksam, die wegen neuer Regelungen ab dem 1. September Gefahr laufen, in die Duldung zu fallen und abgeschoben zu werden.

„Alle Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind, müssen gleich behandelt werden: Sie müssen Schutz bekommen und die Sicherheit, sich in Deutschland eine Perspektive aufbauen zu können. Das gehört zu einem von der Bundesregierung versprochenen Diskurswechsel in der Asyl- und Migrationspolitik“, sagt Wiebke Judith, Teamleiterin Recht & Advocacy bei PRO ASYL.

Sie sind vor denselben Bomben aus der Ukraine geflohen – doch in Deutschland gelten für sie nicht dieselben Rechte: Schutzsuchende mit und ohne ukrainische Staatsbürgerschaft. Laut Bundesinnenministerium haben 97 Prozent der aus der Ukraine nach Deutschland geflohenen Menschen einen ukrainischen Pass. Somit haben circa drei Prozent, rund 29.000 Menschen, bislang nicht die Sicherheit des vorübergehenden Schutzes – und sollen ihn nach dem Willen des Bundesinnenministeriums auch weiterhin nicht bekommen.

Bis zum 31. August dürfen diese mit Hilfe einer Übergangsregelung noch ohne Visum und ohne einen Aufenthaltstitel in Deutschland leben. Doch am 1. September wird ihr Status äußerst prekär: Wer sich dann länger als 90 Tage in Deutschland aufgehalten und noch keine Aufenthaltserlaubnis hat, wird ausreisepflichtig und könnte abgeschoben werden. Über einen rechtzeitigen Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis kann zumindest zwischenzeitlich durch die entstehende Fiktionswirkung der Aufenthalt bis zur Entscheidung über den Antrag legal bleiben.

Bundesland Berlin geht mit gutem Beispiel voran – aber ausreichend ist das nicht

„Es ist unerträglich, dass demnächst aus der Ukraine nach Deutschland geflohene Menschen abgeschoben werden könnten. Auch wenn sie den Pass eines anderen Landes haben, ist für viele der Krieg in der Ukraine eine Katastrophe, die Lebensperspektiven sind zerstört. Deutschland sollte ihnen mit einem dem temporären Schutz vergleichbaren Aufenthaltsrecht endlich Schutz und Sicherheit geben“, sagt Tareq Alaows vom Flüchtlingsrat Berlin im Namen der Landesflüchtlingsräte. Das hatten PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte auch schon im Vorfeld der Innenministerkonferenz im Juni 2022 von der Bundes- und Landespolitik gefordert.

Das Bundesland Berlin geht einen ersten Schritt in diese Richtung und erteilt zumindest allen studierenden Drittstaatsangehörigen aus der Ukraine eine Fiktionsbescheinigung, mit der sie sich sechs Monate lang weiterhin legal in Deutschland aufhalten dürfen. Doch das wird häufig nicht reichen, um die hohen Anforderungen an eine Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken oder zur Erwerbstätigkeit zu erfüllen. „Die Initiative aus Berlin ist zu begrüßen, jedoch wird das Problem so nur um sechs Monate verschoben und nicht gelöst“, sagt Tareq Alaows. „Zudem reicht es nicht, dass einzelne Länder aktiv werden. Das Bundesinnenministerium muss eine bundeseinheitliche Lösung erarbeiten“, fordert Wiebke Judith.

Das Mindeste, das getan werden muss: Alle Betroffenen müssen eine Fiktionsbescheinigung bekommen, die ein Jahr gültig ist, damit sie in diesen zwölf Monaten die Chance haben, die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis zu erfüllen. Das muss das Bundesinnenministerium an alle zuständigen Landes- und Kommunalbehörden kommunizieren.

Wenn Deutschland diese Menschen halten könnte, wäre das auch ein Beitrag zum Kampf gegen den Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel, da viele aus dieser Gruppe sich um Arbeit, Ausbildung oder Studium bemühen. Deutschland braucht jährlich circa 400.000 Menschen, um den Bedarf an Fachkräften zu decken. Es wäre also ein paradoxer Schritt, Menschen, die bereits hier sind, abzuschieben.

Zum Hintergrund:

Die Gruppe der Geflüchteten aus der Ukraine ohne ukrainischen Pass ist vielfältig. Es gibt Studierende – viele kurz vor dem Abschluss – zum Beispiel aus West- und Nordafrika und der Türkei, denen das Studium in ihrem jeweiligen Herkunftsland aus politischen oder sozio-ökonomischen Gründen verwehrt ist. Zur Gruppe gehören zudem zum Beispiel Geschäftsleute aus Vietnam; Menschen, die sich den repressiven Regimen in Minsk und Moskau entzogen haben; Arbeitnehmer*innen aus Usbekistan und anderen Anrainerstaaten. Hinzu kommen die de facto staatenlosen Menschen (unter anderem Angehörige der Rom*nja Minderheit), die ihr gesamtes Leben in der Ukraine verbracht haben. Sie alle haben ihren Lebensmittelpunkt mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine verloren.

Drittstaatenangehörige bekommen nur unter den eng gefassten Voraussetzungen, dass sie nicht unter „sicheren und dauerhaften Bedingungen“ in ihr Herkunftsland zurückkehren können, einen Schutzstatus innehatten oder in Familieneinheit mit ukrainischen Staatsbürger*innen lebten, eine Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage des EU-Beschlusses.


BMI: Auch nach Weiterwanderung aus anderem EU-Staat Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG

In der Beratung kommt immer wieder die Frage auf, ob aus der Ukraine geflohene Personen, die bereits in einem anderen Mitgliedsstaat den vorübergehenden Schutz erhalten haben, danach auch nach Deutschland umziehen können und hier (auch) den vorübergehenden Schutz beanspruchen können. In einem Rundschreiben vom 8. August stellt das BMI Folgendes klar:

  • Auch Personen, die bereits in einem anderen Mitgliedsstaat vorübergehenden Schutz haben, haben nach einer Weiterwanderung nach Deutschland Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG, sofern die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind.
  • Wenn umgekehrt Personen, die vorübergehenden Schutz in Deutschland genießen, in einem anderen Mitgliedsstaat vorübergehenden Schutz beantragen, erlischt zwar der vorübergehende Schutz selbst in Deutschland nicht automatisch, aber die Aufenthaltserlaubnis erlischt gemäß § 51 Absatz 1 Nummer 6 AufenthG sofort (und nicht erst nach sechs Monaten), da damit ein „dauerhafter Fortzugswille“ zum Ausdruck gebracht worden sei und es sich nicht nur um eine vorübergehende Ausreise handele.
  • Wenn eine Person, die in Deutschland vorübergehenden Schutz genießt, dauerhaft in die Ukraine zurückkehrt, droht ebenfalls das Erlöschen des Aufenthaltstitels. Bei einer von vornherein nur vorübergehend geplanten Reise in die Ukraine erlischt der Titel hingegen erst nach sechs Monaten Abwesenheit aus Deutschland (§ 51 Absatz 1 Nrummer 7 AufenthG). Man kann bei der ABH auch eine längere Frist als sechs Monate beantragen.


Stuttgart/Tübingen: Veranstaltungen von Refugio

Der gemeinnützige Verein refugio stuttgart e.v. bietet anlässlich seines 20-jährigen Jubiläums im Herbst eine Reihe von Veranstaltungen an. Es gibt verschiedene Lesungen, Konzerte, Fachvorträge und Debatten im Themenbereich Flucht und Trauma.

Zum Veranstaltungsprogramm und weiteren Informationen.


VGH Baden-Württemberg: Verfolgung homosexueller Männer in Gambia

Homosexuellen Männern droht in Gambia Verfolgung, so hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg (AZ: A 13 S 733/21, 06.07.2022) entschieden und damit seine bisherige Rechtsprechung geändert.

Leitsätze

1. Männern, deren Homosexualität bedeutsamer Bestandteil ihrer sexuellen Identität ist, droht gegenwärtig in Gambia mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit eine Verfolgung in Form einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, die so gravierend ist, dass sie in der Gesamtschau einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung gleichkommt.

2. Ein Asylbewerber, bei dem anzunehmen ist, dass er seine homosexuelle Identität bei einer hypothetischen Rückkehr nach Gambia nur wegen seiner Furcht vor Verfolgung nicht ausleben würde, darf nicht darauf verwiesen werden, dass er sich durch das Verheimlichen seiner sexuellen Identität der ansonsten beachtlich wahrscheinlichen Verfolgung entziehen kann.

3. Homosexuelle Männer haben in Gambia nicht die Möglichkeit, internen Schutz gemäß § 3e AsylG vor Verfolgung wegen ihrer sexuellen Identität zu erhalten.


Wie kann man vermisste Familienangehörige über das Internet finden?

Im Fall der Trennung von Familienangehörigen während der Flucht stehen geflüchteten Menschen in Deutschland – und auch global – verschiedene Möglichkeiten, die Angehörigen zu suchen, zur Verfügung. Die folgenden Organisationen können kontaktiert werden:

  • Der DRK-Suchdienst hilft Menschen, die den Kontakt zu ihren Angehörigen aufgrund bewaffneter Konflikte, Katastrophen oder Flucht verloren haben, wieder mit ihren Familien in Kontakt zu kommen. Auf ihrer Website gibt es die Möglichkeit, eine Suchdienst-Beratungsstelle in der Nähe zu finden und ein persönliches Gespräch mit einem*einer Berater*in zu verabreden.
  • Auf der unter anderem vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) betriebenen Seite „Restoring Family Links“ gibt es ein Online-Portal namens „Trace the Face“, wo die Suchenden eigene Fotos hochladen können, die dann weltweit einsehbar sind. Sollte die gesuchte Person den suchenden Angehörigen auf dem Foto erkennen, kann sie eine Nachricht auf der Website verfassen.
  • Auf der Homepage Missing Children Europe kann generell nach vermissten Kindern gesucht werden. Unter der europaweiten Hotline 116000 können jetzt auch geflüchtete Kinder aus der Ukraine gesucht werden.  

Weitere Stellen können auf der Seite Missing Migrants Project der International Organisation for Migration (IOM) recherchiert werden.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat auch eine neue Info-Website „No Trace of You“ eingerichtet, die der Verbreitung des Bewusstseins für das Problem der vermissten Familienangehöriger dienen sollte.


Flüchtlingsrat enttäuscht: Neuer Erlass läuft weitgehend leer

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg bewertet die neuen Anwendungshinweise zu § 25b AufenthG kritisch. Der Erlass ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, er kommt jedoch viel zu spät und enttäuscht auch inhaltlich.

Die Anwendungshinweise soll(t)en zu einer häufigeren Verkürzung der für ein Bleiberecht nach § 25b AufenthG regelmäßig erforderlichen Voraufenthaltszeit von acht bzw. sechs Jahren führen. Ein entsprechender gesetzlicher Spielraum besteht seit Inkrafttreten der Vorschrift im August 2015. Dieser blieb jedoch in der ausländerbehördlichen Praxis unverständlicherweise jahrelang ungenutzt. Die vom Flüchtlingsrat seit langem geforderten und im Koalitionsvertrag versprochenen Anwendungshinweise werden nun eine derart kurze Halbwertzeit haben, dass ihr praktischer Wert gegen Null geht. In wenigen Monaten wird die nach § 25b AufenthG erforderliche Voraufenthaltszeit durch das Chancenaufenthaltsrechtsgesetz ohnehin auf sechs bzw. vier Jahre abgesenkt. Dann soll der Erlass schon wieder Makulatur sein, worauf das federführende Justizministerium in seinem Begleitschreiben spürbar genüsslich hinweist. Die neuen Anwendungshinweise, für deren Erlass die Landesregierung über ein Jahr gebraucht hat, werden also schon in wenigen Monaten wieder nutzlos sein. „Die Landesregierung lässt sich dafür feiern, ein längst überfälliges Vorhaben endlich umgesetzt zu haben – und torpediert dessen Zweck mit dem Begleitschreiben gleich wieder“, so Meike Olszak, Mitarbeiterin in der Geschäftsstelle des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg. Besonders eklatant ist die zeitliche Verschleppung auch deshalb, weil der Erlass in großen Teilen von den Anwendungshinweisen aus Nordrhein-Westfalen kopiert wurde, die schon deutlich früher erlassen wurden.

Auch inhaltlich bleiben die baden-württembergischen Anwendungshinweise hinter den Erwartungen sowie hinter bereits erlassenen Hinweisen in anderen Bundesländern zurück. Im Vergleich zu den nordrhein-westfälischen Hinweisen lässt der Erlass aus Baden-Württemberg den Ausländerbehörden an entscheidenden Stellen Ermessensspielräume bei der Verkürzung der Aufenthaltszeiten. Laut nordrhein-westfälischem Erlass muss die Ausländerbehörde die Voraufenthaltszeit zwingend um zwei Jahre verkürzen, wenn die betroffene Person ein B2 Sprachniveau nachweisen kann. Die baden-württembergischen Hinweise überlassen diese Absenkung der Aufenthaltszeit bei entsprechender sprachlicher Qualifikation hingegen dem Ermessen der Ausländerbehörde. Zu bemängeln ist auch, dass die nun erlassenen Hinweise entgegen der Versprechungen im Koalitionsvertrag nicht alle vorhandenen Spielräume nutzen. Der Erlass enthält zwar Vorgaben, welche besonderen Integrationsleistungen eine Absenkung der Aufenthaltszeit um zwei Jahre rechtfertigt. Er schafft es aber nicht, den Ausländerbehörden verständlich darzulegen, dass auch Integrationsleistungen, die diesen Vorgaben nicht ausnahmslos entsprechen, in der Gesamtschau aller Integrationsleistungen ein Absenken der Aufenthaltszeit begründen können. Deshalb besteht die Gefahr, dass die Ausländerbehörden diese Leistungen nicht entsprechend würdigen. „Es ist für uns nicht verständlich, warum die Landesregierung ein Jahr damit vergeudet hat, die bereits bestehenden Anwendungshinweise aus NRW größtenteils zu kopieren, um dann einen Erlass zu präsentieren, der an entscheidenden Stellen die vorhandenen Spielräume nicht ausschöpft und daneben auch noch schwer verständlich ist. Während es die Ministerialverwaltung damit einmal mehr geschafft hat, den augenscheinlich so verhassten Spurwechsel so schwer wie möglich zu machen, müssen sich die Grünen die Frage gefallen lassen, wie sie eine humane Migrationspolitik fordern und sich gleichzeitig so vom CDU-geführten Justizministerium am Nasenring durch die Manege führen lassen können.“ so Sebastian Röder vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg abschließend.