Arbeitshilfe: Ältere geflüchtete Menschen

Das Ankommen in Deutschland ist für ältere Menschen mit besonderen Herausforderungen verbunden: Unterbringungseinrichtungen sind häufig nicht barrierefrei; das Schlange stehen vor Behörden ist körperlich anstrengend. Erst seit relativ kurzer Zeit versucht die Politik, die besondere Situation älterer geflüchteter Menschen nach ihrer Ankunft etwas besser zu berücksichtigen. Mit der Überarbeitung der EU-Aufnahmerichtlinie von 2013 wurde die Kategorie der „schutzbedürftigen Personen“ eingeführt, deren besonderen Bedürfnisse während des Asylverfahrens sowie bei der Unterbringung und Versorgung von den EU-Mitgliedstaaten berücksichtigt werden müssen. Hierzu zählen auch ältere geflüchtete Menschen. Ziel der vorliegenden Arbeitshilfe ist es, Menschen, die ältere Geflüchtete in Deutschland begleiten, mit konkreten Informationen zu deren besonderer rechtlichen Situation zu versorgen. Die Arbeitshilfe gliedert sich in zwei Teile. In einem ersten Teil werden Informationen vermittelt, die das Asylverfahren sowie die aufenthaltsrechtliche Situation der Geflüchteten betreffen. In einem zweiten Teil werden sozialrechtliche Dimensionen, wie Unterbringung, Sozialleistungen und Gesundheitsversorgung aufgegriffen.

Diese Arbeitshilfe wurde im Rahmen des Projekts „Perspektive durch Partizipation“ erstellt, gefördert durch die Aktion Mensch.


Pro Asyl: Kritik am Gesetzesentwurf zur GEAS-Umsetzung

PRO ASYL kritisiert den am heutigen Mittwoch beschlossenen Gesetzentwurf zur Umsetzung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) scharf. Der Entwurf überschreitet die von der Europäischen Union geforderten Mindeststandards erheblich, entrechtet Geflüchtete massiv und verhindert faire Asylverfahren.

„Die Bundesregierung hat mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verpasst, die Menschenrechte zu achten und rechtsstaatliche Standards zu wahren. Der Entwurf beinhaltet die größten Asylrechtsverschärfungen seit Jahrzehnten, es droht Haft von Familien und Kindern – wie weit soll die Entrechtung von schutzsuchenden Menschen noch gehen?“, kritisiert Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL.

PRO ASYL fordert: „Die Bundesregierung muss den Gesetzentwurf im Lichte der Menschenrechte überarbeiten, die von der EU gewährten Ermessensspielräume im Sinne des Schutzes von Asylsuchenden nutzen sowie faire und rechtsstaatliche Verfahren unter menschenwürdigen Bedingungen gewährleisten.“

Freiheitsbeschränkungen und neue Haftformen

Obwohl die EU-Vorgaben bereits eine deutliche Verschärfung der Asylpraxis vorsehen, geht der deutsche Gesetzentwurf noch weiter und führt unter dem Deckmantel der GEAS-Umsetzung neue Möglichkeiten der Freiheitsbeschränkung und De-facto-Inhaftierung von Schutzsuchenden ein.

Es drohen geschlossene Zentren, wie es sie bisher in Deutschland noch nicht gibt: Die Flüchtlinge dürfen diese nicht verlassen, teilweise nur, weil sie aus einem bestimmten Herkunftsland kommen. Besonders besorgniserregend ist, dass durch diese Maßnahmen auch Kinder während ihres Asylverfahrens eingesperrt werden könnten.

Schutzsuchende sollen durch Maßnahmen wie die sogenannte Asylverfahrenshaft massiven Freiheitsbeschränkungen unterworfen werden, die mit internationalen Menschenrechtsstandards nicht vereinbar sind. „Diese Haftformen sind unverhältnismäßig und psychisch extrem belastend. Sie erhöhen das Risiko von Suizidversuchen. Ein faires Asylverfahren ist so kaum möglich, da Betroffene unter diesen Bedingungen oft nicht in der Lage sind, ihre Fluchtgründe umfassend darzulegen“, sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL.

PRO ASYL lehnt geschlossene Zentren und die Asylverfahrenshaft entschieden ab und fordert die Bundesregierung auf, menschenrechtliche Standards zu wahren.

Ausweitung der „sicheren Staaten“-Konzepte

Mit dem Gesetzentwurf sollen zudem die Konzepte „sicherer Herkunftsstaaten“ und „sicherer Drittstaaten“ massiv ausgeweitet werden, was durch die Vorgaben aus Brüssel nicht zwingend geboten ist.

PRO ASYL sieht in der Ausweitung der „sicheren Staaten“-Konzepte eine unverhältnismäßige Einschränkung des Rechts auf ein faires Asylverfahren. Die Einstufung eines Landes als „sicher“ muss einer gründlichen menschenrechtlichen Prüfung unterzogen werden, die durch die geplanten Änderungen nicht mehr gewährleistet ist. Statt der angestrebten Harmonisierung droht ein Labyrinth paralleler Verfahren zur Einstufung als „sicher“, wobei die strengeren Vorgaben des Grundgesetzes unterlaufen werden können.

Menschenrechte müssen Priorität haben

Bereits im Juli 2024 hatte PRO ASYL gemeinsam mit 25 Organisationen Vorschläge für eine menschenrechtskonforme Umsetzung der GEAS-Reform unterbreitet. Im Oktober reichte PRO ASYL zudem eine umfassende Stellungnahme zum Referentenentwurf beim Bundesinnenministerium ein, die verfassungsrechtliche und menschenrechtliche Probleme benennt.


Offener Brief an baden-württembergische Landesregierung

Es muss endlich Schluss damit sein, Sicherheitspolitik auf dem Rücken geflüchteter Menschen zu machen. Das fordern der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, die Seebrücke Baden-Württemberg, die AWO Württemberg, der Internationale Bund Süd und der Paritätische Baden-Württemberg in einem offenen Brief an die Landesregierung. Damit beziehen die Organisationen gemeinsam Stellung zur aktuellen Debatte, in der Flucht und Migration permanent als Sicherheitsrisiko dargestellt werden. Hiervon zeugen auch die im Bund und in Baden-Württemberg geschnürten „Sicherheitspakete“ sowie der jüngste baden-württembergische Bundesratsantrag vom 17. Oktober, mit dem sich die Landesregierung für eine Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten sowie weitere Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien einsetzt.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann, sehr geehrte Mitglieder der Landesregierung,

wir wenden uns an Sie im Zustand großer Besorgnis. Unter dem Eindruck der Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sowie des Anschlags von Solingen wurden übereilt „Sicherheitspakete“ auf Bundesebene und auch hier in Baden-Württemberg geschnürt. Hierbei liefert sich die Politik einen Überbietungswettkampf um die vermeintlich effizientesten Maßnahmen zur Abwehr geflüchteter Menschen. Statt den Fokus auf die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Islamismus zu legen, setzen Sie sich für Kürzungen von Sozialleistungen Geflüchteter, mehr Abschiebungen und Grenzkontrollen ein. Dadurch werden Flucht und Migration ausschließlich als Problem, sogar als Sicherheitsrisiko, dargestellt.

Besorgt beobachten wir außerdem, wie die harte Gangart in der Migrationspolitik rechtliche Grundsätze ignoriert. Fakt ist, dass die Verstetigung von Grenzkontrollen europarechtswidrig ist und die Europäische Menschenrechtskonvention Abschiebungen verbietet, wenn Betroffene dadurch in Lebensgefahr geraten. Es ist beschämend, dass seitens der politischen Entscheidungsträger*innen rechtliche Errungenschaften in Frage gestellt werden, nur, weil dies gerade politisch opportun erscheint.

Die aktuelle Diskussion gefährdet die Solidarität in der Gesellschaft massiv und führt zu Spaltung. Geflüchtete werden stigmatisiert und auch länger in Deutschland lebende Migrant*innen fühlen sich nicht mehr sicher. Sie erleben im Alltag stetig mehr Rassismus und machen sich zunehmend existentielle Sorgen um Ihre Zukunft in Deutschland. Manche Menschen überlegen sogar, auszuwandern. Ihre Sicherheit und die gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen dieser Entwicklung werden in der aktuellen Debatte völlig ausgeblendet.

Es darf nicht länger der Anschein erweckt werden, dass sicherheitspolitische Interessen durch eine restriktivere Migrationspolitik gewahrt werden könnten. Stattdessen sollte der Fokus auf der Stärkung demokratischer Strukturen, der Teilhabemöglichkeiten aller Menschen sowie der Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts liegen. Wir möchten in einer Gesellschaft leben, in der rechtstaatliche Grundsätze hochgehalten werden – insbesondere in Zeiten, in denen unsere Demokratie gefährdet ist. Niemand darf aufgrund seiner Herkunft als Sicherheitsrisiko abgestempelt werden. Die Würde eines jeden Menschen muss im Mittelpunkt des politischen Diskurses stehen.

Für einen persönlichen Austausch stehen wir gerne zur Verfügung.

Im Einsatz für ein solidarisches Miteinander

der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, die Seebrücke Baden-Württemberg, die AWO Württemberg, der Internationale Bund Süd und der Paritätische Baden-Württemberg


Mit Sicherheit Verfassungsbruch: Wohnungslosigkeit und Verelendung verhindern!

Anlässlich ihrer Herbsttagung in Erfurt fordern PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte die Bundestagsabgeordneten auf, das sogenannte Sicherheitspaket abzulehnen. Auch nach den jüngsten Änderungen gilt: Die für bestimmte Gruppen von Geflüchteten vorgesehene Streichung von Sozialleistungen steht im klaren Widerspruch zur Verfassung.

Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL stellt klar: „Es ist schockierend, dass die vermeintliche Fortschrittskoalition mit diesem Gesetzespaket sehenden Auges Grund- und Menschenrechte verletzt. Ein rechtswidriges Gesetz wird auch durch die letzten kosmetischen Änderungen nicht rechtskonform und sicherer wird Deutschland dadurch auch nicht.”

Insbesondere die Kürzung und Streichung von Sozialleistungen für sogenannte Dublin-Fälle und Menschen mit einer Flüchtlingsanerkennung in einem anderen EU-Mitgliedstaat ist offensichtlich verfassungswidrig und trägt nicht zur Sicherheit Deutschlands bei. Stattdessen verletzen die vorgesehenen Maßnahmen grundlegende Freiheitsrechte und gefährden den sozialen Zusammenhalt insgesamt. PRO ASYL hat auf die gravierendsten Verschärfungen bereits in einer Stellungnahme aufmerksam gemacht.

„Dieses Gesetzesvorhaben führt zu vorsätzlich herbeigeführter Wohnungslosigkeit und Verelendung bei Schutzsuchenden. Es bedeutet zudem einen fatalen Abbau des Rechtsstaates durch die Hintertür”, so Alaows weiter.

Appell an die Abgeordneten

PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte appellieren an Bundestagsabgeordnete, gegen das Sicherheitspaket zu stimmen. Sie fordern von allen demokratischen Abgeordneten: Stehen Sie zu unserer Verfassung und lehnen Sie das Gesetz ab. Auch wenn der Bundeskanzler Olaf Scholz in dieser Entscheidung mit der Vertrauensfrage droht.

Ausschluss von Sozialleistungen

Der Gesetzentwurf sieht vor, durch Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes bestimmten Gruppen geflüchteter Menschen die Versorgung mit dem Allernötigsten (Bett-Seife-Brot) zu verweigern. Selbst in Härtefällen soll kaum mehr als das physische Überleben gesichert werden. Es besteht die Gefahr, dass damit zahlreiche Menschen ungeachtet ihrer sozialen und gesundheitlichen Situation ohne Geld, Nahrung und medizinische Hilfe auf die Straße gesetzt werden. Das Vorhaben verstößt gegen die aktuelle EU-Aufnahmerichtlinie sowie gegen internationales Völkerrecht, allen voran den UN-Sozialpakt, die UN-Kinderrechtskonvention, die Behindertenrechtskonvention und die Istanbul Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. PRO ASYL plant, Klagen von Betroffenen bis zur höchsten richterlichen Instanz zu unterstützen.

Innerparlamentarische Kritik

Nach massiver Kritik der Sachverständigen im Innenausschuss des Bundestages zu dem Sicherheitspaket wurde die Abstimmung mehrfach verschoben. „Der innerparlamentarische Widerstand gegen das Sicherheitspaket macht Mut: Den Angriffen auf die Würde und Rechte von Geflüchteten muss ein Ende gesetzt werden. Wir appellieren an alle Abgeordneten, den verfassungswidrigen Gesetzentwurf abzulehnen und den Rechtsstaat und die Demokratie zu verteidigen”, sagt Nour Al Zoubi vom Flüchtlingsrat Thüringen.


Neues Cannabis-Gesetz mit aufenthaltsrechtlichen Folgen

Am 1. April 2024 hat der Bundestag beschlossen, Cannabis teilweise zu legalisieren. Für Menschen, die vor dieser Reform gegen das Konsumcannabisgesetz (KCanG) verstoßen haben, kann das aufenthaltsrechtliche Konsequenzen haben, auch wenn viele Fragen zu dem Thema offenbleiben und wahrscheinlich erst von Gerichten beantwortet werden.

Die Regeln für den Besitz von Cannabis für Erwachsene haben sich geändert. Seit dem 1. April 2024 dürfen Erwachsene ab 18 Jahren für den Eigenbedarf bis zu 50g zu Hause aufbewahren und bis zu drei Pflanzen anpflanzen. Außerhalb des Hauses darf eine Person jedoch nicht mehr als 25g Cannabis mit sich führen. Auch das Rauchen von Cannabis in der Öffentlichkeit ist eingeschränkt.

Dennoch bleiben die Strafen für Cannabis-Verstöße deutlich härter als z.B. die Strafen für Verstöße gegen die geltenden Vorschriften für das Rauchen von Zigaretten: Während beispielsweise das Rauchen einer Zigarette in einer Schule mit einer Höchststrafe von 150 Euro geahndet wird, kann der Besitz von mehr als 30g Cannabis außerhalb der eigenen Wohnung mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden. Je nach Situation kann ein Verstoß gegen das KCanG also weiterhin wie eine schwere Straftat behandelt werden.

Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einer aktuellen Entscheidung die alten Regeln für die sogenannte „nicht geringe Menge“ beibehalten. Der Begriff der „geringen Menge“ wurde allerdings nie gesetzlich definiert, sondern wurde auch vor der Reform von den Gerichten festgelegt: eine „nicht geringe“ Menge von Cannabis war jede Menge, in der mehr als 7,5g Tetrahydrocannabinol (THC) – der Wirkstoff in Cannabis – enthalten war. Diese Regel wurde in der jüngsten Entscheidung des BGH beibehalten, obwohl der Bundestag bei der Verabschiedung der Teillegalisierung in Erwägung gezogen hatte, dass diese Regeln von den Gerichten wahrscheinlich geändert werden sollten. Das Problem liegt aber darin, dass der THC-Gehalt von Pflanze zu Pflanze variieren kann und es nicht unbedingt aus der Gesamtmenge deutlich wird, ob der THC Wert überschritten ist.

Diese verwirrenden Regeln können aufenthaltsrechtliche Konsequenzen haben. Das derzeitige Aufenthaltsrecht erlaubt eine Ausweisung unter anderem dann, wenn das Interesse an der Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit überwiegt. Im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln wie z.B. Cannabis wiegt das Ausweisungsinteresse schwer, wenn eine Person u.a. „Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, … erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft“ (§ 29, Abs. 1, S. 1, Nr. 1 BetäubungsmittelG iVm § 54, Abs. 2, S. 1, Nr. 3 AufenthG). Im Falle von Cannabis kann bereits sogar die normalerweise erlaubte Aufbewahrung von 50g einer Pflanze je nach Potenz gegen das Gesetz verstoßen und somit einen schwerwiegenden Grund für eine Ausweisung darstellen.

Darüber hinaus soll das neue Gesetz eigentlich dazu beitragen, geringfügige Cannabis-Straftaten aus der Vergangenheit zu tilgen. Die Vorschriften hierfür werden aber erst 2025 in Kraft treten. Dies bedeutet, dass Personen, die wegen früherer Verstöße gegen die alten Cannabis-Regelungen abgeschoben werden könnten, auch weiterhin eine Abschiebung droht, obwohl ihre Handlungen heutzutage nicht mehr strafbar wären. Auch wenn das Verfahren zur Tilgung noch nicht definiert ist, deutet sich an, dass betroffene Personen, eine Tilgungen eigenständig beantragen müssen, anstatt dass diese automatisch veranlasst würde. Für viele geflüchtete Personen bedeutet dies einen hohen bürokratischen Aufwand, der schwer zu bewältigen ist. In Baden-Württemberg haben die Staatsanwaltschaften noch vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zumindest Altfälle untersucht, bei denen die Strafe noch nicht vollstreckt war, und die Freilassung bzw. ausstehende Strafen im Fall von 21 Personen erlassen. Eine Tilgung der verhängten Strafen aus dem Zentralstrafregister muss allerdings dennoch von den Betroffenen ab nächstem Jahr beantragt werden.


Offener Brief an den Gemeinderat Schlaitdorf und den Bürgermeister Sascha Richter

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Richter,

sehr geehrte Mitglieder des Gemeinderates Schlaitdorf,

mit großer Bestürzung haben wir die Aussagen gelesen, mit denen Sie, Sascha Richter, in der Nürtinger Zeitung zitiert werden. Sie bezichtigen darin Personen, die in Ihrer Gemeinde Schutz suchen, des illegalen Aufenthaltes und des „Erschleichens“ von Sozialleistungen. Diese Annahme begründen Sie auf Basis des Aussehens und der Sprachkenntnisse der betreffenden Personen. Uns besorgen solche Aussagen, da Sie damit Menschen allein aufgrund äußerlicher Merkmale öffentlich diskreditieren und ihr Recht auf Schutz vor Krieg und Verfolgung in Frage stellen.

Kurz nach dem 75-jährigen Jubiläum des deutschen Grundgesetzes möchten wir Ihnen daher Artikel 3 desselben in Erinnerung rufen: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“. Das gilt auch für Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind. Wenn Sie also das Recht auf Schutz aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes oder der Sprachkenntnisse von Personen in Frage stellen, müssen wir hinterfragen, inwiefern dies in Einklang mit unserer Verfassung steht.

Menschen aufgrund ihres Erscheinungsbildes einen illegalen Aufenthalt oder kriminelle Aktivitäten zu unterstellen, ist aus unserer Perspektive rassistisch. Es werden an diesen Stellen tradierte Vorstellungen und Bildern davon bedient, wie Rom*nja scheinbar lebten oder seien, welche schon in der NS-Zeit gezielt als Grundlage für gesellschaftlichen Ausschluss genutzt wurden und in einem Völkermord gipfelten. Auch an Rom*nja in der Ukraine haben die Nationalsozialisten schreckliche Gräueltaten verübt, beispielsweise beim Massaker von Babyn Jar nahe Kiew. Vor diesem Hintergrund erschrecken uns Ihre Äußerungen besonders.

Sie – ob als Bürgermeister oder als Mitglied des Gemeinderates – stehen in der Öffentlichkeit und Ihre Äußerungen haben Gewicht. Damit geht auch eine besondere Verantwortung einher. In Sorge um alle Menschen, die in Ihrer Gemeinde Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen, fordern wir daher ein entschiedenes Bekenntnis gegen Antiziganismus.

Wir hoffen, sensibilisieren zu können und stehen für ein Gespräch gerne zur Verfügung.

Flüchtlingsrat Baden-Württemberg


EuGH: Keine Übertragung des Schutzstatus von Anerkannten

Geflüchtete, die bspw. in Griechenland, Italien oder Bulgarien angekommen sind, sehen sich oftmals gezwungen, innerhalb Europas weiter zu fliehen, da sie in diesen Ländern ihre elementarsten Bedürfnisse (Bett, Brot, Seife) – mangels staatlicher Unterstützung – in der Regel nicht decken können und sich selbst überlassen sind. Regelmäßig, wenn auch aus unserer Sicht zu selten, lehnen daher auch das BAMF bzw. deutsche Verwaltungsgerichte die Asylanträge dieser Personen nicht als „unzulässig“ ab, sondern entscheiden, dass Geflüchtete nicht in diese Länder abgeschoben werden dürfen, da ihnen dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.

Sofern Personen in einem Mitgliedstaat der EU bereits die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde ihre Abschiebung aus Deutschland in diesen Mitgliedstaat (vom BAMF oder dem Verwaltungsgericht) untersagt wurde, stellt sich die Frage, ob die Betroffenen einen Anspruch darauf haben, die Flüchtlingseigenschaft auch in Deutschland zuerkannt zu bekommen. Der Europäische Gerichtshof hat diese Frage nun verneint und entschieden, dass ein Mitgliedstaat nicht verpflichtet ist, die in einem anderen Mitgliedstaat zuerkannte Flüchtlingseigenschaft automatisch anzuerkennen (Urteil vom 18. Juni 2024, Az.: C-753/22).

Vielmehr müssen nach Auffassung des EuGH „die zuständigen Behörden“, d.h. in erster Linie das BAMF und im Klageverfahren die Verwaltungsgerichte, eine neue individuelle, vollständige und aktualisierte Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vornehmen. Im Rahmen dieser Prüfung müssen jedoch die Entscheidung des anderen Mitgliedstaats, diesem Antragsteller internationalen Schutz zu gewähren, und die Anhaltspunkte, auf denen diese Entscheidung beruht, in vollem Umfang berücksichtigt werden. Zu diesem Zweck muss das BAMF unverzüglich einen Informationsaustausch mit der Behörde des Mitgliedstaats einleiten, die diese Entscheidung erlassen hat.


Menschen schützen statt Asylverfahren auslagern

In einem gemeinsamen offenen Brief an Bundeskanzler Scholz und die Ministerpräsident*innen bekräftigen 309 Organisationen – von lokalen Initiativen der Flüchtlingshilfe bis hin zu bundesweiten Organisationen –, dass sie zu einer Gesellschaft gehören wollen, die fliehende Menschen menschenwürdig aufnimmt. Kurz vor deren Treffen fordert das Bündnis den Bundeskanzler und die Ministerpräsident*innen auf, die Auslagerung von Asylverfahren klar abzulehnen und sich stattdessen gemeinsam mit der Zivilgesellschaft für eine zukunftsfähige Aufnahme von Schutzsuchenden in Deutschland stark zu machen. Am 20. Juni, dem Weltflüchtlingstag, werden Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ministerpräsident*innen während ihrer gemeinsamen Tagung über eine mögliche Auslagerung von Asylverfahren diskutieren. Das Bundesinnenministerium wird einen Sachstandsbericht zu einem Prüfauftrag vorlegen, der bei Bund-Länder-Beratungen im November 2023 beschlossen wurde. Die Organisationen warnen vor der Auslagerung von Asylverfahren. Bisherige Versuche zeigen, dass sie zu mehr Leid bei den Betroffenen und Menschenrechtsverletzungen führen, nicht funktionieren und extrem teuer sind. Eine zukunftsfähige Gesellschaft braucht Vielfalt, Offenheit und ein konsequentes Einstehen für die Menschenrechte für alle, so das Bündnis. Das Bündnis wurde initiiert von PRO ASYL, dem Paritätischen Gesamtverband, Ärzte ohne Grenzen, Brot für die Welt, Diakonie Deutschland und Amnesty International.

Der offene Brief im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, 

sehr geehrte Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten,

Menschlichkeit ist sowohl in Deutschland als auch in Europa die Basis unseres Zusammenlebens. Sie zu schützen ist unsere gesellschaftliche Pflicht. Dazu gehört auch: Die unbedingte Achtung der Menschenwürde. Sie steht aus gutem Grund seit 75 Jahren in unserem Grundgesetz und gilt für alle Menschen, egal woher sie kommen.

Ausgerechnet am Weltflüchtlingstag beraten Sie die Idee der Auslagerung des Flüchtlingsschutzes aus Deutschland und Europa in Drittstaaten. Wir, 309 Organisationen und Initiativen, möchten Teil einer Gesellschaft sein, die geflüchtete Menschen menschenwürdig aufnimmt. Wer Schutz bei uns in Deutschland sucht, soll ihn auch hier bekommen. Das Recht auf Asyl ist ein Menschenrecht.

Bitte erteilen Sie Plänen zur Auslagerung von Asylverfahren eine klare Absage.

Als im Flüchtlingsschutz aktive Organisationen und Initiativen wissen wir: Aufnahme und Teilhabe funktionieren, wenn alle an einem Strang ziehen und der politische Wille vorhanden ist. Vor den derzeitigen Herausforderungen verschließen wir dabei nicht die Augen. Wir begegnen ihnen vielmehr mit konstruktiven, praxisnahen und somit tatsächlich realistischen Vorschlägen für eine zukunftsfähige Aufnahme. Dafür setzen wir uns jetzt und auch zukünftig mit allen uns zur Verfügung stehenden Kräften ein – gerade auch auf kommunaler Ebene.

Pläne, Flüchtlinge in außereuropäische Drittstaaten abzuschieben oder Asylverfahren außerhalb der EU durchzuführen, funktionieren hingegen in der Praxis nicht, sind extrem teuer und stellen eine Gefahr für die Rechtsstaatlichkeit dar. Sie würden absehbar zu schweren Menschenrechtsverletzungen führen, wie pauschale Inhaftierung oder dass Menschen in Länder abgeschoben werden, in denen ihnen menschenunwürdige Behandlung oder Verfolgung drohen. Bei Geflüchteten lösen solche Vorhaben oft große Angst aus und erhöhen die Gefahr von Selbstverletzungen und Suiziden. Dies gilt gerade für besonders schutzbedürftige Geflüchtete wie Menschen mit Behinderung, Kinder, queere Menschen, Überlebende von Folter oder sexualisierter Gewalt. Das zeigen uns die Erfahrungen der letzten Jahre, etwa das Elend auf den griechischen Inseln als Folge der EU-Türkei-Erklärung.

Aktuell leben drei Viertel der geflüchteten Menschen weltweit in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Setzen Sie sich deswegen für eine glaubhafte, nachhaltige und gerechte globale Verantwortungsteilung im Flüchtlingsschutz ein. 

Wir sind uns sicher: Realistische und menschenrechtsbasierte Politik stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dass Anfang des Jahres so viele Menschen wie noch nie in Deutschland auf die Straße gegangen sind, um ein Zeichen für eine offene und diverse Gesellschaft und gegen Rechtsextremismus zu setzen, macht uns Mut. Eine zukunftsfähige Gesellschaft braucht Vielfalt, Offenheit und ein konsequentes Einstehen für Menschenrechte – für alle.


Bad Herrenalb: Flüchtlingsschutztagung

Das Flüchtlingsthema ist ein wichtiger Indikator dafür, wie wir in den westlichen europäischen Ländern unsere Demokratie verstehen und wie wir demokratische Werte gegenüber rechten Kräften verteidigen „Gemeinsam für Demokratie!“ – Dieses Motto verbindet Initiativen in der Flüchtlingsarbeit auch mit anderen zivilgesellschaftlich engagierten Gruppen. Die Tagung zielt darauf, verschiedene Akteure in der Flüchtlings- und Menschenrechtsarbeit, Umweltschutz- und Entwicklungszusammenarbeit sowie in der Demokratieförderung miteinander zu vernetzen. Es gibt Raum zum Kennenlernen, zum Austausch und für die Entwicklung von innovativen Aktivitäten. Demokratie leben, Menschenrechte schützen und gemeinsame Strategien entwickeln, um wehrhaft gegenüber rechtspopulistischen und rechtsextremen Entwicklungen zu sein, dazu möchte die Tagung einen Beitrag leisten.

Informationen zum Tagungsprogramm und zur Anmeldung

Die Tagung wird organisiert bzw. unterstützt von der Caritas, Pro Asyl, der evangelischen Landeskirche Baden, der Diakonie Württemberg, der Evangelischen Akademie Baden, der Evangelischen Akademie Bad Boll und dem Flüchtlingsrat Baden-Württemberg.


Gerade jetzt: Rechtsstaat stärken!

Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), die Neue Richter*innenvereinigung (NRV), die Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht des Deutschen Anwaltverein (DAV), PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Bundesländer stehen und streiten für den Rechtsstaat als Grundlage unserer Demokratie. Dazu gehört die Wahrung völkerrechtlicher Grundsätze. Bundeskanzler Scholz forderte in seiner Regierungserklärung, dass Menschen, die schwere Straftaten begangen haben, nach Afghanistan und Syrien abgeschoben werden sollen. In beiden Ländern drohen jedoch Folter und andere schwere Menschenrechtsverletzungen, die Abschiebungen völkerrechtlich verbieten. Wir sind erschüttert von der Tat in Mannheim und sprechen unser tiefes Mitgefühl aus. Zugleich sind wir alarmiert von den aktuell stattfindenden Debatten. Nach einer schweren Straftat muss die Justiz für Gerechtigkeit sorgen. Hierfür haben wir in Deutschland einen funktionierenden Rechtsstaat. Dieser darf nicht untergraben werden, indem völkerrechtliche Errungenschaften in Frage gestellt werden.

Das absolute Folterverbot verbietet Abschiebungen

Aus dem Folterverbot folgt: Niemand darf abgeschoben werden, wenn nach der Abschiebung Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Dieses absolute Folterverbot ist in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Artikel 4 der EU-Grundrechtecharta normiert. Es gilt uneingeschränkt für alle Menschen – auch für Personen, die in Deutschland Straftaten begangen haben. Denn die Garantie der Menschenwürde gilt für alle Menschen, unabhängig von der Schwere der von ihnen begangenen Verbrechen. Ihre Strafen müssen sie in Deutschland verbüßen. Etwaige „Sicherheitszusagen“ für die abzuschiebenden Straftäter sind weder von Seiten der terroristischen Taliban noch von Seiten des Assad-Regimes vertrauenswürdig und zuverlässig und können damit eine menschenrechtswidrige Abschiebung nicht legitimieren. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt im Bericht von März 2024 zu dem Fazit, dass „aufgrund der desolaten Sicherheitslage und der vielerorts prekären humanitären Lage in Syrien und Afghanistan […] Art. 3 EMRK etwaigen Abschiebungen in diese Staaten regelmäßig entgegenstehen [wird]“.

Katastrophale menschenrechtliche Lage unter den Taliban

Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 ist die menschenrechtliche und humanitäre Situation in Afghanistan katastrophal. Internationale Organisationen und die Vereinten Nationen berichten von außergerichtlichen Tötungen, willkürlichen Verhaftungen, Folter und weiteren Misshandlungen durch die Taliban. Besonders Frauen und Mädchen sind von weitreichenden Einschränkungen ihrer Rechte betroffen. UNHCR betont, dass die meisten Menschenrechtsverletzungen undokumentiert bleiben und die Verfolgungsgefahr unvorhersehbar ist. UNHCR fordert deswegen von allen Staaten, keine Abschiebungen nach Afghanistan durchzuführen. Hinzu kommt eine humanitäre Krise, die durch Erdbeben und Sturzfluten weiter verschärft wurde. Die Europäische Asylagentur bestätigt in ihrer Country Guidance zu Afghanistan vom Mai 2024, dass es im Land keine internen Schutzalternativen gibt. Deutschland hat seit der Machtübernahme der Taliban keine diplomatischen Beziehungen zu Afghanistan. Eine Wiederaufnahme von Abschiebungen würde eine Kooperation mit den Taliban erfordern, die die Bundesregierung nicht als rechtmäßige Regierung anerkennt. Eine solche Kooperation wäre ein Schritt zur Normalisierung der Beziehungen, was außen- und menschenrechtspolitisch katastrophal wäre.

Syrien ist weiterhin ein Folterstaat

Unter Machthaber Assad wird in Syrien seit Jahren systematisch gefoltert, Menschen verschwinden und werden rechtswidrig inhaftiert oder getötet. Internationale Organisationen wie UNHCR, OHCHR und Amnesty International bestätigen dies. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mehrfach entschieden, dass Abschiebungen nach Syrien eine Verletzung von Artikel 3 der EMRK bedeuten. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass eine sichere Rückkehr nach Syrien derzeit nicht gewährleistet werden kann. Rückkehrende werden pauschal als Verräter behandelt und sind systematischer Willkür ausgesetzt. Willkürliche Verhaftungen und Folter sind in Syrien an der Tagesordnung. Mehr als 100.000 Menschen gelten als vermisst. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bestätigte Ende Mai 2024, dass die Bedingungen für sichere und würdige Rückkehr nach Syrien nicht gegeben sind. Abschiebungen nach Syrien würden eine Kooperation mit dem Assad-Regime erfordern, die die Sanktionspolitik untergräbt und das Regime rehabilitiert, das eigentlich für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden muss.

Der Rechtsstaat beweist sich durch angemessene Strafverfahren

Islamistischer Terror, Rechtsextremismus und Antisemitismus stellen eine Bedrohung für die offene Gesellschaft in Deutschland dar. Solchen menschenverachtenden Taten muss mit dem deutschen Strafrecht begegnet werden. Das geschieht ausnahmslos. Für die Strafgerichte ist es dabei nicht entscheidend, welche Staatsangehörigkeit Täter haben. Wenn sie keine deutsche Staatsangehörigkeit haben, können sie nach einer Verurteilung und nach Verbüßung eines Teils ihrer Freiheitsstrafe außerdem abgeschoben werden, siehe § 456a StPO, sofern die Abschiebung zulässig ist. Abschiebungen in Länder, in denen Folter, Misshandlungen und weitere Menschenrechtsverletzungen drohen, sind mit dem Rechtsstaat und dem Völkerrecht indes unvereinbar und dürfen nicht stattfinden. Gerade in schwierigen Zeiten muss der Rechtsstaat Stärke durch die Einhaltung wichtiger Grundsätze zeigen. Politischen Akteuren kommt hier eine wichtige Rolle zu, ihn zu verteidigen und wichtige Grundsätze zu vertreten. Dies stärkt unsere Demokratie langfristig gegen die, die sie untergraben wollen.