VGH BW: Keine Flüchtlingseigenschaft per se für syrische Wehrdienstverweigerer

Wieder urteilte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH BW), dass syrischen Wehrdienstverweigerern nicht automatisch die Flüchtlingseigenschaft zu zuerkennen sei. Damit positioniert sich der VGH BW weiter zum Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 19.11.2020 (AZ: C-238/19). Der EuGH betonte, dass syrische Wehrdienstverweigerer im Jahr 2017 sehr wahrscheinlich aus politischen oder religiösen Überzeugungen den Militärdienst verweigert hätten und ihnen demnach die Flüchtlingseigenschaft zustehe. Der VGH BW hingegen erklärt, dass besondere, individuell gefahrerhöhende Umstände hinzutreten müssten, um die Flüchtlingseigenschaft zu zuerkennen. Mit diesen Urteil führt der VGH BW seine Rechtsprechung vom Dezember 2020 fort und steht im Einklang mit den Obverwaltungsgerichten von Nordrhein-Westfalen und Niedersachen.

Konkret urteilte der VGH BW in drei Urteilen am 4.5.2021 (Az. A 4 S 468/21, A 4 S 469/21 und A 4 S 470/21), dass die bloße Furcht nicht ausreiche, um Wehrdienstverweigerern die Flüchtlingseigenschaft zu zuerkennen. In allen drei Verfahren hatten die Syrer vom BAMF nur den subsidiären Schutzstatus zugesprochen bekommen und dagegen geklagt. In erster Instanz gewannen die Männer die Verfahren und das BAMF wurde durch die Verwaltungsgerichte verpflichtet, die Flüchtlingseigenschaft zu zuerkennen. Dagegen hatte das BAMF nunmehr erfolgreich Berufung eingelegt.


VG München: Seehofers Deal mit Griechenland ist rechtswidrig

Das VG München hat angeordnet, einen nach Griechenland abgeschobenen Asylsuchenden umgehend nach Deutschland zurückzuholen. Das ist ein Urteil von grundsätzlicher Bedeutung, denn es erklärt Seehofers Flüchtlingsdeal mit Griechenland aus dem Jahr 2018 für rechtswidrig.

Im Jahr 2018 focht Seehofer die sogenannte Absichtserklärung mit Griechenland aus. Diese sieht vor, dass Deutschland Schutzsuchende, die vorher in Griechenland einen Asylantrag gestellt haben und über den Landweg aus Österreich kommend nach Deutschland einreisen, innerhalb von 48 Stunden direkt nach Griechenland abschieben kann. Als Gegenleistung dafür versprach Deutschland der griechischen Regierung, den Familiennachzug im Rahmen der Dublin-III-Verordnung nicht weiter zu verzögern.

Das Gericht hält die Abschiebung für rechtswidrig und Deutschland muss den Betroffenen zurückholen. Der Asylantrag des Syrers wurde zunächst in Griechenland aufgrund des breit kritisierten EU-Türkei-Deals als unzulässig abgelehnt – ihm drohte die Abschiebung in die Türkei. Er floh weiter nach Deutschland, wo er im August 2020 an der deutschen Grenze abgefangen und am nächsten Tag auf Basis des Flüchtlingsdeals mit Griechenland abgeschoben wurde. Das alles, ohne Zugang zu Beratung, ohne Möglichkeit einen Asylantrag stellen zu können und damit ohne Rücksicht auf europäisches Recht.


Freispruch: Angeklagte von Bürger*innenasyl-Initiativen

In zwei Städten wurden in der ersten Maiwoche Aktivist*innen, die sich für Bürger*innenasyle einsetzen, freigesprochen. Mit Bürger*innenasyl ist gemeint, dass Geflüchtete privat aufgenommen werden, um vor einer Abschiebung geschützt zu sein und ein Bleiberecht erhalten zu können. Es gibt in mehreren deutschen Städten Bürger*innenasyl-Initiativen.

In Münster endete das Strafverfahren gegen drei Engagierte vor dem Amtsgericht Münster, das einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft abwies und auf die Meinungs- und Pressefreiheit verwies. Die drei Angeklagten hatten einen Presseartikel veröffentlicht und wurden dann angeklagt öffentlich zu einer Straftat aufgerufen zu haben, indem sie sich für die Aufnahme von durch Abschiebung Bedrohten aussprachen.

In Aschaffenburg entschied das Langericht bereits in zweiter Instanz den Fall eines Engagierten aus Hanau. Auch er war wegen „öffentliche Aufforderung zu Straftaten“ angeklagt gewesen – hier weil er mit seinem Namen im Impressum der Webseite https://aktionbuergerinnenasyl.de steht. Die Staatsanwaltschaft hat nun auch im Berufungsverfahren vor dem Landgericht verloren, das die Berufung als unbegründet zurückwies.


Jetzt klagen: Corona-Zuschuss für Kinder im AsylbLG-Bezug

Im Mai 2021 erhalten Empfänger*innen von Grundsicherungsleistungen eine pandemiebedingte Einmalzahlung in Höhe von 150,- Euro. Auch einige Kinder erhalten einen Corona-bedingten Zuschuss, den sogenannte Kinderbonus. Den Kinderbonus über 150 € bekommen allerdings nur diejenigen Kinder, die kindergeldberechtigt sind. Kindergeldberechtigt sind aber nur Kinder, bei denen eine Freizügigkeitsberechtigung, eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Beschäftigungsduldung besteht (§ 62 Abs. 2 EStG). Die meisten Kinder im AsylbLG-Bezug werden demnach keinen Anspruch auf diese Einmalzahlung haben.

Dies ist eine offensichtliche Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Kindern, die Leistungen nach SGB II oder SGB XII beziehen, als auch zu Erwachsenen, die Leistungen nach dem AsylbLG beziehen und einen Anspruch auf die Einmalleistung nach § 3 Abs. 6 AsylbLG haben. Dabei betrifft der Mehrbedarf, der durch die Pandemie entstanden ist, alle Kinder gleichermaßen, unabhängig davon, ob sie kindergeldberechtigt sind oder nicht.

Der Flüchtlingsrat rät allen Personensorgeberechtigten von Kindern im AsylbLG-Bezug, die nicht kindergeldberechtigt sind, gegen die Versagung einer pandemiebedingte Einmalzahlung nach § 3 Abs. 6 AsylbLG im Mai vorzugehen. Es gibt nämlich sowohl europa- als auch verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich dieser Ungleichbehandlung. Anwaltschaftliche Begleitung kann ggf. die Anwaltskanzlei Sven Adam übernehmen. Wer selbstständig gegen neue Sozialleistungsbescheide für Mai 2021 vorgehen möchte, kann diesen Musterschriftsatz nutzen, um Widerspruch einzulegen und und gleichzeitig einen Eilantrag bei dem jeweils zuständigen Sozialgericht zu stellen. Auch wenn die Widerspruchsfrist bereits abgelaufen ist, kann rechtlich gegen die Verweigerung des Zuschusses vorgegangen werden.


Was ist eine Passverfügung?

Bekommen Geflüchtete eine Passverfügung, geraten sie oft in Panik: Was habe ich falsch gemacht? Was will die Behörde von mir? Im besten Fall wenden sie sich an eine Beratungsstelle, Ehrenamtliche oder Sozialarbeiter*innen. Dass die Behörde einen Pass vorgelegt haben will, ist allen Beteiligten schnell klar. Doch was steckt eigentlich alles hinter einer solchen Verfügung? Dieser Artikel klärt über die rechtlichen Grundlagen auf, z.B. wer aus welchen Gründen eine Passverfügung bekommen kann/darf und was sie enthält bzw. enthalten darf.

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe 3/2020 des Rundbriefes des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg. Dieser erscheint dreimal im Jahr in gedruckter Form und kann kostenfrei über die Website des Flüchtlingsrats bestellt werden. Wenn Sie Mitglied des Flüchtlingsrats sind, bekommen Sie den Rundbrief immer direkt nach dem Erscheinen per Post zugeschickt.


LSG Hessen: Regelbedarfsstufe 1 für Alleinstehende in Gemeinschaftsunterkünften

Viele Sozialgerichte haben bereits entschieden, dass die Herabstufung der Regelbedarfe von alleinstehenden Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften rechtswidrig ist. Ganz besonders beachtlich ist die Entscheidung des hessischen Landessozialgerichts vom 13.04.2021 (Az.: L 4 AY 3/21 B ER). Das Gericht stellte fest, dass die Regelung nicht nur verfassungs- sondern auch europarechtswidrig ist. Sie widerspreche Art. 17 Abs. 2 und Abs. 5 der sog. Aufnahme-Richtlinie. Das Gericht betonte, dass Unionsrecht vorrangig gegenüber Bundesrecht sei. Es stellte somit dar, warum und wie Landkreise die Regelung über die Herabstufung im Asylbewerberleistungsgesetz verfassungskonform auslegen können und damit Alleinstehenden in Gemeinschaftsunterkünften Regelbedarfsstufe 1 gewähren dürfen.

Nach Rechtsanwalt Sven Adam, der die Entscheidung erstritten hat, ist sie in ihrer „Begründungstiefe bislang einmalig, richtungsweisend und hat erhebliche Auswirkungen auf die AsylbLG-Leistungen sämtlicher Einzelpersonen in den Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschafts-/Sammelunterkünften.“

Wir raten weiterhin allen Alleinstehenden in Gemeinschaftsunterkünften in Baden-Württemberg, gegen eine Herabstufung von Regelbedarfstufe 1 in Bedarfstufe 2 Widerspruch einzulegen und ggf. zu klagen. Bei Rückfragen, können Sie gerne auf uns zukommen.


Studie: Ansprüche auf Gesundheitsleistungen für Asylsuchende

Viele Geflüchtete im Asylbewerberleistungsbezug hadern mit der gesundheitlichen Versorgung. Besonders die Leistungsansprüche für besonders Schutzbedürftige sind gesetzlich nicht geregelt. Das Bundesgesetz setzt somit nicht geltendes Europarecht um, wozu die Bundesregierung aber verpflichtet ist (hier: EU-Aufnahmerichtlinie). Auch dies führt zu verfassungsrechtlichen Zweifeln am Asylbewerberleistungsgesetz, die ohnehin spätestens seit dem Urteil des BVerfG vom November 2019 (Az: 1 BvL 7/16) deutlich geworden sind. Betroffene können ihre Leistungsansprüche oft nur gerichtlich durchsetzen.

Mit diesen Fragen beschäftigt sich das aktuelle Policy Paper des Mercator Forums Migration und Demokratie (MIDEM) der Technischen Universität Dresden. Es gibt einen Überblick über die rechtlichen Rahmen­bedingungen auf nationaler und supranationaler Ebene und spricht Handlungsempfehlungen aus.


Online-Seminar: Rechtliche Herausforderungen für binationale Familien und Paare

Wenn Paare und Familien aus unterschiedlichen Ländern kommen, bringt dies oft eine Vielzahl an rechtlichen Unklarheiten mit sich. Denn rund um die Themen Eheschließung und Geburt kommen viele verschiedene Rechtsgebiete unterschiedlicher Länder zur Anwendung. In dem Online-Seminar werden verschiedene Problemstellungen und Schwierigkeiten aufgezeigt, vor denen Geflüchtete stehen, und Lösungsansätze besprochen.

Referentin und Referent: Swenja Gerhard und Heinz Schulz (Verband binationaler Familien und Partnerschaften)

Die Infoveranstaltung richtet sich in erster Linie an ehrenamtlich Engagierte in der Flüchtlingsarbeit. Sie wird mit Zoom durchgeführt und die Teilnehmenden erhalten die Zugangsdaten nach Anmeldung einen Tag vor dem Seminar. Datenschutzhinweise für das online-Seminar via „Zoom“ finden Sie hier. Eine Anmeldung ist am Tag der Veranstaltung nicht mehr möglich. Gerne können Teilnehmende Fragen an die Referentin und den Referenten bei der Anmeldung angeben, diese werden gesammelt eine Woche vor dem Seminar an die beiden weitergeleitet.

Das Online-Seminar findet im Rahmen des Projekts „Aktiv für Flüchtlinge“ statt, gefördert vom Land Baden-Württemberg, Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration mit Unterstützung der UNO Flüchtlingshilfe und der Deutschen Postcode-Lotterie.



OVG Niedersachsen: Keine Überstellung von Anerkannten nach Griechenland

Geflüchtete, die in Griechenland die Flüchtlingseigenschaft bekommen haben, dürfen nicht rücküberstellt werden. Dort drohe ihnen ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh, weil sie unter menschenrechtwidrigen Bedingungen leben müssten. So seien sie von Obdachlosigkeit bedroht und erhielten keinen Zugang zu elementaren Leistungen sowie zu anderweitiger Unterstützung. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen. Das Urteil liegt noch nicht vor, so geht es aber aus der Pressemitteilung hervor.

Zuletzt hatte auch das OVG Nordrhein-Westfalen festgestellt, dass Anerkannten in Griechenland Menschenrechtsverletzungen drohen. Deshalb sollten sich auch Asylsuchende in Baden-Württemberg mit einer Anerkennung in Griechenland gut beraten lassen und sich trotz aller Unsicherheiten versuchen, zu integrieren. Übrigens entscheidet das BAMF bereits seit über einem Jahr nicht mehr über Asylanträge von dieser Gruppe von Geflüchteten.


Gutachten: Dokumentenbeschaffung Eritrea

Das Gutachten analysiert die Möglichkeiten der Dokumentenbeschaffung eritreischer Geflüchteter im Rahmen des Familiennachzugs. Es klärt über das Dokumentensystem Eritreas auf und beleuchtet speziell die Probleme, die Eritreer*innen im Ausland haben, nachträglich Dokumente zu beschaffen. Hürden bei der Beschaffung sind nicht nur die Diaspora-Steuer und die Unterzeichnung der Reueerklärung, sondern auch häufige Weigerungen eritreischer Auslandsvertretungen Dokumente auszustellen. Das Gutachten widerspricht der Ansicht deutscher Behörden, dass es möglich und zumutbar ist, eritreische Dokumente vorzulegen.

In Auftrag gegeben wurde das Gutachten von den Organisationen Equal Rights Beyond Borders und International Refugee Assistance Project (IRAP).