Beiträge

OVG Berlin-Brandenburg: Botschaftsvorsprache bei unbeschiedenem Asylfolgeantrag im Einzelfall zumutbar

Für Personen mit einer Flüchtlingsanerkennung gilt die Vorsprache bei der Botschaft des Herkunftsstaates in vielen Fällen als unzumutbar. Nun hat das OVG Berlin-Brandenburg festgestellt, dass sich aus dem Stellen eines Asylfolgeantrages nicht zwingend ergibt, dass bis zur Entscheidung über diesen Antrag eine Kontaktaufnahme mit dem Herkunftsstaat unzumutbar ist.

Es sei vielmehr im Einzelfall zu prüfen, ob durch eine solche Kontaktaufnahme die Grundrechte der betroffenen Person unzulässig beschränkt werden oder das Asylbegehren gefährdet ist. In die Abwägung sei unter anderem das öffentliche Interesse an der Vorbereitung der Abschiebung miteinzubeziehen.

  • OVG Berlin-Brandenburg, 19.04.2021 – 3 S 19/21

Fachforum: Jugendhilfe für geflüchtete Minderjährige und Familien in Aufnahmeeinrichtungen

Am 19. Mai 2021 (17:30 bis 19:00 Uhr) veranstaltet der Bundesfachverband unbegleitete minderjähre Flüchtlinge (BumF) in Kooperation mit der Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH) und terre des hommes Deutschland e.V. ein Fachforum zum Deutschen Jugendhilfetag.

In diesem Rahmen soll unter anderem diskutiert werden, wie die Jugendhilfe ihrem Auftrag in Aufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete nachkommen kann, welche gute Praxis sich etabliert hat und wo strukturelle Grenzen bestehen und der Gesetzgeber tätig werden sollte.

Weitere Infos sowie den Link zur Anmeldung finden Sie hier.


Was ist eine Passverfügung?

Bekommen Geflüchtete eine Passverfügung, geraten sie oft in Panik: Was habe ich falsch gemacht? Was will die Behörde von mir? Im besten Fall wenden sie sich an eine Beratungsstelle, Ehrenamtliche oder Sozialarbeiter*innen. Dass die Behörde einen Pass vorgelegt haben will, ist allen Beteiligten schnell klar. Doch was steckt eigentlich alles hinter einer solchen Verfügung? Dieser Artikel klärt über die rechtlichen Grundlagen auf, z.B. wer aus welchen Gründen eine Passverfügung bekommen kann/darf und was sie enthält bzw. enthalten darf.

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe 3/2020 des Rundbriefes des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg. Dieser erscheint dreimal im Jahr in gedruckter Form und kann kostenfrei über die Website des Flüchtlingsrats bestellt werden. Wenn Sie Mitglied des Flüchtlingsrats sind, bekommen Sie den Rundbrief immer direkt nach dem Erscheinen per Post zugeschickt.


Vielversprechende Ansätze im neuen Koalitionsvertrag

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg begrüßt die zahlreichen positiven Ansätze in der Flüchtlingspolitik im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung. „Viele der Punkte, die wir in den vergangenen Jahren – auch zusammen mit unseren Bündnispartner*innen im Rahmen der Kampagne ‚Sicherer Hafen Baden-Württemberg‘ – angesprochen haben, finden sich im Koalitionsvertrag wieder“, stellt Lucia Braß, 1. Vorsitzende des Flüchtlingsrats, fest.

Dass die Ankündigung eines Landesaufnahmeprogrammes für Menschen an den Außengrenzen Europas es in den Koalitionsvertrag geschafft hat, ist nach Überzeugung des Flüchtlingsrats vor allem der Verdienst der Initiativen an der Basis – wie etwa die Seebrücken und die Kommunen, die sich zu „Sicheren Häfen“ erklärt haben. Mit der Formulierung, dass ein solches Programm „im Einvernehmen mit dem Bund“ durchgeführt werden soll, zeichnet sich allerdings bereits ein Knackpunkt ab, denn der Bund blockiert aktuell alle Bemühungen aufnahmebereiter Länder. „Wir werden sehen, mit wie viel Nachdruck die Landesregierung sich gegenüber dem Bund für die Aufnahme einsetzen wird. Hierzu wird es nötig sein, den Druck von der Basis aufrecht zu erhalten – gerade angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl“, sagt Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats.

Positiv bewertet der Flüchtlingsrat, dass die Notwendigkeit einer konsequenteren Anwendung von Bleiberechtsoptionen erkannt worden ist. „Wir haben immer gesagt, dass es bereits jetzt viele Handlungs- und Ermessensspielräume gibt, um Abschiebungen gerade von Personen, die seit vielen Jahren hier sind, zu vermeiden. Eine Ankündigung von Verbesserungen gab es bereits mit dem wirkungslos gebliebenen Beschluss der Landesregierung von 2017, deshalb muss hier die praktische Umsetzung der guten Ansätze abgewartet werden. Wirkliche Veränderung wird teilweise auch einen Kulturwandel in einigen Behörden voraussetzen, die bisher auf ‚Abschiebung um jeden Preis‘ gepolt waren – hier muss die Landesregierung zeigen, dass sie ihre Vorhaben gegenüber solchen Kräften durchzusetzen bereit ist“, so Lucia Braß. Dass die Landesregierung Abschiebungen von unbegleiteten Minderjährigen jetzt ablehnt, lässt erahnen, dass die breite öffentliche Kritik an der rechtswidrigen Abschiebung von Dana und Edi Ende letzten Jahres Wirkung gezeigt hat.

Die Landesregierung möchte an der aktuellen Konzeption für die Erstaufnahme festhalten, was der Flüchtlingsrat angesichts der zahlreichen strukturellen Probleme mit dieser Form der Massenunterbringung bedauerlich findet. Die Ankündigung, die Hausordnungen zu überarbeiten, wertet der Flüchtlingsrat als Erfolg derjenigen, die mit großem Engagement die Grundrechtsverletzungen in den Erstaufnahmeeinrichtungen dokumentiert und thematisiert haben. Erleichtert nimmt der Flüchtlingsrat zur Kenntnis, dass die bisherige rechtswidrige Praxis, Familien mit minderjährigen Kindern länger als sechs Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen zu behalten, beendet werden soll. Auch das Bekenntnis zur Fortführung der unabhängigen Sozial- und Verfahrensberatung durch die Wohlfahrtsverbände wird begrüßt. Mit der Ankündigung eines freien Zugangs zu WLAN in Unterkünften greift die Landesregierung eine aktuelle Forderung des Flüchtlingsrats auf. Hier sieht der Flüchtlingsrat gerade aufgrund der aktuellen Pandemie-Situation mit Online-Unterricht für viele Schüler*innen akuten Handlungsbedarf und hofft auf eine schnelle Umsetzung, die angesichts des Unwillens vieler Kommunen und Landkreise schwierig werden könnte.

Bedauerlich ist aus Sicht des Flüchtlingsrates, dass das Land weiterhin am Instrument der Abschiebungshaft festhalten will, und dass das Problem der häufigen rechtswidrigen Inhaftierungen nicht angesprochen wird. „Das fehlende Problembewusstsein an dieser Stelle nimmt den Bekenntnissen zur Rechtsstaatlichkeit und Verfassung, die im Koalitionsvertrag wiederholt auftauchen, ihre Glaubwürdigkeit. Unglaubwürdig ist auch die Aussage, dass Abschiebungshaft ‚ausschließlich ultima ratio‘ sei, denn dies wurde schon in der Vergangenheit behauptet. Wenigstens bieten die angekündigten Verbesserungen beim Besuchsrecht und die Einführung einer unabhängigen Beratung bessere Voraussetzungen, um gegen die zahlreichen Rechtsverstöße in der Abschiebungshaft vorgehen zu können. Dass sich hier überhaupt etwas getan hat, ist der engagierten und hartnäckigen Arbeit der Arbeitsgruppe Abschiebungshaft Pforzheim mit den dortigen Seelsorgern und unabhängigen Berater*innen zu verdanken, die seit Jahren auf Probleme und Missstände aufmerksam machen“, so Bärbel Mauch, 2. Vorsitzende des Flüchtlingsrats.

Es ist vor allem auf das vielfältige Engagement der Menschen und Initiativen an der Basis zurückzuführen, dass Verbesserungen und Lösungen für einige der Probleme angekündigt werden, die von den Engagierten hier im Land seit längerem immer wieder an die Öffentlichkeit gebracht wurden. Diese engagierte Zivilgesellschaft steht bereit, um sich bei der Umsetzung dieser Vorhaben einzubringen und sie wird sich mit Nachdruck dafür einsetzen, dass die angekündigten Verbesserungen auch tatsächlich umgesetzt und mit Leben gefüllt werden“, so Seán McGinley abschließend.


LSG Hessen: Regelbedarfsstufe 1 für Alleinstehende in Gemeinschaftsunterkünften

Viele Sozialgerichte haben bereits entschieden, dass die Herabstufung der Regelbedarfe von alleinstehenden Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften rechtswidrig ist. Ganz besonders beachtlich ist die Entscheidung des hessischen Landessozialgerichts vom 13.04.2021 (Az.: L 4 AY 3/21 B ER). Das Gericht stellte fest, dass die Regelung nicht nur verfassungs- sondern auch europarechtswidrig ist. Sie widerspreche Art. 17 Abs. 2 und Abs. 5 der sog. Aufnahme-Richtlinie. Das Gericht betonte, dass Unionsrecht vorrangig gegenüber Bundesrecht sei. Es stellte somit dar, warum und wie Landkreise die Regelung über die Herabstufung im Asylbewerberleistungsgesetz verfassungskonform auslegen können und damit Alleinstehenden in Gemeinschaftsunterkünften Regelbedarfsstufe 1 gewähren dürfen.

Nach Rechtsanwalt Sven Adam, der die Entscheidung erstritten hat, ist sie in ihrer „Begründungstiefe bislang einmalig, richtungsweisend und hat erhebliche Auswirkungen auf die AsylbLG-Leistungen sämtlicher Einzelpersonen in den Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschafts-/Sammelunterkünften.“

Wir raten weiterhin allen Alleinstehenden in Gemeinschaftsunterkünften in Baden-Württemberg, gegen eine Herabstufung von Regelbedarfstufe 1 in Bedarfstufe 2 Widerspruch einzulegen und ggf. zu klagen. Bei Rückfragen, können Sie gerne auf uns zukommen.


Studie: Ansprüche auf Gesundheitsleistungen für Asylsuchende

Viele Geflüchtete im Asylbewerberleistungsbezug hadern mit der gesundheitlichen Versorgung. Besonders die Leistungsansprüche für besonders Schutzbedürftige sind gesetzlich nicht geregelt. Das Bundesgesetz setzt somit nicht geltendes Europarecht um, wozu die Bundesregierung aber verpflichtet ist (hier: EU-Aufnahmerichtlinie). Auch dies führt zu verfassungsrechtlichen Zweifeln am Asylbewerberleistungsgesetz, die ohnehin spätestens seit dem Urteil des BVerfG vom November 2019 (Az: 1 BvL 7/16) deutlich geworden sind. Betroffene können ihre Leistungsansprüche oft nur gerichtlich durchsetzen.

Mit diesen Fragen beschäftigt sich das aktuelle Policy Paper des Mercator Forums Migration und Demokratie (MIDEM) der Technischen Universität Dresden. Es gibt einen Überblick über die rechtlichen Rahmen­bedingungen auf nationaler und supranationaler Ebene und spricht Handlungsempfehlungen aus.


Erklärvideos für Geflüchtete – Unterstützung gesucht!

Der AGDW e.V. und die Supportnetworkgroup Stuttgart suchen Unterstützung und Input für ein neues Projekt. Die Idee ist, kurze, mehrsprachige Videos zu drehen, die ein komplexes Thema möglichst einfach darlegen. Hast du Ideen für Themen, die hierbei aufgegriffen werden sollten? Möchtest du gerne aktiv mitwirken? Bist du kreativ oder sogar erfahren im Bereich Medien/ Film? Dann wirf gerne einen genaueren Blick auf diesen Aufruf!


Klarstellungen zum Bleiberecht für Jugendliche und Heranwachsende

Seit dem 1. Juli 2011 existiert ein Bleiberecht für gut integrierte, geduldete Jugendliche und Heranwachsende sowie für die Eltern und minderjährigen Geschwister der begünstigten Jugendlichen. Der entsprechende § 25a AufenthG wirft immer wieder Fragen auf. In einem Beschluss vom 3. Juni 2020 hat der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim (VGH 11 S 427/20) zwei Unklarheiten im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 25a AufenthG beseitigt.

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe 3/2020 des Rundbriefes des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg. Dieser erscheint dreimal im Jahr in gedruckter Form und kann kostenfrei über die Website des Flüchtlingsrats bestellt werden. Wenn Sie Mitglied des Flüchtlingsrats sind, bekommen Sie den Rundbrief immer direkt nach dem Erscheinen per Post zugeschickt.

Meike Olszak, in Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, Rundbrief „perspektive“ 3/2020: Klarstellungen zum Bleiberecht für Jugendliche und Heranwachsende


Infoabend Duldung Light

Der Flüchtlingsrat Rheinland-Pfalz veranstaltet am 11. Mai von 18 bis 20 Uhr einen Online-Infoabend zur sogenannten Duldung light.

Diese Duldung wurde für Personen mit ungeklärter Identität sowie für Personen, welche laut Regierungspräsidium nicht ausreichend an der Identitätsklärung mitgewirkt haben, eingeführt.

Dabei bedeutet eine Duldung light durch damit verbundene Sanktionen eine gravierende Verschlechterung der Lebensbedingungen der Betroffenen. Sanktioniert werden diese unter anderem durch reduzierte Leistungen, Arbeitsverbote und Anrechnungssperren von Voraufenthaltszeiten.

Mit einer Fachanwältin werden unter anderem folgende Fragen geklärt:

  • Wann und wem kann eine Duldung light erteilt werden?
  • Was bedeutet nicht geklärte Identität oder fehlende Mitwirkung?
  • Wie  kann man dem entgegenwirken?

Interessierte können sich unter anmelden@asyl-rlp.org anmelden.

Mehr Informationen zum Infoabend finden Sie hier.


Gemeinsame Presseerklärung von PRO ASYL und den Landesflüchtlingsräten

Afghanistan-Abschiebung verschoben: Jetzt politische Konsequenzen ziehen!

Der für heute geplante bundesweite Sammelabschiebe-Charter nach Afghanistan wurde wegen Sicherheitsbedenken verschoben. Dies bestätigt die Kritik von PRO ASYL und den Landesflüchtlingsräten an den Abschiebungen nach Afghanistan, das laut Global Peace Index das unsicherste Land der Welt ist. Afghanistan befindet sich sicherheitstechnisch im freien Fall. Die prekäre Sicherheitslage hat sich durch den am 1. Mai begonnenen Abzug der NATO-Truppen weiter verschärft. Wie das Machtvakuum gefüllt wird, ist ungewiss. Eine Zunahme der Angriffe durch die Taliban und Versuche zur Machtübernahme sind zu erwarten. Darüber hinaus hat sich die wirtschaftliche Lage in Afghanistan auf Grund der Covid-19-Pandemie extrem verschlechtert, sodass Abgeschobenen ohne familiäres oder soziales Netzwerk die Verelendung droht. Trotzdem bleibe der Grundsatz des Innenministeriums zu Abschiebungen nach Afghanistan weiter unverändert, wie dpa berichtet. Dass der für Dienstag geplante Abschiebeflug nicht vollständig abgesagt, sondern lediglich verschoben wurde, ist vollkommen unangemessen.

PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte fordern:

1.)    Die Bundesregierung und die Bundesländer müssen einen sofortigen und ausnahmslosen Abschiebestopp nach Afghanistan erlassen.
Aus der prekären und völlig ungewissen Sicherheitslage sowie angesichts der desaströsen wirtschaftlichen Situation, die sich ebenfalls mit dem Truppenabzug weiter verschärfen wird, muss ein bundesweites Abschiebeverbot nach Afghanistan folgen, welches es bei der nächsten Innenministerkonferenz zu beschließen gilt. Bereits jetzt können und müssen die Bundesländer auch in eigener Verantwortung die Abschiebungen nach § 60 a) Abs. 1 AufenthG für sechs Monate ausnahmslos aussetzen.

Geflüchtete sind nach der Abschiebung aus Deutschland häufig auch in Afghanistan stigmatisiert. Viele Gerichte, darunter auch der Verwaltungsgerichtshof in Baden-Württemberg, haben festgestellt, dass ihnen eine Rückkehr ohne ein stabiles familiäres oder soziales Netzwerk in Afghanistan nicht zuzumuten ist.

2.)    Das Auswärtige Amt muss die Lage und Verfolgungssituation umgehend neu bewerten
, da die Lageberichte Grundlage für Asylentscheidungen des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sind. Bisher werden Asylanträge abgelehnt mit der Begründung, es gebe innerhalb des Landes sichere Gebiete, sogenannte innerstaatliche Fluchtalternativen. Doch nach dem Truppenabzug der NATO können auch Städte wie Kabul nicht länger als sicher gelten. Wie aus einem Spiegel-Artikel vom 29.04.2021 hervorgeht, schließen Außen- und Verteidigungsministerium selbst einen „Sturm auf Kabul“ durch aufständische Gruppen nicht mehr aus.

3.)    Mit dem Truppenabzug muss allen afghanischen Ortskräften – Dolmetscher:innen, Fahrer:innen und sonstigen Mitarbeitenden der Bundeswehr, der Bundespolizei und anderer Organisationen – mit ihren Familienangehörigen schnell und unbürokratisch die Aufnahme im Bundesgebiet angeboten werden
. Sie müssen eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland erhalten. Diese Menschen jetzt zurückzulassen, wäre für sie und ihre Familien lebensgefährlich.
 
4.)    Die Bundesregierung muss jetzt den Familiennachzug aus Afghanistan zu ihren in Deutschland lebenden Angehörigen mit allen Mitteln beschleunigen und unterstützen.
Hierzu muss ebenso wie für Ortskräfte ein schnelles, unbürokratisches Verfahren installiert werden. Für diese ist die Eröffnung zweier Büros in Kabul und Masar-e Sharif geplant, von wo aus die Aufnahme organisiert werden soll. Da die Visaabteilung der Botschaft in Kabul  infolge eines Anschlags weiterhin geschlossen ist, müssen diese Büros auch für den Familiennachzug genutzt werden. Eine kurzfristige Aufstockung des Personals an den Botschaften in Islamabad oder Neu-Delhi – die derzeit für Visaanträge afghanischer Staatsangehöriger zuständig sind –  ist notwendig. Angesichts der Zeitknappheit und der Gefahren, die den Antragstellenden bei der Reise dorthin drohen, reicht das jedoch nicht aus. Es kann schutzsuchenden Afghanen nicht zugemutet werden, monatelang in Neu-Delhi oder Islamabad auf Termine zur Visumsvergabe zu warten.
 
5.)    Das BAMF muss seine Widerrufspraxis ändern.
In jüngerer Zeit widerruft das BAMF in zahlreichen Fällen, in welchen noch vor wenigen Jahren jungen unbegleiteten Minderjährigen die Flüchtlingseigenschaft wegen (drohender) Zwangsrekrutierung durch die Taliban zugesprochen worden war, kurz nach Erreichen der Volljährigkeit den Flüchtlingsstatus. Das darf nicht länger gängige Praxis sein. Auch Abschiebungsverbote werden mit Erreichen der Volljährigkeit widerrufen, da das Bundesamt davon ausgeht, dass es jungen Männern möglich ist, ein Leben am Rande des Existenzminimums auch ohne familiäres oder soziales Netzwerk zu führen. Dies ist indessen – wie jüngst im oben genannten Urteil des VGH Baden-Württemberg deutlich aufgezeigt wurde – nicht der Fall. Widerrufe des BAMF müssen folglich unterbleiben.
 
6.)    Ein gesichertes Bleiberecht muss es auch für jene Afghanen geben, die nur mit einer Duldung in Deutschland leben oder sich seit Jahren im Asylverfahren befinden.
Kein Afghane, keine Afghanin in Deutschland darf in der jetzigen Lage zurückgeschickt werden – egal, ob sie  erst vor wenigen Monaten angekommen sind oder seit Jahren hier leben. Die Folgen einer Duldung sind nicht nur ein Leben in ständiger Angst, Perspektivlosigkeit und Armut, sondern auch geringere Chancen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, in der Bildung und in der Entwicklung persönlicher Potenziale. Letztlich sind dies auch verpasste Chancen für die Gesellschaft, in der diese Menschen leben. Mit Blick auf die gemeinsame gesellschaftliche Zukunft ist es geboten, diesen Menschen jetzt eine Lebensperspektive zu eröffnen und ihnen die in einem solchen Fall anstelle von Kettenduldungen gesetzlich vorgesehenen Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen.