Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg begrüßt die zahlreichen positiven Ansätze in der Flüchtlingspolitik im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung. „Viele der Punkte, die wir in den vergangenen Jahren – auch zusammen mit unseren Bündnispartner*innen im Rahmen der Kampagne ‚Sicherer Hafen Baden-Württemberg‘ – angesprochen haben, finden sich im Koalitionsvertrag wieder“, stellt Lucia Braß, 1. Vorsitzende des Flüchtlingsrats, fest.
Dass die Ankündigung eines Landesaufnahmeprogrammes für Menschen an den Außengrenzen Europas es in den Koalitionsvertrag geschafft hat, ist nach Überzeugung des Flüchtlingsrats vor allem der Verdienst der Initiativen an der Basis – wie etwa die Seebrücken und die Kommunen, die sich zu „Sicheren Häfen“ erklärt haben. Mit der Formulierung, dass ein solches Programm „im Einvernehmen mit dem Bund“ durchgeführt werden soll, zeichnet sich allerdings bereits ein Knackpunkt ab, denn der Bund blockiert aktuell alle Bemühungen aufnahmebereiter Länder. „Wir werden sehen, mit wie viel Nachdruck die Landesregierung sich gegenüber dem Bund für die Aufnahme einsetzen wird. Hierzu wird es nötig sein, den Druck von der Basis aufrecht zu erhalten – gerade angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl“, sagt Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats.
Positiv bewertet der Flüchtlingsrat, dass die Notwendigkeit einer konsequenteren Anwendung von Bleiberechtsoptionen erkannt worden ist. „Wir haben immer gesagt, dass es bereits jetzt viele Handlungs- und Ermessensspielräume gibt, um Abschiebungen gerade von Personen, die seit vielen Jahren hier sind, zu vermeiden. Eine Ankündigung von Verbesserungen gab es bereits mit dem wirkungslos gebliebenen Beschluss der Landesregierung von 2017, deshalb muss hier die praktische Umsetzung der guten Ansätze abgewartet werden. Wirkliche Veränderung wird teilweise auch einen Kulturwandel in einigen Behörden voraussetzen, die bisher auf ‚Abschiebung um jeden Preis‘ gepolt waren – hier muss die Landesregierung zeigen, dass sie ihre Vorhaben gegenüber solchen Kräften durchzusetzen bereit ist“, so Lucia Braß. Dass die Landesregierung Abschiebungen von unbegleiteten Minderjährigen jetzt ablehnt, lässt erahnen, dass die breite öffentliche Kritik an der rechtswidrigen Abschiebung von Dana und Edi Ende letzten Jahres Wirkung gezeigt hat.
Die Landesregierung möchte an der aktuellen Konzeption für die Erstaufnahme festhalten, was der Flüchtlingsrat angesichts der zahlreichen strukturellen Probleme mit dieser Form der Massenunterbringung bedauerlich findet. Die Ankündigung, die Hausordnungen zu überarbeiten, wertet der Flüchtlingsrat als Erfolg derjenigen, die mit großem Engagement die Grundrechtsverletzungen in den Erstaufnahmeeinrichtungen dokumentiert und thematisiert haben. Erleichtert nimmt der Flüchtlingsrat zur Kenntnis, dass die bisherige rechtswidrige Praxis, Familien mit minderjährigen Kindern länger als sechs Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen zu behalten, beendet werden soll. Auch das Bekenntnis zur Fortführung der unabhängigen Sozial- und Verfahrensberatung durch die Wohlfahrtsverbände wird begrüßt. Mit der Ankündigung eines freien Zugangs zu WLAN in Unterkünften greift die Landesregierung eine aktuelle Forderung des Flüchtlingsrats auf. Hier sieht der Flüchtlingsrat gerade aufgrund der aktuellen Pandemie-Situation mit Online-Unterricht für viele Schüler*innen akuten Handlungsbedarf und hofft auf eine schnelle Umsetzung, die angesichts des Unwillens vieler Kommunen und Landkreise schwierig werden könnte.
Bedauerlich ist aus Sicht des Flüchtlingsrates, dass das Land weiterhin am Instrument der Abschiebungshaft festhalten will, und dass das Problem der häufigen rechtswidrigen Inhaftierungen nicht angesprochen wird. „Das fehlende Problembewusstsein an dieser Stelle nimmt den Bekenntnissen zur Rechtsstaatlichkeit und Verfassung, die im Koalitionsvertrag wiederholt auftauchen, ihre Glaubwürdigkeit. Unglaubwürdig ist auch die Aussage, dass Abschiebungshaft ‚ausschließlich ultima ratio‘ sei, denn dies wurde schon in der Vergangenheit behauptet. Wenigstens bieten die angekündigten Verbesserungen beim Besuchsrecht und die Einführung einer unabhängigen Beratung bessere Voraussetzungen, um gegen die zahlreichen Rechtsverstöße in der Abschiebungshaft vorgehen zu können. Dass sich hier überhaupt etwas getan hat, ist der engagierten und hartnäckigen Arbeit der Arbeitsgruppe Abschiebungshaft Pforzheim mit den dortigen Seelsorgern und unabhängigen Berater*innen zu verdanken, die seit Jahren auf Probleme und Missstände aufmerksam machen“, so Bärbel Mauch, 2. Vorsitzende des Flüchtlingsrats.
„Es ist vor allem auf das vielfältige Engagement der Menschen und Initiativen an der Basis zurückzuführen, dass Verbesserungen und Lösungen für einige der Probleme angekündigt werden, die von den Engagierten hier im Land seit längerem immer wieder an die Öffentlichkeit gebracht wurden. Diese engagierte Zivilgesellschaft steht bereit, um sich bei der Umsetzung dieser Vorhaben einzubringen und sie wird sich mit Nachdruck dafür einsetzen, dass die angekündigten Verbesserungen auch tatsächlich umgesetzt und mit Leben gefüllt werden“, so Seán McGinley abschließend.