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Das Dublin-Verfahren

Bei jeder Person, die in Deutschland einen Asylantrag stellt, wird zunächst geprüft, ob Deutschland überhaupt für die inhaltliche Prüfung des Asylantrags zuständig ist. Hintergrund dafür ist, dass es eine europäische Verordnung gibt, die regelt, welcher Mitgliedstaat des sog. Dublin-Raums für einen Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist: die sog. Dublin III-Verordnung (VO).

I. Grundsätzliches
II. Ablauf des Dublin-Verfahrens in Deutschland
III. Rechtsmittel gegen den Dublin-Bescheid
IV. Weiterführende Arbeitshilfen

I. Grundsätzliches

Die Dublin-III-VO gilt für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Zusätzlich haben Norwegen, die Schweiz, Liechtenstein und Island die Verordnung unterzeichnet. Insgesamt gibt es also 31 Länder, in denen die Dublin III-Verordnung angewendet wird. Diese Länder bezeichnet man auch als sog. Dublin-Staaten.

Die wichtigste Zielsetzung der Dublin III-VO ist, dass jeder Asylantrag im Gebiet der Dublin-Staaten geprüft wird, die Betroffenen also nicht von Staat zu Staat weiterverwiesen werden („no refugees in orbit“). Der Asylantrag einer Person soll dabei nur einmal inhaltlich geprüft werden, selbst wenn in mehreren Ländern des Dublin-Raums Asylanträge gestellt werden („one chance only“).

Die Dublin III-VO ist anwendbar, sobald in irgendeinem Dublin-Staat ein Asylantrag gestellt wurde. Das muss kein förmlicher Asylantrag gewesen sein; auch ein nicht-förmliches Asylgesuch aktiviert die Dublin-III-VO. Um einen Dublin-Fall handelt es sich auch, wenn ein Asylantrag in einem anderen Land abgelehnt oder zurückgenommen wurde und die Personen dann in einem anderen Dublin-Staat einen weiteren Asylantrag stellen.

Wichtig: Die Dublin III-VO gilt aber nicht für Personen, die in einem anderen Staat bereits internationalen Schutz, also die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz, erhalten haben und dann in einen anderen „Dublin-Staat“ weitergewandert sind und dort einen Asylantrag gestellt haben. Die beiden Konstellationen sind gar nicht so leicht auseinanderzuhalten, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Asylantrag in beiden Fällen grundsätzlich als „unzulässig“ ablehnt. Hier muss man den Bescheid genau lesen, um zu verstehen, ob es sich um einen „Dublin-Fall“ oder einen sog. Anerkannten-Fall handelt.

II. Ablauf des Dublin-Verfahrens in Deutschland

Wie wird bestimmt, welcher Staat für eine asylsuchende Person zuständig ist?

Stellt eine Person in Deutschland einen Asylantrag, prüft das BAMF zunächst im Rahmen eines Dublin-Verfahrens, ob Deutschland für den Asylantrag zuständig ist. Hierbei wird zunächst anhand der Zuständigkeitskriterien geprüft, welcher Staat für das Asylverfahren zuständig ist. Das Verfahren zur Prüfung der Zuständigkeit für den Asylantrag ist sehr komplex, es soll daher im Folgenden nur in Grundzügen dargestellt werden.

Die Artikel 8 bis 15 Dublin-III-VO regeln die Zuständigkeit. Die Kriterien sind streng der Reihe nach zu prüfen. Dies bedeutet, dass Artikel 8 als erstes geprüft wird; ist dieser nicht einschlägig, wird Artikel 9 geprüft usw.

Artikel 8 bis 11 Dublin-III-VO enthalten familienbezogene Zuständigkeitskriterien:

  • Artikel 8: Unbegleitete Minderjährige werden mit ihren Angehörigen und Verwandten zusammengeführt, wenn sie dies wünschen.
  • Artikel 9: Asylsuchende werden mit ihren Angehörigen, die bereits internationalen Schutz erhalten haben, zusammengeführt, wenn sie dies wünschen.
  • Artikel 10: Asylsuchende werden mit ihren Angehörigen, die internationalen Schutz beantragt haben, zusammengeführt, wenn sie dies wünschen.
  • Artikel 11: Die Verfahren mehrerer Angehöriger werden in einem Staat durchgeführt, wenn sonst eine Trennung der Familie drohen würde.

Besteht ein Wunsch auf Familienzusammenführung, sollte dieser so früh wie möglich, d.h. idealerweise schon bei der Asylantragstellung, geäußert werden. Soweit vorhanden, sollten auch Nachweise über das Verwandtschaftsverhältnis bei der Behörde eingereicht werden.

Artikel 12 bis 15 Dublin III-VO enthalten einreisebezogene Zuständigkeitskriterien:

  • Artikel 12: Der Staat ist zuständig, der einen Aufenthaltstitel oder ein Visum ausgestellt hat.
  • Artikel 13: Der Staat ist zuständig, dessen Grenze eine asylsuchende Person illegal übertreten hat.
  • Artikel 14: Reist eine Person visumsfrei in einen Mitgliedstaat ein, weil für sie kein Visumszwang besteht, ist dieser Staat zuständig.
  • Artikel 15: Stellt eine Person im internationalen Transferbereich eines Flughafens eines Mitgliedstaates einen Antrag auf internationalen Schutz, ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig.

Die Frage, auf welchem Weg man nach Deutschland gekommen ist, ist also nur maßgeblich, wenn kein familienbezogenes Zuständigkeitskriterium greift. Es ist also nicht immer der Dublin-Staat zuständig, dessen Territorium zuerst betreten wurde.

Abweichend von den hierarchisch durchzuprüfenden Zuständigkeitskriterien gibt es zwei Möglichkeiten, die Zuständigkeit anderweitig zu bestimmen:

  • So kann gemäß Artikel 16 bei besonderer Hilfebedürftigkeit (z.B. Schwangerschaft, Krankheit oder Behinderung) eine Familienzusammenführung außerhalb der Kernfamilie durchgeführt werden.
  • Jeder Staat hat das Recht gemäß Artikel 17 Dublin-III-VO das sog. Selbsteintrittsrecht auszuüben, also sich abweichend von den Zuständigkeitskriterien für zuständig zu erklären.

Welche Fristen laufen im Dublin-Verfahren?

Steht die Zuständigkeit eines anderen Staates fest, wird der für zuständig befundende Staat angefragt, ob dieser die asylsuchende Person (wieder) aufnimmt. Bei dieser Anfrage handelt es sich entweder um ein Wiederaufnahmeersuchen, wenn die betreffende Person bereits in dem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat, oder um ein Aufnahmeersuchen, wenn dies nicht der Fall ist. Für diese Anfrage gilt eine Frist, deren Länge u.a. davon abhängig ist, ob ein sog. Eurodac-Treffer vorliegt oder nicht (weil die Fingerabdrücke der Person in der europäischen Datenbank zur Speicherung von Fingerabdrücken erfasst sind). Hält das BAMF die jeweils geltende Frist nicht ein, geht die Zuständigkeit auf Deutschland über.

Für den um (Wieder-)Aufnahme ersuchten Staat gilt ebenfalls eine bestimmte Frist, auf die Anfrage zu antworten. Reagiert der ersuchte Staat innerhalb dieser Frist nicht, gilt die Zustimmung zur (Wieder-)Aufnahme als erteilt (Zustimmungsfiktion).

Liegt die Zustimmung bzw. Zustimmungsfiktion eines anderen Dublin-Staates vor, wird der Asylantrag der jeweiligen Person wegen Unzuständigkeit Deutschlands als „unzulässig“ abgelehnt (>> Ablehnungsformen). Es ergeht dann ein sog. Dublin-Bescheid, der häufig so oder so ähnlich formuliert ist:

  1. Der Asylantrag wird als unzulässig abgelehnt.
  2. Abschiebungsverbote nach § 60 Absatz 5 und 7 AufenthG liegen nicht vor
  3. Die Abschiebung nach [= zuständiger Staat] wird angeordnet.

Manchmal, wenn die Abschiebung derzeit noch nicht durchgeführt werden kann, wird die Abschiebung nicht angeordnet, sondern angedroht. Dass es sich um einen Dublin-Bescheid handelt, erkennt man verlässlich nur aus dem Inhalt der Begründung. Wird ein anderer europäischer Staat in der Abschiebungsanordnung (oder Androhung) genannt, der nicht Herkunftsland des Antragstellers ist, spricht viel für einen Dublin-Bescheid es sei denn, der Antragsteller hat bereits in einem anderen europäischen Staat Schutz erhalten.

Sobald die Zustimmung bzw. die Zustimmungsfiktion des anderen Mitgliedstaats vorliegt, hat Deutschland in der Regel sechs Monate Zeit für die Überstellung der Person in den anderen Staat. Ist die Person „flüchtig“, verlängert das BAMF die Frist in der Regel auf 18 Monate, bei Haft beträgt sie zwölf Monate. Personen, die sich im Kirchenasyl befinden, sind nicht „flüchtig“, solange der Aufenthaltsort der Person den Behörden mitgeteilt wurde (offenes Kirchenasyl).

Erfolgt innerhalb der jeweils geltenden Frist keine Überstellung in den zuständigen Staat, geht die Zuständigkeit auf Deutschland über. In der Folge wird das Asylverfahren in Deutschland durchgeführt, der Asylantrag also inhaltlich geprüft.

Quelle: Informationsverbund Asyl & Migration

Welche Rechte haben Personen im Dublin-Verfahren?

Die Dublin-VO räumt Asylsuchenden bestimmte Verfahrensrechte und -garantien ein.

Artikel 4 Dublin-III-VO enthält das Recht, über das Dublin-Verfahren und die eigenen Rechte informiert zu werden (Recht auf Information). Diese Information muss bei der Asylantragstellung schriftlich in der Muttersprache oder einer Sprache, deren Verständnis vorausgesetzt werden kann, ergehen. Hierfür wird in der Regel ein Merkblatt verwendet. Wenn nötig, müssen die Informationen auch mündlich übermittelt werden, z.B. im persönlichen Gespräch gemäß Artikel 5 Dublin III-VO.

In Artikel 5 Dublin-III-VO ist das Recht auf ein persönliches Gespräch in einer Sprache, die die Person ausreichend versteht, festgehalten. Dieses Gespräch soll die Bestimmung des zuständigen Staates erleichtern und das Verständnis der antragstellenden Person über die Inhalte des in Artikel 4 Dublin-III-VO beschriebenen Merkblattes sichern. Dieses Gespräch soll möglichst früh im Verfahren geführt werden, in jedem Fall aber, bevor über die Überstellung der asylsuchenden Person entschieden wird. Der*die Asylsuchende sollte das persönliche Gespräch auch dazu nutzen, alle Gründe geltend zu machen, die gegen eine Überstellung in den anderen Staat sprechen. In bestimmten Fällen kann auf das persönliche Gespräch verzichtet werden, z.B. wenn bereits zuvor alle wesentlichen Angaben zur Bestimmung des zuständigen Staates gemacht wurden. In Deutschland ist die Praxis laut Dienstanweisung des BAMF folgendermaßen: Bereits bei der erkennungsdienstlichen Behandlung (z.B. Erfassung von Personendaten, Anfertigung von Fingerabdrücken und Lichtbildern) erfolgt die Erstbefragung zur Zulässigkeit (umgangssprachlich auch Reisewegsbefragung genannt). Danach findet die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags statt. Vorsorglich findet häufig im Anschluss eine Befragung zu den Fluchtgründen (sog. Anhörung zur Begründetheit) statt.

Dem Kindeswohl soll im Dublin-Verfahren besonders Rechnung getragen werden. Für Minderjährige formuliert Artikel 6 Dublin-III-VO folglich besondere Garantien. Unbegleiteten Minderjährigen müssen die Mitgliedstaaten demnach eine qualifizierte gesetzliche Vertretung zur Seite stellen.

Wie wird die Person in den zuständigen Staat überstellt?

Das deutsche Recht sieht bei Dublin-Fällen grundsätzlich die Überstellung in Form von Abschiebung vor (§ 34a AsylG). Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.9.2015 (1 C 27.14) sieht jedoch vor, dass auf Initiative der asylsuchenden Person die für den Vollzug von Dublin-Überstellungen zuständigen Behörden aus Gründen der Verhältnismäßigkeit prüfen müssen, ob der Person ausnahmsweise anstelle einer Abschiebung die Möglichkeit der selbstorganisierten Überstellung eingeräumt werden kann. Diese wird allerdings nur in absoluten Ausnahmefällen genehmigt. Personen, die dies versuchen möchten, sind auf intensive Kommunikation mit dem BAMF und dem Regierungspräsidium Karlsruhe angewiesen.

Weitere Informationen:

III. Rechtsmittel gegen den Dublin-Bescheid

Dem Dublin-Bescheid ist in aller Regel eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt. Darin ist bestimmt, bei welchem Gericht und in welcher Frist Rechtsmittel gegen den Bescheid eingelegt werden können.

In aller Regel ergeht im Dublin-Bescheid eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylG. Dann muss innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids Klage erhoben werden. Allerdings hindert eine fristgerecht eingereichte Klage die deutschen Behörden nicht an einer Abschiebung der antragstellenden Person, da die Klage keine aufschiebende Wirkung hat.

Einen (zumindest vorläufigen) Abschiebungsschutz kann man nur durch einen zusätzlichen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (sog. Eilantrag) erzielen. Auch für den Eilantrag gilt eine Frist von einer Woche (§ 34a Absatz 2 Satz 1 AsylG).

Wichtig: Die Entscheidung, ob ein Eilantrag gestellt wird oder nicht, sollte unbedingt von bzw. in Abstimmung mit einer Rechtsanwältin*einem Rechtsanwalt getroffen werden. Der Eilantrag führt nämlich immer dazu, dass die Überstellungsfrist wieder „auf Null“ gesetzt wird.

Hat der Eilantrag Erfolg, ordnet das Verwaltungsgericht also die aufschiebende Wirkung der Klage an, ist die betroffene Person jedenfalls bis zu einer abschließenden Entscheidung über die Klage vor einer Abschiebung sicher. In der Praxis führt ein erfolgreicher Eilantrag häufig dazu, dass das BAMF den Dublin-Bescheid aufhebt und die Person somit ein inhaltliches Asylverfahren durchläuft. Wird der Dublin-Bescheid nicht aufgehoben und die Klage scheitert im Hauptsacheverfahren, bleibt der Dublin-Bescheid in Kraft und die Überstellungsfrist beginnt ab Rechtskraft der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung neu zu laufen.

Wird der Eilantrag abgelehnt, beginnt die sechsmonatige Überstellungsfrist am Tag der Ablehnung durch das Gericht neu zu laufen.

In sehr seltenen Fällen enthält der Dublin-Bescheid eine Abschiebungsandrohung. Dann beträgt die Klagefrist zwei Wochen und die Klage hat aufschiebende Wirkung, schützt also vor Abschiebung.

IV. Weiterführende Arbeitshilfen

Hinweis: Dieser Artikel beruht auf einer Arbeitshilfe, die im Rahmen des Projekts „Aktiv für Flüchtlinge“ erarbeitet wurde. Die Erstellung der Arbeitshilfe wurde gefördert durch das Ministerium der Justiz und für Migration aus Landesmitteln, die der Landtag Baden-Württemberg beschlossen hat, erarbeitet.


Zahlen und Fakten

Im Jahr 2022 waren weltweit insgesamt 108,4 Millionen Menschen auf der Flucht. Aber nur ein kleiner Bruchteil der weltweit flüchtenden Menschen flieht nach Europa. In Deutschland stellten 2022 beispielweise nur 244.132 Menschen einen Asylantrag (BAMF: 2022).

I. Aussagekraft von Zahlen zu geflüchteten Menschen
II. Geflüchtete Menschen weltweit
III. Die Fluchtwege
IV. Geflüchtete Menschen in der EU
V. Geflüchtete Menschen in Deutschland
VI. Geflüchtete Menschen in Baden-Württemberg

I. Aussagekraft von Zahlen zu geflüchteten Menschen

Die regelmäßig veröffentlichten Zahlen liefern eine gute Möglichkeit, sich ein Bild über die gegenwärtigen Fluchtbewegungen zu machen. Trotzdem ist hier kritisches Mitdenken von Nöten: Es ist grundsätzlich sinnvoll, zu fragen, wer welche Daten auf welcher Grundlage erhebt. Der UNHCR weist beispielsweise explizit daraufhin, dass die Daten, die in den jährlichen Global Trends Reports veröffentlicht werden, auf verschiedenen Angaben von Regierungen, NGOs und eigenen Erhebungen basieren und behält sich darüber hinaus mögliche Änderungen vor. Es ist also immer zu prüfen, welche Personengruppen erfasst werden und welche nicht und wie die vorliegenden Zahlen vor diesem Hintergrund interpretiert werden müssen. Hilfreich ist stets, verschiedene Quellen zu Rate zu ziehen und miteinander abzugleichen.

II. Geflüchtete Menschen weltweit

Ende 2023 waren weltweit insgesamt 117,3 Millionen Menschen auf Grund von Verfolgung, gewaltsamen Konflikten oder anderweitigen Menschenrechtsverletzungen auf der Flucht (2022: 108,4, 2021: 89,3 Millionen). Somit waren Ende 2023 8,9 Millionen Menschen mehr auf der Flucht als noch Ende 2022 – dies entspricht einem Anstieg von 8 Prozent (UNHCR: 2024). Einen Anstieg gab es auch bei der Zahl der Asylanträge beim UNHCR oder bei einem Nationalstaat (2023: 3,6 Millionen, 2022: 2,6 Millionen), die meisten Asylanträge wurden dabei in den USA (2,1 Millionen), Deutschland (329.100) und Ägypten (183.100) gestellt. Die meisten der insgesamt 117,3 Millionen Flüchtenden im Jahr 2023 flüchteten allerdings nicht ins Ausland: Mehr als 68 Millionen Menschen (2022: 62 Millionen) und damit ungefähr 58 Prozent aller Flüchtenden suchten eine Zuflucht innerhalb des eigenen Landes (sog. Binnenvertriebene).

73 Prozent aller Geflüchteten kamen aus nur fünf Staaten: Afghanistan (etwas über 6,4 Millionen), Syrien (6,4 Millionen), Venezuela (6,1 Millionen), der Ukraine (6 Millionen) und dem Sudan (1,5 Millionen) (UNHCR: 2024). Auch dreizehn Jahre nach Kriegsbeginn kommt folglich ein großer Teil der weltweit geflüchteten Menschen aus Syrien. Aber auch die Gewaltherrschaft der Taliban (UNO Flüchtlingshilfe: 2024), der Krieg in der Ukraine und die angespannte Situation in Venezuela prägten das Fluchtgeschehen im Jahr 2023 maßgeblich. Weiterhin treibt auch der 2023 ausgebrochene Krieg im Sudan zunehmend mehr Menschen in die Flucht (UNO Flüchtlingshilfe: 2024).

Nur 25 Prozent der Geflüchteten lebten 2023 in wirtschaftlich stark entwickelten Ländern („high-income countries“). Dieser Prozentsatz ist allerdings höher als in den Jahren vor 2022, was auf die verstärkte Aufnahme von ukrainischen Geflüchteten, vor allem in europäischen Ländern, zurückgeführt werden kann. 21 Prozent aller Geflüchteten lebten 2023 in den am wenigsten entwickelten Ländern („least-income countries“), während die große Mehrheit aller Geflüchteten (75 Prozent) in Ländern mit mittlerem und geringem Einkommen („low-and-middle-income countries“) lebte. Allein im Iran lebten Ende 2023 3,8 Millionen geflüchtete Menschen, gefolgt von der Türkei (3,3 Millionen), von Kolumbien (2,9 Millionen), Deutschland (2,6 Millionen) und Pakistan (2 Millionen) (UNHCR: 2024).

40 Prozent der 117,3 Millionen Flüchtenden sind minderjährig (UNHCR: 2024). Diese Kinder sind ganz besonders gefährdet, denn sie werden häufig als Kindersoldat*innen rekrutiert, müssen Kinderarbeit leisten oder werden Opfer von Kinderhandel (ECPAT 2023). Lange Jahre der Flucht erschweren außerdem Schulbildung und verstärken das Risiko auf lebenslange Armut.

2023 kehrten über eine Million Geflüchtete freiwillig mit Hilfe des UNHCR oder eigenständig in ihre Heimatländer zurück. (UNO Flüchtlingshilfe: 2024).

III. Die Fluchtwege

Flucht ist ein gefährliches und teures Unterfangen, da es nur selten Visa für Flüchtende gibt und diese somit zu illegalen Grenzüberschreitungen gezwungen werden. Die meisten Vertriebenen bleiben daher in ihrem Land oder in den angrenzenden Staaten. Die allerwenigsten begeben sich auf den Weg nach Europa. Wurden 2015 laut FRONTEX, der Europäischen Agentur für Grenz- und Küstenwache, noch mehr als 1,8 Millionen irreguläre Grenzüberschreitungen gezählt, lag die Zahl 2022 bei ca. 330.000 (FRONTEX: 2023).

Insgesamt sind im Jahr 2022 weltweit mindestens 6.876 Menschen auf der Flucht gestorben oder wurden vermisst gemeldet, die Dunkelziffer wird weit höher geschätzt (IOM: 2023). In afrikanischen Staaten allein wurden 2022 993 Todes- und Vermisstenfälle registriert (Statista: 2023). Die Zahl der nicht registrierten Fälle dürfte auch hier um ein Vielfaches höher liegen. Ein großes Risiko stellt insbesondere die sogenannte Sahelroute dar, die durch die Sahara verläuft: Viele Menschen verdursten in der Wüste auf dem Weg aus ihren Heimatländern (z.B. Mali, Sudan oder Tschad) in Zielländer wie Libyen, Südafrika und die Golfstaaten (UNO Flüchtlingshilfe: 2022).

Zu den häufigsten Fluchtrouten zählt nach wie vor der Weg über das Mittelmeer. Aus westafrikanischen Ländern flüchten viele Schutzsuchende über Niger und Mali nach Algerien oder Marokko, um über die westliche Mittelmeerroute nach Spanien zu gelangen. Die zentrale Mittelmeerroute, die viele Flüchtende aus Ländern wie Somalia, Eritrea oder dem Sudan nutzen, führt über Libyen nach Italien oder Malta. Insbesondere der Weg durch Libyen ist gefährlich, denn dort werden Schutzsuchende häufig Opfer von Sklaverei, Inhaftierung, Folter und gezielter Gewalt.

Die Mittelmeerroute wird als „tödlichste Seeroute der Welt“ bezeichnet. Im Jahr 2022 sind 150.177 Menschen über das Mittelmeer nach Europa gekommen, 1.940 Menschen starben bei der Überquerung oder werden noch vermisst (UNO Flüchtlingshilfe: 2022). Damit sind die Zahlen sogar höher als vor der Corona-Pandemie (2019: 123.663 Ankünfte und 1.335 Todesfälle, UNHCR: 2023). Die europäische Politik unternimmt weiterhin keinerlei Anstrengung in Richtung einer institutionalisierten Seenotrettung. Stattdessen häufen sich völkerrechtswidrige und gewaltsame „Push-Backs“ (Zurückdrängung) von Flüchtenden an den Außengrenzen (PRO ASYL: 2022). Als Antwort auf die vielen Sterbenden im Mittelmeer gründeten sich private Initiativen wie die internationale Bewegung „Seebrücke“, die diese Lücke zu schließen versuchen, zunehmend aber behindert und kriminalisiert werden (UNHCR: 2022).

Wie sich die Zahlen der Menschen, die übers Mittelmeer nach Europa kamen, in den letzten Jahren entwickelt haben, ist in der folgenden Grafik zu sehen:

(Quelle: UNHCR 2023)

Weitere Informationen:

  • Watch the med: Online Mapping Plattform, die Todesfälle und Menschenrechtsverletzungen an Migrant*innen an den Außengrenzen der EU nachverfolgt
  • Alarmphone: ein selbstorganisiertes Call-Center für Geflüchtete, die auf dem Mittelmeer in Seenot geraten

IV. Geflüchtete Menschen in der EU

In der EU richten sich Asylverfahren nach dem „Gemeinsamen Europäischen Asylsystem“ (GEAS), u.a. bestehend aus der Asylverfahrens-, Aufnahme- und der Qualifikations-Richtlinie sowie der Dublin-III-Verordnung. Die Richtlinien müssen von den EU-Staaten umgesetzt werden. Sie sollen bewirken, dass EU-weit einheitliche Schutzstatus (Qualifikationsrichtlinie) sowie bestimmte Rechte und Aufnahmestandards während des Asylverfahrens gewährleistet sind (Asylverfahrens- und Aufnahmerichtlinie). Die Dublin-Verordnung schreibt fest, dass Geflüchtete in nur einem EU-Staat einen Asylantrag stellen dürfen. Zudem können sich Geflüchtete grundsätzlich nicht aussuchen, in welchem Staat ihr Asylverfahren durchgeführt wird (>> Das Dublin-Verfahren).

Seit 2016 wird in der EU über mögliche Reformen des GEAS verhandelt. Eine „gerechte Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten“ wird gefordert und Sekundärmigration soll unterbunden werden. Am 8. Juni 2023 einigte sich der Europäische Rat auf drastische Verschärfungen der Asyl- und Migrationspolitik (Europäischer Rat: 2023). Diese werden allerdings erst dann Gesetz, wenn EU-Kommission, EU-Rat und Europäisches Parlament sie endgültig beschließen.

Im Jahr 2022 wurden in der EU 962.160 Asylanträge gestellt, das ist ein Anstieg um rund 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 881.220 davon waren Erstanträge (64 Prozent mehr als im Vorjahr). Die meisten Asylerstanträge wurden von Personen aus Syrien gestellt (15 Prozent), gefolgt von Afghanistan (12,9 Prozent), Venezuela (6 Prozent) und der Türkei (6 Prozent). 25,2 % der Asylsuchenden waren noch minderjährig, über 42.000 kamen als unbegleitete Minderjährige in die EU. Insgesamt wurden etwa 384.000 Asylsuchende innerhalb der EU als schutzberechtigt anerkannt. Insgesamt warteten Ende 2022 noch über 870.000 Menschen auf eine Entscheidung ihres Asylantrags (Eurostat: 2023).

Die Anerkennungsquoten innerhalb der EU unterscheiden sich stark: Beispielsweise lag im Jahr 2021 die Schutzquote für Menschen aus Afghanistan zwischen 9 Prozent in Bulgarien und 100 Prozent in Spanien und Portugal (EU: 2022).

V. Geflüchtete Menschen in Deutschland

2023 stellten 351.915 Personen einen Asylantrag in Deutschland. Im Vergleich zum Vorjahr (244.132) bedeutet dies einen Anstieg um rund 44 Prozent. Von den 329.120 Erstanträgen entfallen 6,8 Prozent auf Anträge, die für in Deutschland geborene Kinder gestellt wurden. Die meisten Menschen, die 2023 in Deutschland Erstanträge stellten, kamen aus Syrien (31,3 Prozent), der Türkei (18,6 Prozent) und Afghanistan (15,5 Prozent) (BAMF: 2023). 

Auch wenn die Zahlen im Vergleich zum letzten Jahr deutlich angestiegen sind, liegen sie immer noch deutlich hinter den von 2015 (476.469) und 2016 (745.545). Die vergleichsweise niedrigen Zahlen haben u.a. mit der europäischen Abschottungspolitik zu tun (siehe oben).

2023 wurden 15.269 Asylerstanträge von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten gestellt (2022: 7.277). 40,7 Prozent dieser Personen kamen aus Syrien, 39,9 aus Afghanistan und 5,4 Prozent aus der Türkei. Unbegleitete minderjährige Geflüchtete sind Personen unter 18 Jahren, die ohne Begleitung eines für sie verantwortlichen Erwachsenen einreisen. Damit sind sie besonders vulnerabel (BAMF: 2024).

Die folgende Grafik schlüsselt alle Asylerstanträge aus dem Jahr 2023 nach den Staatsangehörigkeiten der Antragsteller*innen auf.

(Quelle: BAMF 2023)

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat 2023 über insgesamt 261.601 Asylanträge (Erst- und Folgeanträge) entschieden (2022: 228.673). Dabei lag die Gesamtschutzquote für alle Staatsangehörigkeiten und Schutzformen (Asylberechtigung, Flüchtlingseigenschaft, subsidiärem Schutz oder nationalem Abschiebungsverbot, >> Anerkennungsformen) bei 51,8 Prozent (135.277 positive Entscheidungen von insgesamt 261.601). Im Ergebnis ging mehr als die Hälfte aller Asylverfahren positiv aus. Rechnet man die Anträge heraus, die aus formellen Gründen abgelehnt wurden (z.B. weil ein anderer EU-Mitgliedstaat für das Asylverfahren zuständig ist), lag die sog. „bereinigte“ Schutzquote bei etwa 69 Prozent (PRO ASYL:2024). Personen aus Syrien (88,2 Prozent) und Afghanistan (76,5 Prozent) bekamen deutlich häufiger einen Schutzstatus (BAMF: 2024).

Gegen Entscheidungen des BAMF klagten (im Zeitraum Januar bis August 2023) insgesamt 30,9 Prozent der Geflüchteten, bei den Ablehnungen als „unbegründet“ beträgt dieser Wert 88,3 Prozent (Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke, BT-Drs.:20/9933).

Insgesamt wurden 2023 16.430 Menschen und damit deutlich mehr Menschen als im Vorjahr (2022: 12.945 Menschen) aus Deutschland abgeschoben (Kleine Anfrage der Fraktion AfD, BT-Drs: 20/10520).

Weitere Informationen:

VI. Geflüchtete Menschen in Baden-Württemberg

Jedes Bundesland ist dazu verpflichtet, einen bestimmten Prozentanteil der Geflüchteten, die nach Deutschland kommen, aufzunehmen. Dieser Anteil wird jedes Jahr durch den Königsteiner Schlüssel berechnet, der sich zu 2/3 aus den Steuereinnahmen und zu 1/3 aus der Bevölkerungszahl ergibt. Dementsprechend musste Baden-Württemberg im Jahr 2022 13,04 Prozent der registrierten Geflüchteten aufnehmen (BAMF: 2022).

In Baden-Württemberg werden die Geflüchteten zunächst in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht, die über das ganze Land verteilt sind. Mehr dazu unter >> Unterbringung und Wohnen.


Das Asylverfahren

Der erste Schritt zum Stellen eines Asylantrags ist die Abgabe eines Asylgesuchs. In der Regel erfolgt dies in einer Erstaufnahmeeinrichtung. Damit ist der Asylantrag allerdings noch nicht gestellt, dafür gibt es einen separaten Termin. Danach wird die antragstellende Person zu einer persönlichen Anhörung eingeladen. Die dort gemachten Angaben sind entscheidend für den Ausgang des Asylverfahrens.

Im folgenden Artikel wird in aller Kürze der Ablauf des Asylverfahrens dargestellt. Für Hinweise, wie ehrenamtlich Engagierte asylsuchende Personen während des Asylverfahrens unterstützen können, sei auf den Beitrag >> Begleitung im Asylverfahren verwiesen.

I. Das Asylgesuch
II. Die Asylantragstellung
III. Die Anhörung
IV. Exkurs: Folgeantrag
V. Die Entscheidung
VI. Weitere Informationen

I. Das Asylgesuch

Der erste Schritt im Asylverfahren ist die Abgabe des sog. Asylgesuchs. Hierbei handelt es sich nicht um einen formellen Akt, sondern lediglich um die Mitteilung, dass man Asyl beantragen will. Das Asylgesuch kann bei einer Polizeidienststelle, Grenzbehörde, Ausländerbehörde oder direkt in einer Aufnahmeeinrichtung für Asylsuchende gestellt werden.

Wenn das Asylgesuch nicht in einer Erstaufnahmestelle geäußert wurde, muss man sich unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, in eine Erstaufnahmeeinrichtung begeben. Als Richtwert gilt hier ein Zeitraum von ein bis zwei Wochen. Im Einzelfall kann aber auch ein etwas längerer Zeitraum noch als unverzüglich gelten, wenn die Person, z.B. wegen einer Krankheit, am Aufsuchen der Erstaufnahmestelle verhindert war.

Wichtig: Personen die neu in Deutschland sind und einen Asylantrag stellen wollen, sollten sich so bald wie möglich von einer unabhängigen Beratungsstelle zur anstehenden Anhörung beraten lassen. Denn zwischen dem Stellen des Asylgesuchs und der Anhörung ist häufig nur wenig Zeit.

Nach Stellen des Asylgesuchs in einer Erstaufnahmeeinrichtung erhält man ein erstes Dokument. In der Regel ist dies der sog. Ankunftsnachweis (Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender) (§ 63a AsylG).

II. Die Asylantragstellung

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist für Asylanträge zuständig. Der Asylantrag wird in der Regel in einer BAMF-Außenstelle in der Erstaufnahmeeinrichtung gestellt (§ 14 Absatz 1 AsylG). Nach der Registrierung bzw. dem Asylgesuch erhält die Person, die einen Asylantrag stellen möchte, einen Termin bei der Außenstelle des BAMF, um dies zu tun. Beim Termin zur Antragsstellung werden die Geflüchteten mithilfe von Dolmetscher*innen über ihre Rechte und Mitwirkungspflichten im Asylverfahren informiert.

Die wichtigste Mitwirkungspflicht ist die Bekanntgabe der jeweils aktuellen Adresse an das BAMF. Falls noch nicht zuvor geschehen, werden bei der Asylantragstellung die persönlichen Daten der Asylsuchenden erhoben, sie werden fotografiert und von Personen ab 14 Jahren werden auch Fingerabdrücke genommen. Die Menschen werden auch gefragt, auf welchem Weg bzw. auf welcher Route sie nach Deutschland gekommen sind. Dies tut man, um herauszufinden, ob ein anderes europäisches Land im Rahmen der Dublin-Verordnung für die asylsuchende Person zuständig ist (>> Das Dublin-Verfahren).

Nach der Asylantragstellung erhält der*die Asylsuchende die sog. Aufenthaltsgestattung (§ 55 AsylG). Dieses Dokument besagt, dass die Person sich rechtmäßig in Deutschland zum Zweck der Durchführung des Asylverfahrens aufhält. Manchmal wird das Dokument erst einige Zeit nach der Antragsstellung ausgehändigt, der Status entsteht aber unabhängig vom Besitz des Dokuments.

Für unverheiratete Kinder unter 18 Jahren wird automatisch ein Asylverfahren eingeleitet, wenn die Eltern einen Asylantrag stellen und die Kinder mit ihren Eltern gemeinsam einreisen oder sich bereits ohne Aufenthaltserlaubnis in Deutschland aufhalten (§ 14a Absatz 1 AsylG). Auch für Kinder unter 18 Jahren, die später nachkommen, oder für Kinder, die in Deutschland geboren werden, wird automatisch ein Asylverfahren eingeleitet – auch dann, wenn die Eltern bereits eine Ablehnung im Asylverfahren erhalten haben. Es besteht die Möglichkeit, auf die Durchführung eines Asylverfahrens für die Kinder zu verzichten.

Nachdem der Asylantrag gestellt wurde, prüft das BAMF im Rahmen des Dublin-Verfahrens, ob ein anderer Staat für das Asylverfahren zuständig ist. Ausführliche Informationen hierzu sind unter >> Das Dublin-Verfahren zu finden.

Weitere Informationen:

III. Die Anhörung

Welche Bedeutung hat die Anhörung?

Der mit Abstand wichtigste Bestandteil des Asylverfahrens ist die Anhörung beim BAMF. Die Anhörung findet in aller Regel in einer BAMF-Außenstelle statt, § 25 Absatz 7 AsylG sieht jedoch seit 1.1.2023 vor, dass sie ausnahmsweise auch per Video erfolgen kann. Zur Anhörung wird die asylsuchende Person schriftlich geladen. Kann der Termin aus triftigen Gründen nicht wahrgenommen werden, kann um eine Verlegung gebeten werden. Falls die Person unentschuldigt der Anhörung fernbleibt, wird der Asylantrag abgelehnt oder das Verfahren eingestellt.

In der Anhörung bekommen Asylbewerber*innen die Gelegenheit, die Gründe für ihre Flucht ausführlich und detailliert darzulegen. Das Vorbringen in der Anhörung stellt häufig die einzige Grundlage für die Entscheidung des Bundesamts dar, wobei (Übersetzungs-)Fehler und Missverständnisse im Nachhinein schwer korrigierbar sind und bis in ein mögliches Gerichtsverfahren fortwirken können. Das Vorbringen der asylsuchenden Person muss glaubhaft sein; daher kommt es darauf an, das Erlebte möglichst detailreich und authentisch zu schildern. Sehr zu warnen ist vor vermeintlich erfolgreichen erdachten Fluchtgeschichten, die in Geflüchtetenkreisen manchmal kursieren. Selbst kleine Unstimmigkeiten oder Widersprüche können nämlich dazu führen, dass dem gesamten Vortrag des geflüchteten Menschen kein Glauben geschenkt wird und somit eine Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“ – die „schlechteste“ Form der Ablehnung – ergeht (>> Ablehnungsformen).

Für Geflüchtete stellt die Anhörung oftmals eine Extremsituation dar – nicht nur aufgrund des Wissens um die Bedeutung für das eigene Asylverfahren. Häufig haben die Menschen auch schlechte Erfahrungen im Umgang mit Behörden gemacht und verhalten sich deshalb zurückhaltend oder ängstlich während der Anhörung. Dies kann dazu führen, dass auf Fragen nur sehr knapp geantwortet wird und möglichem Drängen der anhörenden Person auf einen schnellen Abschluss der Anhörung nachgegeben wird. Dies ist jedoch alles andere als zielführend, da gerade in der Anhörung alle wesentlichen Fluchtgründe vorgebracht werden müssen. Auch stellt die Anforderung, über traumatische Erlebnisse sprechen zu müssen, für viele Menschen eine hohe Hürde dar.

Was ist im Vorfeld der Anhörung zu organisieren?

Die Anhörungen sind meist auf 8 Uhr morgens terminiert. Je nachdem, von welchem Ort aus die Anreise erfolgt, kann es ggf. sinnvoll sein, am Vorabend anzureisen und zu übernachten.

Wenn es aus wichtigen Gründen nicht möglich ist, so früh vor Ort zu sein, kann man versuchen, mit dem BAMF einen späteren Termin auszumachen.

Die asylsuchende Person muss pünktlich vor Ort sein, es kann aber sein, dass sie lange darauf warten muss, dass ihre Anhörung beginnt. Daher sollte man ausreichend Essen und Trinken mitbringen.

Für besonders schutzbedürftige Geflüchtete (z.B. unbegleitete Minderjährige, Folteropfer, Betroffene von Menschenhandel) gibt es speziell geschulte Entscheider*innen, die sog. Sonderbeauftragten. Diese können beim BAMF im Vorfeld der Anhörung angefordert werden. Zudem ist es Menschen, die geschlechtsspezifische Verfolgung erlitten haben, oftmals nicht möglich, das Erlebte gegenüber Vertreter*innen des anderen Geschlechts zu erzählen. In solchen Fällen können weibliche oder männliche Dolmetscher*innen beantragt werden.

Wer nimmt an der Anhörung teil?

Die Anhörungen sind nicht öffentlich. Es können aber ein Rechtsanwalt*eine Rechtsanwältin sowie ein*e Vertreter*in des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) und bei unbegleiteten Minderjährigen deren Vormund teilnehmen. Eine weitere Vertrauensperson – z.B. ein*eine ehrenamtlich Engagierte*r – kann als sog. Beistand*Beiständin (§ 14 VerwVfG) teilnehmen, dies sollte aber vorher beim BAMF angezeigt werden (für genauere Informationen >> Begleitung im Asylverfahren).

Wie läuft die Anhörung ab?

Die Anhörung findet in der Muttersprache des*der Antragsstellenden statt oder in einer anderen Sprache, die die Person beherrscht. Das BAMF stellt dann eine*einen Dolmetscher*in für die entsprechende Sprache. Bei Vorbehalten in Bezug auf die*den Dolmetscher*in oder bei Verständnisproblemen (z.B. weil die*der Dolmetscher*in einen anderen Dialekt spricht), sollte die antragstellende Person ihre Einwände zu Protokoll geben und eine andere dolmetschende Person verlangen. Zur Not muss die Anhörung vertagt werden.

Bei der Anhörung werden in der Regel Fragen zur Person, zum Herkunftsland und zum Fluchtweg gestellt. Anschließend wird die Person aufgefordert, ihre individuellen Fluchtgründe zu schildern und zu erläutern, was ihr im Falle einer Rückkehr ins Heimatland drohen würde. Hier steht das eigene Fluchtschicksal im Vordergrund. Die Erlebnisse von Angehörigen oder die allgemeine politische Situation im Heimatland können zur Veranschaulichung herangezogen werden, dabei sollte jedoch beschrieben werden, inwiefern dies in Zusammenhang mit der asylsuchenden Person selbst steht.

Der*die Antragsteller*in hat das Recht, alles vorzutragen, was ihm*ihr relevant erscheint. Anhörende und dolmetschende Person dürfen nicht darauf drängen, sich auf kurze Antworten zu beschränken oder Fragen nur mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten.

Wichtig: Die Schilderungenwerden ins Deutsche übersetzt und protokolliert. Die antragstellende Person hat das Recht, sich das Protokoll am Ende der Anhörung in die eigene Sprache rückübersetzen zu lassen. Sie bekommt so Gelegenheit, das Gesagte noch während der Anhörung zu ergänzen oder richtigzustellen. Da dies die einzige Möglichkeit darstellt, Fehldarstellungen zu korrigieren, sollte nicht auf die Rückübersetzung verzichtet werden. Schließlich wird dem*der Asylsuchenden das Protokoll zur Unterschrift vorgelegt. Wenn weiterhin Fehler darin enthalten sind und keine Änderung erfolgt, sollte das Protokoll nicht unterzeichnet werden.

Welche weiteren Rechte haben geflüchtete Menschen bei der Anhörung?

Neben der vom BAMF gestellten dolmetschenden Person können Asylantragsteller*innen die Anwesenheit eines*einer zusätzlichen Dolmetscher*in beim BAMF beantragen. Er*sie kann unter Umständen auf Übersetzungsfehler hinweisen und/oder die Übersetzer*innen des BAMF unterstützen.

In einigen Fällen kommt es vor, dass geflüchtete Menschen gehemmt sind, die von ihnen erfahrene Verfolgung detailliert zu schildern. Grund hierfür kann die Angst sein, Angehörige im Heimatland könnten durch die eigene Aussage zu Schaden kommen. Grundsätzlich dürfen die beim BAMF zu Protokoll gegebenen Informationen nicht herausgegeben werden. Bestehen dennoch entsprechende Befürchtungen, so sollten diese im Interview zumindest geäußert und ins Protokoll aufgenommen werden.

Die Anhörung kann im Notfall jederzeit unterbrochen oder abgebrochen und an einem anderen Tag fortgeführt werden. Dies ist insbesondere dann ratsam, wenn aufgrund von Retraumatisierung eine psychische Dekompensation droht.

Weitere Informationen:

IV. Exkurs: Folgeantrag

Hat man bereits einen Asylantrag in Deutschland gestellt, der entweder zurückgenommen oder unanfechtbar abgelehnt worden ist, so ist jeder weitere Asylantrag ein so genannter Folgeantrag (§ 71 AsylG). In diesem Fall prüft das BAMF zunächst, ob es Gründe gibt, die ein Wiederaufgreifen des Verfahrens rechtfertigen (Details unter >> Asylfolgeantrag).

V. Die Entscheidung

Auf Basis der bei der Anhörung gemachten Angaben und der vorliegenden Dokumente und Beweismittel entscheidet das Bundesamt über den Asylantrag. Dabei gilt das Einzelschicksal als maßgeblich. Die Entscheidung wird schriftlich begründet und den Beteiligten, also dem*der Antragsteller*in oder Verfahrensbevollmächtigten, sowie den zuständigen Ausländerbehörden mitgeteilt. Im Falle einer Ablehnung im Asylverfahren, sind die Rechtsmittelfristen sehr kurz, daher sei an dieser Stelle nochmals auf die Pflicht des*der Asylsuchenden, dem BAMF die jeweils aktuelle Adresse mitzuteilen, verwiesen.

Bei jedem Asylantrag prüft das Bundesamt auf Grundlage des Asylgesetzes, ob eine der vier Schutzformen – Asylberechtigung, Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz oder ein Abschiebungsverbot – vorliegt. Nur wenn keine dieser Schutzformen in Frage kommt, wird der Antrag abgelehnt und eine Abschiebung angedroht. Unterschieden wird zwischen einer „einfachen“ Ablehnung und einer Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“ oder „unzulässig“. Über die Anerkennung oder Ablehnung eines Asylantrages und die sich daraus ergebenen Konsequenzen informieren die Beiträge >> Ablehnungsformen und >> Anerkennungsformen.

Das Bundesamt muss grundsätzlich innerhalb von sechs Monaten über den Asylantrag entscheiden, in bestimmten Fällen ist eine Verlängerung der Frist möglich (§ 24 Absatz 4 AsylG).

VI. Weiterführende Arbeitshilfen


Fluchtursachen

Hinter jeder Fluchtgeschichte steht ein Mensch. Ein Mensch mit individuellen Eigenschaften, Erfahrungen und Bedürfnissen. Die einzige Gemeinsamkeit von geflüchteten Menschen ist, dass sie in der Hoffnung auf Schutz und ein besseres Leben ihr Land verlassen haben. Entsprechend unterschiedlich und vor allem vielschichtig sind die Ursachen, die zur Flucht geführt haben. Allen Gründen gemein ist die Angst um das eigene Leben, um das Wohlergehen der Familie und die Hoffnung auf ein besseres Leben. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über unterschiedliche Fluchtursachen und deren komplexes Zusammenwirken gegeben werden.

I. Krieg und Gewalt
II. Menschenrechtsverletzungen
III. Klimawandel/Naturkatastrophen
IV. Informationsressourcen zu weiteren Fluchtursachen

I. Krieg und Gewalt

Krieg ist weltweit die zentrale Fluchtursache. In jedem siebten Staat der Erde herrscht entweder Krieg oder eine bewaffnete Auseinandersetzung Im Jahr 2021 gab es 22 Kriege und  sechs bewaffnete Konflikte (Frieden fragen: 2022). Geflüchtete aus Ländern, in denen seit Jahrzehnten Krieg und Gewalt herrschen, wie Syrien, Somalia, dem Sudan oder Afghanistan, leben oftmals seit Generationen im Exil. Auch mehr als 70 Prozent der Menschen, die in Deutschland nach Asyl suchen, kommen aus akuten Krisen- und Kriegsgebieten (UNO Flüchtlingshilfe: 2022).

Jeder kriegerische Konflikt führt zu existenziellen Bedrohungen für die Bevölkerung: Menschen fliehen vor Kämpfen und Bomben. Die Gewalt richtet sich oft auch gezielt gegen Zivilist*innen: Menschenrechtsverletzungen, Vergewaltigungen, Massenhinrichtungen, Verschleppung oder die zwangsweise Rekrutierung von jungen Männern oder auch Kindern sind in vielen Regionen zu Mitteln der Kriegsführung geworden. Ein normales Leben wird oftmals unmöglich, gewaltsame Konflikte und Kriege führen zu Tod und Verletzungen, Armut und Hunger. Auch die Lebensgrundlage wird zerstört: Felder können nicht mehr bestellt werden, Arbeitsplätze fallen weg, Lebensmittel werden knapp und Preise steigen. Weiterhin gibt es Angriffe auf die Infrastruktur: Straßen, Brücken, Strom- und Wasserversorgung, Schulen und Krankenhäuser werden beschädigt oder zerstört, Medikamente und medizinisches Gerät wird knapp.

An bestehenden Konflikten sind Deutschland und andere Nationen des Globalen Nordens (die neutralen Bezeichnungen Globaler Norden und Globaler Süden sind weniger geografisch zu verstehen, sondern zielen vor allem darauf ab, ein Land nach seinen ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Charakteristiken im globalen Kontext einzuordnen) nicht unbeteiligt: Durch Waffenhandel tragen diese Staaten eine entscheidende Mitverantwortung für die gewaltsame Eskalation dieser Konflikte und den Tod tausender Zivilist*innen. So verkauft Deutschland jährlich Waffen und Rüstungsgüter für mehrere Milliarden Euro und gehört dadurch nach den USA, Russland, China und Frankreich zu den größten Waffenexporteuren weltweit.

Weitere Informationen:

II. Menschenrechtsverletzungen

Menschenrechte sind laut der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte universell, unveräußerlich und unteilbar. In der Realität sieht es jedoch ganz anders aus.

Häufig macht die stumme Gewalt der Lebensverhältnisse ein Leben in Würde, Freiheit und Sicherheit unmöglich: Kein Zugang zu sauberem Wasser, ausreichender Nahrung, einem Dach über dem Kopf, zu Bildung und Gesundheit. Darüber hinaus ist die Beschneidung von Rechten durch Gesetze und staatliches Handeln in vielen Ländern gang und gäbe: Drei von vier Regierungen schränken die Meinungsfreiheit ein. In mehr als drei von fünf Ländern werden Menschen gefoltert oder anderweitig misshandelt. Beispielsweise gibt es in 69 Ländern Gesetze, die gleichgeschlechtliche Beziehungen unter Strafe stellen (ILGA World: 2020). Das sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass die Verfolgung von politischen Meinungen und von der Mehrheit abweichenden Lebensweisen auf der Welt nicht die Ausnahme, sondern die Regel darstellt und zu Flucht führt.

Obwohl Deutschland alle internationalen Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte unterzeichnet hat, vergibt die EU Milliarden an Staaten wie Eritrea, den Sudan, Marokko oder die Türkei, die Menschenrechte systematisch missachten, damit diese Staaten Menschen von der Flucht in Richtung Europa abhalten.

Weitere Informationen:

III. Klimawandel/Naturkatastrophen

Naturkatastrophen und die Auswirkungen des Klimawandels zwingen Menschen zur Flucht. Naturkatastrophen mit fatalen Folgen gab es schon immer. Jedoch werden sie durch die globale Klimaerwärmung um ein Vielfaches verschärft und entstehen auch häufiger. Das Weltklima ändert sich deutlich schneller als angenommen und verursacht in vielen Regionen der Welt Dürre, Überschwemmungen und schwere Stürme. Betroffen sind vor allem krisengeschüttelte Länder des Globalen Südens. Diese haben meist nicht die Ressourcen, um die Auswirkungen zu verhindern oder sich an die zunehmend unwirtliche Umwelt und die erschwerten Lebensbedingungen anzupassen. Laut dem Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) haben 2021 rund 23,7 Millionen Menschen ihre Heimat aufgrund von Naturereignissen, wie Dauerregen, langanhaltenden Dürren, Hitzewellen und Stürmen sowohl kurz- als auch langfristig verlassen müssen (UNO-Flüchtlingshilfe: 2022). In Deutschland und Europa ist diese Entwicklung jedoch kaum sichtbar, da zum einen die Folgen des Klimawandels hier nur bedingt spürbar sind und zum anderen der Großteil der betroffenen Menschen Zuflucht in den angrenzenden Regionen sucht und somit häufig nicht nach Europa kommt.

Klimawandel, Konflikte, Armut, Ernährungsunsicherheit und Vertreibung überschneiden sich zunehmend, so dass immer mehr Menschen auf der Suche nach Sicherheit fliehen müssen. Prognosen von Klimaforscher*innen zeigen ganz klar, dass sich die bestehenden Probleme zukünftig vervielfachen werden: Begrenzte natürliche Ressourcen wie Trinkwasser werden noch knapper. Land- und Viehwirtschaft werden in vielen Gebieten aufgrund von Hitze und Trockenheit nicht mehr möglich sein. Die bereits kritische Situation und die bestehenden Konflikte um Ressourcen werden sich deutlich verschärfen.

Weitere Informationen:

IV. Informationsressourcen zu weiteren Fluchtursachen


Behördenstruktur in Deutschland und Baden-Württemberg

An der Bearbeitung von Asylanträgen und weiteren aufenthaltsrechtlichen Fragestellungen sind unterschiedliche staatliche Stellen beteiligt. Oftmals fällt es nicht leicht, den Überblick zu behalten bzw. die richtige Stelle für die Bearbeitung eines Anliegens zu identifizieren. Aus diesem Grund sollen die wesentlichen staatlichen Stellen im Folgenden kurz dargestellt werden.

I. Bundesverwaltung
II. Die Ausländerbehörden
III. Verwaltungsgerichtsbarkeit

I. Bundesverwaltung

Das Auswärtige Amt
Das Auswärtige Amt (Außenministerium) ist eins von insgesamt 15 Bundesministerien. Dem Auswärtigen Amt sind u.a. insgesamt weit über 200 deutsche Auslandsvertretungen untergeordnet. Diese Auslandsvertretungen spielen beispielsweise bei der Beantragung von Visa (z.B. beim Familiennachzug) eine wesentliche Rolle. Darüber hinaus sammelt und veröffentlicht das Auswärtige Amt Informationen zur Situation in allen Ländern der Welt. Auf diese Berichte greifen das weiter unten noch näher behandelte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die Verwaltungsgerichte zum Teil bei ihren Asylentscheidungen zurück.

Das Bundesministerium des Inneren
Das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) ist eines der 15 Bundesministerien. Im Ministerium werden vielfältige Aufgaben gebündelt. Das Spektrum reicht vom Bevölkerungsschutz über Integration und Sportförderung bis hin zu Sicherheitsaufgaben, z.B. der Steuerung und Koordination der Bundespolizei. Das BMI ist wesentlich für die Gestaltung der Migrationspolitik auf europäischer und deutscher Ebene verantwortlich. Es ist dem BAMF übergeordnet und leitet und beaufsichtigt dieses.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Das BAMF ist eine BMI untergeordnete (obere) Bundesbehörde. Als solche ist das BAMF in den Bereichen Asyl, Migration und Integration tätig. Neben der Durchführung von Asylverfahren (>> Das Asylverfahren) bzw. dem (Über-)Prüfen von Schutzbegehren übernimmt das BAMF Aufgaben im Bereich der Integration, z.B. durch Sprach- und Integrationskurse sowie die Jugendmigrationsdienste (JMD) und Migrationsberatung für Erwachsene (MBE). Daneben analysiert und erforscht das BAMF Migrationsprozesse. Es hat seinen Hauptsitz in Nürnberg und verfügt über zahlreiche dezentrale Standorte, die sog. Außenstellen, sowie Ankunfts- und Entscheidungszentren. Eine Übersicht der Standorte des BAMF finden Sie auf der Homepage des Bundesamts.

Weitere Informationen:

II. Die Ausländerbehörden

Das Aufenthaltsrecht und das Asylrecht werden, soweit nicht das BAMF zuständig ist, von den Ausländerbehörden durchgeführt. Welche Ausländerbehörde für welche Aufgabe zuständig ist, wird in Baden-Württemberg in der „Verordnung der Landesregierung und des Justizministeriums über Zuständigkeiten nach dem Aufenthaltsgesetz“ (AAZuVO) geregelt.

Die oberste Ausländerbehörde: das Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg

Das Ministerium der Justiz und für Migration (kurz: Justizministerium oder JM) ist eins von derzeit insgesamt elf Fachministerien der Landesregierung Baden-Württemberg. Zusätzlich zu den Fachministerien gibt es noch das Staatsministerium als Behörde des Ministerpräsidenten. Das JM ist die oberste Ausländerbehörde. Die Ausländer- und Flüchtlingspolitik des Landes Baden-Württemberg ist beim JM im Themengebiet „Migration“ angesiedelt. Das JM strukturiert über auf seiner Homepage veröffentlichte Verwaltungsvorschriften, Erlasse oder Dienstanweisungen das Verwaltungshandeln der untergeordneten Ausländerbehörden. Daneben entscheidet es etwa über die Erteilung von Aufenthaltstiteln, die im Rahmen eines Härtefallverfahrens der Härtefallkommission erlangt werden können (§ 23a AufenthG), über die Aufnahme oder Neuansiedlung von Schutzsuchenden im Rahmen sog. Landeskontingente nach § 23 Absatz 1 AufenthG oder die generelle Aussetzung von Abschiebungen in bestimmte Länder nach § 60a Absatz 1 AufenthG (sog. Abschiebestopp).

Hinweis: Das JM ist nicht nur oberste Ausländerbehörde, sondern auch oberste Aufnahmebehörde im Sinne des baden-württembergischen Flüchtlingsaufnahmegesetzes und kann als solche etwa auch Vorgaben hinsichtlich des Vollzugs des Asylbewerberleistungsgesetzes an die nachgeordneten Behörden machen.

Die höhere Ausländerbehörde: die vier Regierungspräsidien
Die Regierungspräsidien haben jeweils die Rechts- und Fachaufsicht über die unteren Ausländerbehörden in den Regierungsbezirken. Sie bearbeiten Widersprüche gegen Entscheidungen der unteren Ausländerbehörden und beraten diese in fachlichen und rechtlichen Fragen.

Das Regierungspräsidium Karlsruhe nimmt eine besondere Stellung ein, denn es ist u.a. landesweit für folgende Maßnahmen zuständig:

  • Förderung und Organisation von freiwilligen Ausreisen („Rückkehrmanagement“)
  • Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen (Abschiebung)
  • Entscheidung über die Aussetzung der Abschiebung (Duldung)
  • Vollzug der Abschiebungshaft
  • Erteilung von Beschäftigungserlaubnissen für Geduldete

In vielen Fällen sind die Regierungspräsidien auch für die Entscheidung über Ausweisungen von straffällig gewordenen ausländischen Personen oder auch über die Entfristung eines Aufenthalts- oder Einreiseverbots zuständig. Weitere Informationen zu den Aufgaben der Regierungspräsidien findet sich auf der Homepage der Regierungspräsidien Baden-Württemberg.

Darüber hinaus gibt es Fälle, in denen die Regierungspräsidien der Entscheidung einer nachgeordneten Ausländerbehörde zustimmen müssen. Diese Fälle sind zum einen in der oben erwähnten AAZuVO, zum anderen in einer Verwaltungsvorschrift geregelt. Eine Zustimmung ist danach etwa erforderlich

  • bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 5 AufenthG
  • beim Familiennachzug zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte (§ 36 Absatz 2 AufenthG)
  • bei der Erteilung eines Aufenthaltstitels, wenn von der Nachholung des Visumsverfahrens wegen Unzumutbarkeit abgesehen werden soll (§ 5 Absatz 2 Satz 2 AufenthG)
  • bei der erstmaligen Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose,

um einige besonders praxisrelevante Fälle zu nennen.

Die untere Ausländerbehörde: Landratsamt oder Stadtverwaltung
Untere Ausländerbehörden sind in Baden-Württemberg in den Landkreisen die Landratsämter bzw. die Gemeindeverwaltungen in den kreisangehörigen und kreisfreien Städten. Wenn in der Praxis von „der Ausländerbehörde“ die Rede ist, sind meist diese Ausländerbehörden gemeint, weil dies die Behörden sind, mit denen die betroffenen Personen vor Ort in (persönlichen) Kontakt treten und Termine vereinbaren, z.B. zur Beantragung, Verlängerung oder Abholung von Dokumenten. Allerdings sieht es manchmal nur so aus, als sei die untere Ausländerbehörde zuständig. So holt man sich als geduldete Person die Duldungsbescheinigung oder eine Beschäftigungserlaubnis zwar bei der unteren Ausländerbehörde ab. Die Entscheidung über die Erteilung der Duldung oder Beschäftigungserlaubnis ist aber zuvor vom Regierungspräsidium Karlsruhe getroffen worden, das die Ausländerbehörde lediglich in den „Aushändigungsprozess“ der Entscheidung einbindet. Will man eine Entscheidung zu seinen Gunsten beeinflussen und deshalb mit der zuständigen Behörde vorab Kontakt aufnehmen, müsste man sich im Beispielsfall direkt an das Regierungspräsidium Karlsruhe wenden.

Die Ausländerbehörden entscheiden über eine Vielzahl aufenthaltsrechtlicher Anträge selbst. Wenn nicht zuvor bereits ein Asylantrag gestellt worden ist, werden auch Abschiebungsverbote nach § 60 Absatz 5 und 7 AufenthG von der Ausländerbehörde geprüft. Die Ausländerbehörden entscheiden zum Teil über die Erteilung von Beschäftigungserlaubnissen (bei Menschen mit Duldung entscheidet allerdings das Regierungspräsidium Karlsruhe). Aufenthaltspapiere werden von den Ausländerbehörden ausgestellt bzw. verlängert.

Die Aufgaben und Bezeichnungen der unteren Ausländerbehörden können örtlich variieren (z.B. „Amt für Ausländerwesen“, „Ausländeramt-Amt für Zuwanderung“). Jede untere Ausländerbehörde hat einen Internetauftritt, über den Aufgaben, Öffnungszeiten usw. eingesehen werden können.

III. Verwaltungsgerichtsbarkeit

Verwaltungsgerichte
In Baden-Württemberg gibt es vier erstinstanzliche Verwaltungsgerichte (VG) und zwar in Karlsruhe, Stuttgart, Freiburg und Sigmaringen. Vereinfacht dargestellt sind die Verwaltungsgerichte für Streitigkeiten zwischen Bürger*innen und dem Staat, d.h. in der Regel staatlichen Behörden, zuständig. Dies beinhaltet neben dem Asyl- und Ausländerrecht beispielsweise auch Streitigkeiten im öffentlichen Baurecht, im Gewerbe- und Gaststättenrecht, im Jugendhilferecht, Polizeirecht oder Straßenrecht. Gegen jede behördliche Entscheidung, die eine Person belastet, steht der Rechtsweg zu den Gerichten offen, der innerhalb bestimmter Fristen beschritten werden muss. In asylrechtlichen Streitigkeiten ergeben sich diese aus dem AsylG, in aufenthaltsrechtlichen Streitigkeiten aus der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). In der Praxis ergeben sich die einzuhaltende Frist und das zuständige Gericht aus der Rechtsbehelfsbelehrung, die (negativen) Bescheiden angehängt sein sollte; fehlt sie, beträgt die Frist in der Regel ein Jahr ab Kenntnis der Entscheidung. Für Einzelheiten zu den Rechtsbehelfen im Asylverfahren siehe >> Ablehnungsformen.

Verwaltungsgerichtshof
Den Verwaltungsgerichten ist in Baden-Württemberg der sog. Verwaltungsgerichtshof (VGH) übergeordnet, der seinen Sitz in Mannheim hat. Der VGH ist das höchste Verwaltungsgericht des Landes Baden-Württemberg. Der VGH ist unter anderem für Berufungen gegen Urteile der Verwaltungsgerichte zuständig, die in asylrechtlichen Streitigkeiten aber stets erst mit einem Antrag auf Zulassung der Berufung „erkämpft“ werden muss. Da der VGH die Berufung nur aus ganz bestimmten Gründen zulassen darf, findet eine inhaltliche Kontrolle der erstinstanzlichen Entscheidung in asylrechtlichen Streitigkeiten häufig nicht statt, auch wenn Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des VG bestehen.

Dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg sowie den Obergerichten der anderen Bundesländer, die dort manchmal Oberverwaltungsgerichte (OVG) heißen, ist das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) übergeordnet.


Deutschland unterstützt Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen

Die vorherrschende Gewalt an den EU-Außengrenzen gegenüber Menschen auf der Flucht ist bereits seit langem bekannt. Nun enthüllen aktuelle Recherchen die Unterstützung der Bundesregierung dieser Menschenrechtsverletzungen und decken neue menschenverachtende Praktiken auf.

Monitor berichtet in der aktuellen Sendung über den menschenunwürdigen Umgang an den EU-Außengrenzen. An der bulgarisch-türkischen und ungarisch-serbischen Grenze berichten Augenzeugen von illegalen Gefängnissen, die sich in der Nähe der Grenze befinden. Dort werden Asylsuchende unrechtmäßig von Stunden bis zu mehreren Tagen unter unmenschlichen und erniedrigenden Bedingungen festgehalten. Danach werden sie wieder in die Türkei bzw. nach Serbien zurückgeschoben. Die ungarische Regierung und in Bulgarien eingesetzte Frontex-Beamte leugnen jeweils diese Vorwürfe.

An der kroatisch-bosnischen Grenze wird von vergitterten Kleinbussen ohne Fenster berichtet, welche die kroatischen Behörden für Pushbacks nach Bosnien nutzen. Asylsuchende werden in den Kleinbussen über mehrere Stunden beengt festgehalten. Dann werden sie mit einem gefährlichen Fahrmanöver an die Grenze gefahren, bei dem sich viele Personen verletzen und sich teilweise auch übergeben müssen. Monitor kommentiert dazu: „Eine solche Behandlung gilt als Foltermethode.“

Pro Asyl berichtet weiterführend zum systematischen und brutalen Rechtsbruch an den kroatischen EU-Außengrenzen und der Zusammenarbeit mit Deutschland. Die Bundesregierung unterstützt Kroatien personell, materiell und logistisch im Rahmen des Grenzschutzes. Unterstützt werden dabei insbesondere auch die kroatische Spezialpolizei und die Interventionspolizei. Dabei gilt letztere als besonders berüchtigt und gewaltbereit.
In dem Bericht „German Funding To Croatian Border Enforcement“ von Border Violence Monitoring Network (BVMN) wurde die Kooperation von 2016 bis 2021 zwischen Deutschland und Kroatien untersucht und festgehalten.

Monitor und Pro Asyl kritisieren die kürzliche Aufnahme Kroatiens in den Schengenraum, da dort gegen internationale und europäische Rechtsstandards verstoßen wird.

Auch die europäische Grenz- und Küstenwache Frontex ist an Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen beteiligt. Vor kurzem hat die Antibetrugsbehörde OLAF weitere Beteiligungen aufgedeckt. Deshalb fordert die Organisation FragDenStaat die Bundesinnenministerin Nancy Faeser in ihrer aktuellen Petition dazu auf, die deutsche Unterstützung in Form von Ausstattung und Personal an Frontex einzustellen.

Die Petition kann noch online unterschrieben werden!



BVerfG: AsylbLG-Leistungskürzungen verfassungswidrig

Die Einstufung in Regelbedarf 2 für alleinstehende und alleinerziehende Gestattete und Geduldete in Sammelunterkünften ist mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums unvereinbar. Zu diesem Ergebnis kam das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 19. Oktober 2022, 1 BvL 3/21.

Im April 2021 wurde dem BVerfG von einem Sozialgericht die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG vorgelegt. Auf dieser Grundlage erhalten seit 2019 alleinstehende/alleinerziehende Gestattete und Geduldete in Sammelunterkünften gekürzte Leistungen (Regelbedarf 2) in Höhe von 10%. Begründet wird dies mit einem Leben in einer eheähnlichen Lebenssituation in Gemeinschaftsunterkünften. Diese Annahme ist verfassungswidrig wie das BVerfG – mit Hilfe von Stellungnahmen durch Pro Asyl und anderen – urteilte.

Denn es gibt keine empirischen Befunde dafür, dass „in den Sammelunterkünften regelmäßig tatsächlich Einsparungen durch gemeinsames Wirtschaften erzielt werden oder werden können“. Die Begründung für die Kürzung der Leistungen ist daher nicht mehr tragfähig. Eine Absenkung von Leistungen sei nur möglich, wenn Betroffene „tatsächlich eröffnete, hierfür geeignete, erforderliche und zumutbare Möglichkeiten“ ergreifen können, „die Bedürftigkeit unmittelbar zu vermeiden oder zu vermindern“.

Das bedeutet in der Praxis:

Ab dem 24.11.2022 müssen alle alleinstehenden/alleinerziehenden Personen in Gemeinschaftsunterkünften im Analogleistungsbezug nach § 2 AsylbLG wieder Leistungen nach Regelbedarfsstufe 1 erhalten. Dies gilt auch rückwirkend, soweit gegen entsprechende Kürzungen noch fristgemäß Widerspruch oder Klage eingelegt wird oder wurde. Bei manchen Personen lohnt es sich noch, in ein Widerspruchsverfahren einzusteigen. Dies hängt von den Bescheiden bzw. Auszahlungen ohne Bescheide ab. Widerspruchsverfahren können ohne rechtliche (siehe auch Arbeitshilfe der GGUA) oder mit rechtlicher Unterstützung eingeleitet werden.  

Alleinstehenden/alleinerziehenden Personen in Gemeinschaftsunterkünften in Grundleistungen nach §§ 3/3a AsylbLG erhalten ebenfalls nur Leistungen nach Regelbedarfsstufe 2. Pro Asyl und das Bundesministerium für Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) halten die Entscheidung des BVerfG aber übertragbar. Wie Baden-Württemberg dies umsetzt, ist noch unklar.

Gibt es Zweifel, ob höhere Leistungen gewährt werden, gilt: Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig klagen.



Der Flüchtlingsrat macht Weihnachtspause!

Die Geschäftsstelle des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg ist vom 22.12.2022 bis einschließlich 15.01.2023 geschlossen. In dieser Zeit beantworten wir keine E-Mails und bieten keine telefonische Beratung an. Eingegangene Bestellungen bearbeiten wir im neuen Jahr. Wir wünschen entspannte Weihnachtsfeiertage und einen guten Rutsch ins neue Jahr!


Das Chancen-Aufenthaltsrecht ab 1. Januar 2023

Nach der Abstimmung im Bundesrat am 16. Dezember 2022 tritt das Gesetz zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts am 1. Januar 2023 in Kraft. Mit dem ersten Teil des neuen Migrationspakets wird für Geduldete, die sich schon lange in Deutschland aufhalten, eine neue Möglichkeit für einen langfristigen Aufenthalt eingeführt: Das Chancen-Aufenthaltsrecht (§ 104c AufenthG).

Für wen die neue Regelung in Frage kommt und wie es nach der Erteilung des Chancen-Aufenthaltsrecht weitergeht findet sich in der Übersicht von NUiF – Netzwerk Unternehmen Integrieren Flüchtlinge.


Chancenaufenthaltsrecht mit Einschränkungen

Am 01. Januar 2023 tritt das Gesetz zum Chancen-Aufenthaltsrecht nun endlich in Kraft. Das sind gute Neuigkeiten für viele Menschen in Deutschland, die seit Jahren im prekären Status einer Duldung leben. Schlechte Nachrichten gibt es allerdings für junge Menschen: Durch die Einführung einer einjährigen Vorduldungszeit in den §25a des Aufenthaltsgesetzes sind diese in Zukunft einer erhöhten Abschiebegefahr ausgesetzt, bevor sich ihnen eine Bleibeperspektive bietet. Darüber hinaus bleibt angesichts der aktuellen Überlastungssituation in den Ausländerbehörden fraglich, inwiefern Menschen ihr Recht auf einen Aufenthalt überhaupt zeitnah in Anspruch nehmen können.

Nach der Abstimmung im Bundesrat am 16. Dezember 2022 tritt das Gesetz zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts am 01. Januar 2023 endlich in Kraft. Menschen, die am 31. Oktober 2022 seit mindestens fünf Jahren in Deutschland leben, soll ein 18-monatiges Aufenthaltsrecht erteilt werden. Diese Zeit soll es ihnen ermöglichen, die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland zu erfüllen. „Wir begrüßen, dass mit dieser Regelung Perspektiven für Menschen geschaffen werden, die bereits seit vielen Jahren unter aufenthaltsrechtlich prekären Bedingungen in Deutschland leben“, kommentiert Dr. Annette Holuscha-Uhlenbrock, Vorsitzende der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg.

Schlechte Nachrichten hält das neue Gesetz allerdings für junge Menschen bereit. Zwar sollen junge Menschen künftig bereits nach drei statt nach vier Jahren des Aufenthalts in Deutschland Zugang zu einer Aufenthaltserlaubnis nach §25a des AufenthG erhalten und dies nicht mehr nur bis zum 21., sondern bis zum 27. Lebensjahr. Allerdings müssen sich die jungen Menschen hierfür zukünftig seit mindestens einem Jahr im Rechtsstatus der Duldung befinden. Durch die Einführung dieser Vorduldungszeit schafft die Bundesregierung zusätzliche Spielräume, betroffene junge Menschen abzuschieben, bevor die Bleiberechtsregelung überhaupt greift. Damit erschwert sie die gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten junger Menschen, die während dieser zwölf Monate in Unsicherheit leben müssen. „Ein Jahr ist eine lange Zeit im Leben eines jungen Menschen“, kommentiert Gottfried Härle von der Unternehmerinitiative Bleiberecht durch Arbeit, in der sich über 150 Unternehmen aus ganz Baden-Württemberg zusammengefunden haben. „Gerade auch im Hinblick auf den Arbeits- und Fachkräftemangel fordern wir die Landesregierung dazu auf, in Baden-Württemberg alle Spielräume pragmatisch zu nutzen, um jungen Menschen zu ermöglichen, sich ohne Angst vor Abschiebung auf ihre Ausbildung konzentrieren zu können.“

Insgesamt bleibt offen, inwiefern Menschen ihr Recht auf den Chancen-Aufenthalt überhaupt zeitnah in Anspruch nehmen können. Grund hierfür ist die Überlastungssituation vieler Ausländerbehörden. „Es ist zu befürchten, dass sich viele Anträge zunächst unbearbeitet auf den Schreibtischen der Sachbearbeiter*innen stapeln werden“, meint Lucia Braß, erste Vorsitzende des Flüchtlingsrats. Bereits aktuell müssen Antragsteller*innen zum Teil Monate auf eine Antwort warten. Diese Wartezeiten sind nicht nur psychisch zermürbend, sondern drohen auch, das Vertrauen in den Rechtsstaat zu untergraben. Außerdem ist diese Situation äußerst unbefriedigend für alle Arbeitgeber*innen, die Geflüchtete beschäftigen. Wir fordern die Landesregierung dazu auf, sich um zusätzliches Personal zu bemühen und pragmatische Lösungen zu finden, mit denen sich Bearbeitungszeiten verkürzen lassen. So könnten zum Beispiel innerhalb der aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen Duldungen oder Aufenthaltserlaubnisse für längere Zeiträume ausgestellt werden.