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Mit Ausbildungsvertrag in der Abschiebehaft

Obwohl ein Ausbildungsvertrag vorliegt, soll Abdul S. Ende April in die Türkei abgeschoben werden. Aktuell sitzt der 22-jährige Kurde in der Abschiebehaft Pforzheim. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg fordert die Landesregierung dazu auf, die Abschiebung des angehenden Auszubildenden auszusetzen und kritisiert das Instrument der Abschiebungen generell als menschenfeindlich.


Mit 22 Jahren träumt Abdul S. von einer Zukunft in Deutschland, genauer gesagt in Ketsch – einem kleinen Dorf im Rhein-Neckar-Kreis: Er lernt fleißig Deutsch, macht Praktika und besucht eine Berufsschule in Mannheim. Doch Anfang April ist Schluss damit – Abdul S. soll abgeschoben werden und landet in der Abschiebehaft Pforzheim. Obwohl er inzwischen einen Ausbildungsvertrag als Verkäufer bei einem Bäckereibetrieb vorgelegt hat, wird weiter an der Abschiebung festgehalten. Zwar hat Adbul S. einen Asylfolgeantrag gestellt, allerdings ist der Ausgang dieses Verfahrens unsicher. In den nächsten Tagen ist mit der Abschiebung zu rechnen.


Abdul S. war im Sommer 2021 zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern nach Deutschland geflohen. Wie viele Kurd*innen wurde die Familie in der Türkei verfolgt. Ihre Asylanträge waren in einem ersten Schritt abgelehnt worden. Die Eltern stellten Asylfolgeanträge, da sie neue Gründe vorlegen konnten, die für einen Schutzstatus sprechen. Während Abdul S. minderjährige Geschwister aufgrund des andauernden Verfahrens vorerst in Deutschland bleiben dürfen, gilt dies für ihn als volljährigen Sohn nicht. Das ist absurd, denn nur aufgrund seiner Volljährigkeit droht Abdul S. bei einer Rückkehr in die Türkei keine geringere Gefahr als seiner Familie.


Im Fall von Abdul S. spiegeln sich mehrere Absurditäten der aktuellen Abschiebungspraxis: So würde der junge Mann durch eine Abschiebung von seiner Familie getrennt. Außerdem erscheint es im Kontext des Arbeits- und Fachkräftemangels besonders absurd, dass ein angehender Auszubildender abgeschoben werden soll. Der Flüchtlingsrat verurteilt generell Abschiebungen als menschenfeindliche Praxis. Menschen sollten nicht gegen ihren Willen gewaltsam aus einem Staat entfernt werden. Abschiebungen zerstören Lebenswege und haben häufig langfristige traumatische Konsequenzen für die Betroffenen.


Wir appellieren an die Landesregierung: Stoppt die Abschiebung von Abdul S. und lasst ihn in Frieden sein Leben führen!


Bis heute keine Einreise

Seit der Machtübernahme der Taliban am 15. August 2021 verschlimmert sich die Lage in Afghanistan dramatisch. Das Land versinkt im Chaos, während die Taliban zunehmend brutal gegen Frauen, Mädchen und Oppositionelle vorgehen. Begrüßenswert war die Entscheidung der Bundesregierung, ein Bundesaufnahmeprogramm für akut gefährdete Afghan*innen einzurichten. Doch sechs Monate nach dessen Einführung weist das Programm eine traurige Bilanz auf: Bislang ist in dessen Rahmen nicht eine einzige Einreise nach Deutschland erfolgt. Im Oktober 2022 hatte die Bundesregierung verkündet, das im Koalitionsvertrag angekündigte Bundesaufnahmeprogramm für bedrohte Afghan*innen endlich umzusetzen. Zusätzlich zum Ortskräfteverfahren, dem humanitären Visa-Verfahren sowie dem Familiennachzug sollte damit eine Möglichkeit geschaffen werden, bedrohte Menschen in Deutschland aufzunehmen. Von Beginn an kritisierten Menschenrechtsorganisationen, zum Beispiel Pro Asyl, insbesondere das Verfahren der Bundesregierung zur Auswahl der Menschen nach einem automatisierten Algorithmus-Verfahren, die Intransparenz der Auswahlkriterien und die Bedingung der Antragstellung für die Betroffenen. Vor allem wurden Afghan*innen, die sich in einem Drittstaat befinden, vom Programm ausgeschlossen. Auch können sich Schutzsuchende nicht selbst für das Aufnahmeprogramm bewerben und ihre Daten eigenständig eintragen. Dies dürfen nur ausgewählte Organisationen in Deutschland tun, die sich als „meldeberechtigte Stellen“ für das Bundesaufnahmeprogramm registrieren lassen. Nicht alle „meldeberechtigten Stellen“ werden öffentlich bekannt gegeben, sodass Schutzsuchende aus Afghanistan häufig nicht wissen, an wen sie sich wenden müssen.

Am 30. März kam außerdem die überraschende Ankündigung des Auswärtigen Amtes, man würde vorerst alle Visaverfahren für afghanische Menschen aussetzen. Grund wäre eine Optimierung der Sicherheitsprozesse. Sogar Menschen, die bereits ein Visum erhalten haben, sollen nicht einreisen dürfen. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg kritisiert die Aussetzung des Visaverfahrens und die Verhinderung der Einreise trotz bereits erhaltenen Visa aufs Schärfste. Eine Optimierung von Prozessen kann nicht zu Lasten von Menschen gehen, die sich in Lebensgefahr befinden. PRO ASYL hält die Verhinderung der Einreise von Menschen mit Visum für rechtswidrig. Wenn ein Visum erteilt wurde, haben bereits alle erforderlichen Prüfungen stattgefunden, es darf dann nicht einfach, ohne jegliche Rechtsgrundlage, die Einreise verhindert werden.

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg fordert die Bundesregierung dazu auf, das Bundesaufnahmeprogramm so zu überarbeiten, dass gefährdete Afghan*innen tatsächlich aufgenommen werden können. Es ist ein Skandal, dass bis heute nicht eine Person im Rahmen des Programms nach Deutschland gelangt ist. „Bedrohte Afghaninnen und Afghanen dürfen nicht im Stich gelassen werden!“, so Sadiq Zartila vom Flüchtlingsrat.


Online: Flucht und Sucht – Transkulturelle Ansätze für die Praxis

Im Vortrag werden transkulturelle Aspekte beleuchtet, die es in der Praxis zu berücksichtigen gilt. Dabei spielen unter anderem die Bedeutung von Schuld und Scham, Religion und die kollektivistische Orientierung eine Rolle. Suchtmittelkonsum wird häufig zur Selbstmedikation bei einer Traumafolgestörung (z.B. PTBS) eingesetzt. Darüber hinaus kann Alkoholkonsum als Integrationsversuch verstanden werden.

Der jeweilige Aufenthaltsstatus geht mit einem eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung einher. Die Betrachtung von multiplen Zugangsbarrieren ins Hilfesystem soll Ansätze zum Abbau dieser liefern und entsprechende Möglichkeiten für die Praxis aufzeigen.

Referentin: Pia Wenzler, bwlv-Fachstelle Sucht Villingen-Schwenningen. Masterabschluss Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft (M.A.), Transkulturelle Traumapädagogik, Lehrbeauftrage DHBW-VS, Systemische Therapie und Beratung i.A.

Pia Wenzler beschäftigt sich seit 2015 in Theorie und Praxis dem Thema Sucht im Kontext von Fluchtmigration und veröffentlichte im Jahr 2020 gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan im Rahmen ihrer Masterarbeit das Buch „Alkoholabhängigkeit und Migration – Transkulturelle Konzepte und Ansätze“.

Die Veranstaltung richtet sich in erster Linie an ehrenamtlich Engagierte in der Geflüchtetenarbeit. Sie wird mit Zoom durchgeführt und ist kostenlos. Hinweise zum Datenschutz finden Sie hier. Die Teilnahme an der Veranstaltung erfolgt am PC. Sie benötigen dazu einen gängigen Internetbrowser, eine stabile Internetverbindung und einen Kopfhörer bzw. Lautsprecher.

Sie erhalten die Zugangsdaten spätestens am Tag vor der Veranstaltung.

Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem Baden-Württembergischem Landesverband für Prävention und Rehabilitation gGmbH im Rahmen des Projekts „Perspektive durch Partizipation“, gefördert durch die Aktion Mensch.


Bundesweite Kampagne „Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!“

Am 26. Mai 1993 wurde im Deutschen Bundestag das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) als Sondergesetz beschlossen. Leistungssenkungen, Sachleistungsversorgung, Einschränkung einer medizinischen Versorgung, gemeinnützige Arbeit für 80 Cent/h und ein Katalog mit Sanktionen wurden eingeführt. Geflüchtete erhielten Essenspakete zunächst 12, 24 dann 48 Monate. Daneben existierte ein dauerhaftes, dann wieder ein zeitlich begrenztes Arbeitsverbot. Hunderttausende Betroffene mussten unter beengten und prekären Lebensbedingungen in den letzten 30 Jahren in Sammellagern leben. Sie wurden immer wieder zum Spielball politischer Kampagnen und Ziel rassistischer Anschläge. Bis heute existiert das ausgrenzende Gesetz weiter.

In den letzten 30 Jahren kam es auf Bundes- und Länderebene zu politischen Protesten, Hungerstreiks, Boykottaktionen, Sitzstreiks und Protestmärschen von Betroffenen. Aktuell haben rund 140 Organisationen einen Appell für die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetz, der von BAfF, Berliner Flüchtlingsrat, Diakonie Deutschland und PRO ASYL erarbeitet wurde, unterschrieben. Der Appell kann nach wie vor von Gruppen unterschrieben werden. Auf der Seite der Kampagne kann ein Offener Brief von Einzelpersonen unterschrieben werden, der direkt an die Verantwortlichen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) weitergeleitet wird. Um der Forderung für die Abschaffung des Gesetzes stärkeres Gewicht zu verleihen, werden vor und während der Aktionswoche (20. bis zum 26. Mai 2023) in zahlreichen Städten Veranstaltungen, Aktionen und Demonstrationen stattfinden. Dazu gab es bereits Verabredungen bei zwei bundesweiten Online-Treffen.

Die Kampagne stellt fest „30 Jahre sind genug!“. Wir fordern die Verantwortlichen beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und die Bundesregierung auf, jetzt die notwendigen Schritte für eine Abschaffung des Gesetzes einzuleiten, auch wenn noch eine Entscheidung beim Bundesverfassungsgerichts aussteht. Das Gesetz abzuschaffen ist eine politische Entscheidung.


Workshop: Passbeschaffung Eritrea

Viele Menschen aus Eritrea sollen einen Pass beschaffen. Dafür müssen sie zur eritreischen Botschaft gehen und eine Reueerklärung unterschreiben. Für Menschen mit einem subsidärem Schutz hat das höchste Gericht in Deutschland entschieden: Die Reueerklärung muss man nicht unterschreiben. Die Personen sollen einen Reiseausweis für Ausländer bekommen. Was bedeutet das für die Niederlassungserlaubnis, Einbürgerung und Familiennachzug? Das erklärt Anwalt Samuel Kupffer.

Wann: 10. Mai 2023, 18:00 – 19:30 Uhr

Wo: Online. Mit diesem Link: https://us06web.zoom.us/j/82242787807?pwd=MjBLUXNPTGR3UVMxN25nRnA3ZTFkdz09

Es gibt eine Tigrinya Übersetzung.

Alles ist kostenlos. Gebt gerne den Link an interessierte Menschen weiter.

Die Veranstaltung findet im Rahmen des Projekts „Aktiv für Flüchtlinge“ statt, unterstützt durch das Ministerium der Justiz und für Migration aus Landesmitteln, die der Landtag Baden-Württemberg beschlossen hat.

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 መስርሕ መገሺ(ፓስፖርት)
       ንካብ ኤርትራ ዝመጹ ሰባት መገሺ ፓስፖርት ንኽረኽቡ ከማልእዎ ዝነበሮም ንኣብ ኤምባሲ ኤርትራ ናይ ጣዕሳ ወረቀት ንምፍራም፡ ነቶም ዝምልከቶምወይ ዝግብኦም ሰባት መገሺ ማለት ፓስፖርት ክውሃቡ ላዕለዋይ ቤት ፍርዲ ጀርመን ወሲኑ ኣሎ።ናይ ጣዕሳ ምፍራም ግድን ኣይኮነን፡እቲ ዝደሊ ሰብ ወረቀት መገሺ ናይ ወጻእተኛ ወይ ስደተኛ ክወሃብ እዩ።

   እዚ ማለት ንቀዋሚ መንበሪ ፍቃድ፡ንዜግነት ምሕታት ከምኡ ውን ንጥርናፈ ስድራቤት?

   ነዚ ንምብራህ ከኣ ምስ  ጠበቃ ሳሙኤል ኩፈር   ንዕለት 10-05-2023

 ሰዓት  18፡00-19፡30 ብ ዙም መብርሂ ክህብ እዩ። https://us06web.zoom.us/j/82242787807?pwd=MjBLUXNPTGR3UVMxN25nRnA3ZTFkdz09

ብተወሳኺ እዚ ናይ ዙም ርክብ ብነጻን ብትግርኛን እዩ ዝመሓላለፍ ንዝግደሱን ሰባት ከኣ ኣመሃላልፉዎ።


Achtung: Manche Jobcenter werten Nachzahlungen als Einnahme

Geflüchtete, die gegen AsylbLG-Leistungsbescheide in Widerspruchs- oder Überprüfungsverfahren gegangen sind, erhalten Nachzahlungen wenn sie diese Verfahren gewinnen. So ergeht es derzeit etlichen Personen, die im Status der Aufenthaltsgestattung/Duldung als Alleinstehende in einer Gemeinschaftsunterkunft lebend im AsylbLG-Bezug gegen die Herabstufung in Regelbedarfsstufe 2 vorgegangen waren. Denn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte am 19. Oktober 2022 (Az. 1 BvL 3/21) geurteilt, dass den Betroffenen Regelbedarfsstufe 1 zusteht.

Dahin gehende Nachzahlungen sind bei Personen im AsylbLG-Analogleistungsbezug anrechnungsfrei (§ 2 Abs. 1 AsylbLG iVm § 82 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII). Wenn die Geflüchteten aber inzwischen eine Anerkennung im Asylverfahren bekommen oder anderweitig eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, sind sie im SGB II – Leistungsbezug und an die Jobcenter angebunden. Doch auch ihre Nachzahlungen sind anrechnungsfrei. So hat es das Bundesozialgericht (BSG) klargestellt: „Nachzahlungen von Leistungen aus dem SGB II, SGB XII und AsylbLG im jeweils anderen System [sind] nicht als Einkommen anzurechnen“ (BSG 25.6.2015 – B 14 AS 17/14 R).

Wenn also Jobcenter diese Nachzahlungen als einmalige Einnahme anrechnen ist das rechtswidrig. Betroffene sollten unbedingt dagegen vorgehen!


SG Stuttgart: Mehr AsylbLG-Leistungen für Alleinstehende in Gemeinschaftsunterkunft

Alleinstehende, die in einer Gemeinschaftsunterkunft leben und Grundleistungen nach dem Asylbewerbergesetz erhalten (§§ 3, 3a AsylbLG), müssen Leistungen nach Regelbedarfsstufe 1 bekommen, so das Sozialgericht (SG) Stuttgart mit Beschluss vom 24.03.2023 (Az.: S 11 AY 720/23 ER).

Der Gesetzgeber hatte 2019 alleinstehenden/alleinerziehenden Gestatteten und Geduldeten im AsylbLG-Bezug, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, in die Regelbedarfsstufe 2 herabgestuft mit der Begründung diese können als „Schicksalsgemeinschaft“ gemeinsam wirtschaften und somit Geld einsparen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte am 19. Oktober 2022 (Az. 1 BvL 3/21) geurteilt, dass ein gemeinsames Wirtschaften realitätsfern sei und den Betroffenen Regelbedarfsstufe 1 zusteht. Dies bezog sich allerdings auf AsylbLG-Bezieher*innen im sogenannten Analogleistungsbezug (§ 2 AsylbLG). Selbst das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hatte jedoch zeitnah erklärt, dass es die Entscheidung des BVerfG auf Personen im Grundleistungsbezug (§§ 3, 3a AsylbLG) anwendbar hält.

Eigentlich war nach der Entscheidung des BVerfG klar, dass kein*e alleinstehende*r AsylbLG-Leistungsbezieher*in in Gemeinschaftsunterkünften auf Regelbedarfsstufe 2 eingruppiert bleiben darf. Doch in BW werden Grundleistungsbezieher*innen weiterhin verfassungswidrig in Regelbedarfsstufe 2 eingruppiert: „Aus der genannten Entscheidung des BVerfG ergibt sich nach Auffassung der Kammer ohne Zweifel auch die Verfassungswidrigkeit der Parallelregelung des § 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b AsylbLG bzw. § 3a Abs. 2 Nr. 2 lit. b AsylbLG…“, so das SG Stuttgart. Der Flüchtlingsrat rät allen Betroffenen zu klagen!


OVG Niedersachsen: Familienasyl auch bei „Handschuhehe“

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Niedersachsen hat am 09.02.2023 beschlossen, dass Familienasyl auch bei einer religiös geschlossener Ehe durch Stellvertretung („Handschuhehe“) zu gewähren ist (9 LA 259/21).

1. Ob eine Ehe gemäß § 26 Abs. 1 AsylG wirksam geschlossen ist, bestimmt sich nach dem Recht des Herkunftsstaates der Asylsuchenden. Ist in dem Herkunftsstaat (hier: Irak) eine allein nach religiösem Ritus geschlossene Ehe wirksam, handelt es sich um eine im Hinblick auf das Familienasyl wirksame Eheschließung.

2. Etwas anderes gilt nach internationalem Privatrecht nur, wenn die Eheschließung gemäß Art. 6 EGBGB gegen den ordre public verstößt, d.h. mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist.

3. Bei einer Eheschließung durch Stellvertretung (sog. Handschuhehe) ist ein Verstoß gegen den ordre public nicht anzunehmen, wenn die Stellvertretung sich bloß auf die Abgabe der Erklärung der Eheschließung bezieht (Stellvertretung in der Erklärung). Ein Verstoß gegen den ordre public und daraus folgend die hiesige Unwirksamkeit der Eheschließung ist aber anzunehmen, wenn die Entscheidung über das Ob der Eheschließung und die Auswahl des Ehepartners/der Ehepartnerin nicht diesen überlassen bleibt, sondern durch eine*n Stellvertreter*in erfolgt (Stellvertretung im Willen). Die hiesige Wirksamkeit einer Eheschließung durch Stellvertretung hängt folglich davon ab, ob im Einzelfall Anhaltspunkte für eine Stellvertretung im Willen vorliegen. 


BAMF: Höherer Schutzstatus für Afghaninnen

Gegenüber Pro Asyl hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) angekündigt, dass Afghaninnen nun in der Regel die Flüchtlingseigenschaft bzw. subsidiärem Schutz zuerkannt bekommen sollen. Denn die Situation von Frauen und Mädchen in Afghanistan hat sich weiter stark verschlechert. Deshalb wurden auch die Herkunftsländerleitsätze zu Afghanistan, auf deren Grundlage die Entscheider*innen des BAMF prüfen ob ein Schutzstatus in Frage kommt, angepasst. Es sollen jedoch nicht alle afghanischen Asylantragstellerinnen automatisch einen höheren Schutzstatus zuerkannt bekommen weil sie alle aufgrund ihres Geschlechts verfolgt sind, sondern Einzelfallprüfungen sollen weiterhin erfolgen.

Dies bleibt leider hinter der Realität von Frauen und Mädchen in Afghanistan zurück: Weiblich zu sein, bedeutet durch die Taliban verfolgt zu sein.


SG Nürnberg: Eingliederungshilfe für Geflüchtete aus der Ukraine

Das Sozialgericht (SG) Nürnberg entschied in einem Eilverfahren am 9.3.23 (S 5 SO 25/23 ER), dass einem ukrainischen Jungen mit einer Behinderung (Trisomie 21), der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG besitzt, Leistungen der Eingliederungshilfe zu gewähren sind. Für Personen mit einer Aufenthaltserlaubnis gibt es in manchen Fällen keinen Anspruch auf Eingliederungshilfe, sondern die Behörde kann im Ermessen darüber entscheiden (§ 100 Abs. 1 SGB IX). Ausschlaggebend ist unter anderem, ob sich die Person voraussichtlich dauerhaft in Deutschland aufhalten wird.

Hier ging die Behörde davon aus, dass der Krieg in der Ukraine vorrübergehender Natur sei, eine Rückkehr in die Ukraine perspektivisch möglich wäre und deshalb die Eingliederungshilfe (Besuch einer Heilpädagogischen Tagesstätte) weder angemessen noch erforderlich sei. Das SG verurteilte die Ablehnung und verpflichtete die Behörde zur Bewilligung der Hilfe. Eine zweijährige Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG reicht für die Annahme eines dauerhaften Aufenthalts, auch weil sie verlängerbar ist. Dies entspricht auch der Auffassung der Bundesregierung (Informationsschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zu Anwendung des § 100 Abs. 1 SGB IX).

Immer wieder führt die Anwendung des § 100 SGB IX dazu, dass besonders schutzbedürftige Migrant*innen mit einer Behinderung keine notwendigen und geeigneten Hilfeleistungen bekommen. Trotzdem sollten für alle diese Personen – unabhängig vom Aufenthaltsstatus und Leistungsanspruch – Leistungen der Eingliederungshilfe beantragt und notfalls gerichtlich durchgefochten werden. Denn es gibt zahlreiche internationale und europäische Rechtsgrundlagen, die gegen den diskriminierenden § 100 SGB IX herangezogen werden können.