BumF: Zwischenruf zur Unterbringungssituation unbegleiteter Minderjähriger

Erneut kommen derzeit über die Belarus- und Balkanroute auch viele unbegleitete Kinder und Jugendliche in Deutschland an. Diese Kinder und Jugendlichen sind in einer besonders vulnerablen Situation. Sie benötigen ein Setting, in dem ihr Kindeswohl geschützt und ihr Bedarf nach Sicherheit und Stabilität gewährleistet wird!

Doch die Ankunftsrealität sieht anders aus: die jungen Menschen treffen auf ein stark geschwächtes Ankunfts- und Betreuungssystem, die Unterbringungssituation gestaltet sich vielerorts als zunehmend katastrophal. 

Zugleich bringen die derzeit ankommenden Kinder und Jugendlichen mehr denn je psychische Belastungen auch durch ihre Erfahrungen auf den immer gefährlicher werdenden Fluchtrouten mit.

In der stationären Jugendhilfe fehlen durch Platzabbau in den letzten Jahren geeignete Plätze für junge Menschen mit komplexen Bedarfen und anders als 2015 finden freie Träger kein Fachpersonal, um angemessen auf die Situation zu reagieren. Gemäß aktuellen Erhebungen herrscht in der Berufsgruppe der Sozialarbeit und Sozialpädagogik aktuell die größte Fachkräftelücke (s.  Institut der Deutschen Wirtschaft). Dies hat direkte negative Auswirkungen auch auf die Betreuungssituation geflüchteter junger Menschen. 

Eine Betreuung nach den Standards des SGB VIII und ein entsprechend gründliches Clearing sind Voraussetzungen für die folgende bedarfsgerechte Unterbringung, das Ankommen in Deutschland und die weitere Entwicklung der Kinder und Jugendlichen. In vielen Bundesländern jedoch sind die Jugendhilfeeinrichtungen bereits über der Belastungsgrenze. An einigen Orten werden aufgrund von Platzmangel Turnhallen und Zelte für die Unterbringung unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter hergerichtet. Junge Menschen werden in Großunterkünften ohne Privatsphäre und geeignete Schutzkonzepte untergebracht. Bundesweit wird zunehmend von den Standards abgewichen, die Wartezeiten bis zum Clearinggespräch gestalten sich oftmals lang. Träger der Jugendhilfe die bisher keinen pädagogischen Zugang zur Zielgruppe und entsprechend keine Expertise im Umgang mit unbegleiteten Kindern und Jugendlichen besitzen, werden mit der sensiblen Aufgabe betraut ein gelingendes Ankommen zu ermöglichen.

Geflüchtete Kinder und Jugendliche leben damit über einen längeren Zeitraum in desolaten und kindeswohlgefährdenden Umständen (Großunterkünfte, unzureichender Betreuungsschlüssel, fehlende 24h Betreuung, keine Beschulung, keine angemessene psychosoziale Versorgung), die ihnen nicht die Sicherheit und Unterstützung bieten, die sie brauchen und die ihnen zusteht. Die derzeitige Situation wird auch eine spätere Betreuung in der Kinder- und Jugendhilfe erheblich erschweren. Zudem sind sie unter diesen defizitären Unterstützungs- Unterbringungsstrukturen verstärkt Gefahren von Menschenhandel und Kriminalisierung ausgesetzt. 

Um die dringend benötigten Plätze in den Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, werden junge Menschen mit dem Erreichen des 18. Lebensjahres aus der Jugendhilfe und zum Teil in die Obdachlosigkeit entlassen, obwohl es einen Regelrechtsanspruch auf Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe bis mindestens zum 21 Lebensjahr gibt. Das ist aus Sicht des Minderjährigenschutzes verständlich, gleichzeitig werden hier gut begonnene Entwicklungen junger Menschen gefährdet, indem diese alleingelassen werden! 

Eine ähnliche Situation gab es in den Jahren 2015/2016, in den Folgejahren wurden Plätze rigoros abgebaut, obwohl zukünftige starke Fluchtbewegungen durchaus absehbar waren. 

Der BumF fordert:  

  • alleinreisende Kinder und Jugendliche müssen innerhalb der Standards des SGB VIII untergebracht werden,
  • es braucht eine Fachkräftekampagne, eine angemessene Bezahlung und Ausbildung, bessere Arbeitsbedingungen in der Kinder- und Jugendhilfe,
  • die Wohnungsmarktpolitik muss ausreichend Wohnungen für Care-Leaver*innen einplanen, so dass junge Menschen, die aus den Einrichtungen ausziehen, ihren bisher beschrittenen Weg fortsetzen können,
  • freie und öffentliche Träger der Jugendhilfe müssen miteinander Konzepte entwickeln, wie ausreichend Plätze vorgehalten werden, um auf größere Fluchtbewegungen und die Bedarfe aller jungen Menschen angemessen reagieren zu können. 

VG Bremen: Abschiebungsverbot Nigeria wegen PTBS und Verelendung

Das Verwaltungsgericht (VG) Bremen hat mit Urteil vom 05.09.2022 (4 K 1320/20) ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Nigerias bei einer Person festgestellt, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet.

Leitsätze:

1. Im Zuge der Corona-Pandemie wurde die nigerianische Wirtschaft schwer vom Verfall des Erdölpreises getroffen. Die wirtschaftliche Lage ist problematisch und die finanzielle Lage der breiten Bevölkerung schlecht. 40 Prozent der Bevölkerung leben in absoluter Armut.

2. Der an einer posttraumatischen Belastungsstörung [PTBS] und einer depressiven Symptomatik leidende Kläger ist derart in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert, dass es ihm nicht möglich sein wird, auf dem hart umkämpften Arbeitsmarkt Nigerias Fuß zu fassen. Die Fortsetzung der ärztlichen Behandlung und Therapie wären dem vermögenslosen Kläger im Falle einer Rückkehr nicht möglich, sodass eine Verschlechterung des Gesundheitszustands und damit einhergehend eine weitere Minderung der Erwerbsfähigkeit droht. Er würde bei einer Rückkehr nach Nigeria deshalb absehbar in eine Situation extremer materieller Not geraten.


VG Stuttgart: Keine Dublin-Überstellung wegen systemischer Mängel in Kroatien

Das Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart hat am 02.09.2022 (A 16 K 3603/22) einem Eilantrag in einem Dublin-Verfahren wegen systemischer Mängel in Kroatien stattgegeben.

Leitsätze:

1. Systemische Mängel des kroatischen Asylverfahrens ergeben sich daraus, dass Personen, die Kroatien verlassen und ihren Asylantrag zurückgezogen bzw. eine Zurückweisung erhalten haben – entgegen den Vorgaben der Dublin III-VO – bei ihrer Rückkehr als Folgeantragstellende behandelt werden. Das stellt einen Verstoß gegen Art. 18 Abs. 2 der Dublin-III-VO dar. Demnach müssen Antragstellende, die einen Antrag vor Entscheidung in der Sache in erster Instanz zurückgezogen haben, berechtigt sein, den Abschluss des Verfahrens zu beantragen oder die Möglichkeit erhalten, einen neuen Antrag zu stellen, der nicht als Folgeantrag behandelt wird. Durch die Behandlung als Folgeantragstellende besteht die Gefahr, dass Rückehrende keinen Schutz vor Zurückweisung („Refoulement“, Art. 33 Abs. 1 GFK) erhalten, sondern ohne Anhörung und wesentliche Verfahrensgarantien aus Kroatien abgeschoben werden.

2. Anhaltspunkte für systemische Mängel des kroatischen Asylverfahrens bestehen auch aufgrund der gehäuften Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang mit sogenannten „Push-Backs“, d.h. dem gewaltsamen Abdrängen von Asylsuchenden über die kroatische EU-Außengrenze nach Serbien oder Bosnien-Herzegowina, sowie aufgrund der Hinweise auf Kettenabschiebungen aus anderen Dublin-Mitgliedstaaten dorthin.

Bereits das VG Freiburg hatte im Juli 2022 einem Eilverfahren stattgegeben.


Abschiebestopp Chancenaufenthaltsrecht

Menschen, die unter das voraussichtlich im Dezember 2022 in Kraft tretende „Chancenaufenthaltsrecht“ (§ 104c AufenthG) fallen werden, sind nun auch in Baden-Württemberg vor Abschiebung geschützt. Darauf hat sich die Landesregierung am 11.10.2022 nach langem Zögern geeinigt.

Der Gesetzesentwurf zum „Chancenaufenthaltsrecht“ sieht unter anderem vor, dass Geduldete, die am 1. Januar 2022 seit mindestens fünf Jahren in Deutschland gelebt haben, eine einjährige Aufenthaltserlaubnis auf Probe beantragen können, um in dieser Zeit die übrigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen. Es gibt nur noch wenige weitere Voraussetzungen und Ausschlussgründe.

Während Bundesländer wie Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz bereits seit Monaten Abschiebungen betroffener Personen ausgesetzt hatten, reagiert Baden-Württemberg reichlich spät. So wurden etliche Kandidat*innen für das Chancenaufenthaltsrecht in den vergangenen Monaten noch abgeschoben (siehe Pressemitteilung vom 12.09.2022). Inzwischen hat das Justizministerium das Regierungspräsidium Karlsruhe angewiesen, betreffende Abschiebungen auszusetzen. Eine offizielle Mitteilung gibt es allerdings noch nicht.


Gesetzeslücke endlich schließen: Menschen in Abschiebehaft brauchen einen Pflichtanwalt!

Mehr als 50 Organisationen fordern den Bundestag sowie die Bundesminister*innen Nancy Faeser, Dr. Marco Buschmann und Lisa Paus auf, Menschen, die sich in Abschiebehaft befinden, Anwält*innen zur Seite zu stellen und das gesetzlich vorzuschreiben. Dass dies bislang nicht verpflichtend ist, sei „eines Rechtsstaates unwürdig“, so die Unterzeichner eines Positionspapiers.

Immer wieder landen in Deutschland Menschen in Abschiebehaft und werden somit ihrer Freiheit beraubt, ohne dass sie sich dagegen wehren können. Mehr als fünfzig Organisationen aus dem gesamten Bundesgebiet kritisieren diese Praxis in einem Positionspapier scharf. Sie fordern das Bundesinnenministerium, das Bundesjustizministerium, das Bundesfamilienministerium sowie Mitglieder ausgewählter Bundestagsausschüsse auf, analog zur Pflichtverteidigung im Strafprozess auch eine Pflichtbeiordnung von Anwält*innen in Verfahren zur Anordnung von Abschiebungshaft gesetzlich einzuführen. Eine entsprechende Möglichkeit bietet das angekündigte neue Gesetzespaket zum Migrationsrecht.

Die Organisationen begründen ihre Forderung damit, dass es in der Abschiebungshaft immer wieder zu schwerwiegenden Verfahrensfehlern kommt, die meist erst durch anwaltliche Unterstützung korrigiert werden können. Die Betroffenen kennen sich mit dem in Deutschland geltenden Rechtssystem nicht hinreichend aus, um sich wirksam gegen die Anordnung oder Verlängerung der Haft wehren zu können. „Gegenüber der die Haft beantragenden Behörde sind die Betroffenen somit offensichtlich in einer unterlegenen Position“, heißt es in dem Papier. „Ohne eine anwaltliche Vertretung sehen sie sich hilflos einem Verfahren ausgesetzt, das sie nicht verstehen und deshalb auch nicht beeinflussen können, als dessen Ergebnis die Menschen aber ihre Freiheit verlieren. (…) Gefangene, die eine*n Anwält*in nicht bezahlen können, sind somit nicht in der Lage, ihre Rechte effektiv wahrzunehmen.* Das ist eines Rechtsstaats nicht würdig und sollte unbedingt geändert werden.“

Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem Pro Asyl, Amnesty International, Diakonie, Caritas, Jesuiten-Flüchtlingsdienst, terre des hommes, der Deutsche Anwaltverein, der Republikanische Anwaltverein und die Neue Richtervereinigung.

Menschen können inhaftiert werden, ohne dass sie eine Straftat begangen haben

In der Abschiebungshaft kann einer Person die Freiheit entzogen werden, ohne dass sie eine Straftat begangen hat. Die Haft sichert lediglich die Abschiebung, also den Vollzug einer gesetzlichen Ausreisepflicht. Abschiebungshaft löst großes Leid aus: Je länger die Menschen sich in einem solchen Gewahrsam befinden, umso größer wird der seelische und körperliche Schaden. Sind Kinder involviert, weil etwa der Vater oder die Mutter in Abschiebungshaft genommen wurde, kann dies zudem langfristige Folgen für das körperliche und seelische Wohl der Kinder bedeuten. Auch werden immer wieder Minderjährige rechtswidrig inhaftiert, weil Alterseinschätzungen nicht gewissenhaft vorgenommen werden und in Folge fehlerhaft sind.

Mit diesem Freiheitsentzug wird also massiv in die Grundrechte der betroffenen Person eingegriffen. In unserem Rechtsstaat werden deshalb an einen Haftbeschluss hohe formale und inhaltliche Anforderungen gestellt. Diesen Anforderungen wird die Praxis in der Abschiebungshaft häufig nicht gerecht. wodruch rechtsstaatliche Grundsätze ihre generelle Gültigkeit zu verlieren drohen. Eine Ursache dafür ist, dass Betroffene, die oftmals mittellos sind und denen es an System- und Sprachkenntnissen fehlt, ohne professionellen Beistand vor Gericht keine Chance haben, ihre Grundrechte zu verteidigen. „Die Freiheitsentziehung stellt das schärfste Schwert unseres Rechtssystems dar“, fassen die Unterzeichner zusammen. Um den Rechtsstaat durchzusetzen und das Leid der Betroffenen zu mindern, braucht es deshalb eine Pflichtbeiordnung von Anwält*innen.

Hintergrund:

*Mittellose Gefangene können zwar beantragen, dass der Staat ihre Anwaltskosten übernimmt (sogenannte Verfahrenskostenhilfe). Eine solche Verfahrenskostenhilfe wird aber nur dann gewährt, wenn der Antrag oder die Beschwerde nach Ansicht des Gerichts Aussicht auf Erfolg hat. Das heißt, ein*e Anwält*in muss erst einmal detaillierte Begründungen schreiben, ohne sicher sein zu können, jemals hierfür bezahlt zu werden. Das Nachsehen haben demnach Abschiebehäftlinge mit bescheidenen finanziellen Mitteln.

Rechtsanwalt Peter Fahlbusch aus Hannover spricht über die fatalen Fehler, die in der Abschiebehaft geschehen, im Interview mit Pro Asyl sowie im Podcast (Folge 3) .

Zum Positionspapier geht es hier.


Diskriminierungsbericht: Rom*nja und Sinti*zze in Südbaden

Das Freiburger Roma-Büro hat im September einen neuen Bericht zur Situation der Rom*nja und Sinti*zze in Freiburg und Umland veröffentlicht. Darin enthalten sind Diskriminierungserfahrungen von Rom*nja und Sinti*zze, sowie Reflexionen auf das Zusammenleben von Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten und der Kommunikation zwischen diesen.

Anhand einer Fallsammlung vom Frühjahr 2021 bis Juni 2022 in Freiburg und Südbaden beschäftigt sich der Bericht mit Ungleichbehandlung und Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze. Der Bericht berührt Themen wie Assimilierungs- und Ausbeutungsdruck, sowie gesellschaftliche Solidarität.

Die Verfasser*innen des Berichts fordern gesellschaftliche Teilhabe als gleichberechtigte Staatsbürger*innen und als bundesweite sowie europäische Minderheit. Zudem fordern sie die Anerkennung des Völkermords mitsamt seiner Vorgeschichte und seiner Auswirkungen bis heute.



Jahrestag Alarm Phone: 8 Jahre Kampf!

Vor acht Jahren, am 11.Oktober 2014 starteten wir das Alarm Phone, eine Hotline für Menschen in Seenot. Wir wählten diesen Tag, als Jahrestags der Katastrophe, die sich am 11.Oktober 2013 ereignet hatte, als italienische und maltesische Behörden die Rettung eines sinkenden Bootes verzögerten. Aufgrund dieser Verzögerung starben über 200 Menschen.

In den letzten acht Jahren sind unsere Schicht-Teams 24/7 erreichbar und haben über 5.000 Boote in Seenot, entlang der unterschiedlichen maritimen Routen nach Europa – dem Mittelmeer, dem Atlantik zu den Kanarischen Inseln und seit 2022 auch im Ärmelkanal von Frankreich nach Großbritannien – unterstützt. Manche dieser 5.000 Boote hatten nur fünf oder zehn Menschen an Bord, die meisten zwischen 30 und 80 Personen, aber auch häufig über 100 Menschen, gelegentlich waren es sogar über 500 Menschen auf der Flucht.

Am Telefon wurden wir Zeug*innen wie tausende Menschen verschwanden und ertranken. Wir haben einigen ihrer Verwandten und Freund*innen auf ihrer verzweifelten Suche nach ihren Angehörigen, auf ihrer Suche nach Antworten zugehört. Wir haben auch gewaltvolle Pushbacks und die tödlichen Folgen des Zurücklassen miterlebt, und wie viele derer die uns anriefen, auf See gefangen genommen und zwangsweise an Orte zurückgebracht wurden, denen sie entkommen wollten.

Zugleich haben wir unzählige Momente der Freude, des Widerstandes und der Solidarität erlebt, mit Menschen, die Europa lebend erreichten oder gerade rechtzeitig gerettet wurden. Wir haben miterlebt, wie Menschen auf der Flucht sich kollektiv organisieren, um die EU-Grenzen zu unterwandern und wie sie auf ihren Reisen Unterstützungsstrukturen aufbauen. Und wir waren Teil eines wachsenden Netzwerks der Solidarität, von der zivilen Flotte und zivilen Flugzeugen, die die Meere und den Himmel durchstreifen, einigen Besatzungen von Handelsschiffen, bis hin zu Graswurzelbewegungen, die zusammengekommen sind, um der Grenzgewalt entgegenzuwirken.

Im westlichen Mittelmeer zwischen Marokko und Spanien können wir immer noch einige  proaktive Rettungseinsätze der spanische Küstenwache Salvamento Maritimo sehen, oft entlang der Route zu den Kanaren. Allerdings finanzieren Spanien und die gesamte EU Marokko weiterhin, um Europas Türsteher zu spielen. Als Konsequenz haben wir furchtbare Grenzgewalt in dieser Region gesehen, wie kürzlich bei Melilla bewiesen wurde. Am 24 Juni 2022 wurden mindestens 40 Menschen in einem rassistischen Massaker am Zaun der spanischen Enklave getötet – eine unerträgliche Szene neo-kolonialer Gewalt, die von marokkanischen Streitkräften ausgeführt, aber von EU Migrations- und Grenzpolitiken unterzeichnet wurde. Sie gehören zu den Tausenden die Schätzungen zufolge jedes Jahr an Spaniens Grenzen ihr Leben verlieren, vor allem entlang der Atlantikroute.

Der Krieg gegen Menschen auf der Flucht ist auch in der Ägäis und der Landgrenze zwischen der Türkei und Griechenland täglich Realität. Sowohl die griechische als auch die türkische Regierung nutzen Menschen auf der Flucht als Spielfiguren in ihren militärischen und nationalistischen Machtspielen. Während griechische Pushbacks seit langer Zeit passieren, wurden sie ab März 2020 systematisch. Sogar Menschen, die bereits auf griechische Inseln gelangt sind, werden auf kleine Rettungsinseln gezwungen und in türkischen Gewässern zurückgelassen. Wir müssen sie als das benennen, was sie sind: Beispiele versuchten Mordes. Diese Grenzverbrechen sind nun Routine in der Ägäis und der Region Evros. Im März war die 5-jährige Maria unter denjenigen, die ihr Leben durch dieses Pushback Regime verloren haben.

Im zentralen Mittelmeer wurde ein Pull- und Pushback Regime installiert, nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit zwischen Frontex Drohnen und EU-Flugzeugen mit der sogenannten libyschen Küstenwache. Da Einsatzfahrzeuge der zivilen Flotte oft in dieser Grenzzone anwesend sind, konnte vielen Fälle von unterlassener Hilfeleistung nicht-Unterstützung und Abfangaktionen entgegengewirkt werden, Menschen gerettet und Grenzverbrechen dokumentiert und öffentlich angeprangert werden. Nichtsdestotrotz bleibt die zentrale Mittelmeerroute eine der tödlichsten in der Welt, auch weil EU-Mitgliedstaaten weiterhin Boote in Seenot wissentlich in den gefährlichsten Zonen vor den libyschen und tunesischen Küsten zurücklassen.

Eine steigende Anzahl derer die die Überquerungen des Meeres in die EU überlebt haben müssen erneut unsolide Boote nutzen, wenn sie versuchen Großbritannien zu erreichen. Die Ankünfte auf der anderen Seite des Ärmelkanals haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen. In Anbetracht dessen haben wir 2022 beschlossen die Ärmelkanal Route in die Arbeit des Alarm Phone’s zu integrieren. Unser WatchTheChannel Team hat Recherchen angestellt und gemeinsam mit anderen lokalen Netzwerken in Frankreich und Großbritannien einen Alarmplan vorbereitet.

Alle maritimen Routen sind und bleiben politisch umkämpfte Räume. Menschen auf der Flucht üben ihre Bewegungsfreiheit aus, während wir als Alarm Phone Netzwerk versuchen Solidarität entlang der unterschiedlichen Routen zu stärken. Migrantische Bewegungen und die Beharrlichkeit von Menschen auf der Flucht bleiben die treibende Kraft im Kampf gegen europäische und globale Apartheid Regime. Tausende autonome Ankünfte fordern das Schließen und die Externalisierung der EU-Grenzen heraus. Gleichzeitig gehen selbstorganisierte Kämpfe für Bleiberecht und gegen rassistische Ausbeutung innerhalb der EU weiter. Verwandte und Freund*innen der Verschwundenen und Toten organisieren weiterhin CommemorActions um ihrer Angehörigen zu Gedenken und nach ihnen zu suchen, und um gegen die Grenzgewalt zu protestieren, die sie verschwinden liess oder tötete.

WIR HABEN ACHT JAHRE LANG GEKÄMPFT.
WIR WERDEN WEITER MACHEN.
WIR WERDEN NIEMALS AUFGEBEN.

Abschiebestopp Iran – auch in Baden-Württemberg!

Bereits am 06. Oktober 2022 hatten PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte in einer gemeinsamen Pressemitteilung einen sofortigen Stopp aller Abschiebungen in den Iran gefordert. Angesichts der eskalierenden Gewalt, mit der das iranische Regime auf die sich im Land ausbreitenden Aufstände reagiert, ist das eine humanitäre Notwendigkeit. Am selben Tag noch hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Bundesländer dazu angehalten, Abschiebungen in den Iran zu unterbinden. Während einige Bundesländer dieser Aufforderung rasch nachkamen, versteckt sich die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges weiterhin hinter Formalitäten.

Seit dem Tod der 22-jährigen Jîna (Mahsa) Amînî, die am 13. September verhaftet wurde, weil sie ihr Kopftuch nicht ordentlich getragen haben soll, breiten sich ausgehend von ihrer Heimatstadt Saqqez in vielen Teilen des Irans und Ostkurdistans Proteste gegen das unterdrückerische Ajatollah-Regime aus. Das iranische Regime reagiert mit brutaler Gewalt auf die Demonstrierenden. Seit Beginn der Aufstände wurden bereits Hunderte Menschen ermordet sowie Tausende Protestierende verschleppt und inhaftiert. In diesem Kontext hatten PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte in einer gemeinsamen Pressemitteilung vom 06. Oktober einen bundesweiten Abschiebestopp für den Iran gefordert. Niemand darf dem menschenunwürdigen Regime im Iran durch eine Abschiebung ausgeliefert werden. Dass eine solche Entscheidung notwendig ist, zeigte sich kürzlich in Bayern, wo eine Iranerin vergangene Woche nur knapp einer Abschiebung entkam.

Am 06. Oktober forderte Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Bundesländer per Twitter dazu auf, Abschiebungen in den Iran zu stoppen. Indem die Bundesinnenministerin selbst keine bundesweite Initiative ergriff und die Entscheidung an die Länder delegierte, entledigte sie sich ihrer Verantwortung und nimmt damit in Kauf, dass aus Teilen Deutschlands weiterhin in den Iran abgeschoben werden könnte. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass die Bundesländer selbst aktiv werden. Doch die Reaktionen der politisch Verantwortlichen in Baden-Württemberg fallen bislang äußerst verhalten aus. Man warte auf eine Lagebeurteilung durch das Auswärtige Amt (AA), ohne diese die Grundlage für einen etwaigen Abschiebestopp fehle, verkündete die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges am 07.10. Während Sachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und sogar Bayern bereits am 07. Oktober einen landesweiten Abschiebestopp verkündet haben, versteckt sich die baden-württembergische Justizministerin hinter Formalitäten. Tatsächlich bildet das Fehlen eines aktualisierten Lageberichts kein Hindernis bei der Einführung eines Abschiebestopps. Selbst wenn es keine Einschätzung der Lage durch das AA gibt, können die Länder Ermessen ausüben und ihre Behörden anweisen, nicht abzuschieben. Offen bleibt also die Frage, wieso in Baden-Württemberg nicht dieselbe Rechtsgrundlage wie in anderen Bundesländern herangezogen wird, um Menschen vor einer Abschiebung in den Iran zu schützen. „Es ist einfach traurig immer wieder beobachten zu müssen, dass der fehlende politische Wille der baden-württembergischen Landesregierung faktisch zur Gefährdung von Menschenleben führt“, kommentiert Anja Bartel vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg.

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg fordert das Land Baden-Württemberg dazu auf, schnellstmöglich einen Abschiebestopp für den Iran zu verhängen und damit in Baden-Württemberg lebenden Iraner*innen die Angst zu nehmen, dem iranischen Gewaltregime ausgeliefert zu werden. 


VG Freiburg: Keine Dublin-Überstellung nach Kroatien

Das Verwaltungsgericht (VG) Freiburg hat am 26.07.2022 (A 1 K 1805/22) einem Eilantrag in einem Dublin-Verfahren stattgegeben. „Es ist ernsthaft zu befürchten, dass (auch) Antragsteller, die von Deutschland aus im Rahmen des Dublin-Systems nach Kroatien überstellt werden, von dort aus ohne Durchführung eines Asylverfahrens nach Bosnien-Herzegowina bzw. nach Serbien abgeschoben werden (Anschluss an VG Braunschweig, Urteil vom 24.05.2022 – 2 A 26/22 – [asyl.net: M30527]).“


Linksammlung und Informationen: Flucht aus Russland

Seit der Verkündung einer Teilmobilisierung in Russland verlassen immer mehr Menschen aus Angst vor dem Kriegsdienst und staatlicher Repression das Land. Hilfreiche Informationen und Hinweise für Betroffene werden im Folgenden aufgelistet.

Allgemeine Informationen

  • Connection e.V. bietet Telefon- und Mailberatung für Fragen von betroffenen Kriegsdienstverweigerern und Deserteueren in Russisch, Englisch und Deutsch an. Darüber hinaus befinden sich auf der Homepage aktuelle Informationen für Kriegsdienstverweigerer aus Russland, Belarus und Ukraine.
  • Pro Asyl informiert umfassend und aktuell zu den politischen und rechtlichen Entwicklungen.

Einreise

  • Russische Staatsbürger*innen benötigen für die legale Einreise nach Deutschland ein Visum. Verschiedene deutsche Botschaften außerhalb Russlands nehmen Visaanträge entgegen, obwohl die Betroffenen in diesen Ländern nicht ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (z.B. Armenien und Georgien). Es gibt Visa für kurzfristige (Schengenvisum) und für langfristige Aufenthalte etwa für akademisch qualifizierte oder beruflich qualifizierte Fachkräfte (Informationen dazu hier und hier).
  • Die Europäische Kommission hat die Visa-Erleichterungen für russische Staatsbürger*innen aufgehoben und entwickelte Leitlinien für strikteres Vorgehen.
  • Der Mediendienst Integration informiert zur aktuellen Einreise-Situation in die EU.

  • Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat ein Gutachten veröffentlicht, in dem er ein pauschales Einreiseverbot für russische Staatsbürger*innen rechtlich für nicht zulässig hält.

Arbeit

  • Die Bundesregierung stellt für Arbeitgeber*innen die wichtigsten Informationen für die Gewinnung und Beschäftigung russischer Fachkräfte in Deutschland zusammen.

  • Für akadamisch ausgebildete Personen stellt die Datenbank von anabin Informationen zur Bewertung ausländischer Bildungsnachweise bereit.