Stellt eine Person nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags in Deutschland erneut einen Asylantrag, so handelt es sich in der Regel um einen Asylfolgeantrag (§ 71 AsylG). Seit der Entscheidung über den ersten Antrag können sich Umstände geändert haben, die eine neue Beurteilung des Falles erfordern. Für vollziehbar ausreisepflichtige Personen kann deshalb ein Asylfolgeantrag eine sinnvolle Option sein, doch noch einen Schutzstatus zu erhalten. In manchen Konstellationen kann es zielführender sein, anstelle eines Asylfolgeantrags einen sog. Wiederaufgreifensantrag zu stellen.
I. Wichtige Begriffe
II. Antragstellung
III. Prüfung und Entscheidung
IV. Weiterführende Arbeitshilfen
I. Wichtige Begriffe
Was ist ein Asylfolgeantrag?
Wenn man in der Vergangenheit bereits einen Asylantrag in Deutschland gestellt hat und dieser endgültig abgelehnt oder zurückgenommen wurde, wird ein weiterer Asylantrag als Asylfolgeantrag bezeichnet.
Das Asylverfahren wird nur dann neu aufgerollt, wenn einer der in § 71 Absatz 1 Satz 1 AsylG abschließend genannten Gründe vorliegt. In der Regel handelt es sich hier um neue Elemente oder Erkenntnisse, die zutage getreten sind bzw. von der betroffenen Person vorgebracht werden. Diese neuen Elemente oder Erkenntnisse müssen mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für die Person günstigeren Entscheidung beitragen. Neue Elemente können laut der Dienstanweisung Asyl Angaben der antragstellenden Person sowie Unterlagen oder Belege sein. Auch Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) stellen nach der EuGH-Rechtsprechung (8.2.2024, C-216/22) neue Elemente dar. Neue Erkenntnisse können Informationen sein, die von der antragstellenden Person oder auch vom BAMF erlangt werden und die sich auf die Situation der Person oder auf die Situation im Herkunftsland beziehen. Im Einzelfall kann es schwierig sein, zwischen Elementen und Erkenntnissen zu unterscheiden. Das ist aber auch nicht erforderlich, solange die Elemente oder Erkenntnisse entscheidungsrelevant sind. Daneben wird das Verfahren auch bei Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes gemäß § 580 ZPO neu aufgerollt. Zu einem erneuten Asylverfahren führen die neuen Umstände nur, wenn die antragstellende Person sie ohne eigenes Verschulden nicht im vorangegangenen Verfahren (inkl. Klageverfahren) geltend machen konnte.
In einem Asylfolgeverfahren werden alle Schutzstatus geprüft: Die Asylberechtigung nach Artikel 16a Absatz 1 GG, die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG und der subsidiäre Schutz gemäß § 4 AsylG. Werden diese Schutzstatus nicht zuerkannt, werden auch Abschiebungsverbote gemäß § 60 Absatz 5 und 7 AufenthG geprüft (>> Anerkennungsformen).
Was ist ein Wiederaufgreifensantrag?
Es besteht die Möglichkeit, den Folgeantrag auf die Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Absatz 5 und 7 AufenthG zu beschränken. Dann handelt es sich um einen sog. Wiederaufgreifensantrag. Ein solcher Antrag kann z.B. dann sinnvoll sein, wenn sich die Gefährdung aus einer physischen oder psychischen Erkrankung oder aus einer sonstigen Gefahr ergibt, die nicht die Kriterien für die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes oder subsidiären Schutzes erfüllt.
Auch beim Wiederaufgreifensantrag wird zunächst geprüft, ob es gegenüber dem Erstverfahren veränderte Umstände gibt. Dazu gehören gemäß § 51 Absatz 1 VwVfG insbesondere folgende Konstellationen:
- Die Sach- oder Rechtslage hat sich nachträglich zugunsten der Person verändert,
- Neue Beweismittel sind aufgetaucht, die im vorherigen Verfahren noch nicht vorgelegt werden konnten.
Das Verfahren wird nur dann wieder aufgerollt, wenn die antragstellende Person ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen des Verfahrens in einem früheren Verfahren (inkl. Klageverfahren) geltend zu machen (§ 51 Absatz 2 VwVfG). Außerdem müssen die veränderten Umstände innerhalb von drei Monaten geltend gemacht werden (siehe unten).
Exkurs: Was ist ein Zweitantrag?
Um einen Zweitantrag (§ 71a AsylG) handelt es sich, wenn eine Person, die bereits erfolglos ein Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat, der die Dublin III-Verordnung anwendet, einen Asylantrag in Deutschland stellt. Ein Zweitantrag ist nur dann erfolgreich, wenn Deutschland nach der Dublin-III-Verordnung für seine Prüfung zuständig ist und zusätzlich Gründe für das Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 Absatz 1 VwVfG vorliegen (>> Das Dublin-Verfahren).
II. Antragstellung
Wie und wo stellt man einen Asylfolgeantrag oder Wiederaufgreifensantrag? Gibt es dafür Fristen?
Für den Asylfolgeantrag muss infolge eines EuGH-Urteils von 9.9.2021 (C-18/29) keine Frist mehr eingehalten werden. Veränderte Umstände können also auch dann geltend gemacht werden, wenn ihr Eintreten schon einige Zeit her ist. Voraussetzung ist allerdings, dass die antragstellende Person sie ohne eigenes Verschulden nicht im vorangegangenen Verfahren geltend machen konnte. Der Asylfolgeantrag ist grundsätzlich persönlich bei einer BAMF-Außenstelle zu stellen (§ 71 Absatz 2 Satz 1 AsylG) und zu begründen (§ 71 Absatz 3 Satz 1 AsylG). Gilt für die Person eine räumliche Beschränkung oder eine Wohnsitzauflage nach § 61 AufenthG (>> Unterbringung und Wohnen), muss der Folgeantrag bei der nächstgelegenen Außenstelle in dem Bundesland des Aufenthalts gestellt werden (§ 71 Absatz 2 Satz 1 AsylG).
Für die Stellung eines Wiederaufgreifensantrags gilt: Veränderte Umstände müssen innerhalb von drei Monaten, nachdem man von den neuen Umständen Kenntnis erhalten hat, geltend gemacht werden (§ 51 Absatz 3 VwVfG). Ansonsten entscheidet das BAMF nach Ermessen, ob es das Verfahren wiederaufgreift. Wurde in der Vergangenheit ein Asylantrag gestellt, wird der Wiederaufgreifensantrag beim BAMF gestellt, das auch für die Prüfung des Wiederaufgreifensantrags zuständig ist. Spezielle Formvorgaben bestehen hier nicht.
Wurde zuvor nie ein Asylantrag, sondern nur ein isolierter Antrag auf Feststellung von Abschiebungsverboten bei der Ausländerbehörde (§ 25 Absatz 3 AufenthG) gestellt, muss der Antrag schriftlich oder persönlich bei der Ausländerbehörde gestellt werden, die dann wiederum intern das BAMF beteiligt.
Was sollte man vor Folgeantragsstellung tun?
Ein Folgeantrag sollte immer intensiv mit einer Beratungsstelle oder mit einem Anwalt*einer Anwältin vorbereitet werden. In diesem Zusammenhang sollten u.a. folgende Fragen geklärt werden:
- Ist das vorangegangene Verfahren wirklich komplett abgeschlossen?
- Gibt es im Vergleich zum Asylerstverfahren veränderte Umstände?
- Haben sich persönliche Umstände im Vergleich zum Asylerstverfahren stark geändert?
- Falls die für den beabsichtigten Folgeantrag ausschlaggebenden Gründe im Erstverfahren schon vorlagen: Warum hat die Person sie nicht bereits im Erstverfahren geltend gemacht (auch im Erstverfahren bereits bestehende und nicht vorgetragene Gründe können im Folgeantragsverfahren berücksichtigt werden, wenn die Person sie unverschuldet nicht früher geltend machen konnte)?
- Ist es im vorliegenden Fall sinnvoller, einen Asylfolgeantrag oder einen Wiederaufgreifensantrag zu stellen?
Idealerweise lässt man sich vor Antragstellung nicht nur beraten, sondern beauftragt auch einen Anwalt*eine Anwältin, die Gründe für den Folgeantrag schriftlich festzuhalten. Dies ist deshalb sinnvoll, weil der Folgeantrag begründet werden muss und im anschließenden Verfahren in bestimmten Fällen von einer persönlichen Anhörung abgesehen werden kann (§ 71 Absatz 3 AsylG, § 29 Absatz 2 AsylG). Das vom Anwalt*von der Anwältin verfasste Schreiben kann man dann zur Folgeantragstellung mitbringen. Spätestens wenn man gegen die Ablehnung des Folgeantrags vorgehen möchte, benötigt man unbedingt einen Anwalt*eine Anwältin für die Erhebung von Klage und Eilantrag.
III. Prüfung und Entscheidung
Ein wesentlicher Unterschied zum „normalen“ Asylantrag besteht darin, dass die Prüfung des Asylfolgeantrags zweistufig aufgebaut ist (für Informationen zum Verfahren beim Wiederaufgreifensantrag siehe Broschüre zum Asylfolgeantrag S. 75-77).
Was passiert auf Stufe 1 des Prüfverfahrens?
Auf „Stufe 1“ prüft das BAMF zunächst, ob es Gründe dafür gibt, erneut ein Asylverfahren durchzuführen. Während des Prüfverfahrens auf dieser Stufe haben die betroffenen Personen regelmäßig nur eine Duldung. Wird kein weiteres Asylverfahren durchgeführt, wird der Asylantrag als „unzulässig“ abgelehnt (§ 29 Absatz 1 Nummer 5 AsylG). Ist das der Fall, tritt die Person nicht in Stufe 2 des Verfahrens ein.
Gegen die Unzulässigkeitsentscheidung kann man klagen. Hierfür sollte man unbedingt einen Anwalt*eine Anwältin hinzuziehen. Da eine Klage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung keine aufschiebende Wirkung hat, ist zusätzlich ein Eilantrag nötig, um vor einer Abschiebung geschützt zu sein. Wird der Eilantrag fristgerecht gestellt (die Fristen finden sich in der Rechtsbehelfsbelehrung), ist erst nach Ablehnung des Eilantrags die Abschiebung zulässig.
Ausnahmen gelten, wenn der Folgeantrag nur zur Verzögerung/Behinderung der Abschiebung gestellt wurde sowie bei abermaliger Stellung eines Folgeantrags nach Ablehnung des vorangegangenen Folgeantrags. In diesen Fällen ist die Abschiebung zulässig, wenn das BAMF mitgeteilt hat, dass keine Gründe für ein neues Asylverfahren vorliegen (§ 71 Absatz 5 Satz 2 und 3 AsylG).
Was passiert auf Stufe 2 des Prüfverfahrens?
Bejaht das BAMF das Vorliegen von Gründen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens, geht es auf „Stufe 2“ mit einer ganz „normalen“ inhaltlichen Asylprüfung weiter (>> Das Asylverfahren). Erst auf dieser zweiten Stufe erhält die antragstellende Person eine Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung.
IV. Weiterführende Arbeitshilfen