Bin ich impfberechtigt? Wann und wo bekomme ich einen Impftermin? Welche Nebenwirkungen haben die Covid-19 Impfstoffe? Solche Fragen stellen sich wohl viele Menschen in Deutschland in letzter Zeit. Für Haupt- und Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit liegt natürlich auch die Frage, welche Rechte und Möglichkeiten Geflüchtete im Hinblick auf die Covid-19 Impfungen in Baden-Württemberg haben, nahe.
Es ist nicht möglich, einen kompletten Überblick über den derzeitigen Impfstand Geflüchteter im Bundesland zu erhalten. Die Zahlen geimpfter Geflüchteter werden nicht überall erfasst, da die Impfentscheidung auf Freiwilligkeit beruht und kein zentrales Datensystem existiert. Außerdem ändern die Zahlen sich täglich, sodass maximal eine kurzfristige Momentaufnahme möglich wäre. Durch eine Anfrage an die zuständigen Ministerien, die Landkreise und die Sozialberater*innen in den Unterkünften hat der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg aber zumindest versucht, ein ungefähres Bild der derzeitigen Lage zeichnen zu können.
Impfanspruch seit Ende Februar
Bereits seit Ende Februar haben Personen, die in Gemeinschaftsunterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht sind, einen Anspruch auf eine Impfung gegen das Covid-19 Virus (§3 Abs. 1 Nr. 11 CoronaImpfV). Die Einstufung in die entsprechende Priorisierungsgruppe ist der erhöhten Ansteckungsgefahr durch die Art der Unterbringung geschuldet. Denn Bewohner*innen sind aufgrund der sozial beengten Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften besonders von einer Infektion mit dem Coronavirus bedroht.
Verzögerter Start der Impfungen
Trotzdem haben die für die Impfung Geflüchteter in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen zuständigen Ministerien sich erst Mitte März auf eine entsprechende Impfstrategie geeinigt. Für die Impfung von Personen, die in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind, sind die jeweiligen Landkreise verantwortlich. Die Impfungen der Betroffenen in Erstaufnahmeeinrichtungen sowie Gemeinschaftsunterkünften liefen größtenteils erst Anfang Mai an. Dementsprechend werden die Bewohner*innen der Unterkünfte trotz ihrer Zugehörigkeit zur Priorisierungsgruppe 2 faktisch parallel zur Priorisierungsgruppe 3 geimpft.
Informationen aus den Landkreisen
Grundlage für das Vorgehen der meisten Landkreise ist der Anfang des Jahres erschienene „Handlungsleitfaden zur aufsuchenden COVID-19-Impfung durch Mobile Impfteams in stationären Einrichtungen“ des Landes. Während die Impfungen in Gemeinschaftsunterkünften in den meisten Landkreisen im Mai begonnen haben sind sie in einigen Landkreisen bis heute lediglich in Planung. In der Regel erfolgen Impfungen nur in größeren Unterkünften mit einer ausreichenden Impfbereitschaft durch den Einsatz von mobilen Impfteams oder durch Sammeltermine in Impfzentren. Alternativ zu Sammelterminen können Betroffene eigenständig einen Impftermin in einem Impfzentrum oder in einer Arztpraxis ausmachen. Dies ist jedoch mit erheblichen Hürden verbunden und setzt entsprechende Informationen und sprachliche wie technische Fähigkeiten voraus. Dies zeigt, wie wichtig niedrigschwellige, aufsuchende und diversitätsorientierte Impfangebote sowie eine transparente und umfängliche Aufklärung sind.
Unzureichende Aufklärung & geringe Impfbereitschaft
Nach Aussage der Landkreise erfolgt eine Aufklärung über die Impfung durch Informationsmaterial in verschiedenen Sprachen. Eine lediglich auf Aushängen und Flyern basierende Aufklärung ist jedoch besonders für Analphabet*innen problematisch. Teilweise finden auch persönliche Gespräche zum Beispiel mit Dolmetscher*innen oder anderen Vertrauenspersonen statt. Eine solche Aufklärung ist allerdings lückenhaft geblieben. Viele kleinere und entferntere Unterkünfte bekamen bis heute keine koordinierte Aufklärung. Dort bleibt es den zuständigen Sozialarbeiter*innen überlassen, die Aufgaben der Gesundheitsämter zu übernehmen.
Eine unzureichende muttersprachliche Aufklärung kann mitunter Einfluss auf die Impfbereitschaft der Betroffenen nehmen. Sowohl aus den Landeserstaufnahmeeinrichtungen als auch aus vielen Gemeinschaftsunterkünften wird von einer geringen Impfbereitschaft der Betroffenen berichtet. Auch Falschinformationen, fehlendes Vertrauen, schlechte Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem, sowie indifferentes und vorschnelles Verhalten der Behörden im Krisenmanagement der Pandemie haben zu einem Misstrauen gegenüber der Impfung beigetragen.
Kontakt zu bereits geimpften Bewohner*innen sowie Impfungen durch Hausärzte, zu denen Geflüchtete bereits Vertrauen gefasst haben, wären aus Sicht des Flüchtlingsrates ein sinnvoller Weg, das Vertrauen in die Impfung zu stärken und die Impfbereitschaft zu erhöhen.
Forderungen des Flüchtlingsrates
In dieser Pandemie zeigt sich deutlich was schon länger bekannt ist: Die beengten Lebensbedingungen, welche Geflüchtete in BW jahrelang ertragen müssen, machen krank. Menschen, die in Gemeinschaftsunterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht sind, haben laut einer Studie des Kompetenznetzwerk Public Health COVID-19 ein erhöhtes Ansteckungsrisiko. Klar ist: Verzögerte Impfungen bedeuten eine direkte Gefährdung der Gesundheit Betroffener. Symptomatische Maßnahmen wie kostenlose Verteilung von FFP2-Masken, Screenings durch PCR-Testungen oder Antigen-Schnelltest, zeitnahe, niedrigschwellige und aufsuchende Impfangebote sowie Entzerrung der Unterkünfte und zügige Isolierung von infizierten Personen sind in der derzeitigen Situation unerlässlich und müssen sichergestellt werden, reichen aber nicht aus. Es braucht eine Abkehr vom derzeitigen Unterbringungssystem hin zu einer dezentralen Unterbringung von Geflüchteten. Entsprechende Forderungen hat der Flüchtlingsrat noch vor dem Corona-Ausbruch mit über 400 infizierten Geflüchteten in Ellwangen gestellt.