Weiterwanderung von vorübergehend Schutzberechtigten

Auch nach Weiterwanderung aus einem anderem EU-Staat besteht in Deutschland ein Anspruch auf vorübergehenden Schutz (§ 24 AufenthG), so steht es in dem Rundschreiben des Bundesinnenministeriums (BMI) vom 8. August 2022:

  • Auch Personen, die bereits in einem anderen Mitgliedsstaat vorübergehenden Schutz haben, haben nach einer Weiterwanderung nach Deutschland Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG, sofern die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind. In diesem Fall „ist der schutzbegehrenden Person, bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen, eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG in Deutschland zu erteilen.“ Denn mit dem EU-Beschluss zum vorübergehenden Schutz solle „Personen mit vorübergehendem Schutz den flexiblen Fortzug aus einem Mitgliedsstaat in einen anderen. Die eingeräumte „Freizügigkeit“ soll u.a. dazu dienen, eine schnelle Weiterreise und Verteilung in der EU zu ermöglichen.“
  • Wenn umgekehrt Personen, die vorübergehenden Schutz in Deutschland genießen, in einem anderen Mitgliedsstaat vorübergehenden Schutz beantragen, erlischt zwar der vorübergehende Schutz selbst in Deutschland nicht automatisch, aber die Aufenthaltserlaubnis erlischt gem. § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG sofort (und nicht erst nach sechs Monaten), da damit ein „dauerhafter Fortzugswille“ zum Ausdruck gebracht worden sei und es sich nicht nur um eine vorübergehende Ausreise handele.
  • Wenn eine Person, die in Deutschland vorübergehenden Schutz genießt, dauerhaft in die Ukraine zurückkehrt, droht ebenfalls das Erlöschen des Aufenthaltstitels. Bei einer von vornherein nur vorübergehend geplanten Reise in die Ukraine erlischt der Titel hingegen erst nach sechs Monaten Abwesenheit aus Deutschland (§ 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG). Man kann bei der Ausländerbehörde auch eine längere Frist als sechs Monate beantragen.

Zusammengefasst von Claudius Voigt von der GGUA.


VG Sigmaringen: Umfassende Prüfung Aufenthaltstitel für nicht-ukrainische Geflüchtete

Das Gericht hat in seinem Beschluss klargestellt, dass die Ausländerbehörde das Prüfprogramm für einen Aufenthaltstitel nicht auf § 24 AufenthG begrenzen darf, wenn – wie hier – auch andere Ermächtigungsgrundlagen zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Betracht kommen. Das Verwaltungsgericht (VG) Sigmaringen entschied dies am 18.08.2022 (5 K 1804/22). Eine Nigerianerin in medizinischer Ausbildung als Assistenzärztin mit befristeter Aufenthaltserlaubnis in der Ukraine floh im März nach Deutschland. Sie beantragte eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Ausbildung oder Erwerbstätigkeit oder zum vorübergehenden Schutz nach § 24 AufenthG. Diese wurde mit der Begründung abgelehnt, die Antragstellerin könne sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland zurückkehren. Das Gericht hat dem Eilantrag stattgegeben, unter anderem da die Ausländerbehörde nur die Voraussetzungen für den § 24 AufenthG geprüft habe, aber nicht noch weitere für die Antragstellerin in Betracht kommende Aufenthaltstitel prüfte. „Denn für nicht-ukrainische Staatsangehörige kann im Einzelfall auch eine Aufenthaltserlaubnis aus anderen Gründen in Betracht kommen (vgl. Schuster/Voigt, Asylmagazin 2022, 109; Dörig, jM 2022, 249).“ Zudem deutet das Gericht an, dass die Ausländerbehörde bei der Beurteilung der Frage, ob die Antragstellerin sicher und dauerhaft nach Nigeria zurückkehren kann, das BAMF hätte beteiligen müssen. Die Klägerin erhält bis zum Abschluss des Verfahrens eine Fiktionsbescheinigung.


Stuttgart/Tübingen: Veranstaltungen von Refugio

Der gemeinnützige Verein refugio stuttgart e.v. bietet anlässlich seines 20-jährigen Jubiläums im Herbst eine Reihe von Veranstaltungen an. Es gibt verschiedene Lesungen, Konzerte, Fachvorträge und Debatten im Themenbereich Flucht und Trauma.

Zum Veranstaltungsprogramm und weiteren Informationen.


VGH Baden-Württemberg: Verfolgung homosexueller Männer in Gambia

Homosexuellen Männern droht in Gambia Verfolgung, so hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg (AZ: A 13 S 733/21, 06.07.2022) entschieden und damit seine bisherige Rechtsprechung geändert.

Leitsätze

1. Männern, deren Homosexualität bedeutsamer Bestandteil ihrer sexuellen Identität ist, droht gegenwärtig in Gambia mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit eine Verfolgung in Form einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, die so gravierend ist, dass sie in der Gesamtschau einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung gleichkommt.

2. Ein Asylbewerber, bei dem anzunehmen ist, dass er seine homosexuelle Identität bei einer hypothetischen Rückkehr nach Gambia nur wegen seiner Furcht vor Verfolgung nicht ausleben würde, darf nicht darauf verwiesen werden, dass er sich durch das Verheimlichen seiner sexuellen Identität der ansonsten beachtlich wahrscheinlichen Verfolgung entziehen kann.

3. Homosexuelle Männer haben in Gambia nicht die Möglichkeit, internen Schutz gemäß § 3e AsylG vor Verfolgung wegen ihrer sexuellen Identität zu erhalten.


Sigmaringen: Workshop „Zweiklassengesellschaft?“

Tausende Ukrainer*innen fliehen vor dem Krieg in ihrem Heimatland und werden mit offenen Armen empfangen. Sie erhalten schnell eine Aufenthaltserlaubnis mit vielen Privilegien, es gibt spezielle Freizeit- und Beratungsangebote für sie und sogar die Sendung mit der Maus ist nun auf Ukrainisch verfügbar. Das ist toll. Aber warum geht das nicht für alle Geflüchtete? Es ist ungerecht, dass nicht alle Geflüchteten die gleiche Unterstützung erfahren. Liegt es vielleicht an der Nähe zu Europa, an der hellen Hautfarbe oder am Feindbild Russland, dass Ukrainer*innen so viel besser aufgenommen werden? In diesem Workshop beschäftigen wir uns mit Ungleichbehandlung. Wir diskutieren sowohl Gründe und Folgen von Ungleichbehandlung, als auch wie man ihr entgegentreten, Brücken bauen und eine Zweiklassengesellschaft vermeiden kann. Politische, gesellschaftliche und persönliche Ebenen verschränken sich und es ist wichtig, sich im Engagement für Geflüchtete – egal woher sie kommen – zu positionieren.

Referentin: J. Khatib-Saleh (Empowerment Trainerin)

Ort: Landratsamt Sigmaringen (Raum: AB), Leopoldstraße 4, 72488 Sigmaringen

Der kostenlose Workshop richtet sich in erster Linie an Ehrenamtliche in der Region Sigmaringen. Die Teilnehmendenzahl ist begrenzt. Ggf. wird es eine Warteliste geben.

Wir bitten um Anmeldung bis zum 23. September 2022 telefonisch (07571-1026336) oder per E-mail (sanja.muehlhauser@lrasig.de).

Bitte bringen Sie bei Bedarf ggf. einen Mund-Nasen-Schutz mit.

Den Workshop veranstalten in Kooperation der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg und das Landratsamt Sigmaringen/Fachbereich Recht und Ordnung. Er findet im Rahmen des Projekts „Perspektive durch Partizipation“, gefördert durch die Aktion Mensch, statt.


Ravensburg: Workshop „Zweiklassengesellschaft?“

Tausende Ukrainer*innen fliehen vor dem Krieg in ihrem Heimatland und werden mit offenen Armen empfangen. Sie erhalten schnell eine Aufenthaltserlaubnis mit vielen Privilegien, es gibt spezielle Freizeit- und Beratungsangebote für sie und sogar die Sendung mit der Maus ist nun auf Ukrainisch verfügbar. Das ist toll. Aber warum geht das nicht für alle Geflüchtete? Es ist ungerecht, dass nicht alle Geflüchteten die gleiche Unterstützung erfahren. Liegt es vielleicht an der Nähe zu Europa, an der hellen Hautfarbe oder am Feindbild Russland, dass Ukrainer*innen so viel besser aufgenommen werden? In diesem Workshop beschäftigen wir uns mit Ungleichbehandlung. Wir diskutieren sowohl Gründe und Folgen von Ungleichbehandlung, als auch wie man ihr entgegentreten, Brücken bauen und eine Zweiklassengesellschaft vermeiden kann. Politische, gesellschaftliche und persönliche Ebenen verschränken sich und es ist wichtig, sich im Engagement für Geflüchtete – egal woher sie kommen – zu positionieren.

Referentin: J. Khatib-Saleh (Empowerment Trainerin)

Ort: Kreativzentrum Ravensburg in der Kapuzinerstr. 27, 88212 Ravensburg

Der kostenlose Workshop richtet sich in erster Linie an Ehrenamtliche in der Region Ravensburg. Die Teilnehmendenzahl ist begrenzt. Ggf. wird es eine Warteliste geben.

Wir bitten um Anmeldung bis zum 23. September 2022 telefonisch (0751 – 85 9863) oder per E-mail (e.militz@rv.de).

Bitte bringen Sie bei Bedarf ggf. einen Mund-Nasen-Schutz mit.

Den Workshop veranstalten in Kooperation der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg und das Amt für Migration und Integration des Landkreises Ravensburg. Er findet im Rahmen des Projekts „Perspektive durch Partizipation“, gefördert durch die Aktion Mensch, statt.


Pro Asyl: EuGH: Deutschland verhinderte rechtswidrig Familiennachzug

Gute Nachricht für zerrissene Familien: Der Europäische Gerichtshof hat heute der europarechtswidrigen Praxis deutscher Behörden, einem volljährig gewordenen Kind die Zusammenführung mit den Eltern zu verwehren, eine klare Absage erteilt. Entscheidend für das Recht auf Familiennachzug sei, dass das Kind minderjährig war, als der Asylantrag gestellt wurde.

In gleich zwei heute ergangenen Urteilen gegen Deutschland stellt der Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg (EuGH) unmissverständlich fest, dass die bisherige deutsche Praxis beim Familiennachzug von bzw. zu Kindern „weder mit den Zielen der Richtlinie betreffend das Recht auf Familienzusammenführung noch mit den Anforderungen im Einklang stünde, die sich aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergeben“.

Für Deutschland bedeutet dies eine 180-Grad-Wende, denn bislang verweigert das Auswärtige Amt trotz eines gleichlautenden Urteils des EuGH von 2018 die Familienzusammenführung, sobald die Kinder volljährig geworden sind – obwohl dies zum Beispiel an den langen Asylverfahren oder den langen Verfahren zum Familiennachzug liegt. Nach dieser Logik büßen die Familien dafür, dass die deutsche Bürokratie so langsam arbeitet. Damit ist nun Schluss: Laut dem EuGH kann der Anspruch auf Familiennachzug für Flüchtlinge durch die eintretende Volljährigkeit der Kinder nicht verloren gehen.

„Viele durch die Flucht zerrissenen Familien können nach den Urteilen aufatmen: ihr Anspruch auf Familiennachzug besteht weiter, auch wenn ein Kind volljährig wird. Es ist aber ein Skandal, dass Deutschland diese Familien vier weitere Jahre hingehalten hat, obwohl die Rechtslage bereits nach dem Urteil des EuGHs von 2018 eindeutig war. Den Familien wurde so wertvolle Zeit geraubt. Die neue Bundesregierung muss dies jetzt zügig gesetzlich anpassen und auch weitere notwendige Schritte zur Beschleunigung des Familiennachzugs gehen. Denn angesichts der weiterhin zähen Verfahren zum Familiennachzug wird für viele in Deutschland anerkannte Flüchtlinge die Frage offen bleiben, wann sie ihre engsten Angehörige in die Arme schließen können“, so Wiebke Judith, Teamleitung Recht & Advocacy bei PRO ASYL.

Die Urteile beziehen sich auf zwei Fallkonstellationen: In einem Fall geht es um die Situation, wenn Eltern zu ihrem in Deutschland lebenden Kind nachziehen möchten, das hier eine Flüchtlingsanerkennung erhalten hat. In dem anderen Fall geht es um den Nachzug von Kindern zu ihren in Deutschland lebenden und als Flüchtling anerkannten Eltern.

Bisherige deutsche Rechtsauffassung

Die deutsche Regierung vertritt bislang die Auffassung, dass es beim Familiennachzug auf den Zeitpunkt ankommt, zu dem das nachziehende Familienmitglied den Visumantrag gestellt hat oder zu dem das Visum erteilt wurde. Ist das Kind zu diesem Zeitpunkt bereits 18 Jahre oder älter, wurde ihm das Recht abgesprochen, zu seinen Eltern einzureisen, oder den Eltern das Recht abgesprochen, zu ihrem Kind einzureisen.

Diese Rechtsauffassung nahm in den letzten Jahren unzähligen Familien die Möglichkeit in Deutschland zusammen zu leben, obwohl bei mindestens einem Familienmitglied eine Flüchtlingsanerkennung vorlag. Und das meist unverschuldet, denn häufig werden die Kinder während der langen Visaverfahren und zum Teil der sich anschließenden Klageverfahren volljährig. Davon betroffene Familien, die ohnehin durch die langen Verfahren litten, wurden obendrein damit bestraft, dass ihnen dann auch noch das Recht auf Familienleben genommen wird.

Außerdem öffnete diese Rechtsauslegung Tür und Tor für Ungleichbehandlung: Wenn eine Behörde einen Antrag schneller bearbeitet und einen anderen schlicht einfach liegen lässt, hat sie die Macht darüber zu entscheiden, dass die eine Familie zusammenleben darf, während einer anderen Familie dieses Recht vorenthalten wird. Für die Betroffenen blieb daher bisher völlig unvorhersehbar, ob sie das Recht auf Familienzusammenführung in Anspruch nehmen können, was die Rechtssicherheit beeinträchtigte. Das sieht auch der EuGH in seinen Urteilen heute so und fügt außerdem an: „Die zuständigen nationalen Behörden und Gerichte hätten dann nämlich keine Veranlassung, die Anträge der Eltern Minderjähriger mit der Dringlichkeit, die geboten ist, um der Schutzbedürftigkeit der Minderjährigen Rechnung zu tragen, vorrangig zu bearbeiten, und könnten somit in einer Weise handeln, die das Recht auf Familienleben sowohl eines Elternteils mit seinem minderjährigen Kind als auch des Kindes mit einem Familienangehörigen gefährden würde.“

Eigentlich hatte der EuGH bereits im April 2018 anhand eines Falls aus den Niederlanden, bei dem es um den Nachzug eines Kindes zu einem als Flüchtling anerkannten Vater ging, bereits deutlich gemacht, dass es auf den Zeitpunkt der Asylantragsstellung des anerkannten Flüchtlings ankommt. Urteile des EuGHs gelten verbindlich für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union und geben vor, wie Unionsrecht auszulegen ist. Die deutsche Regierung ignorierte dieses Urteil aber bislang und behauptete, die Rechtslage in den Niederlanden sei mit der in Deutschland nicht zu vergleichen.

Zu den Urteilen

In dem Urteil zu der Rechtssache 279/20 geht es um eine junge Syrerin, die zu ihrem Vater ziehen möchte. Als der Vater seinen Asylantrag in Deutschland stellte, war sie noch 17 Jahre alt, als ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde und er den Antrag auf Familienzusammenführung endlich stellen konnte, war sie bereits 18 Jahre alt. Das Bundesverwaltungsgericht legte den Fall dem EuGH vor, mit der Frage, ob es nach der EU-Richtlinie beim Kindernachzug zu Flüchtlingen für die Minderjährigkeit des nachzugswilligen Kindes auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung des Flüchtlings (hier also des Vaters) ankommt. Zudem wollte das Bundesverwaltungsgericht vom EuGH wissen, welche Anforderungen an das Bestehen von tatsächlichen familiären Bindungen zwischen dem inzwischen volljährig gewordenen Kind und dem Flüchtling zu stellen sind. Die Schlussanträge des Generalanwalt Collins vom 16.12.2021 hatten bereits mutmachende Signale für eine Stärkung des Rechts auf Familiennachzug gegeben. Heute ist die Klägerin 23 Jahre alt und wartet seit dem Tod ihrer Mutter in der Türkei auf den Familiennachzug zu ihrem Vater.

In der Entscheidung zu den verbundenen Rechtssachen C‑273/20 und C‑355/20 geht es um syrische Kinder, die als unbegleitete Minderjährige nach Deutschland kamen und hier als Flüchtlinge anerkannt wurden. Die daraufhin gestellten Visa-Anträge der Eltern zur Familienzusammenführung wurden abgelehnt, weil die Kinder zwischenzeitlichvolljährig geworden waren. Unter Berufung auf die o.g. EuGH-Entscheidung im Jahr 2018 verpflichtete das angerufene Verwaltungsgericht Berlin mit Urteilen vom 01. Februar 2019 sowie vom 30. Januar 2019 die Bundesrepublik Deutschland jeweils zur Erteilung der beantragten Visa an die Eltern. Gegen diese Entscheidungen legte die Bundesrepublik Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht ein, das dem EuGH diese Konstellation noch einmal vorlegte. Heute sind die Kläger*innen 23 Jahre alt und warten weiterhin auf ihre Eltern.


Russland: Aufnahme gefährdeter Personen

Schon im Mai hatte sich die Bundesregierung darauf geeinigt, dass Russ*innen, die in ihrem Heimatland einer besonderen Gefährdung ausgesetzt sind, aufgenommen werden. Zu solch gefährdeten Personen zählen beispielsweise Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen und Kulturschaffende. Die Aufnahmen erfolgen über die Visavergabe nach § 22 Abs. 2 AufenthG. Natürlich kommen auch Visa zum Zweck der Erwerbstätigkeit in Frage. Über den § 22 AufenthG konnten bereits einige Russ*innen einreisen.


Pro Asyl: Chancen-Aufenthaltsrecht: Zu viele Hürden für eine dauerhafte Perspektive

PRO ASYL begrüßt, dass die Bundesregierung mit dem vom Bundeskabinett verabschiedeten Chancen-Aufenthaltsrecht Langzeitgeduldeten eine Perspektive geben und Kettenduldungen vermeiden will. Doch Nachbesserungen sind nötig, sonst droht zum Beispiel eine Art Bleiberechtslotterie. 

„Um einen Paradigmenwechsel in der Asyl- und Migrationspolitik zu vollziehen, muss der Entwurf der Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren deutlich nachgebessert und präzisiert werden“, sagt Karl Kopp, Leiter der Europa-Abteilung von PRO ASYL.

Aus Sicht der Menschenrechtsorganisation PRO ASYL sind unter anderem folgende Nachjustierungen essentiell für eine erfolgreiche Regelung:

Problematischer Stichtag 1. Januar 2022
Im Kabinettsentwurf ist weiterhin der 1. Januar 2022 als Stichtag für das Chancen-Aufenthaltsrecht vorgesehen. Da sich der Gesetzgebungsprozess aber unter anderem durch den Krieg in der Ukraine verzögerte, ist dieser Stichtag nicht mehr angebracht. Denn bei Inkrafttreten des Gesetzes werden mehr Menschen mindestens fünf Jahre lang in Deutschland leben als am 1. Januar 2022. Diese werden jedoch nicht vom Chancenaufenthaltsrecht profitieren dürfen. Noch besser wäre es, das Gesetz ganz zu entfristen, also keinen Stichtag festzulegen, um auch künftig Ketten-Duldungen zu vermeiden.

„Identitätsklärung“ – drohender Flickenteppich bei der Umsetzung 
Eine große Hürde bei der Identitätsklärung ist oft die Beschaffung eines Passes. Und so droht auch mit dem aktuellen Gesetzentwurf die Gefahr, dass praktische Probleme wie die Weigerung einer Botschaft, einen Pass auszustellen, bestehen bleiben und verhindern, dass die Menschen von der neuen Regelung profitieren.
Der Hinweis im Gesetzentwurf, dass „die Ausländerbehörde auch konkrete Handlungspflichten, die in zumutbarer Weise zu erfüllen sind, bezeichnen“ soll, ist sicherlich als Präzisierung und Nachschärfung gedacht. Aus Sicht von PRO ASYL wird das aber nicht die notwendige Klarheit schaffen. „Die Gefahr ist sehr groß, dass sich ohne Präzisierungen im Gesetzgebungsverfahren völlig divergierende Praktiken bei den Ausländerbehörden entwickeln – eine Art Bleiberechtslotterie“, warnt Karl Kopp. PRO ASYL fordert deshalb, dass die Identitätsklärung durch „Versicherung an Eides“ statt, die der Koalitionsvertrag vorsieht, schon jetzt umgesetzt wird.

Drohender Rückfall in die Duldung nach einem Jahr
Sofern die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der einjährigen Aufenthaltsdauer nicht erfüllt sind, „fallen die Betroffenen in den Status der Duldung zurück, da es sich beim Chancen-Aufenthaltsrecht um eine einmalige Sonderregelung handelt…“, heißt es im Kabinettsentwurf.
PRO ASYL befürchtet, dass es vielen Begünstigten des Chancen-Aufenthaltsrechts nicht gelingen wird, innerhalb eines Jahres sämtliche Anforderungen zu erfüllen. Angesichts der sich eintrübenden wirtschaftlichen Lage ist es zum Beispiel sehr fraglich, ob Betroffene es schaffen, ihren Lebensunterhalt überwiegend selbst zu sichern.

Vorgriffsregelung in den Bundesländern notwendig 
Bis das Chancenaufenthaltsrecht wirklich in Kraft tritt, sollte das Bundesinnenministerium zudem alle Bundesländer dazu auffordern, entsprechende Vorgriffsregelungen zu erlassen. Denn sonst können derzeit Schutzsuchende abgeschoben werden, die mit dem neuen Gesetz in Deutschland bleiben und sich ein Zukunft aufbauen könnten. Die Verzögerungen dürfen nicht zulasten der Betroffenen gehen.


Pro Asyl: Europäischer Gerichtshof verurteilt Litauen

Der Europäische Gerichtshof sendet ein klares Stoppsignal an die Staaten, die Pushbacks und andere Völkerrechtsbrüche legalisieren wollen.

PRO ASYL begrüßt, dass der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit seinem Urteil vom 30. Juni 2022 der fortschreitenden Erosion der Flüchtlingsrechte Einhalt gebietet. Die Gesetzesverschärfungen Litauens im Zuge der Fluchtbewegung über Belarus sind ein klarer Verstoß gegen die Verfahrens- und Aufnahmerichtlinie und die Charta der Grundrechte der EU. Der EuGH macht deutlich: Der Zugang zum Recht auf Asyl gilt auch in Krisenzeiten.

Der EuGH verurteilte die durch Gesetzesänderungen kodifizierten Völkerrechtsbrüche Litauens: Pushbacks sind illegal, die Verweigerung von Asyl und die pauschale Inhaftierung von Schutzsuchenden sind nicht im Einklang mit Unionsrecht! Auch bei dem Vorliegen von „außergewöhnlichen Umständen“ oder einem „massiven Zustrom“ von Schutzsuchenden, darf das grundsätzliche Recht auf Zugang zu einem Asylverfahren nicht ausgehebelt werden. Das schließt auch das Verbot der Zurückweisung und das Verbot der willkürlichen und systematischen Inhaftierung von Geflüchteten mit ein.

„Im Jahr 2022 ist die Feststellung dieser völkerrechtlichen Selbstverständlichkeiten bitter nötig. Der Gerichtshof hat damit den EU-Staaten einige rote Linien aufgezeigt. Ein guter Tag für den geschundenen Flüchtlings- und Menschenrechtsschutz in Europa und ein klares Stoppsignal für die EU-Staaten, die Pushbacks, systematische Inhaftierungen und andere Völkerrechtsbrüche `legalisieren´ wollen“, so Karl Kopp, Leiter der Europaabteilung von PRO ASYL.

Hintergrund       

Seit Sommer 2021 kamen tausende Flüchtlinge über Belarus an die EU-Außengrenze Litauens, wurden dort aber zurückgewiesen. Nach der Ausrufung eines Notstands aufgrund eines „Massenzustroms“ änderte das litauische Parlament ab Juli 2021 die Asylgesetzgebung mehrmals. Durch die Gesetzesverschärfungen wurden die Rechte von Schutzsuchenden, einschließlich des Verbots der Zurückweisung, des Rechts auf Asylantragstellung und das Recht auf Schutz vor willkürlicher Inhaftierung, massiv eingeschränkt. Die problematischen Bestimmungen schreiben die Verweigerung des Zugangs zu Asylverfahren für Personen, die irregulär ins Land gekommen sind, vor, und eine pauschale Politik der automatischen und daher willkürlichen Inhaftierung von Asylsuchenden.

Das Oberverwaltungsgericht Litauen wollte im Rahmen eines Eilvorabentscheidungsverfahrens vom Europäischen Gerichtshof wissen, ob einige dieser von Litauen angewandten Vorschriften mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Die Schlussanträge des Generalanwalts Nicholas Emiliou vom 2. Juni 2022 finden Sie hier.