Freispruch: Angeklagte von Bürger*innenasyl-Initiativen

In zwei Städten wurden in der ersten Maiwoche Aktivist*innen, die sich für Bürger*innenasyle einsetzen, freigesprochen. Mit Bürger*innenasyl ist gemeint, dass Geflüchtete privat aufgenommen werden, um vor einer Abschiebung geschützt zu sein und ein Bleiberecht erhalten zu können. Es gibt in mehreren deutschen Städten Bürger*innenasyl-Initiativen.

In Münster endete das Strafverfahren gegen drei Engagierte vor dem Amtsgericht Münster, das einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft abwies und auf die Meinungs- und Pressefreiheit verwies. Die drei Angeklagten hatten einen Presseartikel veröffentlicht und wurden dann angeklagt öffentlich zu einer Straftat aufgerufen zu haben, indem sie sich für die Aufnahme von durch Abschiebung Bedrohten aussprachen.

In Aschaffenburg entschied das Langericht bereits in zweiter Instanz den Fall eines Engagierten aus Hanau. Auch er war wegen „öffentliche Aufforderung zu Straftaten“ angeklagt gewesen – hier weil er mit seinem Namen im Impressum der Webseite https://aktionbuergerinnenasyl.de steht. Die Staatsanwaltschaft hat nun auch im Berufungsverfahren vor dem Landgericht verloren, das die Berufung als unbegründet zurückwies.


Jetzt klagen: Corona-Zuschuss für Kinder im AsylbLG-Bezug

Im Mai 2021 erhalten Empfänger*innen von Grundsicherungsleistungen eine pandemiebedingte Einmalzahlung in Höhe von 150,- Euro. Auch einige Kinder erhalten einen Corona-bedingten Zuschuss, den sogenannte Kinderbonus. Den Kinderbonus über 150 € bekommen allerdings nur diejenigen Kinder, die kindergeldberechtigt sind. Kindergeldberechtigt sind aber nur Kinder, bei denen eine Freizügigkeitsberechtigung, eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Beschäftigungsduldung besteht (§ 62 Abs. 2 EStG). Die meisten Kinder im AsylbLG-Bezug werden demnach keinen Anspruch auf diese Einmalzahlung haben.

Dies ist eine offensichtliche Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Kindern, die Leistungen nach SGB II oder SGB XII beziehen, als auch zu Erwachsenen, die Leistungen nach dem AsylbLG beziehen und einen Anspruch auf die Einmalleistung nach § 3 Abs. 6 AsylbLG haben. Dabei betrifft der Mehrbedarf, der durch die Pandemie entstanden ist, alle Kinder gleichermaßen, unabhängig davon, ob sie kindergeldberechtigt sind oder nicht.

Der Flüchtlingsrat rät allen Personensorgeberechtigten von Kindern im AsylbLG-Bezug, die nicht kindergeldberechtigt sind, gegen die Versagung einer pandemiebedingte Einmalzahlung nach § 3 Abs. 6 AsylbLG im Mai vorzugehen. Es gibt nämlich sowohl europa- als auch verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich dieser Ungleichbehandlung. Anwaltschaftliche Begleitung kann ggf. die Anwaltskanzlei Sven Adam übernehmen. Wer selbstständig gegen neue Sozialleistungsbescheide für Mai 2021 vorgehen möchte, kann diesen Musterschriftsatz nutzen, um Widerspruch einzulegen und und gleichzeitig einen Eilantrag bei dem jeweils zuständigen Sozialgericht zu stellen. Auch wenn die Widerspruchsfrist bereits abgelaufen ist, kann rechtlich gegen die Verweigerung des Zuschusses vorgegangen werden.


Was ist eine Passverfügung?

Bekommen Geflüchtete eine Passverfügung, geraten sie oft in Panik: Was habe ich falsch gemacht? Was will die Behörde von mir? Im besten Fall wenden sie sich an eine Beratungsstelle, Ehrenamtliche oder Sozialarbeiter*innen. Dass die Behörde einen Pass vorgelegt haben will, ist allen Beteiligten schnell klar. Doch was steckt eigentlich alles hinter einer solchen Verfügung? Dieser Artikel klärt über die rechtlichen Grundlagen auf, z.B. wer aus welchen Gründen eine Passverfügung bekommen kann/darf und was sie enthält bzw. enthalten darf.

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe 3/2020 des Rundbriefes des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg. Dieser erscheint dreimal im Jahr in gedruckter Form und kann kostenfrei über die Website des Flüchtlingsrats bestellt werden. Wenn Sie Mitglied des Flüchtlingsrats sind, bekommen Sie den Rundbrief immer direkt nach dem Erscheinen per Post zugeschickt.


LSG Hessen: Regelbedarfsstufe 1 für Alleinstehende in Gemeinschaftsunterkünften

Viele Sozialgerichte haben bereits entschieden, dass die Herabstufung der Regelbedarfe von alleinstehenden Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften rechtswidrig ist. Ganz besonders beachtlich ist die Entscheidung des hessischen Landessozialgerichts vom 13.04.2021 (Az.: L 4 AY 3/21 B ER). Das Gericht stellte fest, dass die Regelung nicht nur verfassungs- sondern auch europarechtswidrig ist. Sie widerspreche Art. 17 Abs. 2 und Abs. 5 der sog. Aufnahme-Richtlinie. Das Gericht betonte, dass Unionsrecht vorrangig gegenüber Bundesrecht sei. Es stellte somit dar, warum und wie Landkreise die Regelung über die Herabstufung im Asylbewerberleistungsgesetz verfassungskonform auslegen können und damit Alleinstehenden in Gemeinschaftsunterkünften Regelbedarfsstufe 1 gewähren dürfen.

Nach Rechtsanwalt Sven Adam, der die Entscheidung erstritten hat, ist sie in ihrer „Begründungstiefe bislang einmalig, richtungsweisend und hat erhebliche Auswirkungen auf die AsylbLG-Leistungen sämtlicher Einzelpersonen in den Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschafts-/Sammelunterkünften.“

Wir raten weiterhin allen Alleinstehenden in Gemeinschaftsunterkünften in Baden-Württemberg, gegen eine Herabstufung von Regelbedarfstufe 1 in Bedarfstufe 2 Widerspruch einzulegen und ggf. zu klagen. Bei Rückfragen, können Sie gerne auf uns zukommen.


Studie: Ansprüche auf Gesundheitsleistungen für Asylsuchende

Viele Geflüchtete im Asylbewerberleistungsbezug hadern mit der gesundheitlichen Versorgung. Besonders die Leistungsansprüche für besonders Schutzbedürftige sind gesetzlich nicht geregelt. Das Bundesgesetz setzt somit nicht geltendes Europarecht um, wozu die Bundesregierung aber verpflichtet ist (hier: EU-Aufnahmerichtlinie). Auch dies führt zu verfassungsrechtlichen Zweifeln am Asylbewerberleistungsgesetz, die ohnehin spätestens seit dem Urteil des BVerfG vom November 2019 (Az: 1 BvL 7/16) deutlich geworden sind. Betroffene können ihre Leistungsansprüche oft nur gerichtlich durchsetzen.

Mit diesen Fragen beschäftigt sich das aktuelle Policy Paper des Mercator Forums Migration und Demokratie (MIDEM) der Technischen Universität Dresden. Es gibt einen Überblick über die rechtlichen Rahmen­bedingungen auf nationaler und supranationaler Ebene und spricht Handlungsempfehlungen aus.


Online-Seminar: Rechtliche Herausforderungen für binationale Familien und Paare

Wenn Paare und Familien aus unterschiedlichen Ländern kommen, bringt dies oft eine Vielzahl an rechtlichen Unklarheiten mit sich. Denn rund um die Themen Eheschließung und Geburt kommen viele verschiedene Rechtsgebiete unterschiedlicher Länder zur Anwendung. In dem Online-Seminar werden verschiedene Problemstellungen und Schwierigkeiten aufgezeigt, vor denen Geflüchtete stehen, und Lösungsansätze besprochen.

Referentin und Referent: Swenja Gerhard und Heinz Schulz (Verband binationaler Familien und Partnerschaften)

Die Infoveranstaltung richtet sich in erster Linie an ehrenamtlich Engagierte in der Flüchtlingsarbeit. Sie wird mit Zoom durchgeführt und die Teilnehmenden erhalten die Zugangsdaten nach Anmeldung einen Tag vor dem Seminar. Datenschutzhinweise für das online-Seminar via „Zoom“ finden Sie hier. Eine Anmeldung ist am Tag der Veranstaltung nicht mehr möglich. Gerne können Teilnehmende Fragen an die Referentin und den Referenten bei der Anmeldung angeben, diese werden gesammelt eine Woche vor dem Seminar an die beiden weitergeleitet.

Das Online-Seminar findet im Rahmen des Projekts „Aktiv für Flüchtlinge“ statt, gefördert vom Land Baden-Württemberg, Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration mit Unterstützung der UNO Flüchtlingshilfe und der Deutschen Postcode-Lotterie.



OVG Niedersachsen: Keine Überstellung von Anerkannten nach Griechenland

Geflüchtete, die in Griechenland die Flüchtlingseigenschaft bekommen haben, dürfen nicht rücküberstellt werden. Dort drohe ihnen ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh, weil sie unter menschenrechtwidrigen Bedingungen leben müssten. So seien sie von Obdachlosigkeit bedroht und erhielten keinen Zugang zu elementaren Leistungen sowie zu anderweitiger Unterstützung. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen. Das Urteil liegt noch nicht vor, so geht es aber aus der Pressemitteilung hervor.

Zuletzt hatte auch das OVG Nordrhein-Westfalen festgestellt, dass Anerkannten in Griechenland Menschenrechtsverletzungen drohen. Deshalb sollten sich auch Asylsuchende in Baden-Württemberg mit einer Anerkennung in Griechenland gut beraten lassen und sich trotz aller Unsicherheiten versuchen, zu integrieren. Übrigens entscheidet das BAMF bereits seit über einem Jahr nicht mehr über Asylanträge von dieser Gruppe von Geflüchteten.


Gutachten: Dokumentenbeschaffung Eritrea

Das Gutachten analysiert die Möglichkeiten der Dokumentenbeschaffung eritreischer Geflüchteter im Rahmen des Familiennachzugs. Es klärt über das Dokumentensystem Eritreas auf und beleuchtet speziell die Probleme, die Eritreer*innen im Ausland haben, nachträglich Dokumente zu beschaffen. Hürden bei der Beschaffung sind nicht nur die Diaspora-Steuer und die Unterzeichnung der Reueerklärung, sondern auch häufige Weigerungen eritreischer Auslandsvertretungen Dokumente auszustellen. Das Gutachten widerspricht der Ansicht deutscher Behörden, dass es möglich und zumutbar ist, eritreische Dokumente vorzulegen.

In Auftrag gegeben wurde das Gutachten von den Organisationen Equal Rights Beyond Borders und International Refugee Assistance Project (IRAP).


Studie: Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Frauen

Geflüchtete Frauen müssen viele Hindernisse überwinden, um auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Die Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt, dass nach einem Aufenthalt von fünf Jahren und mehr nur 27 % der Frauen erwerbstätig sind. Dagegen haben 61 % der Männer Arbeit gefunden.

Dies liegt unter anderem daran, dass doppelt so viele Frauen wie Männer in Haushalten mit (kleinen) Kindern leben und die Hauptverantwortlichen der häuslichen Sorge sind. Deshalb können sie, wenn überhaupt, erst später in Qualifizierungs- und Beratungsmaßnahmen einsteigen. Auch sind Frauen tendenziell eher in Arbeitsfeldern beschäftigt, in denen die Sprache eine große Rolle spielt, zum Beispiel im Bildungs- oder Gesundheitsbereich. Hier sind für den Berufseinstieg u.a. vertiefte Sprachkenntnisse notwendig und diese Qualifikationen müssen erst erlangt werden. Viele Männer arbeiten in der Industrie oder im verbarbeitenden Gewerbe, wo weniger Sprachkenntnisse genügen und der Berufseinstieg einfacher ist.


Umsetzung des EuGH-Urteils zu syrischen Wehrdienstverweigerern

Auch nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 19.11.2020 (C-238/19) ändert das BAMF seine Entscheidungspraxis zu syrischen Kriegsdienstverweigerern nicht und lehnt Asylfolgeanträge als unzulässig ab.

Folgeanträge, die sich auf das EuGH-Urteil beziehen, werden, wie es das BAMF schon im Entscheiderbrief 12/2020 angekündigt hatte, als „unzulässig“ abgelehnt. Das BAMF begründet dies damit, dass sich durch das Urteil keine Änderung der Rechtslage ergeben und sich auch die Sachlage nicht verändert habe. Der EuGH hatte allerdings in einem Urteil vom 14.5.2020 (Az. C-924/19 PPU) zu einem anderen Sachverhalt festgestellt, dass ein Folgeantrag nicht als unzulässig abgelehnt werden darf, wenn sich dieser auf eine Entscheidung des Gerichtshofs stützt, aus welcher sich die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Ablehnung des ersten Asylantrags ergibt. In einem solchen Fall sei die Entscheidung, auf die der Folgeantrag gestützt wird, vielmehr als neues Element bzw. neue Erkenntnis anzusehen. Ob sich mit diesen Erwägungen, die Zulässigkeit der Folgeanträge begründen lässt, ist noch offen.

Insgesamt sind die Chancen, im Klageverfahren aufgrund der Kriegsdienstverweigerung die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen zu bekommen, unklar. Sehr wahrscheinlich ist, dass sich die Klageverfahren lange Zeit hinziehen werden. Personen, die sich dennoch die Chance auf den besseren Status erhalten möchten, können gegen einen ablehnenden BAMF-Bescheid klagen. Die Klagefrist beträgt zwei Wochen ab Zustellung der negativen BAMF-Entscheidung.

Für Syrer in Baden-Württemberg, die gegen die Unzulässigkeitsentscheidung des BAMF klagen möchten, hat die Beratungsstelle Plan.B mithilfe des Anwalts Manfred Weidmann ein Onlineportal erarbeitet, über das Schriftsätze für Klagen erstellt werden können. Das Portal erstellt nach Eingabe automatisch die Klage, die dann nur noch fristgerecht beim zuständigen Verwaltungsgericht eingereicht werden muss. Das Portal ersetzt aber keine Beratung durch eine Beratungsstelle oder eine*n Anwalt*Anwältin. Wer eine mithilfe des Portals automatisch erzeugte Klage eingereicht hat, sollte unbedingt eine ausführliche und individuell begründete Klagebegründung nachreichen, warum im konkreten Fall aufgrund von Kriegsdienstverweigerung mit einer Verfolgung durch die syrische Staatsgewalt gerechnet werden muss. Dafür wird in der Regel ein*e Anwalt*Anwältin benötigt.

In manchen Konstellationen sollte die Klage nicht auf die EuGH-Entscheidung gestützt werden. Dies betrifft beispielsweise minderjährig eingereiste Syrer. Bei ihnen liegt zwar eine veränderte Sachlage vor, die einen Asylfolgeantrag rechtfertigt, wenn sie eben jetzt der Wehrpflicht unterliegen und diesen aus politischen Gründen verweigern. Die Entscheidung des EuGH bezog sich aber auf Wehrdienstverweigerer aus dem Jahr 2017, in dem sich die Lage in Syrien anders darstellte als heute. Deshalb ist es ratsam, dass sich alle Betroffenen von Beratungsstellen oder Anwält*innen in ihrer Nähe beraten lassen. Dabei ist der Zeitdruck nicht so extrem, wie man zunächst meinen würde. Zur Fristwahrung kann (und sollte) die Klage nämlich auch ohne Anwalt*Anwältin erhoben werden. Stellt sich dann nach einer Beratung heraus, dass die Klage keinen Erfolg verspricht, kann diese problemlos zurückgenommen werden.

Übrigens haben 13.580 syrische Geflüchtete zwischen Dezember 2020 und Februar 2021 einen Asylfolgeantrag gestellt, das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der LINKEN hervor (die Antwort enthält auch Zahlen zu (Aufstockungs-)klagen und zum Familiennachzug von Syrer*innen). Dabei ist anzunehmen, dass sich die meisten Asylfolgeantragsteller auf das oben genannte EuGH-Urteil berufen. Dass das BAMF seine Entscheidungspraxis bisher nicht geändert hat, zeigen auch die Anerkennungsquoten in Asylverfahren. So erhielten 2020 erwachsene Syrer nur zu 5,6 % die Flüchtlingseigenschaft, 71 % aber den subsidiären Schutzstatus.

Welche Konsequenzen die EuGH-Entscheidung auf die Rechtsprechung hat, zeigte sich in Baden-Württemberg bereits an einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg. Dieser folgerte aus dem EuGH-Urteil, dass nicht unterschiedslos jedem Syrer im wehrpflichtigen Alter „automatisch“ die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Am 4.5.2021 wird sich weiter zeigen, wie sich die EuGH-Entscheidung auf laufende Verfahren auswirkt. Dann nämlich verhandelt der VGH BW die Berufungen von drei Syrern, die sich der Wehrpflicht entzogen haben.