Gesetzeslücke endlich schließen: Menschen in Abschiebehaft brauchen einen Pflichtanwalt!

Mehr als 50 Organisationen fordern den Bundestag sowie die Bundesminister*innen Nancy Faeser, Dr. Marco Buschmann und Lisa Paus auf, Menschen, die sich in Abschiebehaft befinden, Anwält*innen zur Seite zu stellen und das gesetzlich vorzuschreiben. Dass dies bislang nicht verpflichtend ist, sei „eines Rechtsstaates unwürdig“, so die Unterzeichner eines Positionspapiers.

Immer wieder landen in Deutschland Menschen in Abschiebehaft und werden somit ihrer Freiheit beraubt, ohne dass sie sich dagegen wehren können. Mehr als fünfzig Organisationen aus dem gesamten Bundesgebiet kritisieren diese Praxis in einem Positionspapier scharf. Sie fordern das Bundesinnenministerium, das Bundesjustizministerium, das Bundesfamilienministerium sowie Mitglieder ausgewählter Bundestagsausschüsse auf, analog zur Pflichtverteidigung im Strafprozess auch eine Pflichtbeiordnung von Anwält*innen in Verfahren zur Anordnung von Abschiebungshaft gesetzlich einzuführen. Eine entsprechende Möglichkeit bietet das angekündigte neue Gesetzespaket zum Migrationsrecht.

Die Organisationen begründen ihre Forderung damit, dass es in der Abschiebungshaft immer wieder zu schwerwiegenden Verfahrensfehlern kommt, die meist erst durch anwaltliche Unterstützung korrigiert werden können. Die Betroffenen kennen sich mit dem in Deutschland geltenden Rechtssystem nicht hinreichend aus, um sich wirksam gegen die Anordnung oder Verlängerung der Haft wehren zu können. „Gegenüber der die Haft beantragenden Behörde sind die Betroffenen somit offensichtlich in einer unterlegenen Position“, heißt es in dem Papier. „Ohne eine anwaltliche Vertretung sehen sie sich hilflos einem Verfahren ausgesetzt, das sie nicht verstehen und deshalb auch nicht beeinflussen können, als dessen Ergebnis die Menschen aber ihre Freiheit verlieren. (…) Gefangene, die eine*n Anwält*in nicht bezahlen können, sind somit nicht in der Lage, ihre Rechte effektiv wahrzunehmen.* Das ist eines Rechtsstaats nicht würdig und sollte unbedingt geändert werden.“

Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem Pro Asyl, Amnesty International, Diakonie, Caritas, Jesuiten-Flüchtlingsdienst, terre des hommes, der Deutsche Anwaltverein, der Republikanische Anwaltverein und die Neue Richtervereinigung.

Menschen können inhaftiert werden, ohne dass sie eine Straftat begangen haben

In der Abschiebungshaft kann einer Person die Freiheit entzogen werden, ohne dass sie eine Straftat begangen hat. Die Haft sichert lediglich die Abschiebung, also den Vollzug einer gesetzlichen Ausreisepflicht. Abschiebungshaft löst großes Leid aus: Je länger die Menschen sich in einem solchen Gewahrsam befinden, umso größer wird der seelische und körperliche Schaden. Sind Kinder involviert, weil etwa der Vater oder die Mutter in Abschiebungshaft genommen wurde, kann dies zudem langfristige Folgen für das körperliche und seelische Wohl der Kinder bedeuten. Auch werden immer wieder Minderjährige rechtswidrig inhaftiert, weil Alterseinschätzungen nicht gewissenhaft vorgenommen werden und in Folge fehlerhaft sind.

Mit diesem Freiheitsentzug wird also massiv in die Grundrechte der betroffenen Person eingegriffen. In unserem Rechtsstaat werden deshalb an einen Haftbeschluss hohe formale und inhaltliche Anforderungen gestellt. Diesen Anforderungen wird die Praxis in der Abschiebungshaft häufig nicht gerecht. wodruch rechtsstaatliche Grundsätze ihre generelle Gültigkeit zu verlieren drohen. Eine Ursache dafür ist, dass Betroffene, die oftmals mittellos sind und denen es an System- und Sprachkenntnissen fehlt, ohne professionellen Beistand vor Gericht keine Chance haben, ihre Grundrechte zu verteidigen. „Die Freiheitsentziehung stellt das schärfste Schwert unseres Rechtssystems dar“, fassen die Unterzeichner zusammen. Um den Rechtsstaat durchzusetzen und das Leid der Betroffenen zu mindern, braucht es deshalb eine Pflichtbeiordnung von Anwält*innen.

Hintergrund:

*Mittellose Gefangene können zwar beantragen, dass der Staat ihre Anwaltskosten übernimmt (sogenannte Verfahrenskostenhilfe). Eine solche Verfahrenskostenhilfe wird aber nur dann gewährt, wenn der Antrag oder die Beschwerde nach Ansicht des Gerichts Aussicht auf Erfolg hat. Das heißt, ein*e Anwält*in muss erst einmal detaillierte Begründungen schreiben, ohne sicher sein zu können, jemals hierfür bezahlt zu werden. Das Nachsehen haben demnach Abschiebehäftlinge mit bescheidenen finanziellen Mitteln.

Rechtsanwalt Peter Fahlbusch aus Hannover spricht über die fatalen Fehler, die in der Abschiebehaft geschehen, im Interview mit Pro Asyl sowie im Podcast (Folge 3) .

Zum Positionspapier geht es hier.


Diskriminierungsbericht: Rom*nja und Sinti*zze in Südbaden

Das Freiburger Roma-Büro hat im September einen neuen Bericht zur Situation der Rom*nja und Sinti*zze in Freiburg und Umland veröffentlicht. Darin enthalten sind Diskriminierungserfahrungen von Rom*nja und Sinti*zze, sowie Reflexionen auf das Zusammenleben von Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten und der Kommunikation zwischen diesen.

Anhand einer Fallsammlung vom Frühjahr 2021 bis Juni 2022 in Freiburg und Südbaden beschäftigt sich der Bericht mit Ungleichbehandlung und Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze. Der Bericht berührt Themen wie Assimilierungs- und Ausbeutungsdruck, sowie gesellschaftliche Solidarität.

Die Verfasser*innen des Berichts fordern gesellschaftliche Teilhabe als gleichberechtigte Staatsbürger*innen und als bundesweite sowie europäische Minderheit. Zudem fordern sie die Anerkennung des Völkermords mitsamt seiner Vorgeschichte und seiner Auswirkungen bis heute.



Jahrestag Alarm Phone: 8 Jahre Kampf!

Vor acht Jahren, am 11.Oktober 2014 starteten wir das Alarm Phone, eine Hotline für Menschen in Seenot. Wir wählten diesen Tag, als Jahrestags der Katastrophe, die sich am 11.Oktober 2013 ereignet hatte, als italienische und maltesische Behörden die Rettung eines sinkenden Bootes verzögerten. Aufgrund dieser Verzögerung starben über 200 Menschen.

In den letzten acht Jahren sind unsere Schicht-Teams 24/7 erreichbar und haben über 5.000 Boote in Seenot, entlang der unterschiedlichen maritimen Routen nach Europa – dem Mittelmeer, dem Atlantik zu den Kanarischen Inseln und seit 2022 auch im Ärmelkanal von Frankreich nach Großbritannien – unterstützt. Manche dieser 5.000 Boote hatten nur fünf oder zehn Menschen an Bord, die meisten zwischen 30 und 80 Personen, aber auch häufig über 100 Menschen, gelegentlich waren es sogar über 500 Menschen auf der Flucht.

Am Telefon wurden wir Zeug*innen wie tausende Menschen verschwanden und ertranken. Wir haben einigen ihrer Verwandten und Freund*innen auf ihrer verzweifelten Suche nach ihren Angehörigen, auf ihrer Suche nach Antworten zugehört. Wir haben auch gewaltvolle Pushbacks und die tödlichen Folgen des Zurücklassen miterlebt, und wie viele derer die uns anriefen, auf See gefangen genommen und zwangsweise an Orte zurückgebracht wurden, denen sie entkommen wollten.

Zugleich haben wir unzählige Momente der Freude, des Widerstandes und der Solidarität erlebt, mit Menschen, die Europa lebend erreichten oder gerade rechtzeitig gerettet wurden. Wir haben miterlebt, wie Menschen auf der Flucht sich kollektiv organisieren, um die EU-Grenzen zu unterwandern und wie sie auf ihren Reisen Unterstützungsstrukturen aufbauen. Und wir waren Teil eines wachsenden Netzwerks der Solidarität, von der zivilen Flotte und zivilen Flugzeugen, die die Meere und den Himmel durchstreifen, einigen Besatzungen von Handelsschiffen, bis hin zu Graswurzelbewegungen, die zusammengekommen sind, um der Grenzgewalt entgegenzuwirken.

Im westlichen Mittelmeer zwischen Marokko und Spanien können wir immer noch einige  proaktive Rettungseinsätze der spanische Küstenwache Salvamento Maritimo sehen, oft entlang der Route zu den Kanaren. Allerdings finanzieren Spanien und die gesamte EU Marokko weiterhin, um Europas Türsteher zu spielen. Als Konsequenz haben wir furchtbare Grenzgewalt in dieser Region gesehen, wie kürzlich bei Melilla bewiesen wurde. Am 24 Juni 2022 wurden mindestens 40 Menschen in einem rassistischen Massaker am Zaun der spanischen Enklave getötet – eine unerträgliche Szene neo-kolonialer Gewalt, die von marokkanischen Streitkräften ausgeführt, aber von EU Migrations- und Grenzpolitiken unterzeichnet wurde. Sie gehören zu den Tausenden die Schätzungen zufolge jedes Jahr an Spaniens Grenzen ihr Leben verlieren, vor allem entlang der Atlantikroute.

Der Krieg gegen Menschen auf der Flucht ist auch in der Ägäis und der Landgrenze zwischen der Türkei und Griechenland täglich Realität. Sowohl die griechische als auch die türkische Regierung nutzen Menschen auf der Flucht als Spielfiguren in ihren militärischen und nationalistischen Machtspielen. Während griechische Pushbacks seit langer Zeit passieren, wurden sie ab März 2020 systematisch. Sogar Menschen, die bereits auf griechische Inseln gelangt sind, werden auf kleine Rettungsinseln gezwungen und in türkischen Gewässern zurückgelassen. Wir müssen sie als das benennen, was sie sind: Beispiele versuchten Mordes. Diese Grenzverbrechen sind nun Routine in der Ägäis und der Region Evros. Im März war die 5-jährige Maria unter denjenigen, die ihr Leben durch dieses Pushback Regime verloren haben.

Im zentralen Mittelmeer wurde ein Pull- und Pushback Regime installiert, nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit zwischen Frontex Drohnen und EU-Flugzeugen mit der sogenannten libyschen Küstenwache. Da Einsatzfahrzeuge der zivilen Flotte oft in dieser Grenzzone anwesend sind, konnte vielen Fälle von unterlassener Hilfeleistung nicht-Unterstützung und Abfangaktionen entgegengewirkt werden, Menschen gerettet und Grenzverbrechen dokumentiert und öffentlich angeprangert werden. Nichtsdestotrotz bleibt die zentrale Mittelmeerroute eine der tödlichsten in der Welt, auch weil EU-Mitgliedstaaten weiterhin Boote in Seenot wissentlich in den gefährlichsten Zonen vor den libyschen und tunesischen Küsten zurücklassen.

Eine steigende Anzahl derer die die Überquerungen des Meeres in die EU überlebt haben müssen erneut unsolide Boote nutzen, wenn sie versuchen Großbritannien zu erreichen. Die Ankünfte auf der anderen Seite des Ärmelkanals haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen. In Anbetracht dessen haben wir 2022 beschlossen die Ärmelkanal Route in die Arbeit des Alarm Phone’s zu integrieren. Unser WatchTheChannel Team hat Recherchen angestellt und gemeinsam mit anderen lokalen Netzwerken in Frankreich und Großbritannien einen Alarmplan vorbereitet.

Alle maritimen Routen sind und bleiben politisch umkämpfte Räume. Menschen auf der Flucht üben ihre Bewegungsfreiheit aus, während wir als Alarm Phone Netzwerk versuchen Solidarität entlang der unterschiedlichen Routen zu stärken. Migrantische Bewegungen und die Beharrlichkeit von Menschen auf der Flucht bleiben die treibende Kraft im Kampf gegen europäische und globale Apartheid Regime. Tausende autonome Ankünfte fordern das Schließen und die Externalisierung der EU-Grenzen heraus. Gleichzeitig gehen selbstorganisierte Kämpfe für Bleiberecht und gegen rassistische Ausbeutung innerhalb der EU weiter. Verwandte und Freund*innen der Verschwundenen und Toten organisieren weiterhin CommemorActions um ihrer Angehörigen zu Gedenken und nach ihnen zu suchen, und um gegen die Grenzgewalt zu protestieren, die sie verschwinden liess oder tötete.

WIR HABEN ACHT JAHRE LANG GEKÄMPFT.
WIR WERDEN WEITER MACHEN.
WIR WERDEN NIEMALS AUFGEBEN.

Abschiebestopp Iran – auch in Baden-Württemberg!

Bereits am 06. Oktober 2022 hatten PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte in einer gemeinsamen Pressemitteilung einen sofortigen Stopp aller Abschiebungen in den Iran gefordert. Angesichts der eskalierenden Gewalt, mit der das iranische Regime auf die sich im Land ausbreitenden Aufstände reagiert, ist das eine humanitäre Notwendigkeit. Am selben Tag noch hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Bundesländer dazu angehalten, Abschiebungen in den Iran zu unterbinden. Während einige Bundesländer dieser Aufforderung rasch nachkamen, versteckt sich die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges weiterhin hinter Formalitäten.

Seit dem Tod der 22-jährigen Jîna (Mahsa) Amînî, die am 13. September verhaftet wurde, weil sie ihr Kopftuch nicht ordentlich getragen haben soll, breiten sich ausgehend von ihrer Heimatstadt Saqqez in vielen Teilen des Irans und Ostkurdistans Proteste gegen das unterdrückerische Ajatollah-Regime aus. Das iranische Regime reagiert mit brutaler Gewalt auf die Demonstrierenden. Seit Beginn der Aufstände wurden bereits Hunderte Menschen ermordet sowie Tausende Protestierende verschleppt und inhaftiert. In diesem Kontext hatten PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte in einer gemeinsamen Pressemitteilung vom 06. Oktober einen bundesweiten Abschiebestopp für den Iran gefordert. Niemand darf dem menschenunwürdigen Regime im Iran durch eine Abschiebung ausgeliefert werden. Dass eine solche Entscheidung notwendig ist, zeigte sich kürzlich in Bayern, wo eine Iranerin vergangene Woche nur knapp einer Abschiebung entkam.

Am 06. Oktober forderte Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Bundesländer per Twitter dazu auf, Abschiebungen in den Iran zu stoppen. Indem die Bundesinnenministerin selbst keine bundesweite Initiative ergriff und die Entscheidung an die Länder delegierte, entledigte sie sich ihrer Verantwortung und nimmt damit in Kauf, dass aus Teilen Deutschlands weiterhin in den Iran abgeschoben werden könnte. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass die Bundesländer selbst aktiv werden. Doch die Reaktionen der politisch Verantwortlichen in Baden-Württemberg fallen bislang äußerst verhalten aus. Man warte auf eine Lagebeurteilung durch das Auswärtige Amt (AA), ohne diese die Grundlage für einen etwaigen Abschiebestopp fehle, verkündete die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges am 07.10. Während Sachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und sogar Bayern bereits am 07. Oktober einen landesweiten Abschiebestopp verkündet haben, versteckt sich die baden-württembergische Justizministerin hinter Formalitäten. Tatsächlich bildet das Fehlen eines aktualisierten Lageberichts kein Hindernis bei der Einführung eines Abschiebestopps. Selbst wenn es keine Einschätzung der Lage durch das AA gibt, können die Länder Ermessen ausüben und ihre Behörden anweisen, nicht abzuschieben. Offen bleibt also die Frage, wieso in Baden-Württemberg nicht dieselbe Rechtsgrundlage wie in anderen Bundesländern herangezogen wird, um Menschen vor einer Abschiebung in den Iran zu schützen. „Es ist einfach traurig immer wieder beobachten zu müssen, dass der fehlende politische Wille der baden-württembergischen Landesregierung faktisch zur Gefährdung von Menschenleben führt“, kommentiert Anja Bartel vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg.

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg fordert das Land Baden-Württemberg dazu auf, schnellstmöglich einen Abschiebestopp für den Iran zu verhängen und damit in Baden-Württemberg lebenden Iraner*innen die Angst zu nehmen, dem iranischen Gewaltregime ausgeliefert zu werden. 


VG Freiburg: Keine Dublin-Überstellung nach Kroatien

Das Verwaltungsgericht (VG) Freiburg hat am 26.07.2022 (A 1 K 1805/22) einem Eilantrag in einem Dublin-Verfahren stattgegeben. „Es ist ernsthaft zu befürchten, dass (auch) Antragsteller, die von Deutschland aus im Rahmen des Dublin-Systems nach Kroatien überstellt werden, von dort aus ohne Durchführung eines Asylverfahrens nach Bosnien-Herzegowina bzw. nach Serbien abgeschoben werden (Anschluss an VG Braunschweig, Urteil vom 24.05.2022 – 2 A 26/22 – [asyl.net: M30527]).“


Linksammlung und Informationen: Flucht aus Russland

Seit der Verkündung einer Teilmobilisierung in Russland verlassen immer mehr Menschen aus Angst vor dem Kriegsdienst und staatlicher Repression das Land. Hilfreiche Informationen und Hinweise für Betroffene werden im Folgenden aufgelistet.

Allgemeine Informationen

  • Connection e.V. bietet Telefon- und Mailberatung für Fragen von betroffenen Kriegsdienstverweigerern und Deserteueren in Russisch, Englisch und Deutsch an. Darüber hinaus befinden sich auf der Homepage aktuelle Informationen für Kriegsdienstverweigerer aus Russland, Belarus und Ukraine.
  • Pro Asyl informiert umfassend und aktuell zu den politischen und rechtlichen Entwicklungen.

Einreise

  • Russische Staatsbürger*innen benötigen für die legale Einreise nach Deutschland ein Visum. Verschiedene deutsche Botschaften außerhalb Russlands nehmen Visaanträge entgegen, obwohl die Betroffenen in diesen Ländern nicht ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (z.B. Armenien und Georgien). Es gibt Visa für kurzfristige (Schengenvisum) und für langfristige Aufenthalte etwa für akademisch qualifizierte oder beruflich qualifizierte Fachkräfte (Informationen dazu hier und hier).
  • Die Europäische Kommission hat die Visa-Erleichterungen für russische Staatsbürger*innen aufgehoben und entwickelte Leitlinien für strikteres Vorgehen.
  • Der Mediendienst Integration informiert zur aktuellen Einreise-Situation in die EU.

  • Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat ein Gutachten veröffentlicht, in dem er ein pauschales Einreiseverbot für russische Staatsbürger*innen rechtlich für nicht zulässig hält.

Arbeit

  • Die Bundesregierung stellt für Arbeitgeber*innen die wichtigsten Informationen für die Gewinnung und Beschäftigung russischer Fachkräfte in Deutschland zusammen.

  • Für akadamisch ausgebildete Personen stellt die Datenbank von anabin Informationen zur Bewertung ausländischer Bildungsnachweise bereit.

Forderung: Abschiebestopp und Solidarität mit den Protestierenden im Iran

Seit dem Tod der 22-jährigen Jîna Mahsa Amînî nach ihrer Festnahme durch die Sittenpolizei in Teheran
gehen in fast allen großen Städten Irans Frauen wie Männer auf die Straße, um gegen das unterdrückerische Ajatollah-Regime zu protestieren. Die junge Frau war am 13. September verhaftet worden, weil sie ihr Kopftuch nicht ordentlich getragen haben soll.

Die iranische Regierung reagiert mit großer Brutalität und Repression auf die Proteste, Dutzende Menschen starben, Hunderte wurden durch Polizeikräfte verletzt, Tausende verhaftet. Angesichts dieser Gewalt gegen Demonstrierende und Medienschaffende fordern der Verein iranische Flüchtlinge in Berlin,
PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte ebenso wie weitere Menschenrechtsorganisationen einen sofortigen Abschiebestopp in den Iran.

„Wir bewundern den Mut und die Entschlossenheit der Demonstrantinnen, die unter Einsatz ihres Lebens für eine freie Gesellschaft eintreten, und erklären uns solidarisch mit ihnen. Auch die Bundesregierung muss jetzt ein Zeichen der Unterstützung senden. Wir fordern einen sofortigen Abschiebestopp für Iran, ein Bleiberecht für bisher in Deutschland nur geduldete Iranerinnen, die Anerkennung ihrer Fluchtgründe im
Asylverfahren sowie die unkomplizierte Aufnahme von Iranerinnen, die der Türkei und anderen Erstzufluchtsländern festsitzen“,
sagt Hamid Nowzari, Geschäftsführer vom Verein iranischer Flüchtlinge in Berlin. Im ersten Halbjahr 2022 wurden 25 Menschen aus Deutschland in den Iran abgeschoben (Bundestag Drs. 20/3130).

„Frauen und Männer, die im Iran protestieren und demonstrieren, werden abgeführt, inhaftiert und misshandelt. Die Situation in dem Land ist derzeit derart unübersichtlich, dass wir nicht wissen, was denjenigen Menschen droht, die aus Deutschland in den Iran abgeschoben werden. Wir fordern daher einen sofortigen Abschiebestopp und eine Neubewertung der Lage im Land durch die deutschen Behörden“, sagt Wiebke Judith, Teamleitung Recht & Advocacy bei PRO ASYL.

Iran zählt zu den zehn zugangsstärksten Herkunftsländern von Asylsuchenden in Deutschland (1.925 Asylerstanträge im 1. HJ 2022, BAMF Schlüsselzahlen Asyl 2022). Die Anerkennungsquote für Iraner*innen im Asylverfahren liegt bei etwa 30 Prozent (bereinigte Schutzquote knapp 50 Prozent, Bundestag Drs. 20/2309). Mehr als 10.000 Iraner*innen in Deutschland leben mit dem prekären Status der Duldung, viele von ihnen unterliegen einem Arbeitsverbot (Bundestag Drs. 20/3201).

Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Verhaftungen, Verschleppung, Folter und Tötung von politischen Aktivist*innen, LGBTIQ+, Kurd*innen, Frauen und alle, die gegen die strenge Sittenordnung des iranischen Regimes verstoßen, sind nicht neu. Auch Massenproteste hat es in den vergangenen Jahren immer wieder gegeben. Die aktuelle Situation ist insofern besonders, weil jetzt das gesamte Regime herausgefordert wird und Frauen bei den Protesten eine maßgebliche Rolle spielen.


Pro Asyl: Flucht aus Russland

Seitdem Machthaber Putin in Russland die Teilmobilisierung für den Krieg gegen die Ukraine ausgerufen hat, melden sich minütlich Männer und Frauen bei PRO ASYL, die aus Angst vor dem Kriegsdienst und staatlicher Repressionen aus dem Land fliehen wollen. Dies sind die Informationen, die wir den Betroffenen aktuell geben können.

– English version –

Einen Asylantrag kann man nicht aus dem Ausland stellen. Wer in Deutschland einen Asylantrag stellen will, kann dies nur in Deutschland selbst bzw. an einer Außengrenze tun. Dies gilt genauso auch in anderen EU-Staaten.

Zur Einreise nach Deutschland

Russische Staatsbürger*innen benötigen für die legale Einreise nach Deutschland ein Visum. Die Visavergabe wird sehr restriktiv gehandhabt. Es gibt Schengenvisa und Visa für langfristige Aufenthalte, etwa für Fachkräfte (Informationen dazu hier und hier). Die Nachbarstaaten zu Russland Estland und Lettland sowie Litauen und Polen lassen seit dem 19. September 2022 aber keine russischen Staatsangehörigen mit einfachen Schengen-Visa mehr einreisen, wodurch der Landweg stark eingeschränkt ist. Direkte Flugverbindungen nach Deutschland bestehen aktuell nicht.

Deutschland hat in einigen besonders herausgehobenen Fällen von Personen, die öffentlich aufgetreten sind, etwa kritische Journalist*innen, auch humanitäre Visa erteilt. Für die Mehrheit der Personen wird das aber aktuell keine schnelle Lösung sein. Die deutschen Auslandsvertretungen lehnen solche Anträge in aller Regel ab. Aussagen von Politikern, Deutschland sei bereit, Personen, die gegen den Krieg sind oder nicht kämpfen wollen, aufzunehmen und ihnen Asyl zu geben, scheitern derzeit vor allem an fehlenden praktischen Möglichkeiten der Einreise!

Zu den Chancen im Asylverfahren

Stellt eine Person in Deutschland einen Asylantrag, prüft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als erstes, ob Deutschland nach der europäischen Verordnung, die die Zuständigkeit für die Prüfung eines Asylantrags regelt, überhaupt zuständig ist. Diese sogenannte Dublin-III-Verordnung gilt in allen EU-Ländern und in Norwegen, Island, Liechtenstein und der Schweiz. In der Regel ist der Staat für das Asylverfahren zuständig, der das Visum für die Einreise erteilt hat. Bei illegaler Einreise ist der Staat zuständig, den die Person als erstes betreten hat. Schiebt Deutschland eine asylsuchende Person innerhalb einer bestimmten Frist nicht in den zuständigen EU-Staat ab, geht die Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrages auf Deutschland über. Mehr Informationen zu Dublin-Verfahren finden Sie hier.

Ist Deutschland für das Asylverfahren zuständig (geworden), prüft das BAMF die individuellen Asylgründe:

Die Rechtsprechung in Deutschland zur Militärdienstverweigerung ist grundsätzlich restriktiv:

Personen, die aus dem bereits angetretenen Militärdienst in Russland desertieren, können unserer Einschätzung nach eine Flüchtlingsanerkennung bekommen. Hiervon geht auch das Bundesinnenministerium bei Deserteuren aus. Wer aus dem aktiven Militärdienst flieht, sollte dies möglichst durch entsprechende Dokumente nachweisen und glaubhaft machen, warum er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann, Menschen im Krieg zu töten. Noch offen ist, ob das BAMF verlangen wird, dass die Personen zunächst noch in Russland versuchen müssen, den Kriegsdienst zu verweigern. In Russland gibt es dazu aber nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten.

Die Rechtsprechung in Deutschland zur Militärdienstverweigerung ist grundsätzlich restriktiv: Es wird als legitimes staatliches Handeln gesehen, Bürger zum Militärdienst zu verpflichten und bei Verweigerung auch zu bestrafen. Nur wenn diese Bestrafung unverhältnismäßig hoch ist oder wenn durch die Verweigerung eine politische Verfolgung ausgelöst wird, wird ein Militärdienstverweigerer als Flüchtling anerkannt – hiervon ist bei russischen Deserteuren auszugehen. Auch wenn der Asylsuchende im Kriegsdienst etwa zur Teilnahme an Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit verpflichtet gewesen wäre, kann er unter Umständen als Flüchtling anerkannt werden.

Für Kriegsdienstverweigerer, die noch nicht eingezogen wurde, gibt es keine vergleichbaren Aussagen der Bundesregierung bezüglich des Schutzes in Deutschland. Auch wer bisher nur einen Einberufungsbefehl bekommen hat, sollte diesen im Asylverfahren vorlegen, um zu belegen, dass die Einberufung kurz bevorstand. Auch wer nachweisen kann, zur Gruppe derjenigen zu gehören, die von der Teilmobilmachung erfasst sind, sollte entsprechende Nachweise im Asylverfahren vorlegen. Ob auch diese Personen im Asylverfahren anerkannt werden, können wir noch nicht absehen. Die politischen Zeichen sprechen dafür. Die bisherige Praxis des BAMF sah aber anders aus. Das BAMF könnte aufgrund der oben genannten Punkte also in diesen Fällen auch ablehnen.

Es gibt Berichte, dass auch jenseits der offiziellen Kriterien der Teilmobilmachung Männer im wehrpflichtigen Alter zum Wehrdienst eingezogen werden. Ob auch diese einen Schutzstatus im Asylverfahren bekommen können ohne bereits einen Einberufungsbefehl zu haben, ist derzeit noch nicht abzusehen. Das wird davon abhängen, ob das BAMF die Gefahr zur Einberufung als ausreichend wahrscheinlich einschätzt.

Auch Oppositionelle oder verfolgte Journalist*innen können im Asylverfahren einen Schutzstatus in Deutschland bekommen. Die vorgebrachte Verfolgung und die Gründe hierfür müssen im Asylverfahren glaubhaft gemacht werden. Weitere Informationen zum Asylverfahren in Deutschland finden Sie hier.

Wenn sich die Lage ändert oder wir genauere Auskunft geben können, werden wir entsprechende Hinweise auf unserer Homepage veröffentlichen.

Da es zurzeit keine direkten Flugverbindungen nach Russland gibt, gehen wir davon aus, dass derzeit Abschiebungen nach Russland unmöglich sind.



Ukraine: Informationen und Links

Viele ukrainische Geflüchtete kommen in Baden-Württemberg an oder befinden sich noch auf der Flucht. Mit der Flucht und der Ankunft kommen jede Menge Fragen auf, sei es zu Unterkunft und Wohnen, Aufenthaltserlaubnis und Sozialleistungen, Arbeit und Sprachkurse oder besondere Hilfen für Alleinerziehende, Kinder, Jugendliche und Schwangere. Hier finden Sie Links zu all diesen Fragekomplexen.

Allgemeine Informationen (bundesweit)

Informationen aus Baden-Württemberg

Kinder und Jugendliche

Frauen

LSBTI*

Behinderung und Pflegebedarf

Rom*nja

Arbeit

Studium

Unterbringung und Wohnen

Familie

Gesundheit

Psychologische Unterstützung

Sozialleistungen

Kommunikation und Sprache

Alltag

Ehrenamtliche

Drittstaatsangehörige


Schnell noch abschieben – bevor das Chancen-Aufenthaltsrecht kommt

Herr K. aus Sri Lanka lebt seit fast sieben Jahren in Deutschland, arbeitet seit fünf Jahren in Vollzeit, ist nie straffällig geworden und soll nun trotzdem abgeschoben werden. Die baden-württembergische Landesregierung weigert sich nicht nur, praktikable Lösungen zu finden bis das Bundesgesetz in Kraft tritt, sondern legt auch jeden rechtlichen Ermessensspielraum negativ aus. Wir fordern die Landesregierung auf, eine schnelle Lösung für Herr K. zu finden und sich endlich an die Versprechungen des Koalitionsvertrags zu halten.

Seit dem 01.01.2022 warten tausende Menschen mit einer Duldung darauf, dass endlich das neue Bundesgesetz zum Chancen-Aufenthaltsrecht, einer einjährigen Aufenthaltserlaubnis, auf den Weg gebracht wird. Seit Juli gibt es einen Kabinettsentwurf der Bundesregierung, aber wann das Gesetz im Bundestag verabschiedet wird, ist noch unklar. Baden-Württemberg nutzt dieses Vakuum, um potentielle Kandidat*innen noch schnell abzuschieben. Ein „Vorgrifferlass“ auf Landesebene könnte schon vor Verabschiedung des Bundesgesetzes Personen, die alle Voraussetzungen für das Chancen-Aufenthaltsrecht erfüllen, vor Abschiebung schützen. Offensichtlich entspricht dies jedoch nicht dem Willen der Landesregierung.

So ist nun wieder einmal ein potentieller Anwärter des Chancen-Aufenthaltsrechts in der Abschiebehaft Pforzheim inhaftiert und soll diesen Donnerstag abgeschoben werden. Obwohl er eigentlich eine Bleibeperspektive über das Chancen-Aufenthaltsrecht in Deutschland hätte. Zudem erfüllt er in sechs Wochen die Voraussetzungen für eine Beschäftigungsduldung, die ihn vor einer Abschiebung schützen würde. In solchen Fällen kann eigentlich ein Antrag bei der Härtefallkommission gestellt werden. Herr K. muss sich jedoch der akuten Abschiebegefahr nicht bewusst gewesen sein und zudem gab es offensichtlich niemand, der ihn bei einem solchen Antrag unterstützt hat. In genau diesen Fällen, kann die Landesregierung von einer Abschiebung absehen und sollte es laut dem Koalitionsvertrag auch tun! Denn dort heißt es, die Landesregierung wolle alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um Bleiberechtsoptionen zu nutzen und Betroffene rechtzeitig vor einer drohenden Abschiebung zu beraten.

Doch wieder sträubt sich das Justizministerium, einem geliebten Onkel, einem hartarbeitenden und finanziell unabhängigen Menschen und einem unverzichtbaren Mitarbeiter einer Firma eine Zukunft in Baden-Württemberg zu ermöglichen. Zum Beispiel über eine Ermessensduldung aus dringenden persönlichen Gründen. Dies hat das Regierungspräsidium Karlsruhe aber abgelehnt: Es ist wohl nicht dringlich oder persönlich genug, wenn in absehbarer Zeit Anspruch auf das Chancen-Aufenthaltsrecht oder eine Beschäftigungsduldung besteht. Die baden-württembergische Landesregierung zeigt ein weiteres Mal, dass sie eine unmenschliche Abschiebepolitik verfolgt, anstatt das Chancen-Aufenthaltsrecht per Vorgrifferlass zu ermöglichen. „Dass die Bundesregierung ihrem Vorhaben das Chancen-Aufenthaltsrecht auf den Weg zu bringen, hinterherstolpert, ist eine Sache. Dass wir immer wieder zusehen müssen, wie Kandidat*innen auf das Chancen-Aufenthaltsrecht in Baden-Württemberg abgeschoben werden, ist zynisch. Mir wird schlecht, wenn ich an die nun so hohlklingenden Versprechungen aus dem Koalitionsvertrag der Landesregierung denke. Aber da dieses Verhalten die Schwächsten unserer Gesellschaft betrifft, kann es ihr wohl egal sein“, so Maren Schulz, Mitarbeiterin des Flüchtlingsrates Baden-Württemberg.

Herr K. ist nicht der Einzige, der abgeschoben werden soll, obwohl ein Bleiberecht zum Greifen nahe ist. In den letzten Monaten hat der Flüchtlingsrat ähnliche Fälle begleitet.

„Wir müssen davon ausgehen, dass die Landesregierung versuchen wird, noch weitere Personen, für die das Chancen-Aufenthaltsrecht in Frage kommt, abzuschieben. Doch wir bleiben dran, kämpfen für jeden Einzelfall, pochen auf die Einhaltung des Koalitionsvertrages und bringen die Unmenschlichkeit dieser Regierung an die Öffentlichkeit,“ erklärt Lucia Braß, erste Vorsitzende des Flüchtlingsrates Baden-Württemberg.