Seit kurzem erhalten Eltern von subsidiär schutzberechtigten Minderjährigen, die bald volljährig werden, keine vorgezogenen Sondertermine mehr für den Visumantrag zur Familienzusammenführung in der deutschen Botschaft. Da mit der Volljährigkeit das Recht auf Familiennachzug erlischt, bleiben Familien damit dauerhaft oder auf immer getrennt.
Viele Asylverfahren von unbegleiteten Minderjährigen in Deutschland ziehen sich erfahrungsgemäß über zwölf bis 24 Monate hin, obwohl die Jugendlichen ein Recht auf eine schnelle Entscheidung haben. Auf die langen Asylverfahren folgt dann auch noch das lange Warten auf einen Botschaftstermin, bei dem die Eltern den Visumantrag zum Nachzug stellen können. Die Wartezeit beträgt bei subsidiär Schutzberechtigten im Durchschnitt etwa 22 Monate. Werden die Jugendlichen in dieser Zeit volljährig, erlischt ihr Anspruch auf den Nachzug ihrer Eltern und Geschwister. Dies geschieht unverschuldet und weder die Minderjährigen noch ihre Familien haben eine Möglichkeit, das Verfahren zu beschleunigen.
Rechtliche Ungleichbehandlung
Bei Minderjährigen mit Flüchtlingsanerkennung hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass für den Elternnachzug das Alter bei der Asylantragstellung entscheidend ist, da die Dauer der Verfahren nicht den Antragsteller*innen anzulasten ist. Dieses Urteil wird jedoch für unbegleitete subsidiär Schutzberechtigte nicht berücksichtigt. Dabei könnte die Verwaltung diesen rechtlichen Ansatz – ohne eine Änderung des Gesetzes – auch auf subsidiär Schutzberechtigte übertragen und damit ihre Rechte wahren.
Bereits während der Corona-Pandemie hatte das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) Verfahrenshinweise herausgegeben, die es Eltern ermöglichten, auch dann nach Deutschland einzureisen, wenn ihre Kinder volljährig wurden.
Verzweiflung unter den Jugendlichen
Für die betroffenen Jugendlichen ist die Situation eine Katastrophe. Sie haben über jahrelang den Versprechungen der Behörden vertrauen müssen und sich bemüht, alle an sie gestellten Forderungen zu erfüllen. Über Monate, teils sogar Jahre hinweg, wurde ihnen von Beratungsstellen und Betreuer*innen zugesichert, dass ihre Familien rechtzeitig einen Sondertermin für den Visaantrag erhalten würden, bevor sie das 18. Lebensjahr erreichen. Dies entsprach bislang der durchgängigen Praxis. Die plötzliche Änderung der Vergabepraxis durch das Auswärtige Amt (AA) stürzt sie in tiefe Verzweiflung. Im Alltag zeigt sich, dass viele Jugendliche durch diese emotionale Belastung in der Schule, bei der Ausbildung und bei der gesellschaftlichen Teilhabe massiv eingeschränkt werden.
Betreuer*innen berichten von depressiven Zuständen bis hin zu suizidalem Verhalten. Viele Jugendliche wünschen sich nichts sehnlicher, als ihre Familien wiederzusehen und mit ihnen zusammenzuleben. Sie fühlen sich im Stich gelassen und empfinden in einigen Fällen sogar Schuldgefühle, weil sie in Sicherheit leben, während ihre Familienangehörigen weiterhin in Kriegs- und Krisengebieten verbleiben müssen.
Perfide Taktik des Auswärtigen Amtes bei der Ablehnung von Sonderterminen
Einige fast volljährige, subsidiär Schutzberechtigte versuchen, auf rechtlichem Wege ein Visum zu erwirken. Doch spezialisierte Anwält*innen für die Eilanträge zu finden, ist für die Jugendlichen schwierig und oft mit hohen Kosten verbunden.
Die ersten Anträge wurden bereits abgelehnt, mit der Begründung, dass die Echtheitsprüfung der Identitätsdokumente noch nicht erfolgt sei. Die Prüfung kann jedoch nur im Rahmen des Botschaftstermins stattfinden, da Dokumente nicht vorher online eingereicht werden können. Aber genau den Termin lehnt ja das Gericht ab. Diese zynische Entscheidung führt in der Konsequenz zu dauerhaften Familientrennungen.
Symbolbürokratie auf Kosten der Familien
Zahlen aus dem Sommer 2024 zeigen, dass es problemlos möglich wäre, jene Fälle vorrangig zu behandeln, in denen die Volljährigkeit eine dauerhafte Familientrennung zur Folge hätte, denn es ist bekannt, dass in 1.392 Fällen die Referenzperson oder ein Antragsteller zwischen September 2024 und April 2025 volljährig wird (VG Berlin, Beschluss VG 32 L 206/24 V, 27.08.2024). Selbst wenn in der Zwischenzeit weitere Fälle hinzugekommen sind – wovon auszugehen ist – wäre es ohne großen Aufwand möglich, sie zu priorisieren.
Dass dennoch die Verwaltungspraxis zu Ungunsten der Minderjährigen verändert wurde, legt nahe, dass die Familieneinheit bewusst verhindert werden soll.
Veränderte Weisungslage und ihre Folgen
Sollte das Auswärtige Amt an der veränderten Praxis festhalten, würde dies – angesichts der Wartezeiten von rund zwei Jahren auf einen Botschaftstermin – den Familiennachzug für unbegleitete Minderjährige mit subsidiärem Schutz in den meisten Fällen unmöglich machen. Besonders betroffen sind Jugendliche über 15 Jahre, da nur bei Jüngeren unter den derzeitigen Bedingungen eine rechtzeitige Vorsprache und Bearbeitung vor dem 18. Geburtstag zumindest möglich wäre.
Auf Nachfrage teilte das Auswärtige Amt mit, dass Termine zur Antragstellung auf Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten »grundsätzlich nur noch in chronologischer Reihenfolge des Registrierungsdatums vergeben werden. Die bevorstehende Volljährigkeit der subsidiär Schutzberechtigten in Deutschland allein begründe keine Verpflichtung zur Vergabe eines Sondertermins.« Dies bedeutet offenbar, dass die priorisierte Vergabe von Sonderterminen für Familiennachzug bei baldiger Volljährigkeit der Referenzperson eingestellt wurde.
Was zu tun ist
PRO ASYL fordert, dass der Nachzug der Eltern auch bei eintretender Volljährigkeit von subsidiär Schutzberechtigten ermöglicht wird. Der Sachverhalt der unverschuldeten Verzögerung ist derselbe wie bei anerkannten Flüchtlingen.
Hilfsweise fordert PRO ASYL, dass die Vergabe von Sonderterminen für Eltern von in Kürze volljährig werdenden subsidiär Schutzberechtigten wieder eingeführt wird – und zwar in allen verfügbaren Botschafts- und Konsulatsgebäuden.
Als Vorbild könnte die – anlässlich der Corona-Pandemie versendete – kurzfristige Änderung der Verfahrenshinweise für die Ausländerbehörden bei abgelaufenen D‑Visa dienen. Ein aktueller Anlass für eine Sonderregelung stellt die akute Notsituation im Libanon dar, wo viele der Anträge auf Nachzug von syrischen Eltern gestellt werden.