Pressemitteilung: Die vergessenen Flüchtlinge

In Folge des Kriegs in der Ukraine fliehen viele ukrainische Staatsangehörige von dort in andere europäische Länder. In Deutschland begegnet ihnen viel Wohlwollen und Hilfsbereitschaft und auch politisch werden viele Hürden zur Aufnahme dieser Flüchtlinge abgebaut. Wir begrüßen das ausdrücklich und freuen uns, dass die folgenden Forderungen von Flüchtlingsorganisationen für eine humane Aufnahme, für die auch wir schon lange Zeit plädieren und kämpfen, nun zum ersten Mal konkret und im großen Stil umgesetzt werden:

  • Schaffung legaler und sicherer Fluchtwege
  • Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen für einen rechtmäßigen Aufenthalt statt einem langen Asylverfahren
  • Freie Wahl des Wohn- und Aufenthaltsorts im Bundesgebiet
  • Unterbringung in Einzelwohnungen statt in Sammelunterkünften
  • Bezug von SGB II-Leistungen statt höchst prekärer Leistungen nach dem AsylbLG

Auch wenn die Aufnahme der Flüchtlinge mit ukrainischer Staatsbürgerschaft unter diesen Voraussetzungen aktuell problemlos und menschenwürdig stattfinden kann, so werden diese Aufnahmemaßnahmen von politischer Seite doch nur einseitig und äußerst ungleich angewandt.

In Vergessenheit geraten Geflüchtete aus anderen Herkunftsländern. Sie müssen nach zum Teil langen und gefährlichen Fluchtwegen weiterhin unfreiwillig menschenverachtende Unterbringungsbedingungen ertragen oder stecken dabei jahrelang in einem Asylverfahren fest, mit eingeschränktem Zugang zu Deutschkursangeboten oder zu Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten.

Um den vergessenen Flüchtlingen eine Stimme zu geben, veröffentlichen wir an diesem Tag eine Video-Interviewreihe über den Youtube-Kanal des Flüchtlingsrat RLP e.V. In den Interviews kommen insgesamt vier Flüchtlinge aus unterschiedlichen Herkunftsländern zu Wort: Ghada aus Syrien, Evon aus dem Irak, Salim aus Somalia und Saneh aus Afghanistan. Sie erzählen wie sie selbst die beschriebene Ungleichbehandlung und Diskriminierung erfahren und empfinden.

„Entschuldige, aber das ist Rassismus!“ Mit diesem Statement bringt es Ghada am Ende ihres Interviews auf den Punkt. Sie kann sich die ungleichen Voraussetzungen für Flüchtlinge in der aktuellen Situation nicht anders erklären. „Wir sind nicht gegen die ukrainische Leute. Nein, wir haben gleich Situation gelebt und wir wissen was passiert, wenn man hat in seinem Land Krieg.“ Ghada ist froh darüber, dass es ukrainische Staatsangehörige so einfach haben, hier anzukommen. Sie betont aber auch, dass es ihre Familie nicht so leicht hatte: Um nach Europa zu kommen, mussten sie in einem kleinen Boot über das Meer fliehen.

Auch Evon schildert starke rassistische Diskriminierung. „Und wir haben immer gefragt wegen Wohnung und dass mein Mann hat auch gearbeitet, alles Vollzeit. Und die Frage das war von welche Land kommst du. Wenn wir sagen aus dem Irak, die sagen nein, tut mir leid. Für Araber oder die arabische Länder die sofort das sagen so.“ Evon sagt klar, dass sie die Situation der geflüchteten Ukrainer:innen sehr gut kennt, da im Irak bis heute Krieg herrscht. Sie kann jedoch nicht nachvollziehen, dass bei ihr und ihrem Mann immer wieder nach der Herkunft gefragt wird. Jahrelang haben sie zu zweit in einem Ein-Zimmer-Apartment mit einem Einzelbett gewohnt.

Salim erzählt viel von seinem Freund Abdul Rashid, der seit acht Jahren mit ihm in Deutschland lebt, aufgrund seines Aufenthaltstitels aber nie einen Deutschkurs besuchen durfte. Im Nachgang zu seinem Interview schreibt uns Salim in einer E-Mail außerdem, dass er ein wichtiges Thema noch ansprechen möchte: Das Thema Einbürgerung: „Obwohl wir arbeiten und alles Voraussetzung erfüllt haben, leider wir können uns nicht eingebürgert werden, weil unsere Reisepass aus Somalia nicht bei Deutsche anerkannt ist. Das ist eine große Problem, die wir jetzt erleben.“ Auch seine Kinder, die in Deutschland geboren sind, sind bisher „identitätslos“, da somalische Dokumente nach 1991 von deutschen Behörden weiterhin nicht anerkannt werden.

Anlässlich des Tags des Flüchtlings am 30. September 2022 nehmen wir, der Flüchtlingsrat RLP e.V. und das Projekt civi kune RLP, Ghadas Worte ernst, erhoffen uns ein solidarisches Miteinander ohne Ungleichbehandlung und Rassismus und fordern Schutz für alle!


Ludwigsburg: Schulungen „Führerschein für Engagierte in der Flüchtlingsarbeit“

Ökumenische Fachstelle Asyl lädt herzlich zu einer Reihe der Schulungen zu grundlegenden Themen für einfache Einführung in die Flüchtlingsarbeit. Ihre verschiedenen Aspekte, wie Trauma im Fluchtkontext, Grenzen und Möglichkeiten im Ehrenamt und Interkulturelle Kommunikation, werden in den Schulungen besprochen.

Es gibt eine Möglichkeit, ein Zertifikat für die Teilnahme zu bekommen. Die Anmeldung ist weiterhin möglich.

Mehr Informationen und Kontaktangaben finden Sie im Flyer.


Forderung: Abschiebestopp und Solidarität mit den Protestierenden im Iran

Seit dem Tod der 22-jährigen Jîna Mahsa Amînî nach ihrer Festnahme durch die Sittenpolizei in Teheran
gehen in fast allen großen Städten Irans Frauen wie Männer auf die Straße, um gegen das unterdrückerische Ajatollah-Regime zu protestieren. Die junge Frau war am 13. September verhaftet worden, weil sie ihr Kopftuch nicht ordentlich getragen haben soll.

Die iranische Regierung reagiert mit großer Brutalität und Repression auf die Proteste, Dutzende Menschen starben, Hunderte wurden durch Polizeikräfte verletzt, Tausende verhaftet. Angesichts dieser Gewalt gegen Demonstrierende und Medienschaffende fordern der Verein iranische Flüchtlinge in Berlin,
PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte ebenso wie weitere Menschenrechtsorganisationen einen sofortigen Abschiebestopp in den Iran.

„Wir bewundern den Mut und die Entschlossenheit der Demonstrantinnen, die unter Einsatz ihres Lebens für eine freie Gesellschaft eintreten, und erklären uns solidarisch mit ihnen. Auch die Bundesregierung muss jetzt ein Zeichen der Unterstützung senden. Wir fordern einen sofortigen Abschiebestopp für Iran, ein Bleiberecht für bisher in Deutschland nur geduldete Iranerinnen, die Anerkennung ihrer Fluchtgründe im
Asylverfahren sowie die unkomplizierte Aufnahme von Iranerinnen, die der Türkei und anderen Erstzufluchtsländern festsitzen“,
sagt Hamid Nowzari, Geschäftsführer vom Verein iranischer Flüchtlinge in Berlin. Im ersten Halbjahr 2022 wurden 25 Menschen aus Deutschland in den Iran abgeschoben (Bundestag Drs. 20/3130).

„Frauen und Männer, die im Iran protestieren und demonstrieren, werden abgeführt, inhaftiert und misshandelt. Die Situation in dem Land ist derzeit derart unübersichtlich, dass wir nicht wissen, was denjenigen Menschen droht, die aus Deutschland in den Iran abgeschoben werden. Wir fordern daher einen sofortigen Abschiebestopp und eine Neubewertung der Lage im Land durch die deutschen Behörden“, sagt Wiebke Judith, Teamleitung Recht & Advocacy bei PRO ASYL.

Iran zählt zu den zehn zugangsstärksten Herkunftsländern von Asylsuchenden in Deutschland (1.925 Asylerstanträge im 1. HJ 2022, BAMF Schlüsselzahlen Asyl 2022). Die Anerkennungsquote für Iraner*innen im Asylverfahren liegt bei etwa 30 Prozent (bereinigte Schutzquote knapp 50 Prozent, Bundestag Drs. 20/2309). Mehr als 10.000 Iraner*innen in Deutschland leben mit dem prekären Status der Duldung, viele von ihnen unterliegen einem Arbeitsverbot (Bundestag Drs. 20/3201).

Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Verhaftungen, Verschleppung, Folter und Tötung von politischen Aktivist*innen, LGBTIQ+, Kurd*innen, Frauen und alle, die gegen die strenge Sittenordnung des iranischen Regimes verstoßen, sind nicht neu. Auch Massenproteste hat es in den vergangenen Jahren immer wieder gegeben. Die aktuelle Situation ist insofern besonders, weil jetzt das gesamte Regime herausgefordert wird und Frauen bei den Protesten eine maßgebliche Rolle spielen.


Pro Asyl: Flucht aus Russland

Seitdem Machthaber Putin in Russland die Teilmobilisierung für den Krieg gegen die Ukraine ausgerufen hat, melden sich minütlich Männer und Frauen bei PRO ASYL, die aus Angst vor dem Kriegsdienst und staatlicher Repressionen aus dem Land fliehen wollen. Dies sind die Informationen, die wir den Betroffenen aktuell geben können.

– English version –

Einen Asylantrag kann man nicht aus dem Ausland stellen. Wer in Deutschland einen Asylantrag stellen will, kann dies nur in Deutschland selbst bzw. an einer Außengrenze tun. Dies gilt genauso auch in anderen EU-Staaten.

Zur Einreise nach Deutschland

Russische Staatsbürger*innen benötigen für die legale Einreise nach Deutschland ein Visum. Die Visavergabe wird sehr restriktiv gehandhabt. Es gibt Schengenvisa und Visa für langfristige Aufenthalte, etwa für Fachkräfte (Informationen dazu hier und hier). Die Nachbarstaaten zu Russland Estland und Lettland sowie Litauen und Polen lassen seit dem 19. September 2022 aber keine russischen Staatsangehörigen mit einfachen Schengen-Visa mehr einreisen, wodurch der Landweg stark eingeschränkt ist. Direkte Flugverbindungen nach Deutschland bestehen aktuell nicht.

Deutschland hat in einigen besonders herausgehobenen Fällen von Personen, die öffentlich aufgetreten sind, etwa kritische Journalist*innen, auch humanitäre Visa erteilt. Für die Mehrheit der Personen wird das aber aktuell keine schnelle Lösung sein. Die deutschen Auslandsvertretungen lehnen solche Anträge in aller Regel ab. Aussagen von Politikern, Deutschland sei bereit, Personen, die gegen den Krieg sind oder nicht kämpfen wollen, aufzunehmen und ihnen Asyl zu geben, scheitern derzeit vor allem an fehlenden praktischen Möglichkeiten der Einreise!

Zu den Chancen im Asylverfahren

Stellt eine Person in Deutschland einen Asylantrag, prüft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als erstes, ob Deutschland nach der europäischen Verordnung, die die Zuständigkeit für die Prüfung eines Asylantrags regelt, überhaupt zuständig ist. Diese sogenannte Dublin-III-Verordnung gilt in allen EU-Ländern und in Norwegen, Island, Liechtenstein und der Schweiz. In der Regel ist der Staat für das Asylverfahren zuständig, der das Visum für die Einreise erteilt hat. Bei illegaler Einreise ist der Staat zuständig, den die Person als erstes betreten hat. Schiebt Deutschland eine asylsuchende Person innerhalb einer bestimmten Frist nicht in den zuständigen EU-Staat ab, geht die Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrages auf Deutschland über. Mehr Informationen zu Dublin-Verfahren finden Sie hier.

Ist Deutschland für das Asylverfahren zuständig (geworden), prüft das BAMF die individuellen Asylgründe:

Die Rechtsprechung in Deutschland zur Militärdienstverweigerung ist grundsätzlich restriktiv:

Personen, die aus dem bereits angetretenen Militärdienst in Russland desertieren, können unserer Einschätzung nach eine Flüchtlingsanerkennung bekommen. Hiervon geht auch das Bundesinnenministerium bei Deserteuren aus. Wer aus dem aktiven Militärdienst flieht, sollte dies möglichst durch entsprechende Dokumente nachweisen und glaubhaft machen, warum er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann, Menschen im Krieg zu töten. Noch offen ist, ob das BAMF verlangen wird, dass die Personen zunächst noch in Russland versuchen müssen, den Kriegsdienst zu verweigern. In Russland gibt es dazu aber nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten.

Die Rechtsprechung in Deutschland zur Militärdienstverweigerung ist grundsätzlich restriktiv: Es wird als legitimes staatliches Handeln gesehen, Bürger zum Militärdienst zu verpflichten und bei Verweigerung auch zu bestrafen. Nur wenn diese Bestrafung unverhältnismäßig hoch ist oder wenn durch die Verweigerung eine politische Verfolgung ausgelöst wird, wird ein Militärdienstverweigerer als Flüchtling anerkannt – hiervon ist bei russischen Deserteuren auszugehen. Auch wenn der Asylsuchende im Kriegsdienst etwa zur Teilnahme an Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit verpflichtet gewesen wäre, kann er unter Umständen als Flüchtling anerkannt werden.

Für Kriegsdienstverweigerer, die noch nicht eingezogen wurde, gibt es keine vergleichbaren Aussagen der Bundesregierung bezüglich des Schutzes in Deutschland. Auch wer bisher nur einen Einberufungsbefehl bekommen hat, sollte diesen im Asylverfahren vorlegen, um zu belegen, dass die Einberufung kurz bevorstand. Auch wer nachweisen kann, zur Gruppe derjenigen zu gehören, die von der Teilmobilmachung erfasst sind, sollte entsprechende Nachweise im Asylverfahren vorlegen. Ob auch diese Personen im Asylverfahren anerkannt werden, können wir noch nicht absehen. Die politischen Zeichen sprechen dafür. Die bisherige Praxis des BAMF sah aber anders aus. Das BAMF könnte aufgrund der oben genannten Punkte also in diesen Fällen auch ablehnen.

Es gibt Berichte, dass auch jenseits der offiziellen Kriterien der Teilmobilmachung Männer im wehrpflichtigen Alter zum Wehrdienst eingezogen werden. Ob auch diese einen Schutzstatus im Asylverfahren bekommen können ohne bereits einen Einberufungsbefehl zu haben, ist derzeit noch nicht abzusehen. Das wird davon abhängen, ob das BAMF die Gefahr zur Einberufung als ausreichend wahrscheinlich einschätzt.

Auch Oppositionelle oder verfolgte Journalist*innen können im Asylverfahren einen Schutzstatus in Deutschland bekommen. Die vorgebrachte Verfolgung und die Gründe hierfür müssen im Asylverfahren glaubhaft gemacht werden. Weitere Informationen zum Asylverfahren in Deutschland finden Sie hier.

Wenn sich die Lage ändert oder wir genauere Auskunft geben können, werden wir entsprechende Hinweise auf unserer Homepage veröffentlichen.

Da es zurzeit keine direkten Flugverbindungen nach Russland gibt, gehen wir davon aus, dass derzeit Abschiebungen nach Russland unmöglich sind.



Theateraufführung: Die Mittelmeer-Monologe

Anlässlich des Tags des Flüchtlings am 30. September veranstaltet das Stuttgarter Aktionsbündnis für Menschenrechte und Flucht (SAMFT) am Samstag, den 1. Oktober um 20 Uhr im Theater La Lune eine kostenfreie Aufführung der Mittelmeer-Monologe. Im Anschluss an die Inszenierung findet ein Publikumsgespräch mit Menschen mit Fluchtgeschichte statt.

Die Mittelmeer-Monologe sind Theater, basierend auf mehrstündigen Interviews. Sie erzählen von den politisch Widerständigen Naomie aus Kamerun und Yassin aus Libyen, die sich auf einem Boot nach Europa wiederfinden, von brutalen ‚Küstenwachen‘ und zweifelhaften Seenotrettungsstellen und von Aktivist*innen, die dem Sterben auf dem Mittelmeer etwas entgegensetzen. Diese Aktivist*innen überzeugen beim ‚Alarmphone‘ die Küstenwachen, nach Menschen in Seenot zu suchen oder lernen auf der Seawatch, Menschen vor dem Ertrinken zu bewahren. Kurzum, sie tun das eigentlich Selbstverständlichste, was im Jahr 2022 alles andere als selbstverständlich ist: menschliches Leben zu retten! 

„Die Monologe berühren, schaffen Nähe, machen wütend und benennen Wege, um sich persönlich zu engagieren. Sie widersetzen sich der Entmenschlichung der Tragödie. In den Mittelpunkt stellen sie die Geschichten der Betroffenen.“ Die Tageszeitung

Nach über 700 erfolgreichen Aufführungen der Asyl-Monologe, Asyl-Dialoge und NSU-Monologe ist dies das aktuelle Theaterstück von Regisseur Michael Ruf, der die Organisation Wort und Herzschlag ins Leben gerufen hat. Diese organisiert in ganz Deutschland Aufführungen der Mittelmeer-Monologe. Der Eintritt ist kostenfrei, das Bündnis freut sich jedoch über Spenden. Mitglieder des Bündnisses: Amnesty International Stuttgart, Arbeitsgemeinschaft für die eine Welt, Arbeitskreis Asyl Stuttgart, Aufstehen gegen Rassismus Stuttgart, just human, Seebrücke Stuttgart, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg


Vorgriffserlass jetzt!

Das neue Chancen-Aufenthaltsrecht wird voraussichtlich im Dezember diesen Jahres in Kraft treten. Es soll der bisherigen Praxis der Kettenduldungen entgegenwirken. Menschen, die bis zum 1. Januar 2022 nur den unsicheren Status der Duldung hatten, sollen ein einjähriges Aufenthaltsrecht auf Probe erhalten, das als Brücke in ein längerfristiges Bleiberecht dienen soll.

Viele Bundesländer haben daher bereits vor Monaten entsprechende Weisungen erlassen bzw. ihre früheren Erlasse und Anwendungshinweise ergänzt: Von Rückführungsmaßnahmen sei demnach für jenen Personenkreis abzusehen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit unter das Chancen-Aufenthaltsrecht fällt.

In Baden-Württemberg hingegen häufen sich die Abschiebungen von Menschen, die von den anstehenden Gesetzesänderungen profitieren würden. Aus der Perspektive des Flüchtlingsrats BW besteht daher die dringende Notwendigkeit, die öffentliche Aufmerksamkeit verstärkt auf diese fragwürdige Praxis zu lenken und zu verhindern, dass Menschen abgeschoben werden, die schon in Kürze die Möglichkeit zum Bleiben gehabt hätten.

Es kann einfach nicht sein, dass die Landesregierung absolut entgegen ihrer Versprechen aus dem Koalitionsvertrag von 2021 handelt. Darin heißt es, dass „für diejenigen, die viele Jahre im Land leben, nicht straffällig geworden und gut integriert sind, alle Möglichkeiten im Land genutzt werden, um ein Bleiberecht zu ermöglichen“. Nun steht es der Landesregierung offen, die rechtlichen Möglichkeiten zu schaffen. Es mangelt also lediglich am politischen Willen.

Werden auch Sie aktiv und fordern gemeinsam mit dem Flüchtlingsrat einen Vorgriffserlass. Es muss dringend verhindert werden, dass noch mehr Menschen die seit Jahren in Baden-Württemberg leben ohne nachvollziehbaren Grund das Land verlassen müssen. Darunter leider die Betroffenen, ihre Familienangehörigen aber auch Arbeitgeber*innen und ehrenamtlich Engagierte.

Nutzen Sie gerne unsere aktuelle Briefvorlage! Am besten wenden Sie sich direkt an die Abgeordneten der Regierungsparteien aus Ihrem Wahlkreis. Deren Kontaktadressen finden Sie hier.


Ukraine: Informationen und Links

Viele ukrainische Geflüchtete kommen in Baden-Württemberg an oder befinden sich noch auf der Flucht. Mit der Flucht und der Ankunft kommen jede Menge Fragen auf, sei es zu Unterkunft und Wohnen, Aufenthaltserlaubnis und Sozialleistungen, Arbeit und Sprachkurse oder besondere Hilfen für Alleinerziehende, Kinder, Jugendliche und Schwangere. Hier finden Sie Links zu all diesen Fragekomplexen.

Allgemeine Informationen (bundesweit)

Informationen aus Baden-Württemberg

Kinder und Jugendliche

Frauen

LSBTI*

Behinderung und Pflegebedarf

Rom*nja

Arbeit

Studium

Unterbringung und Wohnen

Familie

Gesundheit

Psychologische Unterstützung

Sozialleistungen

Kommunikation und Sprache

Alltag

Ehrenamtliche

Drittstaatsangehörige


Pro Asyl: EuGH stellt fest: BAMF handelte während Pandemie europarechtswidrig!

Erneut rügt der EuGH Deutschland wegen europarechtswidriger Handlungen in Flüchtlingsfragen. Das BAMF hatte während der Covid-Pandemie Überstellungsfristen nach der Dublin-Verordnung rechtswidrig ausgesetzt. Asylsuchenden drohte die Abschiebung in ein anderes EU-Land, obwohl die Zuständigkeit für ihr Asylverfahren auf Deutschland übergegangen war.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seinem heutigen Urteil festgestellt, dass Geflüchtete nicht die Leidtragenden sein dürfen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) pandemiebedingt keine Rückführungen in andere EU-Mitgliedstaaten durchführen kann. „Das ist ein wichtiges Urteil für den Flüchtlingsschutz in Europa, das den Betroffenen Rechtssicherheit gibt“, erklärt Wiebke Judith, rechtspolitische Referentin von PRO ASYL. „Die Luxemburger Richter und Richterinnen haben deutlich gemacht, dass ein Land nicht nach Belieben Fristen zur Überstellung von Geflüchteten in ein anderes EU-Land aussetzen darf, nur weil es aufgrund der Covid-19-Pandemie oder anderen Umständen Schwierigkeiten hat, schutzsuchende Menschen tatsächlich in ein anderes EU-Land zu bringen. Die betroffenen Menschen müssen jetzt endlich in Deutschland ein inhaltliches Asylverfahren bekommen, denn nun steht höchstgerichtlich fest, dass die vom BAMF betriebene Praxis europarechtswidrig war“, erläutert Judith.

Nach der Dublin-Verordnung werden Asylbewerber:innen in den europäischen Mitgliedsstaat zurückgeschickt, in dem sie zuerst europäischen Boden betreten haben und registriert wurden. Am 18. März 2020 beschloss das BAMF jedoch, aufgrund der Corona-Pandemie keine Dublin-Überstellungen mehr durchzuführen. Bei einer nicht erfolgten Überstellung innerhalb von sechs Monaten wird eigentlich der Mitgliedstaat für die asylsuchende Person zuständig, der die Überstellung angefragt hat – in diesen Fällen also Deutschland. Um zu verhindern, dass die Verantwortung auf die Bundesrepublik übergeht, hatte das BAMF aber eine Aussetzung dieser Überstellungsfristen veranlasst. Mit diesem juristischen Trick sollte die Überstellungsfrist bei erneuter Aufnahme des Verfahrens komplett neu beginnen. So wollte sich das Bundesamt erneut sechs Monate Zeit verschaffen, um die Rückführung zu organisieren. Dieses Vorgehen kündigte das BAMF allen Personen im Dublin-Verfahren schriftlich an. Über 21.000 Asylsuchende erhielten laut Angaben der Bundesregierung ein entsprechendes Schreiben, bei vermutlich circa 9.000 Personen wurde an der Aussetzung der Frist festgehalten.

EuGH rügt Bundesregierung das dritte Mal binnen kurzer Zeit für europarechtswidriges Verhalten

„Das Bundesamt hat Tausende Schutzsuchende inmitten einer Pandemie, in der zu Beginn aufgrund von Kontaktbeschränkungen der Zugang zu Beratung und Anwälten kaum möglich war, mit ihren Schreiben zur Aussetzung der Dublin-Fristen massiv verunsichert. PRO ASYL hat von Anfang an auf die offensichtliche Europarechtswidrigkeit hingewiesen, die auch die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung zu Asylverfahren während der Covid-Pandemie vom 17. April 2020 festgestellt hat. Es ist ein Skandal, dass es überhaupt notwendig war, einen solchen Fall bis vor den EuGH zu bringen. Leidtragende sind die Menschen, die durch das europarechtswidrige Handeln des Bundesamtes bis heute auf die Prüfung ihrer Verfolgungsgründe warten müssen“, kommentiert Judith.

PRO ASYL unterstützt gezielt entsprechende Klageverfahren, darunter auch eines der Verfahren, das dem EuGH vorgelegt wurde

Nachdem der EuGH bereits im August in zwei Urteilen zum Familiennachzug deutschen Behörden europarechtswidriges Verhalten bescheinigte, ist dies eine erneute Schlappe der Bundesregierung vor dem höchsten Gericht der EU. „Man fragt sich, warum deutsche Behörden immer wieder versuchen, geltendes Recht zum Nachteil von Geflüchteten auszulegen und anzuwenden. Die neue Bundesregierung muss den Behörden auf den Zahn fühlen und Konsequenzen ziehen. Es braucht ganz offensichtlich eine Änderung in der Behördenkultur, sodass der Schutz von Menschen im Zentrum steht – und nicht deren Abwehr“, so Judith.

Nach Fristablauf hat Deutschland die Pflicht zur Durchführung des Asylverfahrens

Für die Betroffenen hat eine Aussetzung der Fristen harsche Konsequenzen: Die reguläre Überstellungsfrist von sechs Monaten beginnt von vorne, selbst wenn sie eigentlich schon mehrere Monate der Frist hinter sich hatten. Während dieser Zeit haben die Asylbewerber*innen keinen Zugang zu einem inhaltlichen Asylverfahren und befinden sich in einem zermürbenden Schwebezustand. Dabei ist ein Kernanliegen der Dublin-Verordnung, genau einen solchen Schwebezustand zu verhindern und durch die Fristen für klare Zuständigkeiten zu sorgen.

Am 26. Januar 2021 legte das Bundesverwaltungsgericht dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens drei Rechtsfragen vor. Zusammengefasst geht es insbesondere um folgende Frage: Kann ein Mitgliedstaat aufgrund von Schwierigkeiten bei der rechtzeitigen Überstellung wegen der Corona-Pandemie die Dublin-Frist unterbrechen?
Mit dem heutigen Urteil macht der EuGH klar: Die Aussetzung der Fristen ist nicht rechtmäßig. Die Dublin-III-Verordnung sieht eine solche Aussetzung nur für klar umfasste Situationen vor, insbesondere um den Rechtsschutz der Betroffenen zu gewährleisten. Eine Fristaussetzung widerspricht dem Beschleunigungsgebot, das vorsieht, für Betroffene zügig Rechtssicherheit zu schaffen.

Im Ergebnis bedeutet das Urteil für die betroffenen Personen, dass ihre Überstellungsfristen je nach Einzelfall überschritten wurden. Nach der Dublin-III-Verordnung hat nach Fristablauf der Mitgliedstaat, in dem sich die Geflüchteten aufhalten – in diesem Fall Deutschland – die Pflicht zur Durchführung des Asylverfahrens.


Innenministerium schafft menschenverachtende Diskretionsprognosen für LSBTI-Geflüchtete ab

Wir haben uns sehr gefreut zu erfahren, dass das BMI den Koalitionsvertag umsetzt und die menschenverachtende Diskretionsprognosen für LSBTI-Geflüchtete abschafft.

Bisher prüfen deutsche Behörden, ob ein Asylsuchender seine sexuelle Identität in der Heimat geheimhalten könnte. Das wird nun gestrichen.
Das hat das BMI gestern den Abgeordneten des Bundestag mitgeteilt.
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Wir brauchen eine Vorgriffsregelung für das Chancenaufenthaltsrecht

Sehr geehrte*r Abgeordnete*r der Christlich-Demokratischen Union,

sehr geehrte*r Abgeordnete*r von Bündnis 90/Die Grünen,

wir wenden uns heute an Sie mit der dringenden Bitte, dass die Landesregierung in dem genannten Sachverhalt zeitnah eine Vorgriffsregelung für das Chancenaufenthaltsrecht erlässt:

Geflüchtete, die seit vielen Jahren hier leben sollen laut Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 6. Juli 2022 das so genannte Chancenaufenthaltsrecht erhalten (§104c AufenthG). Im Hinblick darauf haben Bundesländer wie Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz bereits vor Monaten entsprechende Weisungen erlassen bzw. ihre früheren Erlasse und Anwendungshinweise ergänzt: Von Rückführungsmaßnahmen sei demnach für jenen Personenkreis abzusehen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit unter das Chancenaufenthaltsrecht fällt. So hat z.B. das rheinland-pfälzische Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration bereits am 15.07.2022 in einem Rundschreiben an alle Ausländerbehörden der Landkreise und kreisfreien Städte klar formuliert:

„Es besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran, bei anspruchsberechtigten Personen im Vorgriff auf das nach der parlamentarischen Sommerpause des Deutschen Bundestages zu erwartende Inkrafttreten der Regelung bereits jetzt von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen. Ausländischen Staatsangehörigen, die die Voraussetzungen des Chancen-Aufenthaltsrechts gemäß § 104c AufenthG-E erfüllen, soll deshalb eine Ermessensduldung auf der Rechtsgrundlage des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG erteilt werden.“

Die baden-württembergische Landesregierung hat bisher keine derartige Vorgriffsregelung erlassen und schiebt im Gegenteil noch Personen ab, die alle Kriterien für dieses neue Chancenaufenthaltsrecht erfüllen könnten. Dies ist aus unserer Sicht in keinster Weise mit dem Koalitionsvertrag vom Mai 2021 (!) vereinbar, der formuliert, dass „für diejenigen, die viele Jahre im Land leben, nicht straffällig geworden und gut integriert sind, alle Möglichkeiten im Land genutzt werden, um ein Bleiberecht zu ermöglichen“ (Koalitionsvertrag, S. 85).

Es kann angesichts dieser Ziele aus unserer Sicht nicht sein und entspricht keiner fairen und  menschenwürdigen Behandlung der betroffenen Personen, dass ausgerechnet in unserem Bundesland Menschen, die exakt zur Zielgruppe des direkt vor der Tür stehenden Chancenaufenthaltsrechtes gehören, kurz vor Inkrafttreten dieser Regelung noch immer in Abschiebehaft gebracht, in Flugzeuge gesetzt und abgeschoben werden.

Dazu einige Beispiele: Es handelt sich bei den Betroffenen um Menschen, die für das Chancenaufenthaltsrecht in Frage gekommen wären.

Am 7.9. 2022 wurde ein gambischer Geflüchteter aus Reutlingen abgeschoben. Er war seit 2014 in Deutschland, spricht fließend Deutsch, arbeitete in Vollzeit, hatte eine eigene Wohnung und keine schwerwiegenden Straftaten. Das zuständige Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag gegen die Abschiebung und den Antrag auf eine Ermessensduldung mit der Begründung ab, dass das geplante Gesetz zum Chancenaufenthaltsrecht noch nicht in Kraft getreten sei.

Am 15.9. 2022 wurde ein Tamile aus Sri Lanka aus Schwaikheim nach Sri Lanka abgeschoben, der seit 7 Jahren in Deutschland lebte, seit 5 Jahren arbeitet.

Am 20.9. 2022 wurden Menschen nach Nigeria abgeschoben, die seit mehreren Jahren in Deutschland gelebt haben und berufstätig waren.

Für Arbeitgeber*innen sind diese Abschiebungen eine Katastrophe. Ehrenamtlich Engagierte haben sich lange für diese Menschen eingesetzt. Die Betroffenen selbst waren in regulären Arbeitsprozessen, haben Steuern gezahlt und sich in Baden-Württemberg eingelebt.

Wir möchten ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Regelungen, die die Landesregierung bisher beschlossen hat, nicht dafür ausgereicht haben, die Betroffenen vor Abschiebungen zu schützen. Mit unserem Brief appellieren wir dringend an Sie, die von Ihnen im Landeskoalitionsvertrag von 2021 formulierten Zusagen umzusetzen und fordern Sie im Sinne der potentiell betroffenen Geflüchteten und ihrer Arbeitgeber*innen auf, jetzt so schnell wie möglich eine Vorgriffsregelung analog zu anderen Bundesländern zu erlassen.

Es kann nicht sein, dass diese Abschiebungen weitergehen. Bitte setzen Sie sich dafür ein, dass diese so schnell wie möglich gestoppt werden.

Mit freundlichen Grüßen und herzlichem Dank für Ihre Bemühungen,

Lucia Braß
(1. Vorsitzende)