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Online-Tagung: Menschenrechte im Mittleren Osten – Postmigrantische Rollenwechsel hier

Wieso müssen Menschen aus ihrer Heimat im Mittleren Osten fliehen? Wie gelingt Flüchtlingsschutz in einem Europa, das Grenzen schließt und in dem der Rassismus wieder gesellschaftsfähig wird? Vor welchen Herausforderungen stehen Geflüchtete im neuen Land? Und was können migrantische und nichtmigrantische Initiativen und Verbände GEMEINSAM unternehmen, damit geflüchtete Menschen hier einen guten Ort und ein gutes Leben finden? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der beiden Online-Abendveranstaltungen im Rahmen der digitalen Tagung der Evangelischen Akademie Bad Boll, bei der unter anderem der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg Kooperationspartner ist.

Programm und Anmeldung über die Website der Ev. Akademie Bad Boll


Familientrennung durch Abschiebung

Ende Oktober 2022 kam es in Baden-Württemberg bei einer Abschiebung nach Georgien zur Trennung einer Familie. Während die Polizei Mutter und Kinder im Alter von drei, fünf und sechs Jahren am frühen Morgen aus ihrer Unterkunft abgeholt hatte, wurde der Vater der Familie in Deutschland zurückgelassen.
Gegen fünf Uhr morgens drang die Polizei am 17.10.2022 in die Unterkunft der fünfköpfigen georgischen Familie in Baden-Württemberg ein, deren Asylantrag zu Beginn des Jahres endgültig abgelehnt worden war. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich Mutter und Kinder allein in der Unterkunft. Laut Berichten der Familie flehte die Mutter die Polizist*innen an, sie mögen mit der Abschiebung warten, bis ihr Ehemann zurückgekehrt sei. Die Beamten hätten ihr allerdings ihr Mobiltelefon abgenommen, so dass sie über keine Möglichkeit verfügte, diesen zu kontaktieren. Die Abschiebung der Mutter und Kinder sei in großer Hektik durchgeführt worden. In Georgien angekommen seien sie völlig mittellos sich selbst überlassen worden. Der Ehemann, der die gemeinsame Unterkunft bei seiner Rückkehr leer vorgefunden hatte, ist inzwischen „freiwillig“ nach Georgien ausgereist. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg verurteilt diese Abschiebepraxis aufs Schärfste. „Offensichtlich sind der Landesregierung Abschiebungen wichtiger als der Schutz der betroffenen Familien und Kinder. Ich bin immer wieder schockiert davon, welche menschlichen Tragödien in Kauf genommen werden, um die Abschiebezahlen zu steigern“, kommentiert Anja Bartel vom Flüchtlingsrat. Dass es im Vorfeld von Abschiebungen zur Beschlagnahmung von Handys kommt, hat der Flüchtlingsrat schon häufiger beobachtet. Dies sabotiert nicht nur die Möglichkeit der Betroffenen, einen Rechtsbeistand zu kontaktieren, sondern erschwert ihnen auch nach der Ankunft im Herkunftsland die Kontaktaufnahme zu Unterstützer*innen.
Grundsätzlich sind durch Abschiebung herbeigeführte Familientrennungen in Baden-Württemberg legal. Laut der baden-württembergischen Leitlinien zur Abschiebepraxis im Land sollen bei drohenden Familientrennungen allerdings die Grundsätze des Artikels 6 des Grundgesetzes zum besonderen Schutz der Familie sowie des Artikels 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention zum Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens berücksichtigt werden. „Dabei ist grundsätzlich fragwürdig, inwiefern sich diese Grundsätze überhaupt mit Familientrennungen vereinbaren lassen“, kommentiert Meike Olszak vom Flüchtlingsrat. Der Flüchtlingsrat fordert eine
grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem migrationspolitischen Instrument der Abschiebungen. Zahlreiche Studien haben die drastischen Auswirkungen, die Abschiebungen für Betroffene haben, zur Genüge untersucht. Insbesondere bei Kindern und Jugendliche hinterlässt diese menschenfeindliche Praxis langfristig Spuren.


Umfassende Analyse des Asylbewerberleistungsgesetzes

Seit 2015 werden Kürzungen im Asylbewerberleistungsrecht oft damit begründet, dass die Leistungesbezieher*innen geringere Bedarfe in ihrem Leben hätten als andere Menschen. Diese Annahme ist eine Behauptung, für die es keine Daten gibt, und dafür aber erhebliche Zweifel. Die Analyse schlüsselt die fehlenden und unzureichenden Begründungen auf und identifiziert sogar Mehrbedarfe statt geringere Bedarfe. Konkret geht es um Personen, die z.B. als Asylsuchende und Geduldete Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten.

Die Analyse basiert auf einer Stellungnahme, die für ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingeholt wurde. Hierüber hat das BVerfG inzwischen im Sinne der Leistungsbezieher*innen entschieden. Bevor die „Bedarfsposten“, aus denen sich die Regelsätze zusammensetzen, detailliert analysiert werden, ordnet der Autor das AsylbLG historisch ein mit Schwerpunkt auf den Gesetzesänderungen seit 2015.



Pforzheim: Theaterprojekt Lampedusa Trilogie

Auf Initiative des Lore Perls Hauses (für seelische Gesundheit) Pforzheim und Unterstützung durch das Kulturhaus Osterfeld versammeln sich Künstler, Autoren, Schauspieler*innen, Bürger*innen der Stadt für dieses Theaterprojekt.
Zehn Jahre sind seit dem berühmten Brief der Bürgermeisterin Lampedusas Giusi Nicolini an die europäischen Staatschefs vergangen und ihre Worte: „Ich bin über die Gleichgültigkeit entrüstet, die alle angesteckt zu haben scheint. Ich bin entrüstet über das Schweigen Europas, das gerade den Friedensnobelpreis erhalten hat, und nichts sagt, obwohl hier die Zahl der Toten daran glauben lässt, es wäre Krieg.“ sind aktueller denn je und Anlass für diese Inszenierung.
Sein 2014 geschriebenes und 2016 uraufgeführtes Stück „Die Bürgermeisterin Lampedusas“ erweiterte der Neuenbürger Autor und Psychologe Dietrich Wagner um zwei weitere dramatische Texte. „Napoleon der Fünfte“ liefert die Innenansicht eines Staatsdieners, der sich an der Erkenntnis abarbeitet, dass die „Geschichte mit toten Gäulen ins Ziel reitet“. Er stellt, beunruhigt durch zu viele Siege, den Sinn politischen Handelns in Frage. Im letzten Teil der Trilogie mit dem Titel „Die Revolutionäre“ lässt Wagner die beiden Spieler*innen aus Teil 1 und Teil 2 aufeinandertreffen und nach politischen Alternativen ringen. Durch alle drei Teile zieht sich wie ein roter Faden die Frage nach der persönlichen Verantwortung des Einzelnen. In der Regie von Hannes Hametner wird dieses Triptychon zu einem Spiel mit den Möglichkeiten des Theaters. Neben der Arbeit mit den Schauspieler*innen führte er in einem wochenlangen Workshop für diese Arbeit einen Chor von Bürger*innen aus Pforzheim und des Enzkreises zusammen und entwickelte mit Ihnen ihren Ausdruck für die Inszenierung.
Im Anschluss an die jeweilige Vorstellung (gegen 21 Uhr) findet ein Publikumsgespräch mit Autor, Regisseur, Schauspieler*innen und Vertreter*innen aus Politik, Kultur und der Zivilgesellschaft statt.

Mit: Friederike Pöschel, Lutz Wessel und Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Pforzheim und des Enzkreises. Text: Dietrich Wagner, Regie/Raum: Hannes Hametner, Regieassistenz: Selda Falke, Kostüme: Mareile von Stritzky

Premiere am 14.12.2022 19 Uhr
zweite Vorstellung am 15.12. 2022 19 Uhr
im Kulturhaus Osterfeld, Pforzheim


Online-Workshop: Who profits from the Chancen-Aufenthaltsrecht?

Under the Chancen-Aufenthaltsrechts people with a Duldung who have lived in Germany for five years are granted a temporary residence permit. The law offers a perspective for many refugees in Duldung. But there are still quite some obstacles to overcome in order to obtain a long-term right of residence. We will look into the criteria for the Chancen-Aufenthaltsrecht, possible pitfalls and practical tips. There will be enough room for questions.

Prerequisites: You live in Baden-Württemberg. You have a mobile phone / laptop / tablet with good internet. You need a microphone. Your phone/ laptop / tablet must be able to play music.

The workshop is primarily aimed at refugees and will be held in English. No registration is necessary. We meet on Zoom.

Speaker: Maren Schulz (Refugee Council Baden-Württemberg)

If you have any questions, please contact us through: info@fluechtlingsrat-bw.de

The workshop takes place within the framework of the project „Active for Refugees“ from the Refugee Council Baden-Württemberg. This project is supported by the Ministry of Justice and Migration with state funds approved by the Baden-Württemberg state parliament.


Online-Seminar: 1,5 Jahre auf Bewährung? – Das neue Chancenaufenthaltsrecht

Mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht will die Bundesregierung Ausländer*innen, die sich seit langem in Deutschland aufhalten, eine Bleibeperspektive ermöglichen. In dem Online-Seminar werden die Voraussetzungen des Chancenaufenthaltsrechts vorgestellt, mögliche Fallstricke benannt und praktische Tipps gegeben, wie die Chance im Einzelfall möglichst effektiv genutzt werden kann. Dabei besteht auch Raum für Fragen und Austausch.

Referent: Sebastian Röder, Mitarbeiter des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg

Die Veranstaltung richtet sich in erster Linie an ehrenamtlich Engagierte in der Geflüchtetenarbeit. Sie wird mit Zoom durchgeführt und ist kostenlos. Hinweise zum Datenschutz finden Sie hier. Die Teilnahme am Online-Seminar erfolgt am PC. Sie benötigen dazu einen gängigen Internetbrowser, eine stabile Internetverbindung und einen Kopfhörer bzw. Lautsprecher.

Sie erhalten die Zugangsdaten spätestens am Tag vor der Veranstaltung. Bitte beachten Sie: Für die Teilnahme an kostenlosen Online-Seminaren stellen wir keine Teilnahmebestätigungen aus. Von entsprechenden Anfragen bitten wir abzusehen.

AKTUELLER HINWEIS: Es ist keine Anmeldung zur Veranstaltung mehr möglich.

Die Veranstaltung findet im Rahmen des Projekts „Aktiv für Flüchtlinge“ statt, unterstützt durch das Ministerium der Justiz und für Migration aus Landesmitteln, die der Landtag Baden-Württemberg beschlossen hat.


PRO ASYL: Schluss mit der Hetze gegen Flüchtlinge

Im Vorfeld der letzten Konferenz der deutschen Innenminister*innen (IMK) vom 30.11. bis 2.12.2022 hat PRO ASYL die Tendenzen kritisiert, unterschiedliche Flüchtlingsgruppen gegeneinander auszuspielen. Eine Unterscheidung in „gute Flüchtlinge“ aus der Ukraine und „schlechte Flüchtlinge“ aus anderen Ländern ignoriert die Leiden vieler Schutzsuchender und fördert Ängste, Ressentiments und Alarmismus in der Gesellschaft. Auch an den europäischen Außengrenzen müssen demokratische und humanitäre Werte verteidigt und sichere Fluchtwege geschaffen werden.

„Menschen müssen ungeachtet ihrer Nationalität, Herkunft oder Religion gleich behandelt werden. Wir warnen entschieden davor, Stimmung gegen Geflüchtete zu machen und so Vorbehalte und Rassismus zu stärken. Wer von ,illegaler Migration‘ spricht oder sich weigert, nicht-ukrainische Geflüchtete aufzunehmen, gefährdet auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Vor 30 Jahren mussten wir erleben, wie rassistische Hetze und eine alarmistische Diskussion über das Recht auf Asyl zu zahllosen Brandanschlägen führte“, sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL.

PRO ASYL appelliert dringend an die Bundesländer, gerade jetzt die Werte der deutschen Verfassung zu verteidigen und fordert Ministerpräsident*innen und Kommunen auf, sich nicht gegen die Aufnahme von nicht-ukrainischen Schutzsuchenden zu stellen. Auch Landes- und Bundespolitiker*innen müssen ihrer Verantwortung gerecht werden, rechtsstaatliche Prinzipien einhalten und deutlich gegen Hetze gegen Schutzsuchende protestieren, statt sie zu befeuern.

Gefährdete in Afghanistan nicht vergessen

Doch Baden-Württembergs Migrationsministerin Marion Gentges zum Beispiel will ihr Bundesland nicht am kürzlich veröffentlichten Bundesaufnahmeprogramm für gefährdete Afghan*innen beteiligen mit der Begründung, es seien bereits Hundertausende von Geflüchteten aus der Ukraine aufgenommen worden. PRO ASYL erwartet von den Bundesländern das Gegenteil solcher Aussagen: Die Bundesländer müssen zusätzlich zum Bundesaufnahmeprogramm eigene Landesaufnahmeprogramme starten. Dabei geht es besonders um Frauen, Männer und Kinder, die bereits Familienangehörige in Deutschland haben, aber die hohen Voraussetzungen für den Familiennachzug nicht erfüllen: Zum Beispiel gerade volljährig gewordene Kinder, eine alleinstehende erwachsene Schwester oder alte Eltern, die wegen ihrer familiären Kontakte in „den Westen“ hochgradig gefährdet sind.

„Auch das Bundesaufnahmeprogramm für gefährdete Afghan*innen selbst hat viele Mängel. Ein gravierender Fehler ist, dass Menschen, die in Nachbarländer geflohen sind, sich nicht für das Programm bewerben dürfen, obwohl sie auch dort noch in Gefahr sind. Das Programm muss für sie geöffnet werden. Zudem ist das ganze Verfahren intransparent und zu kompliziert“, sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL.

Es braucht sichere Fluchtwege

Doch Äußerungen wie die von Bundesinnenministerin Nancy Faeser zu Unterscheidungen von Flüchtlingsgruppen und angeblicher illegaler Einreise sowie von CDU-Chef Friedrich Merz zum angeblichen Pullfaktor des derzeit diskutierten Chancenaufenthaltsrechts hingegen schüren Ängste und Alarmismus und befördern einen Rechtsruck in der Gesellschaft.

Die Politik der Abschottung an den Außengrenzen Europas ist gescheitert: Sie brachte keine geregelte Einreise, dafür aber extremes Leid bis hin zu Tausenden von Toten. Die EU muss legale Fluchtwege schaffen, um das Leid und das Sterben von Hundertausenden Flüchtlingen zu beenden. Dafür müssen sich sowohl die deutschen Innenminister*innen als auch die Bundesregierung einsetzen. Nur so kann die europäische Gemeinschaft ihre demokratischen und humanitären Werte bewahren und ihrer transnationalen Verantwortung gerecht werden.

Sichere Fluchtwege führen auch dazu, dass die Europäische Union nicht unter Druck gesetzt werden kann, wenn zum Beispiel der belarussische Diktator Lukaschenko mit Visaerleichterungen eine neue Fluchtroute nach Europa ermöglicht. „Wer sich nicht instrumentalisieren oder unter Druck setzen lassen möchte, richtet sichere Fluchtwege ein und schafft Mauern, wie sie zum Beispiel gerade in Polen gebaut wurden, ab, die nur zu mehr Leid und Todesfällen führen“, sagt Alaows.

Diese und weitere Forderungen hat PRO ASYL veröffentlihct und an die IMK-Konferenz gesandt.
Der darin geforderte Abschiebestopp in den Iran wurde bereits gestern im Vorfeld der IMK beschlossen, PRO ASYL begrüßt dies. Ebenso müssen endlich Abschiebungen von Geflüchteten ausgesetzt werden, die vom geplanten Chancenaufenthaltsrecht profitieren werden.

Bundesverfassungsgericht: Leistungskürzungen für Geflüchtete verfassungswidrig

Flüchtlingsrat fordert vollständige Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes

Seit 2019 werden die Leistungen für alleinstehende und alleinerziehende Asylsuchende und Geduldete in Sammelunterkünften um zehn Prozent gekürzt. Begründet wird diese Kürzung damit, dass die Betroffenen als „Schicksalsgemeinschaft“ wie Ehepartner*innen „aus einem Topf“ zusammen wirtschaften und dadurch Geld sparen würden (Bundestagsdrucksache 19/10052 S. 24). Nun hat das Bundesverfassungsgericht entschieden: Diese Praxis ist verfassungswidrig!

In seinem aktuellen Urteil stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass weder im Gesetzgebungsverfahren noch im verfassungsrechtlichen Verfahren hinreichend tragfähig dargelegt wurde, dass durch gemeinsames Wirtschaften in Sammelunterkünften tatsächlich Einsparungen erzielt werden können (Rn 90).

Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren
 
Das Bundesverfassungsgericht betont, dass ein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum nicht durch migrationspolitische Erwägungen gerechtfertigt werden könne. Ob Deutschland durch ein möglicherweise im internationalen Vergleich hohes Leistungsniveau einen Migrationsanreiz schaffe oder nicht, sei verfassungsrechtlich irrelevant. Denn „die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“ (Rn. 56)

Das heutige Urteil zeigt ganz klar, dass die Menschenwürde für alle Menschen in Deutschland gleichermaßen gilt. Der Flüchtlingsrat begrüßt, dass migrationspolitisch motivierten Kürzungen im Asylbewerberleistungsgesetz und Kürzungen ohne Faktenbasis eine klare Absage erteilt wird.

Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen
 
Das Urteil bestärkt nicht zuletzt die bisherige Kritik am Asylbewerberleistungsgesetz. Seit Jahren forderen Pro Asyl und die Landesflüchtlingsräte die Abschaffung dieses diskriminierenden Gesetzes. Die Bundesregierung versprach in ihrem Koalitionsvertrag eine Überarbeitung des Asylbewerberleistungsgesetzes „im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“. Geändert wurde bislang jedoch nichts.
„Das heutige Urteil ist ein Erfolg im Kleinen – dennoch gilt mit dem Asylbewerberleistungsgesetz in Deutschland nach wie vor ein Gesetz, welches gegen die Verfassungsgrundsätze der Menschenwürde, des Sozialstaatsprinzips und des Gleichheitsgebots, gegen die UN-Kinderrechtskonvention und das Menschenrecht auf Gesundheit verstößt. Wenn die Bundesregierung es mit dem Schutze der Menschenwürde ernst meint, muss dieses Gesetz endlich abgeschafft werden“, so Meike Olszak, Geschäftsleiterin des Flüchtlingsrates Baden-Württemberg.

Wichtig für die Praxis

Das Gericht verfügte mit seinem heutigen Urteil die Gewährung ungekürzter Leistungen nach Regelbedarfsstufe 1 ab sofort. Dies gilt auch rückwirkend, soweit gegen entsprechende Kürzungen noch fristgemäß Widerspruch oder Klage eingelegt wird oder wurde. Das Urteil bezieht sich formal nur auf Analogleistungen nach § 2 AsylbLG, ist aber nach rechtlicher Einschätzung von Pro Asyl auf die noch geringeren, ebenfalls um zehn Prozent gekürzten Leistungen nach §§ 3/3a AsylbLG für Alleinstehende in Sammelunterkünften übertragbar, gegen die daher jetzt ebenfalls Widerspruch und Klage eingelegt werden sollte.


Geflüchtete Frauen besser schützen!

Forderung von PRO ASYL und Flüchtlingsräten zum internationalen Tag zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen: Deutschland muss mehr tun, um geflüchtete Frauen vor Gewalt zu schützen und sie menschenwürdig aufzunehmen.

Krieg in der Ukraine, Unterdrückung und massive Gewalt in Afghanistan und im Iran: Das Jahr 2022 zeigt sehr deutlich, dass Frauen von Krieg und Krisen häufig besonders betroffen sind. „Wir stehen solidarisch mit all jenen, die derzeit im Iran unerschrocken auf die Straße gehen, und allen anderen Frauen weltweit, die in ihren Ländern teils unter Lebensgefahr für ihre Rechte als Menschen, als Frauen, kämpfen“, so Simone Eiler vom Bayerischen Flüchtlingsrat.

Von Deutschland erwarten PRO ASYL und die Flüchtlingsräte einen besseren Schutz von geflüchteten Frauen und menschenwürdige Aufnahmebedingungen: „Ob es um Unterbringung in sicheren Wohnungen geht, um ein geschlechtersensibles Asylverfahren oder um medizinische und psychosoziale Unterstützung – Deutschland muss deutlich mehr dafür tun, dass schutzsuchende gewaltbetroffene Frauen aufgenommen werden, gut ankommen, und sicher, selbstbestimmt und in Würde hier leben können“, so Andrea Kothen, Referentin von PRO ASYL.

Vergewaltigungen gehören oft zur Kriegsstrategie

Weltweit sind rund 50 Millionen Frauen und Mädchen auf der Flucht. In den Herkunftsländern geflüchteter Frauen ist physische, sexualisierte, psychische und strukturelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen vielfach alltägliche Praxis. Dazu gehören Zwangsverheiratungen, drohende Femizide, Genitalverstümmelung/-beschneidung*, häusliche Gewalt, Zwangsprostitution und Menschenhandel. In Kriegen gehören systematische Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen häufig zur Kriegsstrategie.

In Afghanistan sind Unterdrückung und Gewalt gegen Frauen spätestens seit der Machtübernahme der Taliban mit aller Brutalität zurückgekehrt. Frauenrechtsaktivistinnen sind unter den Taliban derart bedroht, dass ihnen nichts anderes bleibt, als sich zu verstecken und auf eine Chance zur Ausreise zu hoffen. „Das Bundesaufnahmeprogramm ist im Oktober offiziell angelaufen, aber es ist äußerst intransparent und bietet vielen gefährdeten Frauen keine Perspektive“, sagt Maryam Mohammadi, Referentin vom Flüchtlingsrat Niedersachsen.

Leidvolle Erfahrungen, Diskriminierung und Gewalt auch in Deutschland 

Frauen, denen die Flucht aus ihrer Heimat gelingt, befinden sich regelmäßig in einer kaum endenden Gewaltspirale: Auf dem oft monate- oder jahrelangen Fluchtweg erleben sie überproportional häufig weitere Gewalt. Nicht selten setzen sich leidvolle Erfahrungen, Diskriminierung und Gewalt sogar für diejenigen Frauen fort, die nach Deutschland geflohen sind.

Das Kontrollgremium für die Istanbul Konvention GREVIO hat der Bundesregierung im Oktober 2022 bescheinigt, dass der Gewaltschutz von Frauen insbesondere in Bezug auf mehrfach diskriminierte Frauen wie Asylsuchende oder Frauen mit Behinderung große Mängel aufweist und mehr für ihren Schutz getan werden muss. So kritisiert GREVIO etwa die Unterbringungssituation von geflüchteten Frauen vor dem Hintergrund, dass sie „vor geschlechtsspezifischer Verfolgung geflohen sind oder auf der Flucht ungeheuerliche Formen sexueller oder geschlechtsspezifischer Gewalt erlebt haben“.

Forderungen an die Bundesregierung 

Das Gremium sieht »ein größeres Muster der Bereitstellung von Unterkünften, die keine Sicherheit gewährleisten“. Sie böten keine Bedingungen, „welche Frauen und Mädchen die Möglichkeit geben, ihre Erlebnisse mit Hilfe von spezialisierter Beratung und Unterstützung zu verarbeiten, um sie den Interviewern offen zu legen und den Genesungsprozess zu beginnen“.

In einem umfassenden Bericht listet GREVIO zahlreiche Mängel auf und gibt der Bundesregierung konkrete und zügig umzusetzende Aufgaben. Was der Ausschuss mit Blick auf geflüchtete Frauen von der Bundesregierung konkret erwartet, ist in dieser News von PRO ASYL vom Oktober 2022 nachzulesen.