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Zahlen zu Abschiebungen aus BW

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg fragt immer wieder diverse Zahlen zu Abschiebungen aus BW beim Regierungspräsidium Karlsruhe, beim Justizministerium und ggf. beim Innenministerium ab. Die Zahlen sollen öffentlich verfügbar sein, um die Abschiebepraxis besser verstehen zu können. Auf dieser Überblicksseite finden Sie die uns bis dato vorliegenden Zahlen zum Themenbereich Abschiebung. Bundesweite Zahlen finden Sie bei Pro Asyl.

Abschiebungen aus Baden-Württemberg

Die Excel-Tabellen unterscheiden zwischen Ziel- und Herkunftsland. Anhand der Zahlen zu den Zielländern wird ersichtlich wie viele Personen in ein bestimmtes Land abgeschoben worden sind (unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit). Die Zahlen zu Herkunftsländern geben die Anzahl der Personen mit der jeweiligen Staatsangehörigkeit an, die abgeschoben worden sind (unabhängig davon in welches Zielland). Die Differenz zwischen dieser beiden Zahlen erklärt sich oft damit, dass die verbliebenen Personen in andere Länder, vermutlich im Rahmen des Dublin-Verfahrens, abgeschoben wurden. In europäische Länder werden hauptsächlich Drittstaatsangehörige im Rahmen des Dublin-Verfahrens abgeschoben.

Sammelabschiebungen organisiert von Baden-Württemberg

Das Regierungspräsidium Karlsruhe stellt dem Flüchtlingsrat Baden-Württemberg standardisiert Daten zu Sammelabschiebungen zur Verfügung, die unter der Federführung Baden-Württembergs vollzogen wurden. Die meisten werden vom Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden (FKB) durchgeführt. Sind es Frontex-Maßnahmen finden sie i.d.R. vom Frankfurter Flughafen statt. Wir erfragen unter anderem Zahlen zu den abgeschobenen Personen, den Zielländern, dem Alter und der Zugehörigkeit zu einer Minderheit (auch wenn die Zugehörigkeit zu Rom*nja erfragt wurde, bezieht sich die Antwort des Regierungspräsidiums immer allgemein auf der Zugehörigkeit zu einer Minderheit, nicht zu welcher Gruppe). Wurden Abschiebungen durch Frontex organisiert, wird die Zugehörigkeit zu einer Minderheit nicht statistisch erfasst. Nicht immer werden alle Fragen beantwortet. Es wird unterschieden zwischen bundesweiten und landesweiten Zahlen.

2024

  1. 10.06.2024 Serbien und Nordmazedonien

2023

  1. 12.01.2023: Bosnien und Serbien
  2. 15.03.2023: Kosovo und Albanien
  3. 13.04.2023: Serbien und Nordmazedonien
  4. 01.06.2023: Albanien und Kosovo
  5. 19.06.2023: Nordmazedonien
  6. 18.07.2023: Nordmazedonien
  7. 07.08.2023: Bosnien und Herzegowina und Serbien
  8. 11.09.2023: Kosovo und Nordmazedonien
  9. 05.10.2023: Albanien und Serbien
  10. 23.10.2023: Nordmazedonien und Bosnien und Herzegowina
  11. 11.12.2023: Kosovo und Nordmazedonien


Gerade jetzt: Rechtsstaat stärken!

Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), die Neue Richter*innenvereinigung (NRV), die Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht des Deutschen Anwaltverein (DAV), PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Bundesländer stehen und streiten für den Rechtsstaat als Grundlage unserer Demokratie. Dazu gehört die Wahrung völkerrechtlicher Grundsätze. Bundeskanzler Scholz forderte in seiner Regierungserklärung, dass Menschen, die schwere Straftaten begangen haben, nach Afghanistan und Syrien abgeschoben werden sollen. In beiden Ländern drohen jedoch Folter und andere schwere Menschenrechtsverletzungen, die Abschiebungen völkerrechtlich verbieten. Wir sind erschüttert von der Tat in Mannheim und sprechen unser tiefes Mitgefühl aus. Zugleich sind wir alarmiert von den aktuell stattfindenden Debatten. Nach einer schweren Straftat muss die Justiz für Gerechtigkeit sorgen. Hierfür haben wir in Deutschland einen funktionierenden Rechtsstaat. Dieser darf nicht untergraben werden, indem völkerrechtliche Errungenschaften in Frage gestellt werden.

Das absolute Folterverbot verbietet Abschiebungen

Aus dem Folterverbot folgt: Niemand darf abgeschoben werden, wenn nach der Abschiebung Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Dieses absolute Folterverbot ist in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Artikel 4 der EU-Grundrechtecharta normiert. Es gilt uneingeschränkt für alle Menschen – auch für Personen, die in Deutschland Straftaten begangen haben. Denn die Garantie der Menschenwürde gilt für alle Menschen, unabhängig von der Schwere der von ihnen begangenen Verbrechen. Ihre Strafen müssen sie in Deutschland verbüßen. Etwaige „Sicherheitszusagen“ für die abzuschiebenden Straftäter sind weder von Seiten der terroristischen Taliban noch von Seiten des Assad-Regimes vertrauenswürdig und zuverlässig und können damit eine menschenrechtswidrige Abschiebung nicht legitimieren. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt im Bericht von März 2024 zu dem Fazit, dass „aufgrund der desolaten Sicherheitslage und der vielerorts prekären humanitären Lage in Syrien und Afghanistan […] Art. 3 EMRK etwaigen Abschiebungen in diese Staaten regelmäßig entgegenstehen [wird]“.

Katastrophale menschenrechtliche Lage unter den Taliban

Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 ist die menschenrechtliche und humanitäre Situation in Afghanistan katastrophal. Internationale Organisationen und die Vereinten Nationen berichten von außergerichtlichen Tötungen, willkürlichen Verhaftungen, Folter und weiteren Misshandlungen durch die Taliban. Besonders Frauen und Mädchen sind von weitreichenden Einschränkungen ihrer Rechte betroffen. UNHCR betont, dass die meisten Menschenrechtsverletzungen undokumentiert bleiben und die Verfolgungsgefahr unvorhersehbar ist. UNHCR fordert deswegen von allen Staaten, keine Abschiebungen nach Afghanistan durchzuführen. Hinzu kommt eine humanitäre Krise, die durch Erdbeben und Sturzfluten weiter verschärft wurde. Die Europäische Asylagentur bestätigt in ihrer Country Guidance zu Afghanistan vom Mai 2024, dass es im Land keine internen Schutzalternativen gibt. Deutschland hat seit der Machtübernahme der Taliban keine diplomatischen Beziehungen zu Afghanistan. Eine Wiederaufnahme von Abschiebungen würde eine Kooperation mit den Taliban erfordern, die die Bundesregierung nicht als rechtmäßige Regierung anerkennt. Eine solche Kooperation wäre ein Schritt zur Normalisierung der Beziehungen, was außen- und menschenrechtspolitisch katastrophal wäre.

Syrien ist weiterhin ein Folterstaat

Unter Machthaber Assad wird in Syrien seit Jahren systematisch gefoltert, Menschen verschwinden und werden rechtswidrig inhaftiert oder getötet. Internationale Organisationen wie UNHCR, OHCHR und Amnesty International bestätigen dies. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mehrfach entschieden, dass Abschiebungen nach Syrien eine Verletzung von Artikel 3 der EMRK bedeuten. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass eine sichere Rückkehr nach Syrien derzeit nicht gewährleistet werden kann. Rückkehrende werden pauschal als Verräter behandelt und sind systematischer Willkür ausgesetzt. Willkürliche Verhaftungen und Folter sind in Syrien an der Tagesordnung. Mehr als 100.000 Menschen gelten als vermisst. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bestätigte Ende Mai 2024, dass die Bedingungen für sichere und würdige Rückkehr nach Syrien nicht gegeben sind. Abschiebungen nach Syrien würden eine Kooperation mit dem Assad-Regime erfordern, die die Sanktionspolitik untergräbt und das Regime rehabilitiert, das eigentlich für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden muss.

Der Rechtsstaat beweist sich durch angemessene Strafverfahren

Islamistischer Terror, Rechtsextremismus und Antisemitismus stellen eine Bedrohung für die offene Gesellschaft in Deutschland dar. Solchen menschenverachtenden Taten muss mit dem deutschen Strafrecht begegnet werden. Das geschieht ausnahmslos. Für die Strafgerichte ist es dabei nicht entscheidend, welche Staatsangehörigkeit Täter haben. Wenn sie keine deutsche Staatsangehörigkeit haben, können sie nach einer Verurteilung und nach Verbüßung eines Teils ihrer Freiheitsstrafe außerdem abgeschoben werden, siehe § 456a StPO, sofern die Abschiebung zulässig ist. Abschiebungen in Länder, in denen Folter, Misshandlungen und weitere Menschenrechtsverletzungen drohen, sind mit dem Rechtsstaat und dem Völkerrecht indes unvereinbar und dürfen nicht stattfinden. Gerade in schwierigen Zeiten muss der Rechtsstaat Stärke durch die Einhaltung wichtiger Grundsätze zeigen. Politischen Akteuren kommt hier eine wichtige Rolle zu, ihn zu verteidigen und wichtige Grundsätze zu vertreten. Dies stärkt unsere Demokratie langfristig gegen die, die sie untergraben wollen.


Save the Date: Fest der Solidarität am Stuttgarter Feuersee

Anlässlich des Weltgeflüchtetentages laden wir ein zu einem großen Fest der Solidarität am Stuttgarter Feuersee: Das Fest der Solidarität erinnert daran, dass wir gemeinsam etwas erreichen können, wenn wir uns für eine humanitäre Flüchtlingspolitik und die Achtung der Menschenrechte einsetzen. Gemeinsam stehen wir für eine gerechtere Welt, für Menschenrechte und für Solidarität statt Abschottung! Diese Botschaft wird auf dem Fest der Solidarität durch Redebeiträge und ein vielfältiges Kulturprogramm mit Musik, Gesang und Tanz bekräftigt.

Programm

  • ab 14 Uhr: Begrüßung, Rebebeiträge, Musik und Tanz
    • Tanzgruppe „Koma Jîyan Stuttgart“: Wir sind Koma Jîyan aus Stuttgart – junge kurdische Frauen, die ihre Wurzeln durch Tanz zum Leben erwecken. Durch Govend, unseren traditionellen Gruppentanz, symbolisieren wir Gemeinschaft, Kultur und Identität und drücken gemeinsame Emotionen wie Freude, Trauer, Liebe und Widerstand aus.
    • Sänger Sidar Ferid: Mein Name ist Sidar Ferid und ich komme aus Kurdistan. Ich bin Musiker, spiele Gitarre und singe. Seit November 2023 bin ich in Deutschland. Ich freue mich, zum Weltflüchtlingstag in Stuttgart zu sein und meine Musik mit Euch zu teilen.
    • Band „Back on Holiday“: Souly Funkpoprock aus dem Kessel – Wir machen Urlaub – mit unserer Musik für uns und für euch- zwischen Entfliehen und Entdecken, zwischen Utopie und Realität – Popkultur und Gesellschaftskritik – für die Leichtsinnigkeit und fürs Sinnieren – jede*r nimmt sich davon was sie*er gerade braucht.
    • und weitere!
  • ab 16 Uhr: Demozug durch die Stadt
  • ab 17 Uhr: Ausklang mit Musik, Kinderspielen und gemeinsamem Picknick
    (Bringt Essen und Decken mit!)

Außerdem wird es Infostände verschiedener Stuttgarter Organisationen mit spannenden Materialien und kreativen Aktionen geben.

Das Fest der Solidarität wird veranstaltet vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, Amour sans frontières (ASF), Just Human e.V., der Seebrücke Stuttgart, Amnesty International Stuttgart, AGDW e.V., Penager Stuttgart und Fridays for Future Stuttgart und ist Teil der landesweiten Aktionswoche #ZusammenMenschSein.



Esslingen: Populismus in der Flüchtlingspolitik – Wieso Abschreckung nicht funktioniert

Größtmögliche Abschreckung durch Abschottung, Ausgrenzung und Schikane wird immer mehr zur Leitlinie in der aktuellen flüchtlingspolitischen Debatte. Vor sich hergetrieben von der AfD liefern sich die Parteien im Bund und in den Ländern einen Wettkampf mit immer brutaleren Vorschlägen zur Abschreckung geflüchteter Menschen und zur Einschränkung ihrer Lebensmöglichkeiten in Deutschland: Migrationsabkommen mit Autokraten aushandeln, Menschen an den europäischen Außengrenzen einsperren, Bezahlkarten einführen, Sozialleistungen senken, Arbeitszwang verhängen – je drastischer die Mittel, desto populärer. In der Debatte geht es immer mehr um die Eindämmung der wahlweise als „irregulär“ oder „illegal“ bezeichneten Migration. Im Vortrag benennt die Referentin populistische Narrative und dekonstruiert Vorschläge der aktuellen Flüchtlingspolitik.

  • Referentin: Anja Bartel, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg

Der Vortrag mit anschließender Diskussion findet im Mehrgenerationen- und Bürgerhaus Esslingen-Pliensauvorstadt, Weilstraße 8 statt. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Die Veranstaltung wird in Zusammenarbeit mit der Offenen Aktionsgruppe Migration & Integration Esslingen, der Caritas Fils-Neckar-Alb und dem Kreis-Diakonieverband Landkreis Esslingen organisiert.


CDU-Vorschläge zur Abschaffung des Asylrechts

In ihrem neuen Entwurf eines Grundsatzprogramms plädiert die CDU faktisch für die Abschaffung des Asylrechts in Europa. Nun wird das Programm ausgerechnet am Weltfrauentag in Stuttgart vorgestellt. Zu diesem Anlass appelliert der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg an alle Vertreter*innen und Mitglieder der Partei, sich für eine Überarbeitung des Programms einzusetzen und sich klar zum Recht auf Asyl in Europa zu bekennen.

Bereits in den letzten Wochen hatten die Vorstellungstermine des neuen Grundsatzprogramms der CDU in Mainz, Hannover, Chemnitz und Köln den Protest flüchtlingspolitischer Organisationen auf sich gezogen. Nun nimmt der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg die Vorstellung des Programms in Stuttgart am 8. März zum Anlass, seinem Entsetzen angesichts der dort verschriftlichten Pläne für einen „grundlegenden Wandel des europäischen Asylrechts“ Ausdruck zu verleihen. Obwohl sich das Programm zur Würde des einzelnen Menschen, den Grund- und Menschenrechten sowie dem Rechtsstaat bekennt, sieht es gleichzeitig die faktische Abschaffung des Asylrechts in Europa vor. Wörtlich heißt es in dem Programmentwurf: „Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen. Im Falle eines positiven Ausgangs wird der sichere Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren.“ Menschen, die vor Kriegen und Verfolgung fliehen, sollen auf dieser Basis in Europa keinen Schutz mehr bekommen. Seit der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und des Grundgesetzes vor 75 Jahren ist das Grundrecht auf Asyl noch nie so grundsätzlich in Frage gestellt worden.

„Die asylpolitischen Passagen im Programmentwurf lassen uns fassungslos zurück. Sie zeugen von Ignoranz gegenüber der deutschen Geschichte, die insbesondere während des Nationalsozialismus deutlich gemacht hat, dass das Fehlen von Schutzmechanismen für Verfolgte tödliche Konsequenzen hat. Aus diesem Grund wurde das Recht auf Asyl ins Grundgesetz aufgenommen und die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet. Diese Lehren aus der Geschichte dürfen nicht über Bord geworfen werden, nur weil es im aktuellen politischen Kontext opportun erscheint, sich für die Begrenzung der Geflüchtetenzahlen nach Deutschland einzusetzen“, so Bärbel Mauch vom Vorstand des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg.

Der Verein appelliert an alle Mitglieder und Vertreter*innen der CDU, sich grundlegende menschenfreundliche Bekenntnisse des eigenen Programmentwurfs zu Herzen zu nehmen und seine Asylpolitik daran auszurichten. Denn „immer zuerst den einzelnen Menschen mit seiner unantastbaren Würde“ zu sehen, wie es dort geschrieben steht, ist ganz offensichtlich nicht mit dem Vorhaben vereinbar, Geflüchtete nach ihrer Ankunft direkt abzuschieben. „Hält die Partei an den Vorschlägen zur Abschaffung des Asylrechts in Europa fest, dann kann sie sich das C direkt aus dem Namen streichen“, so Mauch abschließend.


Briefaktion zur Bezahlkarte

Die Bezahlkarte wird bundesweit eingeführt. Das ist beschlossene Sache. Bund und Länder haben damit ein zusätzliches Instrument zur Diskriminierung geflüchteter Menschen geschaffen. Die Umsetzung der Bezahlkarte liegt nun bei den Bundesländern. Der Flüchtlingsrat fordert die baden-württembergische Landesregierung dazu auf, dabei Spielräume im Sinne der Betroffenen zu nutzen. Werden auch Sie aktiv und appellieren Sie an die Abgeordneten Ihres Wahlkreises, bei der Einführung der Bezahlkarte von möglichst vielen der aktuell diskutierten Einschränkungen abzusehen. Gerne können Sie dafür folgende Textvorlage nutzen, die Sie per Mail oder Brief an Ihre Abgeordneten schicken können.

Sehr geehrte*r Landtagsabgeordnete*r X,

ich melde mich bei Ihnen im Rahmen der Debatte um die Bezahlkarte für geflüchtete Menschen. Nachdem wir uns mit deren bundesweiten Einführung wohl leider abfinden müssen, geht es nun darum, sich mit der Frage der Umsetzung der Bezahlkarte in Baden-Württemberg zu beschäftigen.

Es liegt beim Land, über die konkrete Ausgestaltung der Karte zu entscheiden. Allerlei Einschränkungen – keine Überweisungsmöglichkeit, limitierte Bargeldauszahlungen, Beschränkung auf Postleitzahlgebiete, Ausschluss bestimmter Waren – werden diskutiert. In der Konsequenz würde das Leben der betroffenen Menschen noch drastischer eingeschränkt, als dies ohnehin schon der Fall ist. Alltägliches, wie der Kauf einer Wasserflasche am Kiosk oder das Abschließen eines Handyvertrages, wird erschwert bis unmöglich. Auch das Bezahlen eines anwaltlichen Beistands, wenngleich von immenser Bedeutung, könnte an einer restriktiv ausgestalteten Bezahlkarte scheitern.

Die Bezahlkarte basiert auf einer abschreckungspolitischen Logik. Sie wurde eingeführt, um die Anzahl der nach Deutschland fliehenden Menschen zu reduzieren. Das kann nicht funktionieren, denn es gibt keinerlei wissenschaftliche Evidenz dafür, dass Sozialleistungen ausschlaggebend dafür sind, wohin ein Mensch flieht. Das Modell der Pull-Faktoren ist aus wissenschaftlicher Sicht veraltet.

Der Ausschluss vom bargeldlosen Zahlungsverkehr soll geflüchtete Menschen davon abhalten, Geld an ihre Angehörigen im Herkunftsstaat zu schicken. Allerdings gibt es keinerlei Erhebungen, die belegen würden, dass solche Überweisungen von den ohnehin sehr geringen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in den frühen Monaten nach der Ankunft in Deutschland überhaupt regelmäßig getätigt würden.

Auch die Kommunen werden nicht bei der Unterbringung Geflüchteter unterstützt, indem die Bezahlkarte mit möglichst vielen Einschränkungen versehen wird. Die Bezahlkarte ist Symbolpolitik mit verheerenden Konsequenzen.

Wir bitten Sie eingehend darum, sich entschieden gegen diese massive Entrechtung von Geflüchteten zu stellen und in der informellen sowie öffentlichen Debatte klar Position zu beziehen. Setzen Sie sich zumindest dafür ein, dass mit der Bezahlkarte auch Überweisungen getätigt werden, Bargeld abgehoben und ohne geografische Beschränkung bezahlt werden kann.

Wir zählen auf Ihre Unterstützung!

Mit besten Grüßen
X


Recht auf Arbeit, anstatt populistische Arbeitspflicht-Debatten

„Es ist rassistisch und menschenverachtend zu suggerieren, dass Geflüchtete arbeitsunwillig seien, die man jetzt zur Arbeit unter ausbeuterischen Verhältnissen zu 80 Cent pro Stunde verpflichten müsse – während viele von ihnen schlichtweg nicht arbeiten dürfen,“ sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL. „Statt politischer Stimmungsmache gegen Geflüchtete, sollten endlich alle Arbeitsverbote für Geflüchtete und die Duldung-Light-Regelung aufgehoben werden – ein bisher nicht erfülltes Versprechen des Koalitionsvertrags der Ampel-Regierung“, so Alaows weiter.

„Wenn Geflüchtete mit Sanktionen belegt werden können, wenn sie prekäre Arbeitsgelegenheiten ablehnen, hat das nichts mit fairen Beschäftigungsverhältnissen zu tun, sondern grenzt an Zwangsarbeit. Statt eine sinnvolle und nachhaltige Migrationspolitik voranzubringen, wird hier erneut deutlich, dass die Politik lieber weiterhin den menschenfeindlichen Diskurs der letzten Monate befeuert und damit dem Rechtsruck in der Gesellschaft und der Stigmatisierung von Geflüchteten Vorschub leistet“, sagt Dajana Strunz vom Sächsischen Flüchtlingsrat.

Mit einer Arbeitspflicht wird das rassistische Narrativ über Schutzsuchende, denen zu Unrecht unterstellt wird, nicht arbeiten zu wollen, reproduziert. Dabei sind die hausgemachten gesetzlichen Restriktionen und komplizierten Verbote, die den Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylsuchende und Geduldete versperren, der Grund dafür, dass viele Geflüchtete nicht arbeiten – nicht eine fehlende Arbeitsbereitschaft bei den Menschen.

Statt auf diese Scheindebatte aufzuspringen, fordern PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte von den Länderchef*innen lösungsorientierte Vorschläge. So würden beispielsweise schon die ausgebaute Förderung von Deutschkursen und einige gesetzliche Änderungen dazu beitragen, viel mehr Geflüchteten die Aufnahme einer Arbeit zu ermöglichen. Dies zeigen nicht zuletzt die Analysen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Darin wird bestätigt, dass mit dem Erlernen der deutschen Sprache und mit der Streichung des Beschäftigungsverbots die Zahl der erwerbstätigen Geflüchteten signifikant steigen würde. Weiterhin würden mit der Streichung aller Arbeitsverbote die Ausländerbehörden massiv entlastet und Geflüchtete könnten sich direkt auf Arbeitsstellen bewerben, ohne durch die monatelangen Erlaubnisverfahren bei den Behörden von der Arbeitsaufnahme abgehalten zu werden.


Einigung der Bundesländer auf gemeinsame Standards bei der Bezahlkarte

Nach der Einigung von 14 der 16 Bundesländern am 31.1.2024 auf gemeinsame Standards bei der Bezahlkarte für eine bestimmte Gruppe von Geflüchteten hält PRO ASYL an der grundsätzlichen Kritik an der Bezahlkarte fest: Bund und Länder planen mit der Bezahlkarte ein Diskriminierungsinstrument, das den schutzsuchenden Menschen in Deutschland das Leben schwer machen soll.

„Bund und Länder haben mit der Einigung zur Bezahlkarte ein Diskriminierungsprogramm verabredet. Denn das erklärte Ziel der Ministerpräsident*innen mit dem Bundeskanzler im November 2023 war, mit unterschiedlichen Maßnahmen die Asylzahlen zu senken. Mit der Bezahlkarte wird also vor allem der Zweck verfolgt, den Menschen das Leben hier schwer zu machen und sie abzuschrecken. Schon allein wegen dieses unverhohlenen Motivs wirft die Bezahlkarte verfassungsrechtliche Fragen auf. Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 entschieden, dass die Menschenwürde nicht aus migrationspolitischen Gründen relativiert werden darf“, sagt Andrea Kothen, Referentin bei PRO ASYL.

An der heutigen Einigung sind drei Punkte besonders problematisch:

  • Überweisungen sollen nicht möglich sein: Ohne eine Überweisungsmöglichkeit werden Geflüchtete aus dem Alltagsleben ausgegrenzt. Überweisungen sind heutzutage aber unentbehrlich – etwa für einen Handyvertrag und kleine Einkäufe im Internet. Geflüchtete müssen auch ihre für das Asylverfahren nötigen Rechtsanwält*innen per Überweisung bezahlen können.
  • Kein Mindestbetrag für die Barabhebung: Die Möglichkeit, über Bargeld zu verfügen, ist vor allem zur Sicherung des – verfassungsrechtlich verbürgten – soziokulturellen Existenzminimums geboten. Wer dies angreift, greift die Menschenwürde der Betroffenen an. Wer in Deutschland ohne Bargeld lebt und nur wenige Dinge in wenigen Läden kaufen kann, verliert an Selbstbestimmung und macht demütigende Erfahrungen, etwa wenn der Euro für die öffentliche Toilette oder der Beitrag für die Klassenkasse feht.
  • Regionale Einschränkung: Die regionale Einschränkung der Karte stellt offenkundig den Versuch einer sozialpolitischen Drangsalierung dar, die Freizügigkeit der Betroffenen durch die Hintertür zu beschränken: Wer Verwandte oder Freund*innen besucht oder einen weiter entfernten Facharzt oder eine Beratungsstelle aufsuchen möchte, kann in ernste Schwierigkeiten geraten, wenn er nicht einmal eine Flasche Wasser kaufen kann.

„Die Bezahlkarte ist, ebenso wie die gerade vom Bundestag beschlossene Verlängerung der Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, keine rationale, konstruktive Asylpolitik. Die Bezahlkarte wird absehbar zu einer Menge Ärger im Alltag führen und das Ankommen und die Integration der Menschen erschweren – aber rein gar nichts verbessern. Auch den nach wie vor engagierten Unterstützer*innen und Willkommensinitiativen fällt man mit einer diskriminierenden Bezahlkarte in den Rücken“, sagt Andrea Kothen, Referentin bei PRO ASYL.

Die nun beschlossenen angeblichen Standards der Bezahlkarte sind allerdings keine Standards, sondern lediglich der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Bundesländer einigen konnten, um eine schändliche politische Willenserklärung abzugeben. Die Bundesländer können aber trotzdem großzügigere Regelungen als die dort festgehaltenen anwenden. PRO ASYL appelliert an die Eigenverantwortung der Länder und Kommunen, die nach wie vor vorhandenen Spielräume zu nutzen und auf eine Bezahlkarte zu verzichten oder diese zumindest diskriminierungsfrei auszugestalten. Dazu hatte PRO ASYL im Dezember 2023 unter dem Motto „Menschenrechtliche Standards beachten!“ notwendige Eckpunkte veröffentlicht.

Auch die Kommunen werden nicht entlastet: Denn die Kürzung von Sozialleistungen und der Umstieg auf mehr Sachleistungen halten die Menschen nicht davon ab, vor Krieg oder Vertreibung zu fliehen. Wissenschaftliche Untersuchungen, wie zum Beispiel die des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, zeigen zudem: Rechtsstaatlichkeit, Freund*innen, Familie und die Arbeitsmarktbedingungen in einem Land sind Faktoren für den Zielort einer Flucht. Sozialleistungssysteme dagegen wirken sich nicht als entscheidungsrelevant aus. Auch die Bezahlkarte wird also an den Fluchtwegen von Menschen nichts ändern.


Stetten im Remstal: Populismus in der Flüchtlingspolitik

„Größtmögliche Abschreckung“ wird immer mehr zur Leitlinie in der aktuellen flüchtlingspolitischen Debatte. Vor sich her getrieben von der AFD liefern sich die Regierungsparteien im Bund und in den Ländern einen Wettkampf mit immer brutaleren Vorschlägen zur Abschreckung geflüchteter Menschen und zur Einschränkung ihrer Lebensmöglichkeiten in Deutschland: Migrationsabkommen mit Diktaturen aushandeln, Menschen an den europäischen Außengrenzen einsperren, Bezahlkarten einführen, Sozialleistungen senken, Arbeitszwänge einführen – je drastischer die Mittel, desto besser. In der Debatte geht es immer mehr um die Eindämmung der wahlweise als „irregulär“ oder „illegal“ bezeichneten Migration. Im Vortrag werden aktuelle populistische Narrative und Vorschläge in der Flüchtlingspolitik dekonstruiert.

  • Referentin: Anja Bartel, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg

Das Austauschtreffen findet im Glockenkelter, Hindenburgstr. 43, Stetten im Remstal statt. Die Veranstaltung erfolgt in Kooperation mit der Allmende Stetten und dem AK Asyl Kernen und findet im Rahmen des Projektes „Perspektive durch Partizipation“ gefördert durch Aktion Mensch e.V. statt.


Offener Brief an die Bundesregierung

In großer Sorge um die Gesundheit schutzsuchender Menschen in Deutschland rufen bundesweit 50 Organisationen Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Abgeordnete des Deutschen Bundestages dringend auf, sofort die geplante Novelle des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) zu stoppen.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz,
sehr geehrter Herr Bundesminister Heil,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

in großer Sorge um die Gesundheit schutzsuchender Menschen in Deutschland rufen wir Sie mit aller Dringlichkeit dazu auf: Stoppen Sie sofort das Vorhaben, den Zeitraum von 18 auf 36 Monate zu verlängern, in dem Asylsuchende nur Anspruch auf abgesenkte Sozial- und Gesundheitsleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten sollen!
Seit es das Asylbewerberleistungsgesetz gibt – seit über 30 Jahren – bezeugen zivilgesellschaftliche Organisationen und Verbände in ihrer humanitären Arbeit die ernsten Folgen, die es für die Gesundheit geflüchteter Menschen hat, sie von notwendigen Sozialleistungen und insbesondere medizinischer Versorgung auszuschließen. Aktuell noch haben Asylsuchende in den ersten 18 Monaten lediglich Anspruch auf medizinische Versorgung bei akuten Schmerzen, Schwangerschaft und Geburt. Oft entscheidet medizinisch nicht geschultes Personal in den Sozialämtern, ob darüber hinaus Leistungen in Anspruch genommen werden können – zum Beispiel bei chronischen und psychischen Erkrankungen. Daneben haben Geflüchtete mit massiven Barrieren wie Diskriminierungen und Verständigungsproblemen zu kämpfen.
Die Bundesregierung wurde bereits mehrfach von den Vereinten Nationen dafür gerügt, dass Deutschland Asylsuchenden das Recht auf Gesundheitsversorgung verwehrt. Sie nun noch länger zu benachteiligen, ist menschenrechtswidrig und ignoriert die jüngste ausdrückliche Aufforderung des UN-Komitees zur Konvention gegen Rassismus (ICERD), die Ungleichbehandlung im Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen zu beenden (08.12.2023).
Auch das Bundesverfassungsgericht hat schon vor über zehn Jahren entschieden, dass die „Menschenwürde…migrationspolitisch nicht zu relativieren“ ist. Der Versuch, die Flucht nach Deutschland zu begrenzen, indem man Geflüchteten den Zugang zu notwendiger Gesundheitsversorgung versagt, ist also nicht nur unwirksam (Sozial- und Gesundheitsleistungen als Pull-Faktor für Migration sind empirisch nicht belegt und wird von neuerer Migrationsforschung als unterkomplexe Theorie problematisiert) und unmenschlich, sondern auch verfassungswidrig.
Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag den klaren politischen Willen geäußert, das Asylbewerberleistungsgesetz im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiterzuentwickeln und den Zugang zu Gesundheitsversorgung für Asylsuchende zu vereinfachen. Das aktuelle Vorhaben läuft dieser Absicht massiv entgegen, würde sogar das Gegenteil bewirken.
Letztlich kommt eine Schlechterbehandlung bei der Gesundheitsversorgung ganzer Bevölkerungsgruppen die Gemeinschaft auch teuer zu stehen. Denn wenn Krankheiten chronifizieren oder zum Notfall werden, kosten sie das Gesundheitssystem mehr, als wenn man sie präventiv oder bei den ersten Symptomen behandelt.
Anstatt die Leistungen für Asylsuchende immer weiter zu kürzen, fordern die unterzeichnenden Organisationen deshalb:

  • Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!
  • Den Anspruch auf alle Gesundheitsleistungen aus dem Leistungskatalog der
    gesetzlichen Krankenkassen für Geflüchtete gesetzlich verankern
  • Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Geflüchtete in allen
    Bundesländern
  • Anspruch auf qualifizierte Sprachmittlung gesetzlich verankern
  • EU-Aufnahmerichtlinie für besonders schutzbedürftige Geflüchtete
    flächendeckend und systematisch umsetzen
    Wir bitten Sie, rechten Parolen und populistischen Hetzkampagnen gegen Migrant*innen und
    geflüchteten Menschen entschieden entgegenzustehen und unsere freiheitlich-
    demokratischen und menschen- und verfassungsrechtlichen Grundprinzipien mit Ihrer Politik
    zu verteidigen.

Gerne stehen wir für Rückfragen und zum persönlichen Austausch zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen

  1. François De Keersmaeker, Direktor, Ärzte der Welt e.V.
  2. Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband –
    Gesamtverband e. V.
  3. Gerhard Trabert, 1. Vorstandsvorsitzender, Armut und Gesundheit in Deutschland e.V.
  4. Karl Kopp, Geschäftsführer, PRO ASYL e.V.
  5. Ulrike Schneck, Vorsitzende & Lukas Welz, Geschäftsführung, BAfF
  6. Nicolay Büttner, Politische Arbeit und Advocacy, Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige
    geflüchtete Menschen
  7. Dr. Claudia Tamm, MediNetz Koblenz e.V.
  8. Birgit Naujoks, Geschäftsführerin, Flüchtlingsrat NRW e.V.
  9. Katrin Bahr, Geschäftsführende Vorständin, Condrobs e.V.
  10. Ute Hausmann, Vorstand, Refugio Stuttgart e.V.
  11. Sophia Wirsching, Geschäftsführerin, Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel –
    KOK e.V.
  12. Medinetz Gießen e.V.
  13. Elisabeth Helm & Almut Leiß, Vorstand, Förderverein des Brandenburgischen Flüchtlingsrates e. V.
  14. Timmo Scherenberg, Geschäftsführer Hessischer Flüchtlingsrat
  15. Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.
  16. Martin Link, Geschäftsführer, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
  17. Dr. med. Angelika Leist und Kollegen, Medinetz Karlsruhe
  18. Nele Wilk, Sozialarbeiterin, Clearingstelle Krankenversicherung Rheinland-Pfalz
  19. Kai Weber, Geschäftsführer, Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V
  20. Bundesverband Anonymer Behandlungsschein und Clearingstellen für Menschen ohne
    Krankenversicherung (BACK)
  21. Johanna Schwarz, Medinetz Mainz e.V.
  22. Medinetz Bielefeld
  23. Christiane Bachelier, Co-Vorsitzende des Vereins demokratischer Ärzt*innen
  24. Dr. Lars Pohlmeier (Vorsitzender) für den Vorstand der IPPNW (Internationale Ärztinnen für die Verhütung des Atomkrieges/Ärztinnen in sozialer Verantwortung) e. V.
  25. Jonah Lunnebach, Vorstand, MediNetzBonn e.V.
  26. Andrea Günther, Sozialarbeiterin, MedMobil – Ambulante Hilfe e.V. Stuttgart
  27. Lucia Braß und Bärbel Mauch für den Vorstand, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg e. V.
  28. Medinetz Freiburg
  29. FRABS (Freiburger Anonymisierter Behandlungsschein) e.V.
  30. MediNetz Hannover e.V.
  31. Walter Schlecht, Kampagne für die Abschaffung des AsylbLG
  32. Elisa Cazzato, Vorstand Medinetz Marburg e.V.
  33. Community for all, Darmstadt
  34. Gesundheitskollektiv Berlin e.V
  35. Michaela Rosenbaum, Geschäftsführerin AWO Kreisverband Mülheim e. V.
  36. Dr. Maria Decker, Vorsitzende SOLWODI Deutschland e.V.
  37. Regina Begander, Bernadette Tusch, Institut für angewandte Kulturforschung, ifak. e.V. Göttingen
  38. Flüchtlingsrat Berlin e.V.
  39. Noah Peitzmann, Projektkoordinator, Anonymer Krankenschein Bonn e.V.
  40. Kölner Flüchtlingsrat e.V.
  41. Bayerischer Flüchtlingsrat
  42. Flüchtlingsrat RLP e.V.
  43. Saarländischer Flüchtlingsrat e.V.
  44. Torsten Jäger, Geschäftsführer, Initiativausschuss für Migrationspolitik in Rheinland-Pfalz.
  45. Flüchtlingshilfe Langenfeld e.V.
  46. Dr. med. Roland Fressle, erster Vorsitzender der Refudocs Freiburg e.V.
  47. Medibüro Berlin
  48. Dr. med. Gerhard Bonnekamp, MediNetz Essen
  49. Nanne Wienands, 2. Vorsitzende, Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Hof e. V.
  50. Dr. Udo Puteanus, VdPP-Vorstandsmitglied, Verein demokratischer Pharmazeutinnen und
    Pharmazeuten e.V.

Einigung über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS)

Die GEAS-Einigung zwischen den Mitgliedstaaten der EU und dem EU-Parlament ist da und sieht eine massive Entrechtung von Geflüchteten an den Außengrenzen vor. Auch vor der Inhaftierung von Kindern oder Flüchtlingsdeals mit autokratischen Staaten macht die EU keinen Halt. PRO ASYL analysiert die fatalen Beschlüsse.

Nach zwei Tagen und zwei Nächten Marathon-Verhandlungen verkündeten die Sprecher*innen der verschiedenen EU-Institutionen und Mitgliedstaaten am Mittwoch, den 20. Dezember 2023, die Einigung über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Wer noch auf Verbesserungen der Ergebnisse durch das EU-Parlament gehofft hatte, wurde bitter enttäuscht. Die Mitgliedstaaten konnten sich mit ihren extremen Verschärfungen, die sie im Juni und Oktober beschlossen hatten, fast vollständig durchsetzen. Damit steht eine Einigung, die den Flüchtlingsschutz in Europa massiv untergräbt und zeigt, wie weit der Rechtsruck in Europa schon vollzogen ist.

Die dystopische Vision eines Europas der Haftlager – die PRO ASYL seit dem Beginn der Reformpläne befürchtet – wird Realität werden. Denn die Mitgliedstaaten haben erreicht, dass eine Vielzahl an Geflüchteten zukünftig ihr Asylverfahren abgeschottet von der Außenwelt hinter Stacheldraht an den Außengrenzen durchlaufen muss. Die Asylgrenzverfahren, die nach einem ersten Screening nach Ankunft erfolgen, sollen in zwölf Wochen abgeschlossen sein. Daran anschließen kann sich dann ein neues Abschiebungsgrenzverfahren, was ebenfalls bis zu zwölf Wochen dauern kann. Während dieser Zeit sollen die Asylsuchenden als »nicht eingereist« gelten und in absehbar geschlossenen Asylzentren an den Außengrenzen festgehalten werden. Die Rede ist von der Fiktion der Nichteinreise, einem rechtlich fragwürdigem Konstrukt, das schon an deutschen Flughäfen zu de facto Inhaftierungen von Schutzsuchenden führt. Auch diese deutschen Grenzverfahren müssen dann an die neuen EU-Regeln angepasst und somit stark ausgeweitet und verlängert werden. Für drei Gruppen von schutzsuchenden Menschen ist die Anwendung dieser Grenzverfahren verpflichtend: Für Menschen aus Herkunftsländer mit einer europaweiten Schutzquote von unter 20 Prozent, für Personen – selbst unbegleiteten Minderjährigen – denen unterstellt wird, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu sein sowie für Schutzsuchenden denen vorgeworfen wird, die Behörden zu täuschen, weil z.B. vermeintlich Dokumente zerstört wurden.

Außerdem können mit der Europäischen Einigung zukünftig deutlich mehr außereuropäische Drittstaaten als sicher eingestuft werden, um Flüchtlinge in diese Länder abzuschieben. Weder muss in dem Drittstaat die Genfer Flüchtlingskonvention gelten, noch muss das ganze Land sicher sein. Wenn es eine entsprechende Vereinbarung zwischen Drittstaat und EU gibt, soll die Sicherheit schlicht angenommen werden können. Dadurch wird die Möglichkeit eröffnet, dass Mitgliedstaaten sich weitgehend aus dem Flüchtlingsschutz zurückziehen, indem sie Nachbarländer oder andere Staaten entlang der Fluchtrouten als »sicher« einstufen.

Die bisherige Dublin-III-Verordnung, die festlegt welcher Mitgliedstaat für die Durchführung von Asylverfahren zuständig ist, wird durch die Verordnung für ein Asyl- und Migrationsmanagement ersetzt. Doch vieles wird unverändert bleiben, Grundprobleme des europäischen Asylsystems werden nicht gelöst. Denn weiterhin sind es die Außengrenzstaaten, die primär für die Durchführung der Asyl(grenz)verfahren zuständig sind.


Gesundheitliche Versorgung von Frauen ohne Papiere im Rahmen von Schwangerschaft und Geburt

Frauen ohne Papiere haben in Deutschland grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen bei Schwangerschaft und Geburt nach § 4 Asylbewerberleistungsgesetz, können diesen aber aufgrund der im Aufenthaltsgesetz festgeschriebenen Übermittlungspflichten de facto nicht in Anspruch nehmen, ohne eine Abschiebung zu riskieren. Der fehlende Zugang zu gesundheitlicher Versorgung in Schwangerschaft und Geburt steht in deutlichem Gegensatz zu internationalen Menschenrechtsverträgen. Mit dem Arbeitspapier stellt die Bundesarbeitsgemeinschaft Gesundheit/Illegalität die bestehenden Zugangsbarrieren dar, zeigt verschiedene lokale Lösungen auf, diese zu reduzieren, und formuliert fachpolitische Forderungen, wie der Zugang zu gesundheitlicher Versorgung rund um Schwangerschaft und Geburt für Frauen ohne Papiere zu verbessern ist.


Geflüchtete Frauen endlich umfassend schützen!

Zum internationalen Tag zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen am 25. November fordert der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg die Bundesregierung und die baden-württembergische Landesregierung dazu auf, den Schutz von geflüchteten Frauen und Mädchen in Deutschland umfassend sicherzustellen.

Frauen, denen die Flucht aus ihrer Heimat gelingt, erleben auf den Fluchtwegen überproportional häufig weitere Gewalt. Diese Situation droht sich zu verschlimmern, sollten die Pläne zur Reform des europäischen Asylsystems (GEAS), auf die sich der Europäische Rat im Juni geeinigt hat, umgesetzt werden. Geflüchtete sollen in Grenzverfahren zukünftig an den EU-Außengrenzen wochenlang unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden, mit eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten und einem absehbar fehlenden Zugang zu Beratung und adäquater medizinischer Unterstützung. „Die Menschenrechte von Geflüchteten und insbesondere von vulnerablen Gruppen wie asylsuchenden Frauen, Müttern, Mädchen, Kindern, Menschen mit Behinderungen oder queeren Personen werden dabei massiv missachtet. Der ungehinderte Zugang Geflüchteter zu einem fairen, regulären Asylverfahren in der EU muss die oberste Priorität bleiben“, so Meike Olszak vom Flüchtlingsrat.

Doch auch in Deutschland sind geflüchtete Frauen Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Gemäß der Istanbul-Konvention, einer der wichtigsten völkerrechtlichen Verträge zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen und Mädchen, sind Vertragsstaaten dazu verpflichtete, Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu verhindern und die Betroffenen umfassend zu unterstützen. Deutschland hat sich 2017 zur Umsetzung der Konvention verpflichtetet. In der Praxis kommt es dennoch zu erheblichen Problemen: Das Kontrollgremium für die Istanbul Konvention GREVIO hat der Bundesregierung im Oktober 2022 bescheinigt, dass der Gewaltschutz von Frauen in Deutschland große Mängel aufweist. Dies betrifft insbesondere mehrfach diskriminierte Frauen wie Asylsuchende oder Frauen mit einer Behinderung. So weist GREVIO etwa auf die „anhaltenden Sicherheitsbedenken“ für geflüchtete Frauen und Mädchen in Sammelunterkünften hin. Diese bieten keine Bedingungen, unter denen Frauen und Mädchen, die vor geschlechtsspezifischer Verfolgung geflohen sind, ihre Erlebnisse verarbeiten können, um sie im Rahmen des Asylverfahrens vorzubringen. Der Flüchtlingsrat fordert schon lange einen Kurswechsel in der Unterbringungspolitik: „Asylsuchende sollten von Anfang an dabei unterstützt werden, bei Verwandten, Freund*innen oder in eigenen Wohnungen unterzukommen. Die Wohnpflicht in Erstaufnahmeeinrichtungen und Sammelunterkünften muss endlich aufgehoben werden“, so Olszak.

Weitere Schutzlücken bestehen bei den aufenthaltsrechtlichen Regelungen für Betroffene häuslicher Gewalt. Deutschland hatte die Istanbul-Konvention unter Vorbehalt des Artikel 59 Absatz 2 und 3 unterzeichnet. Diese sehen vor, Betroffenen einen aufenthaltsrechtlichen Ausweg aus einer gewaltgeprägten Beziehung zu ermöglichen. Nachdem die Bundesregierung die Vorbehalte nicht verlängert hat, gilt die Konvention seit dem 1. Februar 2023 auch in Deutschland uneingeschränkt. Die bisherigen asyl- und aufenthaltsrechtlichen Regelungen bieten jedoch bisher nicht den von der Konvention vorgesehenen Schutz. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hatte hierzu kürzlich umfassende Umsetzungsempfehlungen veröffentlicht. „Statt die gesetzgeberische Energie für Abschottungs- und Abwehrmaßnahmen zu verschwenden, sollte die Bundesregierung endlich die Maßnahmen umsetzen, zu denen sich Deutschland menschenrechtlich verpflichtet hat und dafür Sorge tragen, dass schutzsuchende gewaltbetroffene Frauen sicher, selbstbestimmt und in Würde hier leben können“, so Lena Schmid vom Flüchtlingsrat.

Von der Bundes- und Landesregierung erwartet der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg einen besseren Schutz von geflüchteten Frauen und menschenwürdige Aufnahmebedingungen, wie die Unterbringung in sicheren Wohnungen, geschlechtersensible Asylverfahren und ausreichend medizinische und psychosoziale Unterstützung.


Ampel-Regierung opfert Grundrechte in aufgeheizter Abschiebungsdebatte

Am heutigen Mittwoch soll im Kabinett der von Nancy Faeser vorgeschlagene Entwurf zum „Gesetz zur Verbesserung der Rückführung“ beschlossen werden. Diese rechtsstaatlich fragwürdigen Verschärfungen rund um Abschiebungen sind jedoch schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte ohne jede Verhältnismäßigkeit, die dem Rechtspopulismus weiter Vorschub leisten. Zudem werden die Kommunen so nicht entlastet. Der Gesetzentwurf sieht unter anderem eine Ausweitung des Ausreisegewahrsams auf 28 Tage und der Abschiebehaft auf bis zu sechs Monate vor. Außerdem sollen mit der Abschiebung beauftragte Personen quasi jedes Zimmer – auch nachts – in einer Geflüchtetenunterkunft betreten dürfen, traumatisierende nächtliche und überfallartige Abschiebungen sollen forciert werden. Zudem sollen durch neue Regelungen massenhaft und ohne Verhältnismäßigkeitsprüfung Handys ausgelesen werden können.

„Die Bundesregierung opfert mit dem Abschiebungsgesetz die Grundrechte der Betroffenen dem aktuellen rechtspopulistischen Diskurs. Verschärfte Abschiebungsregeln werden kaum dazu führen, dass nennenswert mehr Menschen abgeschoben werden, aber sie führen zu noch mehr Härte und Verletzungen der Grundrechte. Schon jetzt ist jede zweite Abschiebungshaft rechtswidrig, schon jetzt werden Familien getrennt und Kinder nachts aus dem Schlaf gerissen. Dabei ist schon lange klar: Abschiebungen lösen weder die Probleme der Kommunen noch die Herausforderungen bei der Aufnahme fliehender Menschen“, kommentiert Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL. Die von Nancy Faeser vorgeschlagenen Maßnahmen greifen unter anderen in das Recht auf Freiheit (Artikel 2 Abs. 2 Grundgesetz), das Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Grundgesetz) – das auch für Zimmer in Geflüchtetenunterkünften gilt – sowie in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Privatsphäre (Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz) ein.

Mit diesem Abschiebungs-Verschlimmerungsgesetz wird so getan, als würden noch härtere Abschiebungen zur Entlastung von Kommunen führen. Dabei bekommen aktuell 71 Prozent der Menschen, deren Asylgründe vom BAMF geprüft werden, Schutz in Deutschland. Die Quote liegt damit auf Rekordniveau und beweist, dass der allergrößte Teil der Menschen, die nach Deutschland kommen und Schutz suchen, sehr gute Asylgründe hat. Deshalb sollte der Fokus auf ihrer Aufnahme und nicht auf Abschiebungen liegen. Auch die öffentliche Debatte über ausreisepflichtige Personen ist oft verzerrt: Ende 2022 lebten knapp 250.000 Menschen mit einer Duldung in Deutschland und waren ausreisepflichtig. Viele der Ausreisepflichtigen können jedoch überhaupt nicht abgeschoben werden, auch wenn unterschiedliche Politiker*innen das immer wieder suggerieren: Rund 3.000 Geduldete können wegen schwerwiegender medizinischer Gründe nicht abgeschoben werden. In 25.000 Fällen wurden Duldungen wegen familiärer Bindungen erteilt, die eine Abschiebung nicht zulassen. Auch Menschen in einer Berufsausbildung bleiben in Deutschland bislang in der Duldung, sind damit weiterhin ausreisepflichtig und Teil der Statistik: Ende 2022 waren das 6.000 Auszubildende. Zudem wird nur etwa neun Prozent der geduldeten Menschen vorgeworfen, ihre eigene Abschiebung zu verhindern, weshalb sie eine sogenannte Duldung Light haben.

PRO ASYL fordert alle demokratischen Parteien im Bundestag auf, Ziel und Mittel des Abschiebegesetzes zu hinterfragen, die flüchtlingsfeindliche Debatte zu beenden und stattdessen echte Lösungen zur Entlastung von Kommunen zu verfolgen. Rund 136.000 Geduldete könnten zum Beispiel von einer großzügigen Anwendung des Chancen-Aufenthaltsrechts profitieren, was die Zahl der Ausreisepflichtigen verringert.


Georgien und Moldau sind nicht sicher!

PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Länder fordern die Bundesländer auf, sich am 20.10.2023 im Bundesrat gegen den Gesetzentwurf zur Einstufung Georgiens und Moldaus als “sichere” Herkunftsländer auszusprechen und sich stattdessen einer rationalen, faktenbasierten und lösungsorientierten Migrationspolitik zuzuwenden.

“Die Wahlen in Hessen und Bayern haben klar gezeigt: Je mehr SPD und Grüne sich rechts anbiedern, desto weiter verschiebt sich der gesamte Diskurs nach rechts – und gewählt wird dann dennoch das rechtsradikale Original. Wir brauchen endlich eine rationale und faktenbasierte Debatte über Flucht und Migration”, sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL.

PRO ASYL und die Flüchtlingsräte lehnen das Konzept der sicheren Herkunftsländer grundsätzlich ab. Im konkreten Fall von Moldau und Georgien gibt es zudem etliche tatsächliche Gründe, die der Einstufung als “sicher” entgegenstehen. Denn zu einer solchen Einstufung gelten klare gesetzliche Vorgaben: Staaten dürfen nur dann als “sichere Herkunftsstaaten” gelten, wenn „landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen“ Sicherheit vor Verfolgung besteht. Dies ist weder in Georgien noch in Moldau gegeben. PRO ASYL hat dazu eine ausführliche Stellungnahme verfasst.

In beiden Ländern gibt es abtrünnige Regionen, die von Russland und nicht von der jeweiligen Regierung kontrolliert werden: In Georgien die Regionen Abchasien und Südossetien und in der Republik Moldau die Region Transnistrien. Außerdem geht der Gesetzentwurf nicht auf die Gefahr des zunehmenden russischen Einflusses auf Politik und Gesellschaft auch außerhalb der abtrünnigen Gebiete ein und auch nicht auf die geänderte geopolitische Gefahrenlage seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.

Weiterhin sind nachweislich nicht alle Personen- und Bevölkerungsgruppen sicher. In Georgien gilt das speziell für die Gruppe der LGTBIQ*-Personen, in Moldau insbesondere für die Gruppe der Rom*nja. Beide Gruppen sind von Diskriminierung, Ausschlüssen und sogar von Angriffen betroffen. Auch Presse- und Medienvertreter*innen sowie Kunst- und Kulturschaffende geraten in jüngster Zeit zunehmend unter Druck. In Belgien wurde im Juli dieses Jahres das Land Georgien nach nicht einmal drei Monaten wieder von der Liste der sicheren Herkunftsländer genommen, insbesondere wegen der gefährlichen Situation für LGTBIQ*-Personen.

Der Gesetzentwurf wird als Maßnahme zur Entlastung von kommunalen Strukturen vermarktet. Dabei handelt es sich in Wahrheit bei diesen beiden Ländern nur um eine kleine Gruppe Asylsuchender, denen durch die Einstufung als “sicheres Herkunftsland” ihr Recht auf eine individuelle Überprüfung ihrer Asylanträge verweigert wird. Das wird nicht zu einer Entlastung der Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten führen. Was die Kommunen hingegen brauchen, ist eine rationale und faktenbasierte Debatte über echte Maßnahmen, die ihnen helfen – zum Beispiel eine dauerhafte und nachhaltige Finanzierung mit einer Pro-Kopf-Pauschale je aufgenommener Person, eine Digitalisierungsoffensive und die Aufhebung der Arbeitsverbote, von denen Tausende Geduldete betroffen sind.

PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte fordern Bund und Länder auf, eine Migrationspolitik zu verfolgen, die tatsächlich die Kommunen bei der Aufnahme sowie die Menschen beim Ankommen unterstützt, statt weiter rechte Stimmungsmache zu befördern.


Debatte über Arbeitspflicht, Abschiebungen und Bezahlkarten für Flüchtlinge stärkt rechte Diskurse

PRO ASYL und Flüchtlingsräte kommentieren Vorschläge der Ministerpräsident*innenkonferenz, das ‚Abschiebungsverschlimmerungsgesetz‘ von Nancy Faeser und den drohenden Schulterschluss mit rechten Positionen in einem „Deutschlandpakt“.

PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Bundesländer kritisieren die aktuellen Vorschläge zur weiteren Entrechtung von Geflüchteten scharf. Hierzu gehört der Vorstoß auf der heute beginnenden Ministerpräsident*innenkonferenz, unter anderem die Bezahlkarte und die Arbeitspflicht für Schutzsuchende einzuführen. Begründet wird dies mit dem Ziel, die Zuzugszahlen von Geflüchteten zu senken, um die Kommunen zu entlasten.

“Worüber sprechen wir hier? Dass Menschen ihr Leben riskieren, auf der Flucht gefoltert und vergewaltigt werden, nur weil sie in Deutschland vierhundert Euro im Monat bekommen wollen? Und wenn es nun statt Bargeld eine Bezahlkarte gibt, gehen sie lieber in Baschar al-Assads Gefängnisse in Syrien oder liefern sich der Taliban in Afghanistan aus? Uns fehlen die Worte über diese unredlichen Vorschläge”, sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL.

Mit einer Arbeitspflicht wird das rassistische Narrativ von Schutzsuchenden, denen zu Unrecht unterstellt wird, nicht arbeiten zu wollen, reproduziert. Blanker Hohn, wenn man bedenkt, wie viele Geflüchtete in Deutschland mit einem Arbeitsverbot belegt werden. Wir sind entsetzt über diesen unmenschlichen Umgang mit Geflüchteten und die rein von rechts dominierte Migrationsdebatte, die allein dem Aufschwung antidemokratischer Kräfte dient und nichts mit tatsächlichen Lösungsansätzen zu tun hat.

“Gebot der Stunde ist es, schutzsuchenden Menschen eine gleichberechtige Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen, das schafft zugleich Entlastung in den Kommunen“, sagt Ulrike Seemann-Katz, Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern e.V.

Zudem ist der Vorschlag nicht mit Artikel 20 der EU-Aufnahmerichtlinie vereinbar und auch Artikel 4 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention statuiert das Verbot von Zwangs- und Pflichtarbeit.

Nach dem Debakel in den Landtagswahlen in Hessen und Bayern für die Ampel-Parteien legte nun Innenministerin Faeser einen Gesetzesentwurf vor, der rechtsstaatlich höchst fragwürdige Verschärfungen bei Abschiebungen vorsieht. Mehr und längere Haft, das Durchsuchen von Wohnungen und das Handyauslesen sind alles schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte, wobei auch die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt wird.

„Wir lehnen schon die Prämisse dieses ‚Abschiebungsverschlimmerungsgesetzes‘ ab, dass mehr Abschiebungen das Mittel der Wahl sind, um die Kommunen zu unterstützen. Abschiebungen sind schon heute oft brutal für die betroffenen Menschen, das wird noch schlimmer, wenn sie regelmäßig überfallartig und nachts passieren. Auch ist jede zweite Abschiebungshaft rechtswidrig – dieses Instrument jetzt noch auszubauen widerspricht jedem Verständnis von Rechtsstaat“, so Seemann-Katz, Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern e.V.

Den Verbänden ist der Gesetzesentwurf am Mittwoch mit Veröffentlichung auf der Homepage zur Kommentierung zugeleitet worden. Die Stellungnahmefrist von zwei Tagen zeigt, dass auch diese Einbindung der Zivilgesellschaft zur Farce geworden ist.

Statt immer neuer Abschreckungsmaßnahmen, sollten sich die Ministerpräsident*innen den pragmatischen Lösungsvorschlägen von zivilgesellschaftlichen Organisationen zuwenden. Dazu gehören zum Beispiel eine Pro-Kopf-Pauschale für die Kommunen für jede aufgenommene Person und die im Koalitionsvertrag versprochene Aufhebung aller Arbeitsverbote. Auch die Aufweichung restriktiver Gesetze, die verhindern, dass Geflüchtete aus den ihnen zugewiesenen Unterkünften ausziehen können, würde Kommunen entlasten. Nötig sind zudem der zügige Ausbau von Kita- und Schulplätzen und die Digitalisierung der Behörden.

PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Länder appellieren an alle Politiker*innen in Bund und Ländern, sich an einem menschenrechtlichen Kompass zu orientieren: “Stoppen Sie diese irrwitzigen Debatten! Und vor allem: Hören Sie auf, den rechten Diskurs zu führen, der Geflüchtete zu Sündenböcken für verfehlte Sozialpolitik macht.”


Pro Asyl: Etappensieg im Eilverfahren gegen restriktive Bezahlkarte

PRO ASYL und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) haben gemeinsam mit einer schutzsuchenden Familie vor dem Sozialgericht Hamburg einen Erfolg gegen die restriktiven Beschränkungen der Bezahlkarte erzielt. Die Eilentscheidung des Sozialgerichts Hamburg stellt klar: Die pauschale Festsetzung des Bargeldbetrages auf 50 Euro ohne Berücksichtigung der persönlichen und örtlichen Umstände der Betroffenen ist rechtswidrig. Mit der Entscheidung ist ein Schritt mehr getan, um das menschenwürdige Leben schutzsuchender Menschen in Deutschland zu sichern.

Das Hamburger Amt für Migration darf sich nach der sozialgerichtlichen Entscheidung nicht auf die Beschlussempfehlung der Ministerpräsident*innenkonferenz berufen, die im Juni dieses Jahres eine Bargeldbeschränkung von 50 Euro pro Person vereinbart hatte. Das Gericht spricht der Familie zunächst einen Bargeldbetrag von knapp 270 Euro zu.

Mehrere Klagen gegen die Bezahlkarte 

PRO ASYL und die GFF zielen derzeit mit mehreren Klagen darauf ab, die Einführung von restriktiv ausgestalteten Bezahlkarte zu stoppen, weil sie Grundrechte von Geflüchteten verletzen.

„Die Einführung einer Bezahlkarte mit erheblichen Beschränkungen missachtet die Grundrechte der Betroffenen. Die Entscheidung aus Hamburg bestätigt, dass eine pauschale Bargeldobergrenze von maximal 50 Euro für Schutzsuchende nicht haltbar ist, ohne das menschenwürdige Existenzminimum zu gefährden“, betont Lena Frerichs, Verfahrenskoordinatorin und Juristin bei der GFF. „Existenzsichernde Leistungen müssen sich an den konkreten Bedürfnissen und Umständen des Einzelfalls orientieren. Eine Mammutaufgabe für die Verwaltung – aber unabdingbar zur Wahrung der Grundrechte.“

Bezahlkarte: bürokratischer Irrsinn

„Die Bezahlkarte in Hamburg erschwert den Alltag der Betroffenen massiv. Geflüchtete können sich kaum angemessen versorgen. Günstige Onlineeinkäufe oder private Gebrauchtwareneinkäufe sind mit der Bezahlkarte ebenso wenig möglich wie der Abschluss eines Handyvertrages oder die Anmeldung im Sportverein; auch akzeptiert nicht jeder Laden die Bezahlkarte. Dass diese Unterversorgung verfassungswidrig ist, zeigt die Eilentscheidung. Die Entscheidung zeigt auch, welcher bürokratischer Irrsinn auf die Kommunen zukommt, die eine Bezahlkarte einführen wollen. Sie sollten sich dreimal überlegen, ob sie sich diese Mehrbelastung ihrer Verwaltung wirklich leisten können“, erklärt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL.

Zum Fall

Der klagenden Familie, die in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Hamburg wohnt, steht seit Einführung der Bezahlkarte pauschal ein Bargeldbetrag von 110 Euro zur Verfügung, den sie von der Bezahlkarte abheben kann. Mit diesem Betrag können die schwangere Antragstellerin, ihr Kleinkind und ihr Mann nicht die nötigen lebensnotwendigen Einkäufe tätigen, die Bargeld erfordern. Die Entscheidung des Sozialgerichts Hamburg erteilt der pauschalen Bargeldobergrenze der Bezahlkarte nun eine Absage.

Aktuelle Praxis der Bezahlkarte

Bis auf Bayern und Mecklenburg-Vorpommern haben sich die Bundesländer auf die einheitliche Einführung einer Bezahlkarte verständigt. Mit Beschluss der Ministerpräsident*innenkonferenz im Juni dieses Jahres einigten sich die Bundesländer auf eine Bargeldobergrenze von maximal 50 Euro.

Hamburg startete im Februar 2024 als erstes Bundesland mit der Bezahlkarte in Form der Hamburger SocialCard. Das Sozialgericht Hamburg stellt nun klar, dass das Hamburger Amt für Migration sich bei der Festlegung der Bargeldobergrenze nicht ohne Prüfung des Einzelfalles am empfehlenden Beschluss der Ministerpräsident*innenkonferenz orientieren darf.

In der Konsequenz bedeutet die Einführung einer Bezahlkarte mit Bargeldbeschränkungen für die überlasteten Kommunen einen erheblich größeren Aufwand als die Ausgabe einer Bezahlkarte ohne Bargeldbeschränkungen, da die Bargeldobergrenze jeweils im Einzelfall festgelegt werden muss oder Leistungen teilweise in bar ausgezahlt werden müssen.

Das Hamburger Amt für Migration kann gegen die Entscheidung des Sozialgerichts Beschwerde einlegen. PRO ASYL und die GFF gehen mit weiteren Verfahren gegen restriktive Bezahlkartenregelungen vor, die den grundrechtlichen Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum schutzsuchender Menschen missachten.

PRO ASYL finanziert diese und weitere Klagen mit dem Rechtshilfefonds, mit dem PRO ASYL jährlich Hunderte von Menschen dabei unterstützt, zu ihrem Recht zu kommen.


Pro Asyl, 24.07.24: Etappensieg im Eilverfahren gegen restriktive Bezahlkarte: PRO ASYL und GFF unterstützen klagende Familie


Forderung: Fortsetzung und Weiterfinanzierung des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan

In einem gemeinsamen Statement beziehen Organisationen der Zivilgesellschaft Stellung zu den Kürzungsplänen der Bundesregierung und warnen vor möglichen Folgen.

Das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan muss wie angekündigt weitergeführt und weiterfinanziert werden!

Kein Ausverkauf von aktiver Menschenrechtspolitik!

Das Fortbestehen des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan (BAP) steht auf der Kippe. Laut Kabinettsentwurf der Bundesregierung, der verschiedenen Organisationen vorliegt und der in einer Pressekonferenz am 17.07.2024 offiziell vorgestellt wird, soll der unter anderem für das BAP vorgesehene Etat des Bundesinnenministeriums (BMI) für das Jahr 2025 auf rund 13% des Budgets von 2024 gekürzt werden. Das würde de facto das Ende des BAP bedeuten. Dies wäre fatal und ein voreiliges Ende eines elementaren Menschenrechtsprogramms. Besonders befremdlich ist, dass der Haushaltsentwurf vorsieht, den Haushalt des BMI um 400 Millionen Euro zu erhöhen, gleichzeitig aber essentielle Mittel für humanitäre Aufnahmeprogramme zu streichen. Mit den Streichungen würden nicht nur die ressortübergreifenden Abstimmungen missachtet, sondern auch explizit im Koalitionsvertrag festgelegte Zusagen untergraben.

Die unterzeichnenden Organisationen appellieren daher an die Bundesregierung, die Mitglieder des Bundestags und insbesondere an die Haushaltspolitiker*innen:

1. Das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan muss wie geplant weitergeführt und mindestens bis Ende der Legislaturperiode vollumfänglich weiterfinanziert werden. Es muss mit dem politischen Willen ausgestattet werden, den es braucht, um die humanitäre Aufnahme gefährdeter Afghan*innen im Umfang der Aufnahmeanordnung in dieser Legislaturperiode zu ermöglichen.

2. Die Bundesregierung muss das von ihr selbst gesteckte Ziel der Aufnahme von bis zu 1.000 gefährdeten Personen im Monat – also insgesamt bis zu 36.000 Personen – weiter verfolgen und umsetzen. Dazu muss das Verfahren nicht eingestellt, sondern in allen seinen Phasen beschleunigt werden.

Insbesondere die Zustände in Islamabad, Pakistan, würden sich durch die Kürzungen dramatisch verschlimmern. Aktuell harren dort über 3.700 Personen aus, die sich bereits im Aufnahmeverfahren befinden. Weitere ca. 15.000 Personen hat die Bundesregierung bereits ausgewählt und kontaktiert, viele warten seit Monaten auf Rückmeldung. Sollten die Finanzierungen ausbleiben, würden die Menschen in Pakistan und Afghanistan ihrem Schicksal überlassen. Ihnen drohen weitere schwere Menschenrechtsverletzungen wie Verfolgung, physische und psychische Gewalt, Folter und im Fall von Pakistan auch Abschiebungen. Für besonders betroffene Personengruppen wie LGBTIQ-Personen sowie Frauen und Mädchen bedeutet dies eine direkte Existenzbedrohung. Massive Verzögerungen an der deutschen Auslandsvertretung in Islamabad werden zudem in vielen Fällen dazu führen, dass Menschen, die bereits eine Aufnahmezusage haben (Stand Juli 2024: 2.150 Personen mit Aufnahmezusage), mithilfe dieser nicht mehr ins Bundesgebiet reisen können.


Menschenrechte sind nicht verhandelbar: Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan muss bleiben

Die Bundesregierung plant, das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan (BAP) im Bundeshaushalt 2025 drastisch zu kürzen. Der Tübinger Verein move on – menschen.rechte Tübingen e.V. und weitere zivilgesellschaftliche Organisationen betonen die Wichtigkeit des Programms, warnen vor den Folgen und fordern dessen Fortsetzung. Dazu veröffentlichte der Tübinger Verein folgende Pressemitteilung.

Der Tübinger Verein move on – menschen.rechte Tübingen e.V. kritisiert das Vorhaben der Bundesregierung, das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan vorzeitig zu beenden, indem die finanziellen Mittel für das Programm im Bundeshaushalt 2025 gestrichen werden sollen. In der gestrigen Bundespressekonferenz stellte die Bundesregierung den geplanten Bundeshaushalt für das Jahr 2025 vor. Neben massiven Streichungen bei der Entwicklungshilfe, bei Sozialleistungen oder den Integrationskursen beabsichtigt die Ampelregierung auch eine vorzeitige Beendigung des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan. Der Verein move on, der eine von bundesweit 70 Meldestellen im BAP ist, ist entsetzt über dieses Vorhaben. „Es darf nicht geschehen, dass ein so wichtiges Menschenrechtsprogramm auf dem Altar der Migrationsdebatte, des Rechtsrucks und der „Zeitenwende“ geopfert wird“, sagt Andreas Linder, Geschäftsführer des Vereins und aktiv im Afghanistan-Hilfsprojekt „save our families“.

In einem offenen Brief schrieb der Verein an den Tübinger SPD-Bundestagsabgeordneten Martin Rosemann: Wir möchten Sie dringend auffordern, in Ihrer Partei umgehend darauf hinzuwirken, dass das Bundesaufnahmeprogramm wie im Koalitionsvertrag versprochen, mindestens bis zum Ende der Legislaturperiode weiterfinanziert und politisch durchgeführt und verteidigt wird.“

Der Verein arbeitet an etwa 250 Anträgen in diesem Programm. Etwa die Hälfte der eingebrachten Anträge, darunter für viele von den Taliban bedrohte Frauen, sind angenommen worden, doch von diesen gefährdeten Menschen ist noch niemand tatsächlich in Deutschland angekommen. „Wir können sagen, dass jeder einzelne Antrag, der in diesem Programm bewilligt wird, zur Rettung von Menschen führt, die sich in verschiedener Weise und häufig in intensiver Zusammenarbeit mit deutschen und westlichen Organisationen für Frieden, Menschenrechte, Rechtsstaat und Demokratie eingesetzt haben. Das darf nicht vorzeitig über Bord geworfen werden“, sagt Andreas Linder. Doch offenbar plant die Regierung unter dem Druck der Opposition bis ganz rechts, das Programm noch vor Ende der Legislaturperiode durch Geldentzug ins Leere laufen zu lassen. „Dies hätte fatale Folgen für mehrere tausend Menschen, die in dem Programm bereits ausgewählt wurden, darunter viele Frauen. Diese sind im islamistischen Talibanstaat nicht nur jeglicher Rechte beraubt, sondern können aufgrund ihrer früheren Tätigkeiten oder ihrer oppositionellen Haltung zum Regime nur noch versteckt und ausgeschlossen von allem öffentlichen Leben dahinvegetieren. Es darf nicht geschehen, dass diese Menschen im Stich gelassen werden“  sagt Anna Mayer, Mitglied des Vorstands und aktiv bei der „Seebrücke“. Seit der Machtübernahme durch die Taliban hat sich die Menschenrechtslage in Afghanistan ständig verschlechtert. Dies dokumentiere sich auch an den Inhalten der immer noch zahlreich neu eingehenden Aufnahmeanfragen.

Fazit: Die Menschenrechte werden auch in Afghanistan verteidigt – oder zu Grabe getragen.


Geflüchtete Menschen mit Behinderungen – Nachweise über die Behinderungen und Schwerbehindertenausweis

Geflüchtete Menschen mit Behinderungen haben zahlreiche Herausforderungen zu bewältigen. Unter anderem gestaltet es sich häufig schwierig, einen Schwerbehindertenausweis sowie andere Nachweise über die Behinderungen zu erhalten. Daher hat der Flüchtlingsrat BW eine Arbeitshilfe zu diesen Themen veröffentlicht. Neben umfangreichen rechtlichen Informationen enthält die Arbeitshilfe auch einige Impulse zu Fragestellungen, die Handeln und Haltung im ehrenamtlichen Engagement mit geflüchteten Menschen mit Behinderungen betreffen. Gegenüber der ersten Fassung von September 2023 wurden in der aktuellen Fassung die im Februar 2024 geänderten Zeiträume für die Grund- bzw. Analogleistungen angepasst.


BSG: Übernahme von Krankenversicherungsbeiträge auch im AsylbLG

Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 10. März 2022 (B 1 KR 30/20 R) entschieden, dass Personen, die Grundleistungen nach § 3 und 4 Asylbewerberleistungsgesetz  (AsylbLG) beziehen und zuvor gesetzlich versichert waren, unter die sogenannte „obligatorische Anschlussversicherung“ nach § 188 Abs. 4 Sozialgesetzbuch (SGB) V fallen. Dies bedeutet, dass Grundleistungsberechtigte, die beispielsweise aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse waren oder über die Familie versichert waren, weiterhin in der gesetzlichen Krankenversicherung bleiben. Sie fallen also nicht in die Notfallmedizin gemäß § 4 AsylbLG zurück.

Doch dann stellt sich oft die Frage, wer die monatlichen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge übernimmt. In Baden-Württemberg übernehmen die Sozialämter die Beiträge nicht. Das Justizministerium ist nämlich der Auffassung, dass die Übernahme der GKV-Beiträge nach § 6 AsylbLG weder zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich sein würde. Im Gegensatz dazu werden in Rheinland-Pfalz die Beitragszahlungen über § 6 AsylbLG übernommen, „da diese Leistung zur Sicherung der Gesundheit – mit Rücksicht auf die überragende Bedeutung des Schutzes der Gesundheit als zentrale Teilkomponente des Soziokulturellen Existenzminimums (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10 – , Rn. 64) – unerlässlich ist.“

Damit sich Grundleistungsbezieher*innen nicht verschulden, um die GKV-Beiträge zu zahlen, müssen sie rechtliche Schritte einleiten: Antrag auf Übernahme bei der Leistungsbehörde, Widerspruch nach der Ablehnung einlegen und bei erneuter Ablehnung vor den Sozialgerichten klagen. Dabei hilft dieser Musterschriftsatz (auch als Widerspruch nutzbar, wenn er angepasst wird).


Online-Vortrag: Dublinfall Kroatien

Mit Vertreter*innen zweier NGOs aus Kroatien, möchte der Flüchtlingsrat Rheinland-Pfalz die Situation in Kroatien erörtern, ihre Perspektiven kennenlernen und in den Austausch kommen.

Bei der Veranstaltung sollen Themen wie die Gegebenheiten in Kroatien, die Funktionsweise des Asylsystems, der Umgang mit vulnerablen Personen, die medizinische Versorgung und Unterbringung sowie der Zugang zu Sozialleistungen und Grundversorgung behandelt werden.

Die Veranstaltung wird auf Englisch stattfinden. Es wird deutsche Untertitel geben. Die Veranstalter*innen können Personen, die selbst etwas sagen möchten beim Formulieren behilflich sein.

Die Veranstaltung ist kostenlos, Programm und mehr Infos folgen in Kürze.

Veranstalter: Netzwerk Kirchenasyl Rheinland-Pfalz/Saar und der Flüchtlingsrat RLP e.V.

Referierende: Croatian Law Center und areyousyrious


Forderungen zur Umsetzung der GEAS-Reform aus der Zivilgesellschaft

Am 16. Juli 2024 haben 26 Bundesorganisationen ein gemeinsames Statement zu den zivilgesellschaftlichen Prioritäten für die gesetzliche Umsetzung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) in Deutschland veröffentlicht.

Die GEAS-Reform wird von der Zivilgesellschaft als eine Verschärfung des europäischen Asylrechts kritisiert, die den Schutz von fliehenden Menschen in der EU gefährdet. Die unterzeichnenden Organisationen fordern von der Bundesregierung, die Menschenrechte bei der Umsetzung der Reform zu achten.

Die Anwendung des EU-Rechts muss stets im Einklang mit der EU-Grundrechtecharta menschenrechtskonform erfolgen. Dies beinhaltet auch das Recht auf Asyl, Freiheit und einen effektiven Rechtsbehelf. Auch internationale Verträge wie die UN-Kinderrechts- und Behindertenrechtskonvention sind zu beachten.

 Die Hauptanliegen der unterzeichnenden Organisationen sind:

  • Starkes Menschenrechts-Monitoring: Einrichtung eines unabhängigen Mechanismus zur Überwachung der Einhaltung von Menschenrechten.
  • Identifizierung und Schutz vulnerabler Gruppen: Gewährleistung besonderer Unterstützung für Minderjährige, Menschen mit Behinderungen und andere gefährdete Gruppen.
  • Faire und sorgfältige Asylverfahren: Sicherstellung hoher Standards im Asylverfahren zur Vermeidung von Überlastungen der Gerichte.
  • Unabhängige und durchgängige Asylverfahrensberatung: Gesetzliche Verankerung und ausreichende Finanzierung unabhängiger Rechtsberatung.
  • Stärkung des Rechtsschutzes: Anpassung der Rechtsschutzfristen und Verbesserung der personellen Ausstattung der Gerichte.
  • Keine Inhaftierung schutzsuchender Menschen: Vermeidung von Freiheitsentzug und Sicherstellung menschenwürdiger Bedingungen.
  • Schutz und Unterstützung von Kindern: Berücksichtigung des Kindeswohls und vorrangige Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe.
  • Menschenwürdige Versorgung: Sicherstellung eines angemessenen Lebensstandards und voller Zugang zu Gesundheitsleistungen.

Diese Forderungen sollen sicherstellen, dass die Umsetzung der GEAS-Reform menschenrechtskonform erfolgt und die grundlegenden Bedürfnisse und Rechte geflüchteter Menschen gewahrt bleiben.


1356 Abschiebungen im ersten Halbjahr 2024

Im ersten Halbjahr 2024 wurden insgesamt 1356 Menschen aus Baden-Württemberg abgeschoben. Das entspricht einem Anstieg von fast 44 % im Vergleich zum ersten Halbjahr des Vorjahres. Das häufigste Herkunfts- und Zielland ist Nordmazedonien mit jeweils 229 und 228 abgeschobenen Personen. Das zweithäufigste Herkunftsland ist die Türkei mit 170 Personen. Davon wurden 54 Personen in die Türkei abgeschoben. Die Differenz erklärt sich damit, dass die verbliebenen Personen in andere Länder, vermutlich im Rahmen des Dublin-Verfahrens abgeschoben wurden. An dritter Stelle steht Georgien als Herkunfts- und Zielland mit jeweils 131 und 130 Personen.

In der Tabelle wird zwischen Ziel- und Herkunftsland unterschieden. Anhand der Zahlen zu den Zielländern wird ersichtlich wie viele Personen in ein bestimmtes Land abgeschoben worden sind. Die Zahlen zu Herkunftsländern geben die Anzahl der Personen mit einer bestimmten Staatsangehörigkeit an, die abgeschoben worden sind.

HerkunftslandAbschiebungen
Afghanistan71
Albanien32
Algerien71
Armenien2
Bosnien-Herzegowina26
Brasilien2
Bulgarien5
China15
Elfenbeinküste2
Eritrea5
Estland1
Frankreich2
Gambia97
Georgien131
Ghana3
Griechenland3
Großbritannien1
Guinea3
Indien19
Irak71
Iran4
Italien2
Jordanien2
Kamerun17
Kasachstan1
Kosovo28
Kroatien5
Libanon4
Litauen3
Marokko28
Moldawien3
Montenegro6
Nigeria30
Nordmazedonien229
Österreich1
Pakistan22
Paraguay1
Polen15
Rumänien32
Russische Föderation19
Schweiz1
Senegal1
Serbien46
Sierra Leone1
Slowakische Republik5
Somalia5
Spanien2
Sri Lanka9
Syrien44
Thailand1
Togo9
Tschechische Republik1
Tunesien23
Türkei170
Ukraine3
Unbekannt13
Ungarn2
USA2
Venezuela1
Vietnam3
Gesamtergebnis1356
ZiellandAbschiebungen
Albanien32
Algerien49
Armenien2
Belgien9
Bosnien-Herzegowina26
Brasilien2
Bulgarien54
China12
Estland1
Finnland1
Frankreich47
Gambia94
Georgien130
Ghana3
Griechenland18
Großbritannien1
Guinea3
Indien10
Irak54
Italien19
Jordanien2
Kamerun14
Kasachstan1
Kosovo28
Kroatien66
Lettland2
Litauen4
Malta1
Marokko14
Moldawien3
Montenegro6
Niederlande10
Nigeria19
Nordmazedonien228
Österreich93
Pakistan18
Paraguay1
Polen19
Portugal5
Rumänien38
Schweden7
Schweiz31
Senegal1
Serbien46
Sierra Leone1
Slowakische Republik5
Slowenien1
Somalia2
Spanien29
Sri Lanka2
Thailand1
Togo7
Tschechische Republik6
Tunesien17
Türkei54
Ungarn2
USA2
Venezuela1
Vietnam2
Gesamtergebnis1356

Ukraine: Wichtige Änderungen

Es gibt wichtige Änderungen bei der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 24 AufenthG für Ukrainer*innnen und aus der Ukraine geflohene Drittstaatsangehörige. Sowie zur Sekundärmigration von Geflüchteten aus der Ukraine.

  • Nicht-ukrainischen Drittstaatsangehörigen mit befristeten ukrainischen Aufenthaltstiteln wird nicht länger vorübergehender Schutz gewährt, soweit diese noch keine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) haben. Selbst wenn diese Personen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG haben, werden diese dann aber von einer weiteren möglichen Verlängerung über den 4. März 2025 hinaus durch das BMI nicht erfasst (vgl. Seite 9 Viertes Länderschreiben). Nach ausdrücklichem Hinweis des BMI sollen diesem Personenkreis daher ab dem 5. Juni 2024 keine neuen Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG mehr erteilt oder verlängert werden.
  • Sekundärmigration aus Drittstaaten: Geflüchteten aus der Ukraine, die sich mit befristetem oder unbefristetem Aufenthaltsrecht in einem Drittstaat aufgehalten haben und dann in die Bundesrepublik weiterwandern, ist kein vorübergehender Schutz zu gewähren. Nach Auffassung des BMI sind die betreffenden Personen nicht mehr vom Wortlaut des Durchführungsbeschlusses des EU-Rats vom 4. März 2022 ((EU) 2022/382) erfasst, da diese nicht als „vertrieben“ gelten können (vgl. Seite 23).
  • Verlängerung des vorübergehenden Schutzes für ukrainische Geflüchtete bis zum 6. März 2026. Dies hat der Rat der EU beschlossen und die Entscheidung wurde am 3. Juli 2024 im Amtsblatt der EU veröffentlicht.


Jahresbericht DIMR kritisiert GEAS und deutsche Asylpolitik

Das Deutsches Institut für Menschenrechte (DIMR)warnt, mahnt und kritisiert angesichts der asylpolitischen Debatten und Gesetzgebungen auf europäischer und deutscher Ebene.

Die EU setze zunehmend auf Abschottung und Begrenzung statt auf Unterstützung von Schutzsuchenden. Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) werde den Schutz von Geflüchteten in den kommenden Jahren europaweit verschlechtern. Die Einhaltung der völkerrechtlichen Verpflichtungen der EU sei damit nicht gewährleistet.

Zudem solle das neue Rückführungsverbesserungsgesetz Schutzsuchende abschrecken und ihre Zahl begrenzen. Eine solche Gesetzgebung basiere auf einer asylpolitischen Debatte, die die Rechte von Schutzsuchenden beeinträchtige und gesellschaftliche Vorurteile befeuere. Die stark polarisierende politische Debatte über den Umgang mit Schutzsuchenden blockiert somit Reformvorschläge, die auf Menschenrechten basieren.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat die Aufgabe, die Umsetzung der Menschenrechte in und durch Deutschland zu beobachten. Welche Menschenrechtsthemen es im vergangenen Jahr begleitet und überprüft hat, erfahren Sie im Jahresbericht 2023.