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Zahlen zu Abschiebungen aus BW

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg fragt immer wieder diverse Zahlen zu Abschiebungen aus BW beim Regierungspräsidium Karlsruhe, beim Justizministerium und ggf. beim Innenministerium ab. Die Zahlen sollen öffentlich verfügbar sein, um die Abschiebepraxis besser verstehen zu können. Auf dieser Überblicksseite finden Sie die uns bis dato vorliegenden Zahlen zum Themenbereich Abschiebung. Bundesweite Zahlen finden Sie bei Pro Asyl.

Abschiebungen aus Baden-Württemberg

Die Excel-Tabellen unterscheiden zwischen Ziel- und Herkunftsland. Anhand der Zahlen zu den Zielländern wird ersichtlich wie viele Personen in ein bestimmtes Land abgeschoben worden sind (unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit). Die Zahlen zu Herkunftsländern geben die Anzahl der Personen mit der jeweiligen Staatsangehörigkeit an, die abgeschoben worden sind (unabhängig davon in welches Zielland). Die Differenz zwischen dieser beiden Zahlen erklärt sich oft damit, dass die verbliebenen Personen in andere Länder, vermutlich im Rahmen des Dublin-Verfahrens, abgeschoben wurden. In europäische Länder werden hauptsächlich Drittstaatsangehörige im Rahmen des Dublin-Verfahrens abgeschoben.

Sammelabschiebungen organisiert von Baden-Württemberg

Das Regierungspräsidium Karlsruhe stellt dem Flüchtlingsrat Baden-Württemberg standardisiert Daten zu Sammelabschiebungen zur Verfügung, die unter der Federführung Baden-Württembergs vollzogen wurden. Die meisten werden vom Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden (FKB) durchgeführt. Manchmal erhalten wir Zahlen zu Frontex-Maßnahmen, diese finden i.d.R. vom Frankfurter Flughafen statt. Wir erfragen unter anderem Zahlen zu den abgeschobenen Personen, den Zielländern, dem Alter und der Zugehörigkeit zu einer Minderheit (auch wenn die Zugehörigkeit zu Rom*nja erfragt wurde, bezieht sich die Antwort des Regierungspräsidiums immer allgemein auf der Zugehörigkeit zu einer Minderheit, nicht zu welcher Gruppe). Wurden Abschiebungen durch Frontex organisiert, wird die Zugehörigkeit zu einer Minderheit nicht statistisch erfasst. Nicht immer werden alle Fragen beantwortet. Es wird unterschieden zwischen bundesweiten und landesweiten Zahlen.

2025

  1. 13.01.2025 Serbien und Nordmazedonien
  2. 21.01.2025 Albanien und Kosovo

2024

  1. 10.06.2024 Serbien und Nordmazedonien
  2. 11.09.2024 Serbien und Nordmazedonien
  3. 30.09.2024 Kosovo
  4. 28.10.2024 Kosovo und Albanien

2023

  1. 12.01.2023: Bosnien und Serbien
  2. 15.03.2023: Kosovo und Albanien
  3. 13.04.2023: Serbien und Nordmazedonien
  4. 01.06.2023: Albanien und Kosovo
  5. 19.06.2023: Nordmazedonien
  6. 18.07.2023: Nordmazedonien
  7. 07.08.2023: Bosnien und Herzegowina und Serbien
  8. 11.09.2023: Kosovo und Nordmazedonien
  9. 05.10.2023: Albanien und Serbien
  10. 23.10.2023: Nordmazedonien und Bosnien und Herzegowina
  11. 11.12.2023: Kosovo und Nordmazedonien

Detaillierte Zahlen zu Abschiebungen und Abschiebehaft in BW

Für die Jahre 2022 und 2023 haben wir eine große Abfrage zu Abschiebungen und Abschiebehaft beim Regierungsräsidium Karlsruhe gemacht. Wir haben die Zahlen für Sie eingeordnet und zusammengefasst.


Gerade jetzt: Rechtsstaat stärken!

Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), die Neue Richter*innenvereinigung (NRV), die Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht des Deutschen Anwaltverein (DAV), PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Bundesländer stehen und streiten für den Rechtsstaat als Grundlage unserer Demokratie. Dazu gehört die Wahrung völkerrechtlicher Grundsätze. Bundeskanzler Scholz forderte in seiner Regierungserklärung, dass Menschen, die schwere Straftaten begangen haben, nach Afghanistan und Syrien abgeschoben werden sollen. In beiden Ländern drohen jedoch Folter und andere schwere Menschenrechtsverletzungen, die Abschiebungen völkerrechtlich verbieten. Wir sind erschüttert von der Tat in Mannheim und sprechen unser tiefes Mitgefühl aus. Zugleich sind wir alarmiert von den aktuell stattfindenden Debatten. Nach einer schweren Straftat muss die Justiz für Gerechtigkeit sorgen. Hierfür haben wir in Deutschland einen funktionierenden Rechtsstaat. Dieser darf nicht untergraben werden, indem völkerrechtliche Errungenschaften in Frage gestellt werden.

Das absolute Folterverbot verbietet Abschiebungen

Aus dem Folterverbot folgt: Niemand darf abgeschoben werden, wenn nach der Abschiebung Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Dieses absolute Folterverbot ist in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Artikel 4 der EU-Grundrechtecharta normiert. Es gilt uneingeschränkt für alle Menschen – auch für Personen, die in Deutschland Straftaten begangen haben. Denn die Garantie der Menschenwürde gilt für alle Menschen, unabhängig von der Schwere der von ihnen begangenen Verbrechen. Ihre Strafen müssen sie in Deutschland verbüßen. Etwaige „Sicherheitszusagen“ für die abzuschiebenden Straftäter sind weder von Seiten der terroristischen Taliban noch von Seiten des Assad-Regimes vertrauenswürdig und zuverlässig und können damit eine menschenrechtswidrige Abschiebung nicht legitimieren. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt im Bericht von März 2024 zu dem Fazit, dass „aufgrund der desolaten Sicherheitslage und der vielerorts prekären humanitären Lage in Syrien und Afghanistan […] Art. 3 EMRK etwaigen Abschiebungen in diese Staaten regelmäßig entgegenstehen [wird]“.

Katastrophale menschenrechtliche Lage unter den Taliban

Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 ist die menschenrechtliche und humanitäre Situation in Afghanistan katastrophal. Internationale Organisationen und die Vereinten Nationen berichten von außergerichtlichen Tötungen, willkürlichen Verhaftungen, Folter und weiteren Misshandlungen durch die Taliban. Besonders Frauen und Mädchen sind von weitreichenden Einschränkungen ihrer Rechte betroffen. UNHCR betont, dass die meisten Menschenrechtsverletzungen undokumentiert bleiben und die Verfolgungsgefahr unvorhersehbar ist. UNHCR fordert deswegen von allen Staaten, keine Abschiebungen nach Afghanistan durchzuführen. Hinzu kommt eine humanitäre Krise, die durch Erdbeben und Sturzfluten weiter verschärft wurde. Die Europäische Asylagentur bestätigt in ihrer Country Guidance zu Afghanistan vom Mai 2024, dass es im Land keine internen Schutzalternativen gibt. Deutschland hat seit der Machtübernahme der Taliban keine diplomatischen Beziehungen zu Afghanistan. Eine Wiederaufnahme von Abschiebungen würde eine Kooperation mit den Taliban erfordern, die die Bundesregierung nicht als rechtmäßige Regierung anerkennt. Eine solche Kooperation wäre ein Schritt zur Normalisierung der Beziehungen, was außen- und menschenrechtspolitisch katastrophal wäre.

Syrien ist weiterhin ein Folterstaat

Unter Machthaber Assad wird in Syrien seit Jahren systematisch gefoltert, Menschen verschwinden und werden rechtswidrig inhaftiert oder getötet. Internationale Organisationen wie UNHCR, OHCHR und Amnesty International bestätigen dies. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mehrfach entschieden, dass Abschiebungen nach Syrien eine Verletzung von Artikel 3 der EMRK bedeuten. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass eine sichere Rückkehr nach Syrien derzeit nicht gewährleistet werden kann. Rückkehrende werden pauschal als Verräter behandelt und sind systematischer Willkür ausgesetzt. Willkürliche Verhaftungen und Folter sind in Syrien an der Tagesordnung. Mehr als 100.000 Menschen gelten als vermisst. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bestätigte Ende Mai 2024, dass die Bedingungen für sichere und würdige Rückkehr nach Syrien nicht gegeben sind. Abschiebungen nach Syrien würden eine Kooperation mit dem Assad-Regime erfordern, die die Sanktionspolitik untergräbt und das Regime rehabilitiert, das eigentlich für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden muss.

Der Rechtsstaat beweist sich durch angemessene Strafverfahren

Islamistischer Terror, Rechtsextremismus und Antisemitismus stellen eine Bedrohung für die offene Gesellschaft in Deutschland dar. Solchen menschenverachtenden Taten muss mit dem deutschen Strafrecht begegnet werden. Das geschieht ausnahmslos. Für die Strafgerichte ist es dabei nicht entscheidend, welche Staatsangehörigkeit Täter haben. Wenn sie keine deutsche Staatsangehörigkeit haben, können sie nach einer Verurteilung und nach Verbüßung eines Teils ihrer Freiheitsstrafe außerdem abgeschoben werden, siehe § 456a StPO, sofern die Abschiebung zulässig ist. Abschiebungen in Länder, in denen Folter, Misshandlungen und weitere Menschenrechtsverletzungen drohen, sind mit dem Rechtsstaat und dem Völkerrecht indes unvereinbar und dürfen nicht stattfinden. Gerade in schwierigen Zeiten muss der Rechtsstaat Stärke durch die Einhaltung wichtiger Grundsätze zeigen. Politischen Akteuren kommt hier eine wichtige Rolle zu, ihn zu verteidigen und wichtige Grundsätze zu vertreten. Dies stärkt unsere Demokratie langfristig gegen die, die sie untergraben wollen.


Save the Date: Fest der Solidarität am Stuttgarter Feuersee

Anlässlich des Weltgeflüchtetentages laden wir ein zu einem großen Fest der Solidarität am Stuttgarter Feuersee: Das Fest der Solidarität erinnert daran, dass wir gemeinsam etwas erreichen können, wenn wir uns für eine humanitäre Flüchtlingspolitik und die Achtung der Menschenrechte einsetzen. Gemeinsam stehen wir für eine gerechtere Welt, für Menschenrechte und für Solidarität statt Abschottung! Diese Botschaft wird auf dem Fest der Solidarität durch Redebeiträge und ein vielfältiges Kulturprogramm mit Musik, Gesang und Tanz bekräftigt.

Programm

  • ab 14 Uhr: Begrüßung, Rebebeiträge, Musik und Tanz
    • Tanzgruppe „Koma Jîyan Stuttgart“: Wir sind Koma Jîyan aus Stuttgart – junge kurdische Frauen, die ihre Wurzeln durch Tanz zum Leben erwecken. Durch Govend, unseren traditionellen Gruppentanz, symbolisieren wir Gemeinschaft, Kultur und Identität und drücken gemeinsame Emotionen wie Freude, Trauer, Liebe und Widerstand aus.
    • Sänger Sidar Ferid: Mein Name ist Sidar Ferid und ich komme aus Kurdistan. Ich bin Musiker, spiele Gitarre und singe. Seit November 2023 bin ich in Deutschland. Ich freue mich, zum Weltflüchtlingstag in Stuttgart zu sein und meine Musik mit Euch zu teilen.
    • Band „Back on Holiday“: Souly Funkpoprock aus dem Kessel – Wir machen Urlaub – mit unserer Musik für uns und für euch- zwischen Entfliehen und Entdecken, zwischen Utopie und Realität – Popkultur und Gesellschaftskritik – für die Leichtsinnigkeit und fürs Sinnieren – jede*r nimmt sich davon was sie*er gerade braucht.
    • und weitere!
  • ab 16 Uhr: Demozug durch die Stadt
  • ab 17 Uhr: Ausklang mit Musik, Kinderspielen und gemeinsamem Picknick
    (Bringt Essen und Decken mit!)

Außerdem wird es Infostände verschiedener Stuttgarter Organisationen mit spannenden Materialien und kreativen Aktionen geben.

Das Fest der Solidarität wird veranstaltet vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, Amour sans frontières (ASF), Just Human e.V., der Seebrücke Stuttgart, Amnesty International Stuttgart, AGDW e.V., Penager Stuttgart und Fridays for Future Stuttgart und ist Teil der landesweiten Aktionswoche #ZusammenMenschSein.



Esslingen: Populismus in der Flüchtlingspolitik – Wieso Abschreckung nicht funktioniert

Größtmögliche Abschreckung durch Abschottung, Ausgrenzung und Schikane wird immer mehr zur Leitlinie in der aktuellen flüchtlingspolitischen Debatte. Vor sich hergetrieben von der AfD liefern sich die Parteien im Bund und in den Ländern einen Wettkampf mit immer brutaleren Vorschlägen zur Abschreckung geflüchteter Menschen und zur Einschränkung ihrer Lebensmöglichkeiten in Deutschland: Migrationsabkommen mit Autokraten aushandeln, Menschen an den europäischen Außengrenzen einsperren, Bezahlkarten einführen, Sozialleistungen senken, Arbeitszwang verhängen – je drastischer die Mittel, desto populärer. In der Debatte geht es immer mehr um die Eindämmung der wahlweise als „irregulär“ oder „illegal“ bezeichneten Migration. Im Vortrag benennt die Referentin populistische Narrative und dekonstruiert Vorschläge der aktuellen Flüchtlingspolitik.

  • Referentin: Anja Bartel, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg

Der Vortrag mit anschließender Diskussion findet im Mehrgenerationen- und Bürgerhaus Esslingen-Pliensauvorstadt, Weilstraße 8 statt. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Die Veranstaltung wird in Zusammenarbeit mit der Offenen Aktionsgruppe Migration & Integration Esslingen, der Caritas Fils-Neckar-Alb und dem Kreis-Diakonieverband Landkreis Esslingen organisiert.


CDU-Vorschläge zur Abschaffung des Asylrechts

In ihrem neuen Entwurf eines Grundsatzprogramms plädiert die CDU faktisch für die Abschaffung des Asylrechts in Europa. Nun wird das Programm ausgerechnet am Weltfrauentag in Stuttgart vorgestellt. Zu diesem Anlass appelliert der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg an alle Vertreter*innen und Mitglieder der Partei, sich für eine Überarbeitung des Programms einzusetzen und sich klar zum Recht auf Asyl in Europa zu bekennen.

Bereits in den letzten Wochen hatten die Vorstellungstermine des neuen Grundsatzprogramms der CDU in Mainz, Hannover, Chemnitz und Köln den Protest flüchtlingspolitischer Organisationen auf sich gezogen. Nun nimmt der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg die Vorstellung des Programms in Stuttgart am 8. März zum Anlass, seinem Entsetzen angesichts der dort verschriftlichten Pläne für einen „grundlegenden Wandel des europäischen Asylrechts“ Ausdruck zu verleihen. Obwohl sich das Programm zur Würde des einzelnen Menschen, den Grund- und Menschenrechten sowie dem Rechtsstaat bekennt, sieht es gleichzeitig die faktische Abschaffung des Asylrechts in Europa vor. Wörtlich heißt es in dem Programmentwurf: „Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen. Im Falle eines positiven Ausgangs wird der sichere Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren.“ Menschen, die vor Kriegen und Verfolgung fliehen, sollen auf dieser Basis in Europa keinen Schutz mehr bekommen. Seit der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und des Grundgesetzes vor 75 Jahren ist das Grundrecht auf Asyl noch nie so grundsätzlich in Frage gestellt worden.

„Die asylpolitischen Passagen im Programmentwurf lassen uns fassungslos zurück. Sie zeugen von Ignoranz gegenüber der deutschen Geschichte, die insbesondere während des Nationalsozialismus deutlich gemacht hat, dass das Fehlen von Schutzmechanismen für Verfolgte tödliche Konsequenzen hat. Aus diesem Grund wurde das Recht auf Asyl ins Grundgesetz aufgenommen und die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet. Diese Lehren aus der Geschichte dürfen nicht über Bord geworfen werden, nur weil es im aktuellen politischen Kontext opportun erscheint, sich für die Begrenzung der Geflüchtetenzahlen nach Deutschland einzusetzen“, so Bärbel Mauch vom Vorstand des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg.

Der Verein appelliert an alle Mitglieder und Vertreter*innen der CDU, sich grundlegende menschenfreundliche Bekenntnisse des eigenen Programmentwurfs zu Herzen zu nehmen und seine Asylpolitik daran auszurichten. Denn „immer zuerst den einzelnen Menschen mit seiner unantastbaren Würde“ zu sehen, wie es dort geschrieben steht, ist ganz offensichtlich nicht mit dem Vorhaben vereinbar, Geflüchtete nach ihrer Ankunft direkt abzuschieben. „Hält die Partei an den Vorschlägen zur Abschaffung des Asylrechts in Europa fest, dann kann sie sich das C direkt aus dem Namen streichen“, so Mauch abschließend.


Briefaktion zur Bezahlkarte

Die Bezahlkarte wird bundesweit eingeführt. Das ist beschlossene Sache. Bund und Länder haben damit ein zusätzliches Instrument zur Diskriminierung geflüchteter Menschen geschaffen. Die Umsetzung der Bezahlkarte liegt nun bei den Bundesländern. Der Flüchtlingsrat fordert die baden-württembergische Landesregierung dazu auf, dabei Spielräume im Sinne der Betroffenen zu nutzen. Werden auch Sie aktiv und appellieren Sie an die Abgeordneten Ihres Wahlkreises, bei der Einführung der Bezahlkarte von möglichst vielen der aktuell diskutierten Einschränkungen abzusehen. Gerne können Sie dafür folgende Textvorlage nutzen, die Sie per Mail oder Brief an Ihre Abgeordneten schicken können.

Sehr geehrte*r Landtagsabgeordnete*r X,

ich melde mich bei Ihnen im Rahmen der Debatte um die Bezahlkarte für geflüchtete Menschen. Nachdem wir uns mit deren bundesweiten Einführung wohl leider abfinden müssen, geht es nun darum, sich mit der Frage der Umsetzung der Bezahlkarte in Baden-Württemberg zu beschäftigen.

Es liegt beim Land, über die konkrete Ausgestaltung der Karte zu entscheiden. Allerlei Einschränkungen – keine Überweisungsmöglichkeit, limitierte Bargeldauszahlungen, Beschränkung auf Postleitzahlgebiete, Ausschluss bestimmter Waren – werden diskutiert. In der Konsequenz würde das Leben der betroffenen Menschen noch drastischer eingeschränkt, als dies ohnehin schon der Fall ist. Alltägliches, wie der Kauf einer Wasserflasche am Kiosk oder das Abschließen eines Handyvertrages, wird erschwert bis unmöglich. Auch das Bezahlen eines anwaltlichen Beistands, wenngleich von immenser Bedeutung, könnte an einer restriktiv ausgestalteten Bezahlkarte scheitern.

Die Bezahlkarte basiert auf einer abschreckungspolitischen Logik. Sie wurde eingeführt, um die Anzahl der nach Deutschland fliehenden Menschen zu reduzieren. Das kann nicht funktionieren, denn es gibt keinerlei wissenschaftliche Evidenz dafür, dass Sozialleistungen ausschlaggebend dafür sind, wohin ein Mensch flieht. Das Modell der Pull-Faktoren ist aus wissenschaftlicher Sicht veraltet.

Der Ausschluss vom bargeldlosen Zahlungsverkehr soll geflüchtete Menschen davon abhalten, Geld an ihre Angehörigen im Herkunftsstaat zu schicken. Allerdings gibt es keinerlei Erhebungen, die belegen würden, dass solche Überweisungen von den ohnehin sehr geringen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in den frühen Monaten nach der Ankunft in Deutschland überhaupt regelmäßig getätigt würden.

Auch die Kommunen werden nicht bei der Unterbringung Geflüchteter unterstützt, indem die Bezahlkarte mit möglichst vielen Einschränkungen versehen wird. Die Bezahlkarte ist Symbolpolitik mit verheerenden Konsequenzen.

Wir bitten Sie eingehend darum, sich entschieden gegen diese massive Entrechtung von Geflüchteten zu stellen und in der informellen sowie öffentlichen Debatte klar Position zu beziehen. Setzen Sie sich zumindest dafür ein, dass mit der Bezahlkarte auch Überweisungen getätigt werden, Bargeld abgehoben und ohne geografische Beschränkung bezahlt werden kann.

Wir zählen auf Ihre Unterstützung!

Mit besten Grüßen
X


Recht auf Arbeit, anstatt populistische Arbeitspflicht-Debatten

„Es ist rassistisch und menschenverachtend zu suggerieren, dass Geflüchtete arbeitsunwillig seien, die man jetzt zur Arbeit unter ausbeuterischen Verhältnissen zu 80 Cent pro Stunde verpflichten müsse – während viele von ihnen schlichtweg nicht arbeiten dürfen,“ sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL. „Statt politischer Stimmungsmache gegen Geflüchtete, sollten endlich alle Arbeitsverbote für Geflüchtete und die Duldung-Light-Regelung aufgehoben werden – ein bisher nicht erfülltes Versprechen des Koalitionsvertrags der Ampel-Regierung“, so Alaows weiter.

„Wenn Geflüchtete mit Sanktionen belegt werden können, wenn sie prekäre Arbeitsgelegenheiten ablehnen, hat das nichts mit fairen Beschäftigungsverhältnissen zu tun, sondern grenzt an Zwangsarbeit. Statt eine sinnvolle und nachhaltige Migrationspolitik voranzubringen, wird hier erneut deutlich, dass die Politik lieber weiterhin den menschenfeindlichen Diskurs der letzten Monate befeuert und damit dem Rechtsruck in der Gesellschaft und der Stigmatisierung von Geflüchteten Vorschub leistet“, sagt Dajana Strunz vom Sächsischen Flüchtlingsrat.

Mit einer Arbeitspflicht wird das rassistische Narrativ über Schutzsuchende, denen zu Unrecht unterstellt wird, nicht arbeiten zu wollen, reproduziert. Dabei sind die hausgemachten gesetzlichen Restriktionen und komplizierten Verbote, die den Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylsuchende und Geduldete versperren, der Grund dafür, dass viele Geflüchtete nicht arbeiten – nicht eine fehlende Arbeitsbereitschaft bei den Menschen.

Statt auf diese Scheindebatte aufzuspringen, fordern PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte von den Länderchef*innen lösungsorientierte Vorschläge. So würden beispielsweise schon die ausgebaute Förderung von Deutschkursen und einige gesetzliche Änderungen dazu beitragen, viel mehr Geflüchteten die Aufnahme einer Arbeit zu ermöglichen. Dies zeigen nicht zuletzt die Analysen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Darin wird bestätigt, dass mit dem Erlernen der deutschen Sprache und mit der Streichung des Beschäftigungsverbots die Zahl der erwerbstätigen Geflüchteten signifikant steigen würde. Weiterhin würden mit der Streichung aller Arbeitsverbote die Ausländerbehörden massiv entlastet und Geflüchtete könnten sich direkt auf Arbeitsstellen bewerben, ohne durch die monatelangen Erlaubnisverfahren bei den Behörden von der Arbeitsaufnahme abgehalten zu werden.


Einigung der Bundesländer auf gemeinsame Standards bei der Bezahlkarte

Nach der Einigung von 14 der 16 Bundesländern am 31.1.2024 auf gemeinsame Standards bei der Bezahlkarte für eine bestimmte Gruppe von Geflüchteten hält PRO ASYL an der grundsätzlichen Kritik an der Bezahlkarte fest: Bund und Länder planen mit der Bezahlkarte ein Diskriminierungsinstrument, das den schutzsuchenden Menschen in Deutschland das Leben schwer machen soll.

„Bund und Länder haben mit der Einigung zur Bezahlkarte ein Diskriminierungsprogramm verabredet. Denn das erklärte Ziel der Ministerpräsident*innen mit dem Bundeskanzler im November 2023 war, mit unterschiedlichen Maßnahmen die Asylzahlen zu senken. Mit der Bezahlkarte wird also vor allem der Zweck verfolgt, den Menschen das Leben hier schwer zu machen und sie abzuschrecken. Schon allein wegen dieses unverhohlenen Motivs wirft die Bezahlkarte verfassungsrechtliche Fragen auf. Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 entschieden, dass die Menschenwürde nicht aus migrationspolitischen Gründen relativiert werden darf“, sagt Andrea Kothen, Referentin bei PRO ASYL.

An der heutigen Einigung sind drei Punkte besonders problematisch:

  • Überweisungen sollen nicht möglich sein: Ohne eine Überweisungsmöglichkeit werden Geflüchtete aus dem Alltagsleben ausgegrenzt. Überweisungen sind heutzutage aber unentbehrlich – etwa für einen Handyvertrag und kleine Einkäufe im Internet. Geflüchtete müssen auch ihre für das Asylverfahren nötigen Rechtsanwält*innen per Überweisung bezahlen können.
  • Kein Mindestbetrag für die Barabhebung: Die Möglichkeit, über Bargeld zu verfügen, ist vor allem zur Sicherung des – verfassungsrechtlich verbürgten – soziokulturellen Existenzminimums geboten. Wer dies angreift, greift die Menschenwürde der Betroffenen an. Wer in Deutschland ohne Bargeld lebt und nur wenige Dinge in wenigen Läden kaufen kann, verliert an Selbstbestimmung und macht demütigende Erfahrungen, etwa wenn der Euro für die öffentliche Toilette oder der Beitrag für die Klassenkasse feht.
  • Regionale Einschränkung: Die regionale Einschränkung der Karte stellt offenkundig den Versuch einer sozialpolitischen Drangsalierung dar, die Freizügigkeit der Betroffenen durch die Hintertür zu beschränken: Wer Verwandte oder Freund*innen besucht oder einen weiter entfernten Facharzt oder eine Beratungsstelle aufsuchen möchte, kann in ernste Schwierigkeiten geraten, wenn er nicht einmal eine Flasche Wasser kaufen kann.

„Die Bezahlkarte ist, ebenso wie die gerade vom Bundestag beschlossene Verlängerung der Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, keine rationale, konstruktive Asylpolitik. Die Bezahlkarte wird absehbar zu einer Menge Ärger im Alltag führen und das Ankommen und die Integration der Menschen erschweren – aber rein gar nichts verbessern. Auch den nach wie vor engagierten Unterstützer*innen und Willkommensinitiativen fällt man mit einer diskriminierenden Bezahlkarte in den Rücken“, sagt Andrea Kothen, Referentin bei PRO ASYL.

Die nun beschlossenen angeblichen Standards der Bezahlkarte sind allerdings keine Standards, sondern lediglich der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Bundesländer einigen konnten, um eine schändliche politische Willenserklärung abzugeben. Die Bundesländer können aber trotzdem großzügigere Regelungen als die dort festgehaltenen anwenden. PRO ASYL appelliert an die Eigenverantwortung der Länder und Kommunen, die nach wie vor vorhandenen Spielräume zu nutzen und auf eine Bezahlkarte zu verzichten oder diese zumindest diskriminierungsfrei auszugestalten. Dazu hatte PRO ASYL im Dezember 2023 unter dem Motto „Menschenrechtliche Standards beachten!“ notwendige Eckpunkte veröffentlicht.

Auch die Kommunen werden nicht entlastet: Denn die Kürzung von Sozialleistungen und der Umstieg auf mehr Sachleistungen halten die Menschen nicht davon ab, vor Krieg oder Vertreibung zu fliehen. Wissenschaftliche Untersuchungen, wie zum Beispiel die des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, zeigen zudem: Rechtsstaatlichkeit, Freund*innen, Familie und die Arbeitsmarktbedingungen in einem Land sind Faktoren für den Zielort einer Flucht. Sozialleistungssysteme dagegen wirken sich nicht als entscheidungsrelevant aus. Auch die Bezahlkarte wird also an den Fluchtwegen von Menschen nichts ändern.


Stetten im Remstal: Populismus in der Flüchtlingspolitik

„Größtmögliche Abschreckung“ wird immer mehr zur Leitlinie in der aktuellen flüchtlingspolitischen Debatte. Vor sich her getrieben von der AFD liefern sich die Regierungsparteien im Bund und in den Ländern einen Wettkampf mit immer brutaleren Vorschlägen zur Abschreckung geflüchteter Menschen und zur Einschränkung ihrer Lebensmöglichkeiten in Deutschland: Migrationsabkommen mit Diktaturen aushandeln, Menschen an den europäischen Außengrenzen einsperren, Bezahlkarten einführen, Sozialleistungen senken, Arbeitszwänge einführen – je drastischer die Mittel, desto besser. In der Debatte geht es immer mehr um die Eindämmung der wahlweise als „irregulär“ oder „illegal“ bezeichneten Migration. Im Vortrag werden aktuelle populistische Narrative und Vorschläge in der Flüchtlingspolitik dekonstruiert.

  • Referentin: Anja Bartel, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg

Das Austauschtreffen findet im Glockenkelter, Hindenburgstr. 43, Stetten im Remstal statt. Die Veranstaltung erfolgt in Kooperation mit der Allmende Stetten und dem AK Asyl Kernen und findet im Rahmen des Projektes „Perspektive durch Partizipation“ gefördert durch Aktion Mensch e.V. statt.


Offener Brief an die Bundesregierung

In großer Sorge um die Gesundheit schutzsuchender Menschen in Deutschland rufen bundesweit 50 Organisationen Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Abgeordnete des Deutschen Bundestages dringend auf, sofort die geplante Novelle des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) zu stoppen.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz,
sehr geehrter Herr Bundesminister Heil,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

in großer Sorge um die Gesundheit schutzsuchender Menschen in Deutschland rufen wir Sie mit aller Dringlichkeit dazu auf: Stoppen Sie sofort das Vorhaben, den Zeitraum von 18 auf 36 Monate zu verlängern, in dem Asylsuchende nur Anspruch auf abgesenkte Sozial- und Gesundheitsleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten sollen!
Seit es das Asylbewerberleistungsgesetz gibt – seit über 30 Jahren – bezeugen zivilgesellschaftliche Organisationen und Verbände in ihrer humanitären Arbeit die ernsten Folgen, die es für die Gesundheit geflüchteter Menschen hat, sie von notwendigen Sozialleistungen und insbesondere medizinischer Versorgung auszuschließen. Aktuell noch haben Asylsuchende in den ersten 18 Monaten lediglich Anspruch auf medizinische Versorgung bei akuten Schmerzen, Schwangerschaft und Geburt. Oft entscheidet medizinisch nicht geschultes Personal in den Sozialämtern, ob darüber hinaus Leistungen in Anspruch genommen werden können – zum Beispiel bei chronischen und psychischen Erkrankungen. Daneben haben Geflüchtete mit massiven Barrieren wie Diskriminierungen und Verständigungsproblemen zu kämpfen.
Die Bundesregierung wurde bereits mehrfach von den Vereinten Nationen dafür gerügt, dass Deutschland Asylsuchenden das Recht auf Gesundheitsversorgung verwehrt. Sie nun noch länger zu benachteiligen, ist menschenrechtswidrig und ignoriert die jüngste ausdrückliche Aufforderung des UN-Komitees zur Konvention gegen Rassismus (ICERD), die Ungleichbehandlung im Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen zu beenden (08.12.2023).
Auch das Bundesverfassungsgericht hat schon vor über zehn Jahren entschieden, dass die „Menschenwürde…migrationspolitisch nicht zu relativieren“ ist. Der Versuch, die Flucht nach Deutschland zu begrenzen, indem man Geflüchteten den Zugang zu notwendiger Gesundheitsversorgung versagt, ist also nicht nur unwirksam (Sozial- und Gesundheitsleistungen als Pull-Faktor für Migration sind empirisch nicht belegt und wird von neuerer Migrationsforschung als unterkomplexe Theorie problematisiert) und unmenschlich, sondern auch verfassungswidrig.
Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag den klaren politischen Willen geäußert, das Asylbewerberleistungsgesetz im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiterzuentwickeln und den Zugang zu Gesundheitsversorgung für Asylsuchende zu vereinfachen. Das aktuelle Vorhaben läuft dieser Absicht massiv entgegen, würde sogar das Gegenteil bewirken.
Letztlich kommt eine Schlechterbehandlung bei der Gesundheitsversorgung ganzer Bevölkerungsgruppen die Gemeinschaft auch teuer zu stehen. Denn wenn Krankheiten chronifizieren oder zum Notfall werden, kosten sie das Gesundheitssystem mehr, als wenn man sie präventiv oder bei den ersten Symptomen behandelt.
Anstatt die Leistungen für Asylsuchende immer weiter zu kürzen, fordern die unterzeichnenden Organisationen deshalb:

  • Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!
  • Den Anspruch auf alle Gesundheitsleistungen aus dem Leistungskatalog der
    gesetzlichen Krankenkassen für Geflüchtete gesetzlich verankern
  • Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Geflüchtete in allen
    Bundesländern
  • Anspruch auf qualifizierte Sprachmittlung gesetzlich verankern
  • EU-Aufnahmerichtlinie für besonders schutzbedürftige Geflüchtete
    flächendeckend und systematisch umsetzen
    Wir bitten Sie, rechten Parolen und populistischen Hetzkampagnen gegen Migrant*innen und
    geflüchteten Menschen entschieden entgegenzustehen und unsere freiheitlich-
    demokratischen und menschen- und verfassungsrechtlichen Grundprinzipien mit Ihrer Politik
    zu verteidigen.

Gerne stehen wir für Rückfragen und zum persönlichen Austausch zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen

  1. François De Keersmaeker, Direktor, Ärzte der Welt e.V.
  2. Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband –
    Gesamtverband e. V.
  3. Gerhard Trabert, 1. Vorstandsvorsitzender, Armut und Gesundheit in Deutschland e.V.
  4. Karl Kopp, Geschäftsführer, PRO ASYL e.V.
  5. Ulrike Schneck, Vorsitzende & Lukas Welz, Geschäftsführung, BAfF
  6. Nicolay Büttner, Politische Arbeit und Advocacy, Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige
    geflüchtete Menschen
  7. Dr. Claudia Tamm, MediNetz Koblenz e.V.
  8. Birgit Naujoks, Geschäftsführerin, Flüchtlingsrat NRW e.V.
  9. Katrin Bahr, Geschäftsführende Vorständin, Condrobs e.V.
  10. Ute Hausmann, Vorstand, Refugio Stuttgart e.V.
  11. Sophia Wirsching, Geschäftsführerin, Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel –
    KOK e.V.
  12. Medinetz Gießen e.V.
  13. Elisabeth Helm & Almut Leiß, Vorstand, Förderverein des Brandenburgischen Flüchtlingsrates e. V.
  14. Timmo Scherenberg, Geschäftsführer Hessischer Flüchtlingsrat
  15. Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.
  16. Martin Link, Geschäftsführer, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
  17. Dr. med. Angelika Leist und Kollegen, Medinetz Karlsruhe
  18. Nele Wilk, Sozialarbeiterin, Clearingstelle Krankenversicherung Rheinland-Pfalz
  19. Kai Weber, Geschäftsführer, Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V
  20. Bundesverband Anonymer Behandlungsschein und Clearingstellen für Menschen ohne
    Krankenversicherung (BACK)
  21. Johanna Schwarz, Medinetz Mainz e.V.
  22. Medinetz Bielefeld
  23. Christiane Bachelier, Co-Vorsitzende des Vereins demokratischer Ärzt*innen
  24. Dr. Lars Pohlmeier (Vorsitzender) für den Vorstand der IPPNW (Internationale Ärztinnen für die Verhütung des Atomkrieges/Ärztinnen in sozialer Verantwortung) e. V.
  25. Jonah Lunnebach, Vorstand, MediNetzBonn e.V.
  26. Andrea Günther, Sozialarbeiterin, MedMobil – Ambulante Hilfe e.V. Stuttgart
  27. Lucia Braß und Bärbel Mauch für den Vorstand, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg e. V.
  28. Medinetz Freiburg
  29. FRABS (Freiburger Anonymisierter Behandlungsschein) e.V.
  30. MediNetz Hannover e.V.
  31. Walter Schlecht, Kampagne für die Abschaffung des AsylbLG
  32. Elisa Cazzato, Vorstand Medinetz Marburg e.V.
  33. Community for all, Darmstadt
  34. Gesundheitskollektiv Berlin e.V
  35. Michaela Rosenbaum, Geschäftsführerin AWO Kreisverband Mülheim e. V.
  36. Dr. Maria Decker, Vorsitzende SOLWODI Deutschland e.V.
  37. Regina Begander, Bernadette Tusch, Institut für angewandte Kulturforschung, ifak. e.V. Göttingen
  38. Flüchtlingsrat Berlin e.V.
  39. Noah Peitzmann, Projektkoordinator, Anonymer Krankenschein Bonn e.V.
  40. Kölner Flüchtlingsrat e.V.
  41. Bayerischer Flüchtlingsrat
  42. Flüchtlingsrat RLP e.V.
  43. Saarländischer Flüchtlingsrat e.V.
  44. Torsten Jäger, Geschäftsführer, Initiativausschuss für Migrationspolitik in Rheinland-Pfalz.
  45. Flüchtlingshilfe Langenfeld e.V.
  46. Dr. med. Roland Fressle, erster Vorsitzender der Refudocs Freiburg e.V.
  47. Medibüro Berlin
  48. Dr. med. Gerhard Bonnekamp, MediNetz Essen
  49. Nanne Wienands, 2. Vorsitzende, Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Hof e. V.
  50. Dr. Udo Puteanus, VdPP-Vorstandsmitglied, Verein demokratischer Pharmazeutinnen und
    Pharmazeuten e.V.

Einigung über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS)

Die GEAS-Einigung zwischen den Mitgliedstaaten der EU und dem EU-Parlament ist da und sieht eine massive Entrechtung von Geflüchteten an den Außengrenzen vor. Auch vor der Inhaftierung von Kindern oder Flüchtlingsdeals mit autokratischen Staaten macht die EU keinen Halt. PRO ASYL analysiert die fatalen Beschlüsse.

Nach zwei Tagen und zwei Nächten Marathon-Verhandlungen verkündeten die Sprecher*innen der verschiedenen EU-Institutionen und Mitgliedstaaten am Mittwoch, den 20. Dezember 2023, die Einigung über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Wer noch auf Verbesserungen der Ergebnisse durch das EU-Parlament gehofft hatte, wurde bitter enttäuscht. Die Mitgliedstaaten konnten sich mit ihren extremen Verschärfungen, die sie im Juni und Oktober beschlossen hatten, fast vollständig durchsetzen. Damit steht eine Einigung, die den Flüchtlingsschutz in Europa massiv untergräbt und zeigt, wie weit der Rechtsruck in Europa schon vollzogen ist.

Die dystopische Vision eines Europas der Haftlager – die PRO ASYL seit dem Beginn der Reformpläne befürchtet – wird Realität werden. Denn die Mitgliedstaaten haben erreicht, dass eine Vielzahl an Geflüchteten zukünftig ihr Asylverfahren abgeschottet von der Außenwelt hinter Stacheldraht an den Außengrenzen durchlaufen muss. Die Asylgrenzverfahren, die nach einem ersten Screening nach Ankunft erfolgen, sollen in zwölf Wochen abgeschlossen sein. Daran anschließen kann sich dann ein neues Abschiebungsgrenzverfahren, was ebenfalls bis zu zwölf Wochen dauern kann. Während dieser Zeit sollen die Asylsuchenden als »nicht eingereist« gelten und in absehbar geschlossenen Asylzentren an den Außengrenzen festgehalten werden. Die Rede ist von der Fiktion der Nichteinreise, einem rechtlich fragwürdigem Konstrukt, das schon an deutschen Flughäfen zu de facto Inhaftierungen von Schutzsuchenden führt. Auch diese deutschen Grenzverfahren müssen dann an die neuen EU-Regeln angepasst und somit stark ausgeweitet und verlängert werden. Für drei Gruppen von schutzsuchenden Menschen ist die Anwendung dieser Grenzverfahren verpflichtend: Für Menschen aus Herkunftsländer mit einer europaweiten Schutzquote von unter 20 Prozent, für Personen – selbst unbegleiteten Minderjährigen – denen unterstellt wird, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu sein sowie für Schutzsuchenden denen vorgeworfen wird, die Behörden zu täuschen, weil z.B. vermeintlich Dokumente zerstört wurden.

Außerdem können mit der Europäischen Einigung zukünftig deutlich mehr außereuropäische Drittstaaten als sicher eingestuft werden, um Flüchtlinge in diese Länder abzuschieben. Weder muss in dem Drittstaat die Genfer Flüchtlingskonvention gelten, noch muss das ganze Land sicher sein. Wenn es eine entsprechende Vereinbarung zwischen Drittstaat und EU gibt, soll die Sicherheit schlicht angenommen werden können. Dadurch wird die Möglichkeit eröffnet, dass Mitgliedstaaten sich weitgehend aus dem Flüchtlingsschutz zurückziehen, indem sie Nachbarländer oder andere Staaten entlang der Fluchtrouten als »sicher« einstufen.

Die bisherige Dublin-III-Verordnung, die festlegt welcher Mitgliedstaat für die Durchführung von Asylverfahren zuständig ist, wird durch die Verordnung für ein Asyl- und Migrationsmanagement ersetzt. Doch vieles wird unverändert bleiben, Grundprobleme des europäischen Asylsystems werden nicht gelöst. Denn weiterhin sind es die Außengrenzstaaten, die primär für die Durchführung der Asyl(grenz)verfahren zuständig sind.


Gesundheitliche Versorgung von Frauen ohne Papiere im Rahmen von Schwangerschaft und Geburt

Frauen ohne Papiere haben in Deutschland grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen bei Schwangerschaft und Geburt nach § 4 Asylbewerberleistungsgesetz, können diesen aber aufgrund der im Aufenthaltsgesetz festgeschriebenen Übermittlungspflichten de facto nicht in Anspruch nehmen, ohne eine Abschiebung zu riskieren. Der fehlende Zugang zu gesundheitlicher Versorgung in Schwangerschaft und Geburt steht in deutlichem Gegensatz zu internationalen Menschenrechtsverträgen. Mit dem Arbeitspapier stellt die Bundesarbeitsgemeinschaft Gesundheit/Illegalität die bestehenden Zugangsbarrieren dar, zeigt verschiedene lokale Lösungen auf, diese zu reduzieren, und formuliert fachpolitische Forderungen, wie der Zugang zu gesundheitlicher Versorgung rund um Schwangerschaft und Geburt für Frauen ohne Papiere zu verbessern ist.


Geflüchtete Frauen endlich umfassend schützen!

Zum internationalen Tag zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen am 25. November fordert der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg die Bundesregierung und die baden-württembergische Landesregierung dazu auf, den Schutz von geflüchteten Frauen und Mädchen in Deutschland umfassend sicherzustellen.

Frauen, denen die Flucht aus ihrer Heimat gelingt, erleben auf den Fluchtwegen überproportional häufig weitere Gewalt. Diese Situation droht sich zu verschlimmern, sollten die Pläne zur Reform des europäischen Asylsystems (GEAS), auf die sich der Europäische Rat im Juni geeinigt hat, umgesetzt werden. Geflüchtete sollen in Grenzverfahren zukünftig an den EU-Außengrenzen wochenlang unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden, mit eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten und einem absehbar fehlenden Zugang zu Beratung und adäquater medizinischer Unterstützung. „Die Menschenrechte von Geflüchteten und insbesondere von vulnerablen Gruppen wie asylsuchenden Frauen, Müttern, Mädchen, Kindern, Menschen mit Behinderungen oder queeren Personen werden dabei massiv missachtet. Der ungehinderte Zugang Geflüchteter zu einem fairen, regulären Asylverfahren in der EU muss die oberste Priorität bleiben“, so Meike Olszak vom Flüchtlingsrat.

Doch auch in Deutschland sind geflüchtete Frauen Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Gemäß der Istanbul-Konvention, einer der wichtigsten völkerrechtlichen Verträge zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen und Mädchen, sind Vertragsstaaten dazu verpflichtete, Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu verhindern und die Betroffenen umfassend zu unterstützen. Deutschland hat sich 2017 zur Umsetzung der Konvention verpflichtetet. In der Praxis kommt es dennoch zu erheblichen Problemen: Das Kontrollgremium für die Istanbul Konvention GREVIO hat der Bundesregierung im Oktober 2022 bescheinigt, dass der Gewaltschutz von Frauen in Deutschland große Mängel aufweist. Dies betrifft insbesondere mehrfach diskriminierte Frauen wie Asylsuchende oder Frauen mit einer Behinderung. So weist GREVIO etwa auf die „anhaltenden Sicherheitsbedenken“ für geflüchtete Frauen und Mädchen in Sammelunterkünften hin. Diese bieten keine Bedingungen, unter denen Frauen und Mädchen, die vor geschlechtsspezifischer Verfolgung geflohen sind, ihre Erlebnisse verarbeiten können, um sie im Rahmen des Asylverfahrens vorzubringen. Der Flüchtlingsrat fordert schon lange einen Kurswechsel in der Unterbringungspolitik: „Asylsuchende sollten von Anfang an dabei unterstützt werden, bei Verwandten, Freund*innen oder in eigenen Wohnungen unterzukommen. Die Wohnpflicht in Erstaufnahmeeinrichtungen und Sammelunterkünften muss endlich aufgehoben werden“, so Olszak.

Weitere Schutzlücken bestehen bei den aufenthaltsrechtlichen Regelungen für Betroffene häuslicher Gewalt. Deutschland hatte die Istanbul-Konvention unter Vorbehalt des Artikel 59 Absatz 2 und 3 unterzeichnet. Diese sehen vor, Betroffenen einen aufenthaltsrechtlichen Ausweg aus einer gewaltgeprägten Beziehung zu ermöglichen. Nachdem die Bundesregierung die Vorbehalte nicht verlängert hat, gilt die Konvention seit dem 1. Februar 2023 auch in Deutschland uneingeschränkt. Die bisherigen asyl- und aufenthaltsrechtlichen Regelungen bieten jedoch bisher nicht den von der Konvention vorgesehenen Schutz. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hatte hierzu kürzlich umfassende Umsetzungsempfehlungen veröffentlicht. „Statt die gesetzgeberische Energie für Abschottungs- und Abwehrmaßnahmen zu verschwenden, sollte die Bundesregierung endlich die Maßnahmen umsetzen, zu denen sich Deutschland menschenrechtlich verpflichtet hat und dafür Sorge tragen, dass schutzsuchende gewaltbetroffene Frauen sicher, selbstbestimmt und in Würde hier leben können“, so Lena Schmid vom Flüchtlingsrat.

Von der Bundes- und Landesregierung erwartet der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg einen besseren Schutz von geflüchteten Frauen und menschenwürdige Aufnahmebedingungen, wie die Unterbringung in sicheren Wohnungen, geschlechtersensible Asylverfahren und ausreichend medizinische und psychosoziale Unterstützung.


Ampel-Regierung opfert Grundrechte in aufgeheizter Abschiebungsdebatte

Am heutigen Mittwoch soll im Kabinett der von Nancy Faeser vorgeschlagene Entwurf zum „Gesetz zur Verbesserung der Rückführung“ beschlossen werden. Diese rechtsstaatlich fragwürdigen Verschärfungen rund um Abschiebungen sind jedoch schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte ohne jede Verhältnismäßigkeit, die dem Rechtspopulismus weiter Vorschub leisten. Zudem werden die Kommunen so nicht entlastet. Der Gesetzentwurf sieht unter anderem eine Ausweitung des Ausreisegewahrsams auf 28 Tage und der Abschiebehaft auf bis zu sechs Monate vor. Außerdem sollen mit der Abschiebung beauftragte Personen quasi jedes Zimmer – auch nachts – in einer Geflüchtetenunterkunft betreten dürfen, traumatisierende nächtliche und überfallartige Abschiebungen sollen forciert werden. Zudem sollen durch neue Regelungen massenhaft und ohne Verhältnismäßigkeitsprüfung Handys ausgelesen werden können.

„Die Bundesregierung opfert mit dem Abschiebungsgesetz die Grundrechte der Betroffenen dem aktuellen rechtspopulistischen Diskurs. Verschärfte Abschiebungsregeln werden kaum dazu führen, dass nennenswert mehr Menschen abgeschoben werden, aber sie führen zu noch mehr Härte und Verletzungen der Grundrechte. Schon jetzt ist jede zweite Abschiebungshaft rechtswidrig, schon jetzt werden Familien getrennt und Kinder nachts aus dem Schlaf gerissen. Dabei ist schon lange klar: Abschiebungen lösen weder die Probleme der Kommunen noch die Herausforderungen bei der Aufnahme fliehender Menschen“, kommentiert Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL. Die von Nancy Faeser vorgeschlagenen Maßnahmen greifen unter anderen in das Recht auf Freiheit (Artikel 2 Abs. 2 Grundgesetz), das Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Grundgesetz) – das auch für Zimmer in Geflüchtetenunterkünften gilt – sowie in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Privatsphäre (Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz) ein.

Mit diesem Abschiebungs-Verschlimmerungsgesetz wird so getan, als würden noch härtere Abschiebungen zur Entlastung von Kommunen führen. Dabei bekommen aktuell 71 Prozent der Menschen, deren Asylgründe vom BAMF geprüft werden, Schutz in Deutschland. Die Quote liegt damit auf Rekordniveau und beweist, dass der allergrößte Teil der Menschen, die nach Deutschland kommen und Schutz suchen, sehr gute Asylgründe hat. Deshalb sollte der Fokus auf ihrer Aufnahme und nicht auf Abschiebungen liegen. Auch die öffentliche Debatte über ausreisepflichtige Personen ist oft verzerrt: Ende 2022 lebten knapp 250.000 Menschen mit einer Duldung in Deutschland und waren ausreisepflichtig. Viele der Ausreisepflichtigen können jedoch überhaupt nicht abgeschoben werden, auch wenn unterschiedliche Politiker*innen das immer wieder suggerieren: Rund 3.000 Geduldete können wegen schwerwiegender medizinischer Gründe nicht abgeschoben werden. In 25.000 Fällen wurden Duldungen wegen familiärer Bindungen erteilt, die eine Abschiebung nicht zulassen. Auch Menschen in einer Berufsausbildung bleiben in Deutschland bislang in der Duldung, sind damit weiterhin ausreisepflichtig und Teil der Statistik: Ende 2022 waren das 6.000 Auszubildende. Zudem wird nur etwa neun Prozent der geduldeten Menschen vorgeworfen, ihre eigene Abschiebung zu verhindern, weshalb sie eine sogenannte Duldung Light haben.

PRO ASYL fordert alle demokratischen Parteien im Bundestag auf, Ziel und Mittel des Abschiebegesetzes zu hinterfragen, die flüchtlingsfeindliche Debatte zu beenden und stattdessen echte Lösungen zur Entlastung von Kommunen zu verfolgen. Rund 136.000 Geduldete könnten zum Beispiel von einer großzügigen Anwendung des Chancen-Aufenthaltsrechts profitieren, was die Zahl der Ausreisepflichtigen verringert.


Georgien und Moldau sind nicht sicher!

PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Länder fordern die Bundesländer auf, sich am 20.10.2023 im Bundesrat gegen den Gesetzentwurf zur Einstufung Georgiens und Moldaus als “sichere” Herkunftsländer auszusprechen und sich stattdessen einer rationalen, faktenbasierten und lösungsorientierten Migrationspolitik zuzuwenden.

“Die Wahlen in Hessen und Bayern haben klar gezeigt: Je mehr SPD und Grüne sich rechts anbiedern, desto weiter verschiebt sich der gesamte Diskurs nach rechts – und gewählt wird dann dennoch das rechtsradikale Original. Wir brauchen endlich eine rationale und faktenbasierte Debatte über Flucht und Migration”, sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL.

PRO ASYL und die Flüchtlingsräte lehnen das Konzept der sicheren Herkunftsländer grundsätzlich ab. Im konkreten Fall von Moldau und Georgien gibt es zudem etliche tatsächliche Gründe, die der Einstufung als “sicher” entgegenstehen. Denn zu einer solchen Einstufung gelten klare gesetzliche Vorgaben: Staaten dürfen nur dann als “sichere Herkunftsstaaten” gelten, wenn „landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen“ Sicherheit vor Verfolgung besteht. Dies ist weder in Georgien noch in Moldau gegeben. PRO ASYL hat dazu eine ausführliche Stellungnahme verfasst.

In beiden Ländern gibt es abtrünnige Regionen, die von Russland und nicht von der jeweiligen Regierung kontrolliert werden: In Georgien die Regionen Abchasien und Südossetien und in der Republik Moldau die Region Transnistrien. Außerdem geht der Gesetzentwurf nicht auf die Gefahr des zunehmenden russischen Einflusses auf Politik und Gesellschaft auch außerhalb der abtrünnigen Gebiete ein und auch nicht auf die geänderte geopolitische Gefahrenlage seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.

Weiterhin sind nachweislich nicht alle Personen- und Bevölkerungsgruppen sicher. In Georgien gilt das speziell für die Gruppe der LGTBIQ*-Personen, in Moldau insbesondere für die Gruppe der Rom*nja. Beide Gruppen sind von Diskriminierung, Ausschlüssen und sogar von Angriffen betroffen. Auch Presse- und Medienvertreter*innen sowie Kunst- und Kulturschaffende geraten in jüngster Zeit zunehmend unter Druck. In Belgien wurde im Juli dieses Jahres das Land Georgien nach nicht einmal drei Monaten wieder von der Liste der sicheren Herkunftsländer genommen, insbesondere wegen der gefährlichen Situation für LGTBIQ*-Personen.

Der Gesetzentwurf wird als Maßnahme zur Entlastung von kommunalen Strukturen vermarktet. Dabei handelt es sich in Wahrheit bei diesen beiden Ländern nur um eine kleine Gruppe Asylsuchender, denen durch die Einstufung als “sicheres Herkunftsland” ihr Recht auf eine individuelle Überprüfung ihrer Asylanträge verweigert wird. Das wird nicht zu einer Entlastung der Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten führen. Was die Kommunen hingegen brauchen, ist eine rationale und faktenbasierte Debatte über echte Maßnahmen, die ihnen helfen – zum Beispiel eine dauerhafte und nachhaltige Finanzierung mit einer Pro-Kopf-Pauschale je aufgenommener Person, eine Digitalisierungsoffensive und die Aufhebung der Arbeitsverbote, von denen Tausende Geduldete betroffen sind.

PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte fordern Bund und Länder auf, eine Migrationspolitik zu verfolgen, die tatsächlich die Kommunen bei der Aufnahme sowie die Menschen beim Ankommen unterstützt, statt weiter rechte Stimmungsmache zu befördern.


Debatte über Arbeitspflicht, Abschiebungen und Bezahlkarten für Flüchtlinge stärkt rechte Diskurse

PRO ASYL und Flüchtlingsräte kommentieren Vorschläge der Ministerpräsident*innenkonferenz, das ‚Abschiebungsverschlimmerungsgesetz‘ von Nancy Faeser und den drohenden Schulterschluss mit rechten Positionen in einem „Deutschlandpakt“.

PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Bundesländer kritisieren die aktuellen Vorschläge zur weiteren Entrechtung von Geflüchteten scharf. Hierzu gehört der Vorstoß auf der heute beginnenden Ministerpräsident*innenkonferenz, unter anderem die Bezahlkarte und die Arbeitspflicht für Schutzsuchende einzuführen. Begründet wird dies mit dem Ziel, die Zuzugszahlen von Geflüchteten zu senken, um die Kommunen zu entlasten.

“Worüber sprechen wir hier? Dass Menschen ihr Leben riskieren, auf der Flucht gefoltert und vergewaltigt werden, nur weil sie in Deutschland vierhundert Euro im Monat bekommen wollen? Und wenn es nun statt Bargeld eine Bezahlkarte gibt, gehen sie lieber in Baschar al-Assads Gefängnisse in Syrien oder liefern sich der Taliban in Afghanistan aus? Uns fehlen die Worte über diese unredlichen Vorschläge”, sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL.

Mit einer Arbeitspflicht wird das rassistische Narrativ von Schutzsuchenden, denen zu Unrecht unterstellt wird, nicht arbeiten zu wollen, reproduziert. Blanker Hohn, wenn man bedenkt, wie viele Geflüchtete in Deutschland mit einem Arbeitsverbot belegt werden. Wir sind entsetzt über diesen unmenschlichen Umgang mit Geflüchteten und die rein von rechts dominierte Migrationsdebatte, die allein dem Aufschwung antidemokratischer Kräfte dient und nichts mit tatsächlichen Lösungsansätzen zu tun hat.

“Gebot der Stunde ist es, schutzsuchenden Menschen eine gleichberechtige Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen, das schafft zugleich Entlastung in den Kommunen“, sagt Ulrike Seemann-Katz, Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern e.V.

Zudem ist der Vorschlag nicht mit Artikel 20 der EU-Aufnahmerichtlinie vereinbar und auch Artikel 4 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention statuiert das Verbot von Zwangs- und Pflichtarbeit.

Nach dem Debakel in den Landtagswahlen in Hessen und Bayern für die Ampel-Parteien legte nun Innenministerin Faeser einen Gesetzesentwurf vor, der rechtsstaatlich höchst fragwürdige Verschärfungen bei Abschiebungen vorsieht. Mehr und längere Haft, das Durchsuchen von Wohnungen und das Handyauslesen sind alles schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte, wobei auch die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt wird.

„Wir lehnen schon die Prämisse dieses ‚Abschiebungsverschlimmerungsgesetzes‘ ab, dass mehr Abschiebungen das Mittel der Wahl sind, um die Kommunen zu unterstützen. Abschiebungen sind schon heute oft brutal für die betroffenen Menschen, das wird noch schlimmer, wenn sie regelmäßig überfallartig und nachts passieren. Auch ist jede zweite Abschiebungshaft rechtswidrig – dieses Instrument jetzt noch auszubauen widerspricht jedem Verständnis von Rechtsstaat“, so Seemann-Katz, Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern e.V.

Den Verbänden ist der Gesetzesentwurf am Mittwoch mit Veröffentlichung auf der Homepage zur Kommentierung zugeleitet worden. Die Stellungnahmefrist von zwei Tagen zeigt, dass auch diese Einbindung der Zivilgesellschaft zur Farce geworden ist.

Statt immer neuer Abschreckungsmaßnahmen, sollten sich die Ministerpräsident*innen den pragmatischen Lösungsvorschlägen von zivilgesellschaftlichen Organisationen zuwenden. Dazu gehören zum Beispiel eine Pro-Kopf-Pauschale für die Kommunen für jede aufgenommene Person und die im Koalitionsvertrag versprochene Aufhebung aller Arbeitsverbote. Auch die Aufweichung restriktiver Gesetze, die verhindern, dass Geflüchtete aus den ihnen zugewiesenen Unterkünften ausziehen können, würde Kommunen entlasten. Nötig sind zudem der zügige Ausbau von Kita- und Schulplätzen und die Digitalisierung der Behörden.

PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Länder appellieren an alle Politiker*innen in Bund und Ländern, sich an einem menschenrechtlichen Kompass zu orientieren: “Stoppen Sie diese irrwitzigen Debatten! Und vor allem: Hören Sie auf, den rechten Diskurs zu führen, der Geflüchtete zu Sündenböcken für verfehlte Sozialpolitik macht.”


Geflüchtete Menschen mit Behinderungen

Geflüchtete Menschen mit Behinderungen

Das Leben von Menschen mit Fluchterfahrung und Behinderungen in Deutschland ist von zahlreichen Barrieren und Versorgungslücken geprägt. An der Schnittstelle Flucht und Behinderung treffen zwei Rechtsbereiche aufeinander, deren Anwendung jeweils spezifische Kenntnisse erfordert. Die wichtigsten Informationen zur Unterstützung dieser Personengruppe werden im Folgenden dargestellt.  

I. Allgemeines zu geflüchteten Menschen mit Behinderungen
II. Besonderheiten in Bezug auf das Asylverfahren
III. Besonderheiten in Bezug auf das Aufenthaltsrecht
IV. Besonderheiten in Bezug auf Unterbringung
V. Zugang zu Teilhabeleistungen/Eingliederungshilfe
VI. Zugang zu Gesundheits- und Pflegeleistungen
VII. Arbeit, Bildung und Sprachförderung
VIII. Nachteilsausgleiche und Schwerbehindertenausweis
IX. Kontaktadressen
X. Weiterführende Arbeitshilfen

I. Allgemeines zu geflüchteten Menschen mit Behinderungen

Was ist eine Behinderung?

§ 2 Absatz 1 Satz 1 Neuntes Sozialgesetzbuch (SGB IX) definiert Personen mit Behinderungen in Anlehnung an die UN-Behindertenrechtskonvention als „Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können“.

Im Gesetz wird folglich zwischen Beeinträchtigungen (Schädigungen der Körperstrukturen und
-funktionen) und Behinderungen (Schwierigkeiten im Bereich Teilhabe, die sich aus der Wechselwirkung zwischen den Beeinträchtigungen und den umweltbezogenen Barrieren ergeben) unterschieden.

Eine Beeinträchtigung liegt dann vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die genannten Beeinträchtigungen angeboren oder Folgen eines Unfalls oder einer Krankheit sind.

Wie hoch ist der Anteil von Menschen mit Behinderungen unter den geflüchteten Menschen?

Verlässliche Daten, wie hoch der Anteil von Menschen mit Behinderungen unter den Geflüchteten ist, liegen nicht vor, da dieses Merkmal nicht systematisch erfasst wird. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass 10-15 Prozent aller geflüchteten Menschen Behinderungen haben.

Wer stellt fest, ob eine Person Behinderungen hat?

Die EU-Aufnahmerichtlinie sieht in Artikel 21 und 22 vor, dass alle Asylsuchenden ein Verfahren zur Identifikation von besonderen Schutzbedarfen durchlaufen sollen. In Deutschland gibt es hierfür allerdings kein einheitliches Verfahren und auch die baden-württembergische Regelung (§ 5 FlüAG) ist sehr vage (>> Allgemeines zu Geflüchteten mit besonderem Schutzbedarf). Gerade bei Personen mit nicht sichtbaren Behinderungen wird der Schutzbedarf häufig nicht erkannt. Dann können die notwendigen Vorkehrungen zum Schutz der Personen und zur Inanspruchnahme von Rechten, z.B. in den Bereichen Asylverfahren und Unterbringung, nicht getroffen werden.

II. Besonderheiten in Bezug auf das Asylverfahren

Welche Rechte haben geflüchtete Menschen mit Behinderungen im Asylverfahren?

Asylsuchende Menschen haben gemäß § 24 AsylG das Recht, frühzeitig in einer Sprache, deren Kenntnis vorausgesetzt werden kann, über den Ablauf des Asylverfahrens und über ihre Rechte und Pflichten informiert zu werden. Einige Menschen mit Behinderungen, so z.B. Personen mit kognitiver Behinderung oder Sehbehinderung, verstehen die üblichen Merkblätter des BAMF nicht und benötigen deshalb angepasste Informationen.

Gemäß § 12 Absatz 1 AsylG benötigen nicht handlungsfähige Personen eine rechtliche Betreuung, um im Rahmen des Asylverfahrens nötige Handlungen ausführen zu können. Dem*der rechtlichen Betreuer*in kommt dann die Pflicht zu, den Asylantrag zu begründen und in der Anhörung die Schutzgründe vorzutragen.

Hinweis: Ob eine rechtliche Betreuung nötig ist und wer diese übernimmt, ist eine komplexe Einzelfallentscheidung, die sich an den Wünschen der betroffenen Person orientieren sollte. Hier sollten frühzeitig hauptamtliche Fachkräfte eingeschaltet werden. Die rechtlichen Betreuer*innen können sich für Unterstützung u.a. an Betreuungsvereine, z.B. von Caritas oder AWO, wenden.

Wie bei allen Personen mit besonderem Schutzbedarf besteht auch bei Personen mit Behinderungen die Möglichkeit, zu beantragen, dass die Anhörung unter Beteilung eines*einer Sonderbeauftragte*n durchgeführt wird (>> Allgemeines zu Geflüchteten mit besonderem Schutzbedarf). Bedauerlicherweise gibt es keine speziell zum Thema geflüchtete Menschen mit Behinderungen geschulten Entscheider*innen.

Sind Behinderungen ein Grund für einen Schutzstatus in Deutschland?

Behinderungen begründen für sich genommen keinen Anspruch auf asylrechtlichen Schutz. Wird man allerdings wegen der Behinderungen verfolgt oder droht deswegen ein sonstiger Schaden oder eine Gefahr für das Leben, kann dies zu einem Schutzanspruch führen (>> Anerkennungsformen).

III. Besonderheiten in Bezug auf das Aufenthaltsrecht

Welche Erleichterungen gelten für Menschen mit Behinderungen bei der Aufenthaltsverfestigung?

Für die Niederlassungserlaubnis gilt: Von den Voraussetzungen Lebensunterhaltssicherung, Rentenversicherungsbeiträge, Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und Deutschkenntnisse wird in bestimmten Fällen abgesehen, wenn die Voraussetzungen aufgrund von Krankheit oder Behinderung nicht erfüllt werden können.

Auch bei der Einbürgerung greifen bei Krankheit oder Behinderung Ausnahmen von einigen Voraussetzungen (B1-Sprachkenntnisse, Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung).

Für allgemeine Informationen siehe >> Aufenthaltsverfestigung.

Welche Erleichterungen gelten für geduldete Menschen mit Behinderungen bezüglich der Bleiberechtsoptionen?

Die Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG für nachhaltig integrierte Erwachsene sieht eine Sonderregelung für Personen mit einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung vor. Diese können von den Voraussetzungen der überwiegenden Lebensunterhaltssicherung und der A2-Deutschkenntnisse ausgenommen sein.

Auch beim Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche und junge Volljährige (§ 25a AufenthG) kann auf die Voraussetzung des erfolgreichen dreijährigen Schulbesuchs bzw. des Schulabschlusses verzichtet werden, wenn diese wegen einer Krankheit oder Behinderung nicht erfüllt werden kann.

Für allgemeine Informationen siehe >> Bleiberechtsoptionen.

Wichtig: Damit die jeweiligen Ausnahmen bei der Aufenthaltsverfestigung bzw. dem Bleiberecht greifen können, muss jeweils erklärt werden, warum die Behinderungen die Fähigkeit beeinträchtigen, die jeweilige Voraussetzung zu erfüllen. So ist es z.B. einem Menschen mit einer chronischen Erkrankung, die mit regelmäßigen Krankenhausaufenthalten einhergeht, eventuell nicht möglich, die Anforderungen bezüglich der Lebensunterhaltssicherung zu erfüllen, weil die Person keiner geregelten Arbeit nachgehen kann.

IV. Besonderheiten in Bezug auf Unterbringung

Was ist Barrierefreiheit und warum ist sie so wichtig?

Der Begriff der Barrierefreiheit wird in § 4 BGG definiert: Danach besteht Barrierefreiheit, wenn „bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, […] für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind“.

Es gibt nur wenige (zumindest zum Teil) barrierefreie Sammelunterkünfte. In der Praxis erschöpft sich Barrierefreiheit, wenn sie überhaupt berücksichtigt wird, häufig im rollstuhlgerechten Bauen (z.B. mittels Rampen), die Bedarfe von Menschen mit anderen Beeinträchtigungen (z.B. Beschilderung über Piktogramme, Blindenleitsysteme oder Lichtklingeln) werden nur selten erfüllt. Fehlende oder unzureichende Barrierefreiheit verstärkt die Belastung und die Isolation der betroffenen Menschen und ihrer Familien.

Haben geflüchtete Menschen mit Behinderungen auch eine Wohnsitzauflage?

Geflüchtete Menschen unterliegen häufig einer sog. Wohnsitzauflage, die vorgibt, wo sie leben müssen. Für geflüchtete Menschen mit Behinderungen gilt hier erstmal keine Ausnahme. Allerdings können für die Aufhebung/Abänderung der Wohnsitzauflage ggf. humanitäre Gründe berücksichtigt werden, wie z.B. ein Pflege- oder Betreuungsbedarf (>> Unterbringung und Wohnen).

Können auch geflüchtete Menschen in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen wohnen?

Unter bestimmten Umständen können auch geflüchtete Menschen in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen leben. Menschen mit einem hohen Grad an Selbstständigkeit können mithilfe von Assistenzleistungen ein weitgehend selbstbestimmtes Leben in der eigenen Wohnung bzw. in Wohngemeinschaften führen. Diese sog. Assistenzleistungen im Wohn- und Sozialraum (AWS) laufen ebenso wie das ambulant betreute Wohnen über die Eingliederungshilfe (siehe unten). Für die Unterbringung im Pflegeheim muss in der Regel ein Pflegegrad bestimmt werden (siehe unten). Zu den Wohnformen beraten die Stellen der Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB).

V. Zugang zu Teilhabeleistungen/Eingliederungshilfe

Was ist eigentlich Eingliederungshilfe?

Menschen mit Behinderungen haben unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Teilhabeleistungen (§ 5 SGB IX). Diese Leistungen sollen ihre Selbstständigkeit und Teilhabe an der Gesellschaft fördern. Im Einzelnen handelt es sich um:

  • unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen (z.B. Krankengeld)
  • Leistungen zur Sozialen Teilhabe (z.B. Assistenzleistungen, Leistungen zur Mobilität)
  • Leistungen zur Teilhabe an Bildung (z.B. Hilfen zur Schulbildung)
  • Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (z.B. unterstützte Beschäftigung, berufliche Anpassung und Weiterbildung)
  • Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (z.B. Hilfsmittel, Heilmittel, Arbeitstherapie)

Diese Leistungen werden gemäß § 6 SGB IX von unterschiedlichen Trägern erbracht (z.B. gesetzliche Krankenkasse, Bundesagentur für Arbeit, Träger der Rentenversicherung). Auch die Träger der Eingliederungshilfe, in Baden-Württemberg die 44 Stadt- und Landkreise, können für die Gewährung von Teilhabeleistungen (mit Ausnahme von unterhaltssichernden und anderen ergänzenden Leistungen) zuständig sein. Nur wenn dies der Fall ist, handelt es sich technisch gesehen um Eingliederungshilfe. Häufig wird der Begriff allerdings synonym zu Teilhabeleistungen verwendet, unabhängig davon, welcher Träger die Leistung erbringt.

Hinweis: Es ist kein Problem, wenn ein Antrag auf Eingliederungshilfe nicht bei der richtigen Stelle gestellt wird. Gemäß § 14 Absatz 1 SGB IX muss der Rehabilitationsträger, bei dem der Antrag eingeht, innerhalb von zwei Wochen feststellen, ob er für die Leistungsgewährung zuständig ist. Ist dies nicht der Fall, muss er den Antrag unverzüglich an den seiner Meinung nach zuständigen Rehabilitationsträger weiterleiten und die antragstellende Person darüber informieren.

Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe sind, dass Menschen aufgrund einer gesundheitlichen Störung im Sinne von § 2 Absatz 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt sind oder eine solche Einschränkung droht. Zusätzlich dazu muss Aussicht darauf bestehen, dass die Eingliederungshilfe die gleichberechtigte Teilhabe der Person am Leben in der Gesellschaft ermöglicht (§ 99 SGB IX in Verbindung mit § 90 SGB IX).

Wann haben geflüchtete Menschen Zugang zur Eingliederungshilfe?

Geflüchtete Menschen haben laut Gesetz nicht immer Anspruch auf Eingliederungshilfe. Insbesondere Leistungsberechtigte nach § 3 AsylbLG sind laut § 100 Absatz 2 SGB IX von Eingliederungshilfe ausgenommen. Darunter fallen unter anderem Asylsuchende und Geduldete, die seit 36 Monaten oder kürzer in Deutschland sind. Einzelne Leistungen können ggf. im Ermessen über § 6 AsylbLG gewährt werden. Analogleistungsberechtigte (>> Sozialleistungen) haben nach Ermessen Zugang zur Eingliederungshilfe.

Personen mit Aufenthaltstitel haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn sie sich voraussichtlich dauerhaft in Deutschland aufhalten, was z.B. bei Personen mit einem Schutzstatus über das Asylverfahren angenommen wird (§ 100 Absatz 1 SGB IX).

Hinweis: Beratung und Unterstützung bezüglich der Beantragung von Eingliederungshilfe leistet u.a. die Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung (EUTB).

VI. Zugang zu Gesundheits- und Pflegeleistungen

Welche Besonderheiten gibt es bei der Gesundheitsversorgung von geflüchteten Menschen mit Behinderungen?

Die Gesundheitsversorgung von geflüchteten Menschen hängt von ihrem Status und von der Aufenthaltsdauer in Deutschland ab (>> Gesundheitsversorgung).

Menschen, die eine Duldung oder Aufenthaltsgestattung haben und seit 36 Monaten oder kürzer in Deutschland sind, erhalten gemäß § 4 AsylbLG eingeschränkte Gesundheitsleistungen. Zusätzlich dazu können Leistungen nach § 6 AsylbLG gewährt werden. In Bezug auf Menschen mit Behinderungen sind folgende Regelungen relevant:

  • § 4 AsylbLG sieht vor, dass bei akuten Erkrankungen und bei Schmerzzuständen ein Anspruch auf die erforderliche ärztliche Behandlung besteht. Auch chronische Erkrankungen müssen behandelt werden, wenn sie mit Schmerzen verbunden sind bzw. bei unterlassener Behandlung eine akute Verschlechterung droht. Liegt eine akute Erkrankung oder ein Schmerzzustand vor, müssen alle zur Genesung, Besserung oder Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen notwendigen Leistungen gewährt werden. Nach dieser Regelung kann in bestimmten Fällen ein Anspruch auf die Gewährung von Heil- und Hilfsmitteln (z.B. Prothesen) bestehen.  
  • § 6 AsylbLG sieht vor, dass im Einzelfall unerlässliche Leistungen zur Sicherung der Gesundheit gewährt werden können. Es muss also gut erklärt werden, warum die jeweilige Gesundheitsleistung unerlässlich für die Gesundheit ist. Beispiele für Leistungen, die gemäß § 6 AsylbLG gewährt werden können, sind: eine gesundheitsbedingt besondere Ernährung, die den Verlauf einer chronischen Erkrankung positiv beeinflusst, oder die Versorgung mit Hilfsmitteln (z.B. orthopädische Schuhe), wenn ohne sie eine außerordentlich hohe Unfallgefahr besteht. Die Bewilligung von Leistungen nach § 6 AsylbLG steht dem Wortlaut nach im Ermessen der zuständigen Behörde. Es ist allerdings fraglich, ob die Behörde eine Leistung rechtmäßig verweigern kann, wenn diese zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich ist.
  • Gesundheitsleistungen können bei Menschen mit Behinderungen auch im Rahmen der Eingliederungshilfe gewährt werden (siehe oben). Hierbei handelt es sich gemäß § 42 SGB IX um Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Darunter fallen z.B. Heil- und Hilfsmittel, Früherkennung und Frühförderung für Kinder mit Behinderungen, Psychotherapie und Arbeitstherapie. Bei Leistungsempfänger*innen nach § 3 AsylbLG können im Ermessen einzelne Leistungen der Eingliederungshilfe über § 6 AsylbLG gewährt werden.

Wichtig: Bei der Beantragung von Gesundheitsleistungen sollte immer darauf bestanden werden, dass die §§ 4 und 6 AsylbLG sowie die Eingliederungshilfe geprüft werden. Befinden sich die betroffenen Personen noch im Asylverfahren, ist außerdem Artikel 19 der EU-Aufnahmerichtlinie zu beachten, auf den ausdrücklich hingewiesen werden sollte. Diese europarechtliche Vorschrift sieht für Menschen mit besonderem Schutzbedarf, also u.a. Menschen mit Behinderungen, einen Anspruch auf die erforderliche medizinische Behandlung vor. Eine Einschränkung auf Akuterkrankungen oder Schmerzzustände besteht nicht. Das ist insbesondere bei der Anwendung von § 6 AsylbLG zu beachten, da Europarecht deutschem Recht vorgeht. Auch die UN-Behindertenrechtskonvention, das Europäische Fürsorgeabkommen und das Grundgesetz können angeführt werden. Nähere Informationen dazu finden sich im Leitfaden zur Beratung von Menschen mit einer Behinderung im Kontext von Migration und Flucht.

Auch bei Menschen mit Behinderungen passiert es, dass die Leistungsbehörde die beantragte Behandlung ablehnt, gerade wenn die Leistungen in den Bereich des § 6 AsylbLG fallen. Gegen die Ablehnung einer medizinischen Behandlung kann man sich wehren, indem man Widerspruch und später Klage erhebt. Muss es schnell gehen, kann außerdem bei Gericht Eilrechtsschutz beantragt werden.  

Welche Pflegeleistungen gibt es?

Die Pflegeleistungen sind im vierten Kapitel des SGB XI aufgelistet. Es gibt viele verschiedene Leistungsarten (§ 28 SGB XI), u.a. Leistungen bei häuslicher Pflege (z.B. Pflegesachleistungen, Pflegegeld), teilstationäre Pflege und Kurzzeitpflege und vollstationäre Pflege.

Wann haben geflüchtete Menschen Zugang zu Pflegeleistungen? Und von wem werden die Leistungen gewährt?

Grundsätzlich gilt: Bei Personen, die versicherungspflichtige Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung sind, besteht auch Versicherungspflicht in der gesetzlichen Pflegeversicherung. Versicherungspflichtig sind insbesondere Personen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt oder familienversichert sind oder bestimmte Sozialleistungen, z.B. Arbeitslosengeld I oder SGB II-Leistungen (NICHT: AsylbLG- und SGB XII-Leistungen), beziehen (§ 20 SGB XI). Eine Person hat grundsätzlich Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung, wenn sie in den letzten zehn Jahren vor Antragstellung mindestens zwei Jahre pflegeversichert war sowie weiterhin versicherungspflichtiges Mitglied der Pflegeversicherung ist (§ 33 Absatz 2 AufenthG).

Erfüllen Menschen mit Aufenthaltserlaubnis die Vorversicherungszeit von zwei Jahren und sind sie weiterhin versicherungspflichtig in der Pflegeversicherung, haben sie Anspruch auf Pflegeleistungen über die Pflegeversicherung. Andernfalls erhalten sie Hilfe zur Pflege gemäß §§ 61-66a SGB XII über das Sozialamt.

Geduldete oder gestattete Personen können nur dann Leistungen aus der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen, wenn sie die Vorversicherungszeit erfüllen und in einem Beschäftigungsverhältnis oder familienversichert sind bzw. Arbeitslosengeld I beziehen. In den ersten 24 Monaten des Aufenthalts sind Personen in Duldung oder Aufenthaltsgestattung daher grundsätzlich von Pflegeleistungen über die Pflegeversicherung ausgeschlossen. In den ersten 36 Monaten des Aufenthalts können einzelne Pflegeleistungen (z.B. Sachleistungen bei häuslicher Pflege) im Wege des Ermessens über § 6 AsylbLG gewährt werden. Ab dem 37. Monat steht Geduldeten und Gestatteten, die Leistungen gemäß § 2 AsylbLG beziehen und noch keinen Anspruch auf Pflegeleistungen über die Pflegeversicherung haben, die Hilfe zur Pflege offen.

Wie wird festgestellt, wer Pflegeleistungen erhält?

Pflegeleistungen werden bei der Pflegekasse oder beim Sozialamt beantragt, je nachdem welche Behörde zuständig ist. Das Sozialamt oder die Pflegekasse beauftragt dann den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) damit, eine Begutachtung zur Beurteilung der Pflegebedürftigkeit durchzuführen. In der Regel besuchen die Mitarbeitenden des MDK die Antragstellenden zuhause, die Begutachtung ist mit keinen Kosten verbunden. Nach dem Besuch erstellt der MDK ein Gutachten, das eine Empfehlung für einen Pflegegrad (1-5) enthält. Ist man mit dem Ergebnis nicht einverstanden, kann innerhalb eines Monats Widerspruch eingelegt werden.   

Wichtig: Wenn die Deutschkenntnisse der betroffenen Person nicht für eine Verständigung ausreichen, sollte sichergestellt werden, dass während der Pflegebegutachtung eine Person anwesend ist, die dolmetschen kann.

Hinweis: Bei Fragen zu Pflegeleistungen können die Pflegestützpunkte kontaktiert werden.

VII. Arbeit, Bildung und Sprachförderung

Welche Besonderheiten gibt es für geflüchtete Menschen mit Behinderungen beim Arbeitsmarktzugang?

Geflüchtete Menschen haben nicht immer Zugang zum Arbeitsmarkt (>> Arbeit und Ausbildung).

Geflüchtete Menschen mit Behinderungen haben noch zusätzliche Herausforderungen zu bewältigen, da sie durch die Behinderungen Nachteile bei der Arbeitssuche haben. Darüber hinaus gibt es kaum Maßnahmen zur beruflichen Bildung oder zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt, die auf die Bedürfnisse von Menschen mit Fluchthintergrund und Behinderung abgestimmt sind.

Im Rahmen der Eingliederungshilfe können Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gewährt werden. Hierbei handelt es sich um Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes (z.B. Kraftfahrzeughilfe, Arbeitsassistenz oder bestimmte Hilfsmittel), spezielle Berufsausbildungen wie beispielsweise die sog. rehabilitationsspezifische Ausbildung und Leistungen in Werkstätten für behinderte Menschen. Nicht alle geflüchteten Menschen haben Zugang zu diesen Leistungen (siehe oben).

Welche Besonderheiten gibt es für geflüchtete Menschen mit Behinderungen beim Zugang zu Bildung?

Geflüchtete Kinder unterliegen in allen Bundesländern der allgemeinen Schulpflicht, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben (>> Bildung). Wenn ausländische Kinder zur Schule gehen, erhalten sie von der Schule die gleiche Förderung wie Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit, z.B. nach Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs.

Das SGB IX sieht vor, dass im Rahmen der Eingliederungshilfe auch Leistungen zur Teilhabe an Bildung gewährt werden können. Dazu gehören nach § 112 SGB IX Hilfen zur Schulbildung wie die Bereitstellung von Schulbegleiter*innen. Auch Hilfen bei der schulischen Berufsausbildung sowie beim Studium sind vorgesehen. Nicht alle geflüchteten Menschen haben Zugang zur Eingliederungshilfe (siehe oben).

Welche Besonderheiten gibt es für geflüchtete Menschen mit Behinderungen beim Zugang zu Sprachförderung?

Der Zugang von geflüchteten Menschen zu Sprachkursen richtet sich vor allem nach dem Aufenthaltsstatus (>> Sprachförderung).

Für Menschen mit Behinderungen gibt es einige weitere Hürden. Je nach Art der Behinderungen kann es schwierig sein, an einem konventionellen Sprachkurs teilzunehmen. Für Menschen mit Hör- und Sehbehinderungen bietet das BAMF spezielle Integrationskurse an, während es für Menschen mit kognitiven Behinderungen kein gesondertes Angebot gibt. Werden spezielle Kurse angeboten, gibt es in der Regel eine Mindestteilnehmendenzahl. Dadurch entstehen lange Wartezeiten. Zudem gibt es solche Kurse meist nur in größeren Städten, sodass für viele Teilnehmende lange Fahrzeiten anfallen.

VII. Nachteilsausgleiche und Schwerbehindertenausweis

Was sind Nachteilsausgleiche?

Menschen mit Behinderungen haben unterschiedliche Herausforderungen zu bewältigen, die häufig mit hohen Kosten einhergehen. Um dies auszugleichen, können die betroffenen Personen sog. Nachteilsausgleiche erhalten, z.B. kostengünstige oder kostenlose Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel, Zusatzurlaub oder Steuerermäßigungen.

Wann wird ein Schwerbehindertenausweis ausgestellt?

Um Nachteilsausgleiche in Anspruch nehmen zu können, müssen die Behinderungen festgestellt werden. Der Antrag auf Feststellung der Behinderung wird beim örtlichen Versorgungsamt gestellt.

Das Versorgungsamt schätzt die Auswirkungen der Behinderungen auf die Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe ein und erlässt einen sog. Feststellungsbescheid. Dabei erfolgt eine Stufung in Zehnerschritten. Eine Schwerbehinderung liegt vor, wenn ein Grad der Behinderung von mindestens 50 vorliegt. Dann kann ein Schwerbehindertenausweis beim örtlich zuständigen Versorgungsamt beantragt werden. Dieser dient als Nachweis bei der Inanspruchnahme von Leistungen und anderen Hilfen.

Hinweis: In Baden-Württemberg sind die Versorgungsämter in die Landratsämter eingegliedert. Die Information, welches Landratsamt zuständig ist, findet sich im Service Portal BadenWürttemberg.

Welche Hürden gibt es hier für Menschen mit Fluchthintergrund?

Der Zugang geflüchteter Menschen mit Behinderungen zur amtlichen Feststellung der Schwerbehinderung ist erschwert. Dies ist teilweise sprachlichen Barrieren und fehlenden Informationen über das System der Behindertenhilfe geschuldet.

Es gibt aber auch Hürden, die mit dem aufenthaltsrechtlichen Status in Verbindung stehen. So ist gemäß § 2 Absatz 2 SGB IX Voraussetzung für die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises, dass die Menschen ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben oder hier eine Beschäftigung ausüben. Laut der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 29.04.2010 (9 SB 2/09 R) ist diese Voraussetzung dann erfüllt, wenn der Aufenthalt in Deutschland voraussichtlich länger als sechs Monate andauern wird. Auch ein Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) kommt zu dem Schluss, dass es bei der Beurteilung, ob ein gewöhnlicher Aufenthalt vorliegt, entscheidend ist, dass eine (vorausschauende) Gesamtschau die Vermutung zulässt, dass die Beendigung des tatsächlichen Aufenthalts der ausländischen Person in absehbarer Zeit nicht überwiegend wahrscheinlich ist bzw. dass die Person eine hinreichende Beziehung zum Inland aufweist. Anknüpfungspunkte hierfür sind laut dem Schreiben die Dauer des bisherigen Aufenthalts, das Vorhandensein einer eigenen Wohnung, ein Arbeitsplatz sowie persönliche, familiäre, wirtschaftliche, soziale und sonstige Bindungen zum Bundesgebiet und der Grad der Schutzbedürftigkeit. Gemäß dem Rundschreiben liegt es im Ermessen der zuständigen Behörde, ob sie bei dieser Prüfung andere Behörden, z.B. das BAMF oder die Ausländerbehörde, beteiligt, sie ist hierzu nicht verpflichtet. Demnach können auch Personen mit Aufenthaltsgestattung oder Duldung einen Schwerbehindertenausweis erhalten.

Wie lange ist ein Schwerbehindertenausweis gültig?

Die Gültigkeitsdauer des Schwerbehindertenausweises soll befristet werden. Der Schwerbehindertenausweis für volljährige Antragstellende wird gemäß § 6 Absatz 2 SchwbAwV in der Regel für eine Dauer von längstens fünf Jahren ausgestellt. Ist eine Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse nicht zu erwarten, kann der Ausweis unbefristet ausgestellt werden.

Für Personen mit befristeten Aufenthaltstiteln oder einer Aufenthaltsgestattung gilt, dass der Schwerbehindertenausweis längstens bis zum Ablauf des Monats gültig ist, in dem das Aufenthaltspapier abläuft. Für Geduldete, deren Aufenthaltsdokumente meist nur sehr kurz gültig sind, hat das BMAS in einem Rundschreiben von September 2021 festgestellt, dass die Befristung auf die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsdokuments entfällt. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Behörde Kenntnis von einer bevorstehenden Abschiebung hat. In der Praxis ist es auch in anderen Fällen schwierig, eine Aufhebung der Befristung zu erreichen. Es kann helfen, die Behörden auf das BMAS-Rundschreiben hinzuweisen.

IX. Kontaktadressen

In Baden-Württemberg gibt es aktuell zwei Organisationen, die an der Schnittstelle Flucht/Migration und Behinderung tätig sind:

Arbeitskreis Behinderte an der Christuskirche (ABC)

Maienstr. 2, 79102 Freiburg

Tel.: 0761 / 767 727 7

E-Mail: abc@diakonie-freiburg.de

Lebenshilfe Tübingen e.V.

Handwerkerpark 7
72070 Tübingen

Bereich Migration

Tel.: 07071 / 9440-79

Mobil: 0176 / 11197589

E-Mail: migration@lebenshilfe-tuebingen.de

Kenntnisse im Behindertenrecht haben u.a. folgende Stellen:

X. Weiterführende Arbeitshilfen


Banner-Aktion: #du entscheidest

„Menschenrechte gelten für alle Menschen. Wir wollen ein Land, das niemanden im Stich lässt.“ – mit solchen Slogans könnt ihr am 10.2.25 um 10 Uhr ein Zeichen setzen. Zeigt welche Werte euch wichtig sind! Die Materialien und Banner können teilweise kostenlos im Shop bestellt und heruntergeladen werden.

Die Banner sollen am besten öffentlichkeitswirksam im Außenbereich angebracht werden. Zum Beispiel an Kirchen, Gewerkschaftshäusern, Vereinssitzen und sozialen Einrichtungen. Lasst sie gerne bis zur Bundestagswahl hängen.

Weitere Sharepics und Plaktvorlagen können heruntergeladen werden.

Das Bündnis „Zusammen für Demokratie“ ruft zu der Banner-Aktion auf.


Leitfaden zur Beratung von Geflüchteten mit Behinderung

Die Bedarfe von Geflüchteten mit Behinderung werden noch immer nur sehr unzureichend berücksichtigt. Daher ist der aktualisierte „Leitfaden zur Beratung von Menschen mit einer Behinderung im Kontext von Migration und Flucht“ ein wertvoller Ratgeber für die praktische Beratung. Der Leitfaden wurde von Dr. Barbara Weiser (Caritas Osnabrück) und Maren Gag (passage gGmbH) erstellt und gibt wertvolle Hinweise, zu welchen Leistungen, die für Menschen mit einer Behinderung von Bedeutung sein können, Geflüchtete Zugang haben.



Arbeitshilfe: Verzahnung des Strafrechts mit dem Aufenthalts-und Asylrecht

Deutsche Staatsangehörige müssen im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung nicht um ihren Aufenthalt in Deutschland fürchten. Bei nichtdeutschen Menschen kann dies anders sein: Hier kann eine strafrechtliche Verurteilung das Aufenthaltsrecht oder die Aufenthaltsverfestigung gefährden. Die Arbeitshilfe behandelt die praxisrelevanten Fallkonstellationen und stellt die Zusammenhänge zwischen Straf- und Migrationsrecht in (hoffentlich) auch für Nichtjurist:innen verständlicher Sprache dar.



Gemeinsamer Appell zum Parteitag der CDU

In einem eindringlichen Appell wenden sich 145 Bundes- und Landesorganisationen an die Teilnehmer*innen des heute in Berlin tagenden CDU-Parteitags. Die Unterzeichnenden fordern sie auf, sich zu ihren christlichen und demokratischen Werten zu bekennen sowie den Rechtsstaat und die Menschenrechte zu verteidigen.

Uns alle eint der Wunsch nach einem Leben in einer Gesellschaft, die uns schützt und unterstützt, in der wir beteiligt und respektiert werden. Diese grundlegenden Werte – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte – sind das Fundament unserer Gemeinschaft. Sie geben uns Stabilität, Sicherheit und Halt. Sie garantieren, dass unsere grundlegende Würde und unsere Freiheit gewahrt werden. Es ist die Aufgabe von uns allen, diese Werte zu bewahren und zu verteidigen.

Die Stärke unserer Gesellschaft liegt in der Vielfalt: Unterschiedliche Ideen, Herkunftsgeschichten, Religionen, Weltanschauungen und Identitäten bereichern uns. Geflüchtete Menschen aus zahlreichen Regionen der Welt sind längst Teil unserer Gesellschaft geworden. Sie arbeiten hier, engagieren sich und ziehen ihre Kinder groß. Taten einzelner Personen, die uns fassungslos machen und in Entsetzen zurücklassen, wie der schreckliche Angriff von Aschaffenburg, dürfen niemals dazu führen, dass ganze Gruppen stigmatisiert, rassifiziert oder entrechtet werden.

Wir gehören zusammen: Ob geflüchtet, eingewandert oder hier geboren, wir sind alle Teil dieser Gesellschaft. Grund- und Menschenrechte gelten entweder für uns alle oder sie gelten gar nicht. Die Diskussionen über Verschärfungen des Staatsangehörigkeits-, Aufenthalts- und Asylrechts, die aktuell auch von der CDU maßgeblich vorangetrieben werden, bedrohen dieses Selbstverständnis. Polarisierende und grob rechtswidrige Forderungen nach Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den deutschen Binnengrenzen, der Abschaffung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte, nach Rückführungen in Kriegs- und Krisengebiete und nach pauschalen Inhaftierungen aller vollziehbar ausreisepflichtigen Personen sind nicht dafür geeignet, aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen. Sie sorgen weder für mehr Sicherheit noch für zusätzlichen bezahlbaren Wohnraum, Kitaplätze oder gleiche Bildungschancen, geschweige denn für ein funktionierendes Gesundheitssystem, in dem auch psychische Erkrankungen angemessen versorgt werden. Was noch schlimmer ist: Durch ihre offensichtliche Rechtswidrigkeit schwächen sie unsere Verfassung und den Wert von europäischem und internationalem Recht.

Wir appellieren deswegen an die Vertreter*innen der CDU: Bekennen Sie sich zur menschenrechtlichen Brandmauer und stehen Sie mit uns ein für gesellschaftliches Miteinander, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte.

Bitte nehmen Sie auch im Wahlkampf Abstand von Rhetorik und Forderungen, die unsere Gesellschaft weiter spalten und die Menschen gegeneinander aufbringen. In verschiedenen EU Ländern sind die Folgen einer autoritären Politik zu beobachten. Dort wird ein „Wir gegen die Anderen“ Denken geschürt und Politik gegen queere Menschen, Migrant*innen, Arbeitslose und andere Minderheiten betrieben. Gewalt an den Grenzen – selbst gegen Kinder – ist bereits Normalität.

Gleichzeitig werden die Institutionen des Rechtsstaats untergraben, die Unabhängigkeit der Justiz angegriffen und die Arbeit von Anwält*innen und Journalist*innen behindert oder eingeschränkt. Als konservative, christlich-demokratische Partei muss die CDU hier gegenhalten und sich klar abgrenzen.

Wir haben die Wahl: Wollen wir ein offenes, vielfältiges und demokratisches Land bleiben, das die Rechte und Grundfreiheiten aller wahrt und das die Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit respektiert und schützt? Oder gehen wir zurück in eine düstere Zeit, in der Grund- und Menschenrechte nur noch für einige gelten und ganze Bevölkerungsteile zu Schuldigen für gesamtgesellschaftliche Missstände gemacht werden?

Politische Handlungsfähigkeit zeigt sich durch Gesetze und Maßnahmen, die realistisch, wertebasiert und rechtskonform sind. Das ist unsere Erwartung an die CDU – aktuell im Wahlkampf und besonders bei einer möglichen Regierungsverantwortung. Die unterzeichnenden Verbände und Organisationen fordern die Parteispitze der CDU sowie alle Teilnehmenden des Parteitags auf: Stehen Sie zu Ihren christlichen und demokratischen Werten und bewahren Sie Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zum Wohle aller Menschen in Deutschland. Stehen Sie für die menschenrechtliche Brandmauer ein – mit Worten und mit Taten.



Online-Veranstaltung: Migrationspolitische Debatten im Vorfeld der Bundestagswahl

Im Bundestagswahlkampf überbieten sich Parteien mit Vorschlägen zu Verschärfungen im Bereich Flucht und Asyl. Es klingt als habe Deutschland die Kontrolle über die Migration verloren und deswegen seien Aufnahmestopps, Zurückweisungen, Ausbürgerungen von Straftäter*innen usw. notwendig. Wie lassen sich diese Forderungen rechtlich, politisch und ethisch bewerten? Welche Maßnahmen wären angemessen? Welche Positionen vertreten die politischen Parteien?

In der kostenlosen Veranstaltung sprechen Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins (Universität Münster), Prof. Dr. Dr. Maximilian Pichl (Hochschule Rhein-Main) und Prof. Dr. Andreas Wüst (Hochschule München).

Die Veranstaltung ist eine Kooperation der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart mit der Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg.

Programm und Anmeldung (bis zum 14. Februar 2025)


Gutachten: Die „sicheren Herkunftsstaaten“ des Westbalkans

Geflüchtete aus sog. „sicheren Herkunftsstaaten“ haben im Asylverfahren sehr geringe Chancen auf einen Schutzstatus. Hinter dem Konzept „sichere Herkunftsstaaten“ steckt die Idee, dass es sich dort sicher leben ließe. Und dennoch müssen viele fliehen und stellen einen Asylantrag. Gerade in der Westbalkan-Region bestehen erhebliche menschenrechtliche und strukturelle Defizite.

Das Gutachten hinterfragt die Einstufung von Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien als „sicher“. Die Lage vor Ort zeigt, dass es Verfolgungssituationen gibt, die dazu führen, dass Menschen fliehen müssen, um zu überleben. Das Gutachten gilt als Schattenbericht zum Bericht der Bundesregierung von 2024 über die Menschenrechtslage in den „sicheren Herkunftsstaaten“ in der Westbalkan-Region.



Flyer und Plakate zur Bundestagswahl 2025

Mit flüchtlings- und migrationsfeindlichen Parolen versuchen leider auch viele demokratische Parteien, Wähler*innen zu gewinnen. Doch es gibt auch viele Wähler*innen, die gegen Abschottung, Ausgrenzung und Abschiebung sind. Die Demokratie ganz stark mit Rechten für Geflüchteten und Migrant*innen verbinden. Die eine Zukunft für alle in Deutschland lebenden Menschen wollen.

Deshalb nutzt gerne diese Materialien für die Bundestagswahl, um auf Menschen-, Geflüchteten- und Migrant*innenrechte aufmerksam zu machen. Die Materialien können auch mit den eigenen Logos versehen und verteilt werden. Sie wurden vom Initiativausschuss und dem Flüchtlingsrat RLP e.V. u.a. zusammen mit der Stiftung gegen Rassismus, Pro Asyl und der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) erarbeitet.

„Menschlichkeit. Ganz leicht erklärt.“:

Auch die ökumenische Initiative „Wählen – für alle. Mit Herz und Verstand“ hat tolle Materialien und Infos zusammengestellt. Wenn ihr nicht zu den aufgeführten Kirchen gehört oder keine kirchliche Einrichtung seid, beachtet bitte die Nutzungsbedingungen.

Das Bündnis „Zusammen für Demokratie“ hat ebenfalls wichtige Materialien entworfen, die im Shop teils kostenpflichtig bestellt, teils kostenlos heruntergeladen werden können.


Recherchebericht: Abgeschoben nach Bulgarien

Geflüchtete, die über Bulgarien nach Deutschland weiterfliehen sind, berichten oft von Menschenrechtsverletzungen. Gewalt durch staatliche Akteur*innen ist keine Seltenheit, systematische Inhaftierung von Schutzsuchenden ist Normalität und es gibt kein Existenzminimum, das sich an der Menschenwürde orientiert.

Der Bericht soll die Entscheidungspraxis von BAMF und Verwaltungsgerichten hinsichtlich Abschiebungen nach Bulgarien hinterfragen. Die Autor*innen fordern, dass Abschiebungen nach Bulgarien eingestellt werden.

Der Bericht enstand im Rahmen einer Recherchereise von Mitarbeitenden von Asyl in der Kirche Berlin-Brandenburg, dem Ökumenischen Netzwerk Asyl in der Kirche NRW und matteo – Kirche und Asyl.



Online-Akademie: Offene Grenzen und geregelte Migration – (k)ein Widerspruch!?

Heute ermöglicht der Schengen-Raum über 400 Millionen Menschen, frei zwischen Mitgliedstaaten zu reisen, ohne Grenzkontrollen zu durchlaufen – und das seit mehr als 24 Jahren. Nicht erst seit der Covid19-Pandemie kommen diese Regeln aber immer mehr unter Druck und Mitgliedstaaten veranlassen temporäre Grenzkontrollen, die aber immer wieder verlängert werden. In letzter Zeit werden offene Grenzen immer wieder infrage gestellt – mit dem Argument, dies würde helfen, die „illegale Migration“ zu verhindern.

Darüber möchten die Jungen Europäischen Föderalist*innen disktuieren und laden herzlich zu einer Online-Akademie am 06. Februar von 19.00 bis 20.30 Uhr ein. Hier wollen wir mit euch ins Gespräch kommen und von folgenden Expert*innen hören:

  • Judith Kohlenberger, Migrationsforscherin der WU Wien
  • Sven Hüber, Stellv. Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei
  • Monzer Haider, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg

Moderation: Moritz Hergl Stellv. Bundesvorsitzender der JEF Deutschland

Meldet euch unter diesem Link für die Veranstaltung an.