Duldung

Personen, die ausreisepflichtig sind, ihre Ausreisepflicht aber nicht freiwillig erfüllen, erhalten häufig eine Duldung. Dem Namen und Zweck nach soll die Duldung eigentlich keine dauerhafte Aufenthaltsperspektive eröffnen. Fakt ist aber, dass Menschen teilweise Jahre mit einer Duldung in Deutschland leben. Für die Betroffenen ist dies eine sehr unangenehme Zeit, weil sie in einem permanenten Zustand der Unsicherheit leben und die Duldung – im Vergleich zu einer Aufenthaltserlaubnis – viel weniger Rechte vermittelt. Fakt ist aber auch, dass in dieser Zeit die Grundlage dafür gelegt werden kann, schlussendlich doch ein Aufenthaltsrecht zu erhalten, ohne zuvor Deutschland verlassen zu müssen.

I. Die Duldung nach § 60a AufenthG
II. Die Duldung für Personen mit ungeklärter Identität (§ 60b AufenthG)

I. Die Duldung nach § 60a AufenthG

Die „normale“ Form der Duldung ist in § 60a AufenthG geregelt. Duldung bedeutet die „vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“ (§ 60a AufenthG). Der Staat „duldet“ die Betroffenen entweder deshalb, weil ihre Abschiebung derzeit aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Hierzu zählen Gründe, wie beispielsweise eine Reiseunfähigkeit oder ein fehlender Pass, wenn der (vermeintliche) Herkunftsstaat diesen für die Abschiebung verlangt. Der Staat kann aber auch aus sonstigen Gründen (vorläufig) auf die Durchsetzung der Ausreisepflicht mit Zwangsmitteln verzichten. Die betroffene Person hat solange einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung und ein Dokument, das diesen Zustand bescheinigt (§ 60a Absatz 4 AufenthG). Die Duldung erkennt man an einem grünen Falt-Papier, das mit einem roten Querbalken versehen ist.

Wichtig: Sobald das Abschiebehindernis, also der Duldungsgrund, entfällt, muss mit einer Abschiebung gerechnet werden, auch wenn das auf der Duldungsbescheinigung vermerkte Gültigkeitsdatum noch nicht erreicht ist. Besonders gefährdet sind Personen mit dem Zusatz „erlischt mit Bekanntgabe des Abschiebungstermins“ in ihrer Duldungsbescheinigung.

Hinweis: Ausbildungsduldung (§ 60c AufenthG) und Beschäftigungsduldung (§ 60d AufenthG) sind Sonderformen der Duldung nach § 60a AufenthG. Da sie perspektivisch den Wechsel in eine Aufenthaltserlaubnis ermöglichen sollen, sind sie unter >> Bleiberechtsoptionen dargestellt.

Weitere Informationen:

II. Die Duldung für Personen mit ungeklärter Identität (§ 60b AufenthG)

Was ist eine Duldung nach § 60b AufenthG?

Seit August 2019 gibt es eine Spezialduldung: die Duldung nach § 60b AufenthG. Diese ist daran erkennbar, dass sie den Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ enthält. Oft wird sie umgangssprachlich als „Duldung light“ bezeichnet. Diese Duldung gilt für vollziehbar ausreisepflichtige Personen, die nicht abgeschoben werden können, weil sie über ihre Identität täuschen, falsche Angaben machen oder sich nicht in zumutbarer Weise um einen Pass bemühen. Im Gegensatz zu sonstigen Duldungen beinhaltet diese Duldung automatische Sanktionen, etwa ein Verbot der Erwerbstätigkeit oder eine Wohnsitzauflage. Die Aufenthaltszeiten mit dieser Duldung werden außerdem nicht als „Vorduldungszeiten“ angerechnet, die man für andere Bleiberechtsoptionen, etwa § 25a und § 25b AufenthG, oder für die Ausbildungs- oder auch die Beschäftigungsduldung benötigt.

Wann darf eine Duldung nach § 60b AufenthG ausgestellt werden?

Eine Duldung nach § 60b AufenthG darf nur ausgestellt werden, wenn die Abschiebung aus selbst zu vertretenden Gründen nicht durchgeführt werden kann (Identitätstäuschung, falsche Angaben, fehlende Mitwirkung bei der Passbeschaffung). Liegen zusätzlich andere Gründe vor, die eine Abschiebung unmöglich machen (z.B. Krankheit), ist die Erteilung einer Duldung nach der ganz überwiegenden Meinung ausgeschlossen. Nach Auffassung des für das Thema Aufenthaltsrecht in Baden-Württemberg zuständigen Justizministeriums soll eine „Duldung light“ aber auch in diesen Fällen erteilt werden dürfen. Im Zweifel muss man die Frage durch ein Gericht klären lassen.

Eine weitere Voraussetzung für die Duldung nach § 60b AufenthG ist, dass die Ausländerbehörden die Betroffenen zuvor über ihre „besondere Passbeschaffungspflicht“ belehrt haben müssen. Die Erteilung einer „Duldung light“ kommt erst in Betracht, wenn eine bestehende Duldung verlängert oder eine Duldung aus einem anderen Grund erteilt wird (§ 105 Absatz 1 AufenthG). Anders ausgedrückt: Die erste Duldung, die eine Person erhält, darf keine „Duldung light“ sein. Nicht erteilt werden, darf die „Duldung light“ in folgenden Fällen:

  • Ausreisepflichtige Personen, die eine Ausbildungs- oder Beschäftigungsduldung besitzen oder diese beantragt haben und die Voraussetzungen dafür erfüllen (§ 105 Absatz 3 AufenthG)
  • Ausreisepflichtige Personen, die sich noch in einem Asylverfahren befinden
  • Minderjährige, da sie rechtlich nicht verfahrensfähig sind

Es spricht viel dafür, dass die „Duldung light“ begründet werden muss. Die Erteilung einer „normalen“ Duldung bedarf zwar keiner Begründung (§ 77 AufenthG), weil diese für die betroffene Person nur positiv ist, da ihre Abschiebung ausgesetzt wird. Bei der „Duldung light“ ist das aufgrund der damit automatisch verbundenen Nachteile aber anders. Fehlt eine Begründung, sollte diese eingefordert werden.

Gegen die rechtswidrige Erteilung einer Duldung nach § 60b AufenthG kann man sich vor Gericht wehren; die Einschaltung eines Anwalts*einer Anwältin ist dafür nicht notwendig, häufig aber sinnvoll.

In welchen Fällen muss die Duldung nach § 60b AufenthG aufgehoben werden?

Unter bestimmten Bedingungen muss die „Duldung light“ aufgehoben, also wieder in eine „normale“ Duldung umgewandelt werden. Praktisch geschieht dies durch Streichung des Zusatzes „Duldung für Person mit ungeklärter Identität“. Wurde die Duldung wegen Verletzung der Passbeschaffungspflicht erteilt, ist dieser Verstoß geheilt, wenn die erforderlichen Passbeschaffungshandlungen vorgenommen werden, also nicht erst wenn der Pass tatsächlich vorliegt.

Im Ermessen können die Ausländerbehörden eine eidesstattliche Versicherung zur Glaubhaftmachung verlangen, wenn sie die Nachweise der Bemühungen nicht für ausreichend halten. Bevor man eine solche Versicherung abgibt, sollte man sich über strafrechtliche Konsequenzen von unvollständigen oder unrichtigen eidesstattlichen Versicherungen informieren und sich von einem Anwalt*einer Anwältin oder Beratungsstelle beraten lassen.

Wurde die „Duldung light“ wegen einer Falschangabe oder Täuschung erteilt, reicht die Berichtigung der Angaben nicht für eine Heilung, weil dadurch eine Abschiebung nicht automatisch möglich wird. In diesen Fällen muss der Zusatz erst gestrichen werden, wenn die Abschiebung auch tatsächlich durchgeführt werden kann. Auch hier gilt aber richtigerweise, dass die „Duldung light“ aufzuheben ist, wenn die Abschiebung unabhängig von der Täuschung oder Falschangabe scheitert.

Weitere Informationen:


Familiennachzug

Eine der drängendsten Fragen geflüchteter Menschen ist häufig, ob sie ihre Familienangehörigen „nachholen“ können. Solange das Asylverfahren noch läuft, ist ein Familiennachzug aus dem Ausland grundsätzlich nicht möglich. Eine Ausnahme stellt die Familienzusammenführung über die Dublin-III-Verordnung dar. Dafür müssen sich die Familienangehörigen aber bereits innerhalb des „Dublin-Raums“, z.B. in Griechenland, befinden und selbst einen Asylantrag gestellt haben (>> Das Dublin-Verfahren).

I. Voraussetzungen für den Familiennachzug
II. Wie gestaltet sich das Familiennachzugsverfahren?
III. Weiterführende Arbeitshilfen

I. Voraussetzungen für den Familiennachzug

Der Familiennachzug ist grundsätzlich erst nach einer positiven Entscheidung über den Asylantrag möglich. Ob die Möglichkeit eines Familiennachzugs besteht, hängt davon ab, wie erfolgreich das Asylverfahren ausgegangen ist. Sehr gut sind die Chancen von Personen mit Flüchtlingseigenschaft oder Asylberechtigung. Allerdings ist auch der Verwandtschaftsgrad maßgeblich dafür, ob ein Familiennachzug möglich ist. Gute Chancen haben Angehörige der sog. Kernfamilie (Ehepartner*in, minderjährige ledige Kinder und Eltern von unbegleiteten Minderjährigen).

Welche allgemeinen Voraussetzungen müssen erfüllt werden?

Damit Angehörige von Schutzberechtigten eine Aufenthaltserlaubnis erhalten können, müssen zunächst einige allgemeine Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Der Lebensunterhalt muss für die Person mit Schutzstatus und ihre Angehörigen gesichert sein. Das ist dann der Fall, wenn der Regelbedarf inklusive Krankenversicherung ohne öffentliche Mittel gesichert ist. Unschädlich ist gemäß § 2 Absatz 3 Satz 2 sowie der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Bezug folgender Leistungen: Kindergeld, Kinderzuschlag, Erziehungsgeld, Elterngeld, Leistungen der Ausbildungsförderung nach SGB III, dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) und dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz, Arbeitslosengeld I und Kurzarbeitergeld, Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz und Wohngeld.
  • Es muss ausreichender Wohnraum für die stammberechtigte Person und die Angehörigen bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn für jedes Familienmitglied über sechs Jahre 12 m² und für jedes Familienmitglied unter sechs Jahren 10 m² zur Verfügung stehen werden (Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum AufenthG, Nummer 2.4).
  • Die nachzugswilligen Angehörigen müssen einen Pass haben und ihre Identität muss geklärt sein. In seltenen Ausnahmefällen werden deutsche Passersatzpapiere für die Einreise ausgestellt.
  • Bezüglich der stammberechtigten Person darf kein Ausweisungsinteresse bestehen, z.B. wegen einer Straftat (§ 53 und § 54 AufenthG).
  • Die nachzugswillige Person muss mit einem Visum zum Familiennachzug eingereist sein und im Visumsverfahren die notwendigen Angaben gemacht haben.

Hinweis: Dies sind die allgemeinen Voraussetzungen, in einigen Fällen kann es zu Ausnahmen von einzelnen Voraussetzungen kommen. Je nachdem, welches Familienmitglied nachziehen möchte und welchen Schutzstatus die stammberechtigte Person hat, gelten auch weitere Voraussetzungen.

Wann ist der Ehegatt*innennachzug von Personen mit Flüchtlingseigenschaft oder Asylberechtigung möglich?

Personen mit Flüchtlingseigenschaft oder Asylberechtigung haben einen Anspruch auf Nachzug ihres Ehegattens*ihrer Ehegattin. Dabei gelten die Voraussetzungen ausreichender Wohnraum und Lebensunterhaltssicherung in der Regel nicht, wenn der Familiennachzug innerhalb von drei Monaten nach Zuerkennung der Asylberechtigung bzw. der Flüchtlingseigenschaft beantragt wurde (§ 29 Absatz 2 AufenthG). Maßgeblich für den Fristbeginn ist der Zeitpunkt des Erhalts des positiven Bescheids vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), nicht etwa der spätere Zeitpunkt der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis.

Wichtig: Mit dem Antrag auf Familiennachzug ist der Visumsantrag gemeint. Eine wirksame Antragstellung liegt nur vor, wenn innerhalb der Dreimonatsfrist ein Visumsantrag bei der Auslandsvertretung gestellt wurde, der alle erforderlichen Angaben enthält (Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg, 19.1.2022, Aktenzeichen: 3 M 185/20). Weder die Abgabe einer fristwahrenden Anzeige über das Internetportal des Auswärtigen Amtes noch die Anzeige bei der Ausländerbehörde sind folglich ausreichend. In der Praxis sollte direkt bei der Auslandsvertretung ein Visumsantrag (idealerweise per Fax) gestellt werden. Zusätzlich dazu kann die fristwahrende Anzeige über das Online-Portal als PDF-Datei ausgegeben, gespeichert und den nachzugswilligen Angehörigen für den Vorsprachetermin übermittelt werden.

Wird der Antrag auf Familiennachzug erst nach Ablauf der Drei-Monatsfrist gestellt, steht es im Ermessen der zuständigen Behörden, ob von den Voraussetzungen ausreichender Wohnraum und Lebensunterhaltssicherung abgesehen wird.

Weitere bei Asylberechtigten und Personen mit Flüchtlingseigenschaft geltende Voraussetzungen für den Ehegatt*innennachzug sind u.a. gemäß § 30 AufenthG:

  • Die Ehe muss am Ort der Eheschließung rechtsgültig geschlossen worden sein. Eine religiös geschlossene Ehe muss nach dem Recht des Heimatlandes staatlich anerkannt sein, um einen Nachzugsanspruch zu begründen.
  • Beide Ehegatt*innen müssen das 18. Lebensjahr vollendet haben. Bei Vorliegen einer besonderen Härte kann von dieser Voraussetzung abgesehen werden.
  • Wenn die Ehe im Herkunftsland noch nicht bestanden hat, muss die nachziehende Person Deutschsprachkenntnisse auf dem Niveau A1 vorweisen.

Wann ist der Kindernachzug zu Personen mit Flüchtlingseigenschaft oder Asylberechtigung möglich?

Für ein minderjähriges (d.h. unter 18 Jahren) und unverheiratetes Kind, besteht ein Nachzugsanspruch, wenn beide Eltern oder der allein sorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis haben (§ 32 AufenthG).

Voraussetzung für die Erteilung eines Visums zum Kindernachzug ist außerdem, dass der Elternteil, zu dem der Nachzug angestrebt wird, im Besitz des Sorgerechts ist. Hat der andere Elternteil, der im Heimatland verbleibt, nach dortiger Rechtslage ebenfalls die elterliche Sorge inne, muss dieser Elternteil sein Einverständnis mit dem Aufenthalt des Kindes in Deutschland geben bzw. muss eine rechtsverbindliche Entscheidung der zuständigen Stelle vorgelegt werden (§ 32 Absatz 4 AufenthG).

Der Nachzugsanspruch besteht nur, wenn das Kind minderjährig ist. Die deutsche Rechtspraxis stellte hier lange Zeit auf den Zeitpunkt des Antrags auf Familienzusammenführung ab. Sprich, dass das Kind minderjährig ist, wenn nach der Anerkennung der Antrag auf Nachzug gestellt wird. Nach dieser Rechtsauffassung verloren Kinder, die während des Asylverfahrens ihrer Eltern volljährig wurden, ihren Anspruch auf ein Visum nach § 32 AufenthG. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stellte in seiner Entscheidung vom 1.8.2022 (C-279/20) allerdings klar, dass ein Kind auch dann als minderjährig zu behandeln ist, wenn es zum Zeitpunkt der Asylantragstellung des Elternteils/der Eltern minderjährig war, aber vor dessen/deren Anerkennung volljährig geworden ist. Voraussetzung ist jedoch, dass der Nachzugsantrag des Kindes innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Anerkennung des Elternteils als Person mit Flüchtlingseigenschaft gestellt wird. Das EuGH-Urteil bezieht sich jedoch nur auf Personen mit Flüchtlingseigenschaft. Für eine gleiche Handhabung beim Nachzug zu Personen mit Asylberechtigung spricht ggf. § 2 Absatz 1 AsylG.

Wann ist der Eltern- und Geschwisternachzug zu unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten mit Flüchtlingseigenschaft oder Asylberechtigung möglich?

Unbegleitete minderjährige Personen mit Flüchtlingseigenschaft oder Asylberechtigung haben einen Anspruch darauf, dass ihren Eltern ein Visum zum Familiennachzug erteilt wird (§ 36 Absatz 1 AufenthG).

Der Nachzugsanspruch besteht nur, wenn das in Deutschland lebende unbegleitete Kind minderjährig ist. Der EuGH hat hier gleich mehrfach entschieden (EuGH, Urteil vom 1.8.2022, C-273/20, C-355/20), dass es auch beim Elternnachzug zum anerkannten minderjährigen Personen mit Flüchtlingseigenschaft drauf ankommt, dass das Kind bei seiner Asylantragstellung in Deutschland minderjährig war. Bei einer danach eintretenden Volljährigkeit geht das Recht auf Elternnachzug also nicht verloren; rechtlich bleibt die Person also minderjährig. Nur so werde verhindert, dass äußere Umstände, die die betreffenden Personen selbst nicht in der Hand haben, wie etwa langwierige Asyl- oder Visumsverfahren, zum Verlust des Nachzugsrechts führen. Die EuGH-Urteile beziehen sich nur auf Personen mit Flüchtlingseigenschaft. Für eine analoge Handhabung beim Nachzug zu Personen mit Asylberechtigung spricht ggf. § 2 Absatz 1 AsylG.

Wichtig: Auch hier besteht der Nachzugsanspruch aber nur, wenn das Visum auf Elternnachzug innerhalb von drei Monaten nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beantragt wird. Diese Voraussetzung lässt sich dem Gesetz nicht unmittelbar entnehmen, sondern ist vom EuGH „beschlossen worden“ worden, damit das Elternnachzugsrecht nicht „ewig“ geltend gemacht werden kann, der Aufnahmestaat also eine gewisse Planungssicherheit hat.

Auf Nachweise zur Lebensunterhaltssicherung und zum ausreichenden Wohnraum verzichtet das Gesetz beim Elternnachzug zu unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten vollständig.

Ist der Nachzug beider Elternteile gewünscht, sollten die Eltern das Visum zusammen beantragen. Beantragt ein Elternteil das Visum nämlich erst später, nachdem der andere personenberechtigte Elternteil bereits eingereist ist, ist der*die Minderjährige nicht mehr unbegleitet, wenn über das Visum des zurückgelassenen Elternteils entschieden wird.

Außerdem sollte vorsorglich auch für andere nachzugswillige minderjährige Kinder, also die Geschwister des*der unbegleiteten Minderjährigen, ein Visumsantrag gestellt werden. Diese haben zwar eigentlich keinen Anspruch auf ein Visum (da sie im Verhältnis zum*zur unbegleiteten Minderjährigen weder Elternteile noch Ehegatte*Ehegattin sind) und die Eltern selbst (zunächst) nur über ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht verfügen. Da es aber durchaus die rechtlich gut begründbare Möglichkeit eines Visums auch für die Geschwister der unbegleiteten minderjährigen Person gibt, sollte man in jedem Fall – notfalls gerichtlich beim Verwaltungsgericht (VG) in Berlin, das für Visumsangelegenheiten zuständig ist – versuchen, ein Visum zu erhalten. In der Praxis werden die Anträge auf Geschwisternachzug häufig wegen mangelnder Lebensunterhaltssicherung und fehlendem Wohnraum abgelehnt. Ist dies der Fall, kann ein schrittweiser Nachzug der Angehörigen (sog. Kaskadennachzug) erwogen werden. Dies bedeutet, dass zunächst nur ein Elternteil zur unbegleiteten, minderjährigen Person nach Deutschland reist, dieser hier im Rahmen eines eigenen Asylverfahrens ein Aufenthaltsrecht erwirbt, das wiederum den Familiennachzug ermöglicht und dadurch die im Ausland verbliebenen Angehörigen nachgeholt werden können.

Wann ist der Familiennachzug bei subsidiärem Schutz möglich?

Subsidiär Schutzberechtigte haben keinen Anspruch auf den Familiennachzug von Ehegatt*innen, minderjährigen ledigen Kinder oder, bei unbegleiteten Minderjährigen, den Nachzug der Eltern. Der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten kann jedoch gemäß § 36a AufenthG im Ermessenswege zugelassen werden. Monatlich können bis zu 1.000 Visa für Familienangehörige von subsidiär Schutzberechtigten erteilt werden. Ausgewählt werden diese Personen in einem internen Prozess vom Bundesverwaltungsamt. Der Familiennachzug wird aber auch hier bei den Auslandsvertretungen beantragt.

Eine Dreimonatsfrist für den Visumsantrag sieht das Gesetz nicht vor. Bei bevorstehender Volljährigkeit eines Kindes gilt allerdings Folgendes:

  • Beim Kindernachzug muss die Minderjährigkeit bei Beantragung des Visums bei der zuständigen Auslandsvertretung bestehen. Daher sollte bereits vor Eintritt der Volljährigkeit ein formloser Antrag auf Erteilung eines Visums zum Zweck des Familiennachzugs bei der zuständigen Auslandsvertretung gestellt werden. Denn nur so geht die später eintretende Volljährigkeit, die z.B. der Wartezeit auf einen Termin zur Vorsprache in der Auslandsvertretung geschuldet ist, nicht zu Lasten der antragstellenden Person.
  • Beim Elternnachzug kommt es darauf an, dass das subsidiär schutzberechtigte Kind noch minderjährig ist, wenn seinen Eltern das Visum erteilt wird. Steht die Volljährigkeit der*des unbegleiteten Minderjährigen bevor, sollte daher bei der Beantragung eines Termins bei der zuständigen Auslandsvertretung auf die bald eintretende Volljährigkeit hingewiesen werden.

Voraussetzung für einen erfolgreichen Antrag sind in erster Linie humanitäre Gründe. Einige Beispiele für solche humanitären Gründe benennt § 36a Absatz 2 AufenthG:

  • Die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft ist seit langer Zeit nicht möglich.
  • Ein minderjähriges lediges Kind ist betroffen.
  • Leib, Leben oder Freiheit des Familienangehörigen sind im Aufenthaltsstaat gefährdet.
  • Der*die subsidiär Schutzberechtigte oder der*die Familienangehörige ist schwerwiegend erkrankt, pflegebedürftig oder schwer behindert.

Wenn ein solcher humanitärer Grund vorliegt, wird ein Visum in der Regel trotzdem nicht erteilt, wenn einer der in § 36a Absatz 3 AufenthG genannten Ausschlussgründe vorliegt:

  • Die Ehe wurde erst nach der Flucht geschlossen.
  • Der*die subsidiär Schutzberechtigte wurde in Deutschland rechtskräftig wegen einer bestimmten vorsätzlichen Straftat (siehe § 36a Absatz 3 Nummer 2 AufenthG) verurteilt.
  • Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels an den*die subsidiär Schutzberechtigte*n ist nicht zu erwarten.
  • Der*die subsidiär Schutzberechtigte hat eine Grenzübertrittsbescheinigung beantragt.

Liegt ein humanitärer Grund vor und greift kein Ausschlussgrund, sind zusätzlich Integrationskriterien zu berücksichtigen (§ 36a Absatz 2 Satz 4 AufenthG). Dabei werden sowohl Integrationsleistungen auf Seiten der nachzugswilligen Familienangehörigen als auch auf Seiten der Person in Deutschland berücksichtigt. Bei den Familienangehörigen sind z.B. Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen. Bei der subsidiär schutzberechtigten Person kommen in Betracht:

  • die eigenständige Sicherung von Lebensunterhalt und Wohnraum auch für den*die nachziehenden Familienangehörigen
  • besondere Fortschritte beim Erlernen der deutschen Sprache
  • gesellschaftliches Engagement
  • ehrenamtliche Tätigkeit
  • das nachhaltige Bemühen um die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit
  • die Absolvierung einer Berufsausbildung

Im Bereich Integrationsleistungen wirken sich auch strafrechtliche Verurteilungen unterhalb der in § 36a Absatz 3 Nummer 2 AufenthG genannten Schwellen tendenziell negativ aus.

Gemäß § 79 Absatz 3 AufenthG wird die Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis ausgesetzt, wenn gegen den Stammberechtigten ein Strafverfahren wegen einer oder mehrerer in § 36a Absatz 3 Nummer 2 AufenthG genannten Straftaten eingeleitet wurde.

Dokumente, die humanitäre Kriterien und Integrationsleistungen belegen, sollten bei subsidiär Schutzberechtigten gemeinsam mit anderen notwendigen Unterlagen (z.B. Pass oder Personenstandsurkunden) beim Botschaftstermin vorgelegt werden. Aspekte, die die nachzugswilligen Personen betreffen, werden von der Botschaft selbst geprüft, die für die subsidiär schutzberechtigte Person zuständige Ausländerbehörde prüft dann die sogenannten inlandsbezogenen Sachverhalte. Beim Bundesverwaltungsamt laufen die Informationen dann zusammen. Es nimmt dann eine Gewichtung der Kriterien vor und wählt Personen aus, die in diesem Monat das Visum erhalten sollen. Entsprechend der Auswahlentscheidung weist es die Botschaft an, Visa zu erteilen. Wer nicht ausgewählt wurde, erhält keine ablehnende Entscheidung, sondern muss hoffen, in einem anderen Monat berücksichtigt zu werden.

Wann ist der Nachzug von Angehörigen außerhalb der sog. Kernfamilie möglich?

Andere Familienangehörige (z.B. Geschwister, Großeltern, Eltern von volljährigen Personen) können unter engen Voraussetzungen ein Visum zum Familiennachzug erhalten. Dies geht jedoch nur dann, wenn der Familiennachzug zur Vermeidung einer „außergewöhnlichen Härte“ erforderlich ist (§ 36 Absatz 2 AufenthG). Voraussetzung ist ein besonderes Angewiesensein auf familiäre Hilfe. Hiervon können Fälle erfasst sein, in denen ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds durch die Herstellung der familiären Gemeinschaft zwingend angewiesen ist und die Lebenshilfe zumutbar auch nur in Deutschland erbracht werden kann.

Die Umstände, die die außergewöhnliche Härte begründen, müssen sich stets aus den individuellen Besonderheiten des Einzelfalls ergeben (z.B. Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit, psychische Probleme). Umstände die sich aus den allgemeinen Lebensverhältnissen im Herkunftsland ergeben, werden regelmäßig nicht zur Begründung einer außergewöhnlichen Härte akzeptiert.

Wichtig: Für die Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Absatz 2 AufenthG müssen der Lebensunterhalt für die in Deutschland lebende Person und die nachzugswilligen Menschen gesichert sein und ausreichender Wohnraum nachgewiesen werden.

II. Wie gestaltet sich das Familiennachzugsverfahren?

Für den Familiennachzug ist in der Regel die persönliche Vorsprache der Nachzuziehenden bei der zuständigen deutschen Auslandsvertretung im jeweiligen Land erforderlich (Ausnahme siehe hier). Die Terminvereinbarung ist von Botschaft zu Botschaft unterschiedlich. Im Einzelfall sollte man sich deshalb die aktuellen Informationen und Hinweise auf der Homepage der jeweils zuständigen Auslandsvertretung ansehen. Die Wartezeiten auf den Termin zur persönlichen Vorsprache sind teilweise sehr lang.

Bei der persönlichen Vorsprache müssen die Familienangehörigen alle erforderlichen Unterlagen, wie z.B. den Nachweis über die Wahrung der Drei-Monatsfrist (falls erforderlich), die Aufenthaltserlaubnis der stammberechtigten Person, die ausgefüllten Visumsantragsformulare, Nachweise über die familiäre Beziehung (z.B. Heiratsurkunde, Familienstammbuch) und einen Reisepass, in den das Visum eingetragen werden kann, vorlegen. Teilweise ist es sehr schwer, diese Unterlagen zu beschaffen.

Die Erteilung des Visums zum Familiennachzug bedarf der Zustimmung der deutschen Ausländerbehörde am beabsichtigten Aufenthaltsort. Zu diesem Zweck übermittelt die Auslandsvertretung die ihr vorliegenden Angaben der antragstellenden Person sowie ihrer in Deutschland lebenden Bezugsperson an die Ausländerbehörde am Wohnort des in Deutschland bereits aufenthaltsberechtigten Familienmitglieds und bittet unter Nennung des beantragten Aufenthaltszwecks um Stellungnahme. Die Ausländerbehörde prüft dann, ob aus ihrer Sicht die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen und gibt eine Rückmeldung an die Auslandsvertretung. Hierbei handelt es sich um ein verwaltungsinternes Verfahren.

Die abschließende Entscheidung über den Visumantrag teilt allein die Auslandsvertretung der antragstellenden Person in Form eines Bescheids mit.

Gegen eine ablehnende Entscheidung kann bei der Auslandsvertretung remonstriert werden. Die Remonstration ist nur dann ausgeschlossen, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung ausschließlich auf die Möglichkeit der Klage verweist. In diesem Fall muss direkt Klage beim VG Berlin erhoben werden.

Ergeht der Ablehnungsbescheid ohne Rechtsbehelfsbelehrung, beträgt die Frist für die Remonstration ein Jahr nach Bekanntgabe des Ablehnungsbescheides. Ist der Ablehnungsbescheid dagegen mit einer zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung versehen, die nicht ausschließlich auf die Möglichkeit einer Klage hinweist, beträgt die Frist einen Monat nach Bekanntgabe des Ablehnungsbescheides.

Wurde remonstriert und kommt die Auslandsvertretung nach erneuter Prüfung zum Ergebnis, dass das Visum nicht erteilt werden kann, erlässt sie einen sog. Remonstrationsbescheid. Gegen diesen Bescheid kann die betroffene Person innerhalb eines Monats nach Zustellung Klage beim VG Berlin erheben.

Ist die Entscheidung der Auslandsvertretung positiv, wird den nachzugswilligen Personen das Visum erteilt. Die Kosten für die Flüge sind von den Familienangehörigen zu tragen.

Nach der Einreise sollten die Personen sich zügig bei der Ausländerbehörde melden und einen Antrag auf Verlängerung des – in der Regel nur für drei Monate erteilten – Visums stellen. Außerdem sollten sie sich baldmöglichst beraten lassen, ob für sie eine Asylantragstellung sinnvoll ist (>> Familienasyl).

III. Weiterführende Arbeitshilfen


Ablehnungsformen

Nach der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) müssen Geflüchtete teilweise recht lange warten, bis ihnen die Entscheidung des BAMF über ihren Antrag mitgeteilt wird. Diese Entscheidung wird immer schriftlich mitgeteilt. So wie es unterschiedliche Anerkennungsformen gibt, gibt es auch unterschiedliche Ablehnungsformen. Je nach Ablehnungsform müssen unterschiedliche Fristen und Vorgehensweisen beachtet werden. Grundsätzlich besteht bei einer Ablehnung immer die Möglichkeit, gegen die Entscheidung der Behörde vor einem Verwaltungsgericht zu klagen.

I. Unterschiedliche Ablehnungsformen
II. Rechtsmittel gegen die Ablehnung
III. Kosten des Verfahrens

IV. Fristen und Adresswechsel
V. Weiterführende Arbeitshilfen

I. Unterschiedliche Ablehnungsformen

Ablehnung als „unbegründet

Der Antrag kann als „unbegründet“ abgelehnt werden, im Ablehnungsbescheid steht dann in der Regel unter Ziffer 1 „Der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wird abgelehnt.“ Häufig wird hier von einer „einfachen“ Ablehnung gesprochen. Gegen den Bescheid kann innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Klage erhoben werden (§ 74 Absatz 1 AsylG). Für die Begründung der Klage hat man jedoch einen Monat Zeit (§ 74 Absatz 2 Satz 1 AsylG). Die Klage hat aufschiebende Wirkung (§ 75 Absatz 1 AsylG). Das bedeutet unter anderem, dass die betroffene Person ihre Aufenthaltsgestattung behält und bis zum rechtskräftigen Abschluss des Gerichtsverfahrens vor Abschiebung geschützt ist. Bis das Verwaltungsgericht (in der Regel auf Grundlage einer mündlichen Verhandlung) über die Klage entscheidet, vergehen in der Regel Monate, nicht selten auch Jahre. Wird ein Asylantrag als unbegründet abgelehnt, besteht außerdem die Möglichkeit zur „freiwilligen Ausreise“ innerhalb eines Monats. Die Ausreisefrist beginnt erst, wenn die Entscheidung des BAMF unanfechtbar ist – wenn Klage erhoben wurde also mit dem endgültigen Abschluss des Gerichtsverfahren (§ 38 Absatz 1 Satz 2 AsylG) (>> Abschiebung und freiwillige Ausreise).

Ablehnung als „offensichtlich unbegründet

Der Antrag kann als „offensichtlich unbegründet“ (§ 29a, § 30 AsylG) abgelehnt werden, im Ablehnungsbescheid steht dann in der Regel unter Ziffer 1 „Der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wird als offensichtlich unbegründet abgelehnt.“ Häufig wird hier von einer „o.u.-Ablehnung“ gesprochen.

Das BAMF lehnt Asylanträge in der Regel als offensichtlich unbegründet ab, wenn die betroffene Person die Staatsangehörigkeit eines sog. sicheren Herkunftsstaats hat. Die „o.u.“-Ablehnung beruht in diesem Fall auf § 29a AsylG. Welche Herkunftsstaaten als sicher gelten, ergibt sich abschließend aus dem Gesetz (§ 29a AsylG in Verbindung mit Anlage II). Derzeit werden als sicher eingestuft: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Moldau Montenegro, Serbien, Georgien, Ghana und Senegal. Entsprechend können Staaten, die nicht im Gesetz aufgeführt sind, keine sicheren Herkunftsstaaten sein, wie beispielsweise Afghanistan, Tunesien, Marokko und Algerien.

Darüber hinaus kann das BAMF aber auch Asylanträge von Personen, die nicht aus sicheren Herkunftsstaaten kommen, als offensichtlich unbegründet ablehnen. Die Gründe hierfür finden sich in § 30 Absatz 1 Nummer 1 bis 9 AsylG. So kann ein ohnehin unbegründeter Asylantrag etwa als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden, wenn eine Person nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang sind (§ 30 Absatz 1 Nummer 1 AsylG), im Asylverfahren über ihre Identität täuscht oder diesbezügliche Angaben verweigert (§ 30 Absatz 1 Nummer 3 AsylG) oder aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen wurde bzw. es schwerwiegende Gründe für die Annahme gibt, dass er eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung darstellt (§ 30 Absatz 1 Nummer 7 AsylG). Seit 27.2.2024 werden auch Asylanträge als offensichtlich unbegründet abgelehnt, wenn ein einen Folge- oder Zweitantrag (>> Asylfolgeantrag) durchgeführt wurde und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt wurde, ohne dass ein Schutzstatus erteilt wurde. Ob ein Asylantrag auf Grundlage von § 29a AsylG oder § 30 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, ergibt sich aus der Begründung der Ablehnung.

Wichtig: Bei einer „o.u.-Ablehnung“ beträgt die Klagefrist nur eine Woche, außerdem hat die Klage keine aufschiebende Wirkung (§ 75 Absatz 1 AsylG). Entsprechend kann die Person abgeschoben werden, bevor über die Klage entschieden wurde. Es besteht jedoch die Möglichkeit, mit einem zusätzlich zur Klage eingelegten Eilantrag an das zuständige Verwaltungsgericht, die aufschiebende Wirkung anordnen zu lassen. Auch für diesen Eilantrag hat man nur eine Woche ab Zustellung des Bescheids Zeit. Wurde der Eilantrag fristgerecht gestellt, ist eine Abschiebung kraft Gesetzes bis zur Entscheidung des Gerichts über den Eilantrag verboten (§ 36 Absatz 3 Satz 8 AsylG).

Wird ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt, besteht die Möglichkeit zur „freiwilligen Ausreise“ lediglich innerhalb der Frist von einer Woche, die spätestens mit einer ablehnenden Entscheidung des Gerichts über einen gestellten Eilantrag beginnt.

Ablehnung als „unzulässig“ (Dublin-Fall)

Der Antrag kann als „unzulässig“ (§ 29 AsylG) abgelehnt werden, im Ablehnungsbescheid steht dann in der Regel „Der Asylantrag wird als unzulässig abgelehnt.“ Ein Asylantrag kann aus unterschiedlichen Gründen als unzulässig abgelehnt werden. Praktisch häufig ist die Ablehnung als unzulässig, weil ein sogenannter Dublin-Fall vorliegt, also ein anderer Staat, der die Dublin-III-Verordnung anwendet, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Die Ablehnung bedeutet also nicht, dass der Person nicht grundsätzlich ein Schutzstatus erteilt werden kann, sondern dass die inhaltliche Prüfung des Asylantrags einem anderen Staat obliegt, an den die Person zuständigkeitshalber überstellt wird. Dies hat im Regelfall auch zur Folge, dass Deutschland nicht die Abschiebung in das Herkunftsland der antragstellenden Person anordnen darf, sondern nur in den zuständigen „Dublin-Staat“.

Die Frist für eine Klage gegen einen solchen „Dublin-Bescheid“ beträgt eine Woche, außerdem hat die Klage keine aufschiebende Wirkung, wenn die Unzulässigkeitsentscheidung – wie im Regelfall – mit einer Abschiebungsanordnung verbunden ist. Entsprechend kann die Person abgeschoben werden, bevor über die Klage entschieden wurde. Wie bei der „o.u.-Ablehnung kann aber bei Gericht ein Eilantrag eingereicht werden. Auch für den Eilantrag gilt eine Frist von einer Woche (§ 34a Absatz 2 Satz 1 AsylG).

Wichtig: Ein Eilantrag sollte nur nach sachkundiger Beratung gestellt werden, weil dieser in Dublin-Fällen bewirkt, dass die Überstellungsfrist von sechs Monaten neu zu laufen beginnt, wenn der Eilantrag abgelehnt wird. Die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise haben Menschen mit einer Ablehnung als unzulässig aufgrund von Dublin grundsätzlich nicht; das Gesetz sieht hier stets eine Abschiebung in den zuständigen Staat vor (Ausnahmen in Einzelfällen möglich). Mehr dazu findet sich unter >> Das Dublin-Verfahren.

Ablehnung als „unzulässig“ (Anerkanntenfall)

Außerdem kann ein in Deutschland gestellter Asylantrag als „unzulässig“ abgelehnt werden, wenn die Person in einem anderen EU-Staat bereits einen Schutzstatus, also die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutz, erhalten hat. Dahinter steht der Gedanke, dass Deutschland die bereits anerkannte Person nicht noch einmal anerkennen kann. Aufgrund der Unzulässigkeitsentscheidung ist Deutschland allerdings nur berechtigt, die Person zurück in den Staat abzuschieben, der den Schutz gewährt hat; eine Abschiebung in das Herkunftsland ist dagegen aufgrund des durch den anderen EU-Staat gewährten Schutzstatus grundsätzlich nicht möglich. Anders sieht es aus, wenn die Person in dem anderen EU-Staat unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müsste, denn dann ist die Rückkehr dorthin letztlich genauso unzumutbar wie eine Rückkehr ins Herkunftsland. In einem solchen Fall darf Deutschland nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) den Asylantrag nicht als unzulässig ablehnen, sondern muss ein neues Asylverfahren durchführen. Das BAMF sieht sich dann aber auch nicht an die Entscheidung aus dem anderen EU-Staat gebunden – mit der Folge, dass es im Einzelfall auch einen schlechteren Schutzstatus oder gar keinen Schutzstatus gewährt. Im letztgenannten Fall droht es dann auch die Abschiebung in das Herkunftsland an. Ob diese Praxis des BAMF rechtmäßig ist, wird in den kommenden Jahren vom EuGH entschieden werden, dem diese Frage vom Bundesverwaltungsgericht vorgelegt wurde.

Lehnt das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab, kann auch gegen diese Entscheidung geklagt werden. Da die Klage keine aufschiebende Wirkung hat, muss für wirksamen Abschiebungsschutz ggf. zusätzlich ein Eilantrag gestellt werden. Für beide gilt eine Frist von einer Woche (§ 36 Absatz 3 Satz 1, § 74 Absatz 1 AsylG). Lehnt das BAMF den Asylantrag dagegen ausnahmsweise als unbegründet ab, gilt das oben zur Ablehnung als unbegründet Gesagte.

II. Rechtsmittel gegen die Ablehnung

Wie wird eine Klage eingereicht?

Wird ein Asylantrag abgelehnt, besteht immer die Möglichkeit, die behördliche Entscheidung durch das zuständige Verwaltungsgericht in Form einer Klage überprüfen zu lassen. In Baden-Württemberg gibt es in der ersten Instanz vier Verwaltungsgerichte (Freiburg, Karlsruhe, Sigmaringen, Stuttgart). Welches Gericht zuständig ist, ergibt sich aus der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids. Unter bestimmten Voraussetzungen kann man gegen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte auch noch in zweiter Instanz beim Verwaltungsgerichtshof (VGH) vorgehen, der seinen Sitz in Mannheim hat.

Ob der Gang vor Gericht sinnvoll ist, ist eine Frage des Einzelfalls und in erster Linie eine Entscheidung der antragstellenden Person. Rechtsanwält*innen oder kompetente Geflüchtetenberatungsstellen können bei dieser Entscheidung unterstützen. Um wirksam Klage einzureichen, braucht man grundsätzlich keinen Rechtsbeistand, die Klage muss jedoch in Schriftform (notfalls per Fax) eingereicht werden (§ 81 Absatz 1 VwGO). Wenn die Zeit drängt, kann die Klage also auch eigenständig eingereicht werden, um die Frist einzuhalten.

Wichtig: Da die asylantragstellende Person Kläger*in ist, muss die Klage ihre*seine Unterschrift tragen. Die Klage muss nicht sofort begründet werden. Muster für die Klage gibt es auf der Website des Flüchtlingsrats Thüringen. Alternativ kann die Klage auch am Sitz des zuständigen Verwaltungsgerichts zu Protokoll gegeben werden. Die Verwaltungsgerichte haben hierfür Rechtsantragsstellen eingerichtet. Die antragstellende Person sollte hierfür mindestens den BAMF-Bescheid mitbringen, gegen den sie vorgehen will. Nähere Informationen finden sich auf den Webseiten der jeweiligen Verwaltungsgerichte (KarlsruheSigmaringenStuttgartFreiburg).

Wie wird ein Eilantrag eingereicht?

Da die Klage bei als „offensichtlich unbegründet“ und „unzulässig“ abgelehnten Asylanträgen im Regelfall keine aufschiebende Wirkung hat und somit nicht vor Abschiebung schützt, ist stets zu überlegen, ob zusätzlich ein Eilantrag bei Gericht gestellt werden sollte. Für den Eilantrag gilt eine Frist von einer Woche ab Zustellung des negativen Bescheids, wie sich auch aus der Rechtsbehelfsbelehrung ergibt. Über den Eilantrag entscheidet das Gericht üblicherweise innerhalb weniger Wochen. Der Eilantrag muss deshalb sogleich umfassend begründet werden. Die Entscheidung über den Eilantrag wird auf Grundlage der Akten durch die*den Richter*in getroffen. Eine mündliche Verhandlung findet nicht statt. Bis eine Entscheidung über den Eilantrag getroffen wird, besteht Abschiebungsschutz.

Hat der Eilantrag Erfolg, ordnet das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung an. Die antragstellende Person ist dann bis zu einer abschließenden Entscheidung über die Klage vor Abschiebung geschützt. Wird der Eilantrag abgelehnt, kann diese Entscheidung nicht mit weiteren Rechtsmitteln angegriffen werden, sie ist unanfechtbar (§ 80 AsylG). Die Abschiebung der betroffenen Person darf dann grundsätzlich vollzogen werden. Treten allerdings nach der gerichtlichen Entscheidung neue Umstände ein (Krankheit, neues Attest, Schwangerschaft etc.), die eine Abschiebung nunmehr unzulässig machen würden, kann bei Gericht ein Antrag auf Abänderung der im Eilverfahren getroffenen Entscheidung gemäß § 80 Absatz 7 VwGO gestellt werden; ist dieser erfolgreich, ordnet das Gericht doch noch die aufschiebende Wirkung der Klage an. Muster für den Eilantrag gibt es auf der Website des Flüchtlingsrats Thüringen.

Wichtig: Das Stellen eines Eilantrags führt bei Dublin-Fällen in der Regel dazu, dass die Überstellungsfrist von sechs Monaten neu zu laufen beginnt. Daher sollte der Eilantrag in diesen Fällen nicht leichtfertig und nur von Asylrechtsspezialist*innen gestellt werden. Mehr dazu findet sich beim Punkt >> Das Dublin-Verfahren.

III. Kosten des Verfahrens

Wird ein Rechtsanwalt*eine Rechtsanwältin beauftragt, trägt die Kosten hierfür (zunächst) die geflüchtete Person, da sie den Auftrag erteilt. Grundlage ist der zwischen Anwalt*Anwältin und geflüchteter Person geschlossene Beratungsvertrag, der unterschiedlich ausgestaltet sein kann. In der Regel wird eine Vorschusszahlung vereinbart. Häufig wird hinsichtlich des Restbetrags eine Vereinbarung getroffen, dass dieser in Raten abbezahlt werden kann. Hat die Klage Erfolg, werden der geflüchteten Person die Verfahrenskosten, wozu auch die Kosten für den Rechtsanwalt*die Rechtsanwältin in Höhe der gesetzlichen Gebühren zählen, von der Gegenseite, also dem BAMF erstattet. Es gilt der Grundsatz, dass die unterlegene Partei zahlt. Außerdem besteht die Möglichkeit, beim zuständigen Verwaltungsgericht einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu stellen. Voraussetzung ist neben der finanziellen Bedürftigkeit der Klägerin*des Klägers, dass die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Unter Umständen kann über uns auch einen Antrag auf Bezuschussung der Kosten für den Rechtsanwalt*die Rechtsanwältin beim Rechtshilfefonds von PRO ASYL eingereicht werden.

Weitere Informationen:

IV. Fristen und Adresswechsel

Da die Rechtsbehelfsfristen im Asylverfahren sehr knapp bemessen sind, ist nach Erhalt des BAMF-Bescheids Eile geboten. Wie viel Zeit für eine Klage (und einen eventuellen Eilantrag) zur Verfügung steht, hängt von der Art der Ablehnung ab. Die einzuhaltende Frist ergibt sich ebenso wie das zuständige Verwaltungsgericht aus der Rechtsbehelfsbelehrung am Ende des Bescheids. Die Frist beginnt mit ordnungsgemäßer Zustellung.

Wichtig: Asylbewerber*innen sind während des gesamten Asylverfahrens dazu verpflichtet, den zuständigen Behörden ihre aktuelle Anschrift mitzuteilen (§ 10 Absatz 1 AsylG). Ändert sich also während des Asylverfahrens die Adresse, muss die neue Anschrift unverzüglich dem BAMF, der Ausländerbehörde und im Falle eines Gerichtsverfahrens auch dem Gericht mitgeteilt werden. Unverzüglich ist die Mitteilung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn der Anschriftenwechsel den im Gesetz genannten Stellen binnen zwei Wochen, gerechnet ab dem tatsächlichen Umzugstag, angezeigt wird. Man kann und darf sich hier nicht darauf verlassen, dass die Behörden die neue Anschrift untereinander austauschen, selbst wenn der Umzug z.B. von der Ausländerbehörde veranlasst wurde. Wird etwa der ablehnende Bescheid an die alte Adresse verschickt, weil die neue Adresse dem BAMF nicht unverzüglich mitgeteilt wurde, läuft man Gefahr, die Klagefrist zu versäumen. Denn die Frist beginnt nach ordnungsgemäßer Zustellung an die dem BAMF bekannte Adresse. Die Mitteilung der neuen Anschrift sollte, wenn möglich, per Fax oder E-Mail erfolgen und stets das Aktenzeichen des BAMF enthalten. Auf diese Weise hat man einen Nachweis, dass die Mitwirkungspflicht erfüllt wurde. Ein Muster für die Mitteilung der neuen Adresse gibt es auf der Website des Flüchtlingsrats Thüringen unter „Asylverfahren“.

V. Weiterführende Arbeitshilfen


Anerkennungsformen

Nach der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bekommen Geflüchtete einen Brief in einem gelben Umschlag vom BAMF, in dem die Entscheidung über den Asylantrag mitgeteilt wird. Auf diesen sog. Bescheid muss teilweise Monate gewartet werden. Sowohl bei positiven als auch bei negativen Entscheidungen gibt es verschiedene Varianten, die jeweils unterschiedliche Auswirkungen haben. In diesem Beitrag geht es um die positiven Entscheidungen, die unterschiedlichen Anerkennungsformen: Es gibt vier unterschiedliche Schutzformen.

I. Die vier Anerkennungsformen
II. Unterscheidung Anerkennung und Aufenthaltserlaubnis
III. Rechte und Pflichten nach der Anerkennung
IV. Weiterführende Arbeitshilfen

I. Die vier Anerkennungsformen

Die Asylberechtigung und Flüchtlingseigenschaft

Die erste Variante einer positiven Entscheidung ist die Anerkennung als Asylberechtigte*r gemäß Artikel 16a Grundgesetz und/oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 – § 3e AsylG). In diesen Fällen hat das BAMF festgestellt, dass die asylsuchende Person deshalb gefährdet ist, weil ihr in ihrem Herkunftsland Verfolgung droht. Dabei sind die Hürden für die Asylberechtigung höher als für die Flüchtlingseigenschaft: Die Asylberechtigung setzt zum einen Verfolgung durch den Staat voraus, zum anderen ist sie ausgeschlossen, wenn die Einreise nach Deutschland über einen sogenannten sicheren Drittstaat erfolgt ist. Da das Gesetz alle Nachbarländer Deutschlands als sichere Drittstaaten einstuft, ist die Anerkennung als Asylberechtigte*r bei einer Einreise auf dem Landweg in aller Regel ausgeschlossen. Demgegenüber kann die Flüchtlingseigenschaft auch aufgrund von Verfolgung durch nichtstaatliche Akteur*innen und auch bei Einreise über einen sicheren Drittstaat gewährt werden.

Voraussetzung sowohl für die Asylberechtigung als auch die Flüchtlingseigenschaft ist, dass der Person die Verfolgung wegen ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe droht. Im Gesetzestext ist bis heute der Begriff „Rasse“ als weiterer Grund angeführt (Hinweis: Allein rassistische Theorien gehen jedoch von der Annahme aus, dass es unterschiedliche menschliche „Rassen“ gibt. Wir halten den Begriff daher für höchst problematisch und distanzieren uns klar von ihm und dahinterstehenden Konzepten. Er wird an dieser Stelle ausschließlich genannt, um auf den rechtlichen Kontext hinzuweisen. In rechtlicher Hinsicht wird der Begriff genutzt, um rassifizierten Menschen Schutz vor Verfolgung zu bieten. Weitere Informationen zum Stand der Diskussion hält das Deutsche Institut für Menschenrechte bereit). Es muss sich also um diskriminierende Verfolgung handeln, die das Wesensmerkmal der Flüchtlingseigenschaft und Asylberechtigung ist. Liegen ausnahmsweise einmal die Voraussetzungen sowohl der Asylberechtigung als auch der Flüchtlingseigenschaft vor, erhält die Person beide Schutzstatus.

Der subsidiäre Schutz

Liegen die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft und Asylberechtigung nicht vor, prüft das BAMF, ob der subsidiäre Schutz erteilt werden kann. Der in § 4 AsylG geregelte subsidiäre Schutz ist Bestandteil des Asylantrags und muss somit nicht gesondert beantragt werden. Subsidiär ist dieser Schutz, weil er nur hilfsweise für den Fall gewährt wird, dass die Voraussetzungen des „besseren“ Schutzstatus nicht vorliegen. Der subsidiäre Schutz hat gewissermaßen eine Auffangfunktion und soll Schutzlücken schließen, die etwa in Fällen bestehen, in denen zwar keine diskriminierende Verfolgung besteht, im Herkunftsland aber gleichwohl eine unmittelbare Gefahr besteht, die vom Staat oder privaten Akteur*innen ausgeht. Diese Gefahr beschreibt das Gesetz mit dem Begriff des „ernsthaften Schadens“, der der Person im Herkunftsland drohen muss. Mit der „Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe“, „Folter oder unmenschlicher/erniedrigender Behandlung“ und der „Bedrohung des Lebens durch Krieg oder Bürgerkrieg“ zählt § 4 Absatz 1 AsylG die verschiedenen Konstellationen abschließend auf.

 Das nationale Abschiebungsverbot

Wird auch kein subsidiärer Schutz gewährt, prüft das BAMF von Amts wegen stets, ob ein sogenanntes nationales Abschiebungsverbot gemäß § 60 Absatz 5 oder 7 AufenthG vorliegt. Dieses ist nicht Bestandteil des Asylantrags, sondern wird nur anlässlich des Asylantrags geprüft. Bei einem nationalen Abschiebungsverbot wird geprüft, ob der betroffenen Person eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht, wenn sie ausreisen muss oder abgeschoben werden soll. Es handelt sich hierbei um sogenannte zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote.

So darf eine Person nicht abgeschoben werden, wenn ihr dadurch die Verletzung der in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerten Rechte droht. BAMF und Gerichte gehen teilweise von einem Abschiebungsverbot aus, wenn die Lebensbedingungen für einzelne Schutzsuchende aufgrund schlechter humanitärer Bedingungen im Herkunftsland einer Verletzung von Artikel 3 EMRK gleichkommen. Unter solchen Umständen könnte dann auch vom vorrangigen subsidiären Schutz auszugehen sein, wobei die Abgrenzung umstritten ist.

Eine Person darf auch nicht abgeschoben werden, wenn ihr im Falle einer Abschiebung erhebliche Gesundheitsgefahren drohen (§ 60 Absatz 7 AufenthG). Dies gilt jedoch nur für lebensbedrohliche oder schwerwiegende Krankheiten, die sich durch die Abschiebung akut zu verschlechtern drohen.

II. Unterscheidung Anerkennung und Aufenthaltserlaubnis

Spricht das BAMF im Asylverfahren einen Schutz zu, wird der antragstellenden Person dies in einem Bescheid mitgeteilt. Der Bescheid mit der positiven Entscheidung des BAMF ist noch nicht die Aufenthaltserlaubnis, sondern nur Voraussetzung dafür, dass die Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis erteilen darf. Zwar gilt der Aufenthalt der anerkannten Person häufig schon mit dem positiven Bescheid als erlaubt (§ 25 Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 Satz 2 AufenthG), jedoch vergehen regelmäßig Wochen oder Monate, bis man die Aufenthaltserlaubnis in den Händen hält. Die Entscheidung des BAMF und die anschließend erteilte Aufenthaltserlaubnis durch die Ausländerbehörde – dies ist das Landratsamt bzw. in den Stadtkreisen und großen Kreisstädten die Stadtverwaltung – sind unbedingt auseinander zu halten. Die Unterscheidung ist insbesondere beim (privilegierten) Familiennachzug zu Personen mit Flüchtlingseigenschaft oder Asylberechtigung wichtig. Die dort einzuhaltende Drei-Monatsfrist (§ 29 Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 AufenthG) wird nämlich durch die Bekanntgabe des BAMF-Bescheids, mit dem die Asylberechtigung oder die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, in Gang gesetzt – und eben nicht erst durch die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis. Mehr Informationen dazu unter >> Familiennachzug.

Immer wieder kommt es vor, dass Personen mit Schutzstatus die Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis verwehrt wird, weil sie die Passpflicht nicht erfüllen. Da Personen mit Flüchtlingseigenschaft oder Asylberechtigung Anspruch auf einen blauen Flüchtlingspass haben, betrifft dieses Problem vor allem Personen mit subsidiärem Schutz oder Abschiebungsverbot. Von ihnen wird in der Regel erwartet, dass sie die Passpflicht durch die Beschaffung eines Reisepasses ihres Herkunftslandes erfüllen. Allerdings darf die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in diesen Fällen nicht von der Erfüllung der Passpflicht abhängig gemacht werden. Das geht aus dem Wortlaut des § 5 Absatz 3 Satz 1 AufenthG hervor: Demnach ist bei Personen mit Aufenthaltstiteln nach § 24 (Schutz nach der Massenzustromrichtlinie) oder § 25 Absatz 1 bis 3 AufenthG (Asylberechtigung, Flüchtlingseigenschaft, Subsidiärer Schutz) von den Regelerteilungsvoraussetzungen (zu denen die Passpflicht gehört) zwingend abzusehen. Die Ausnahme gilt auch bei der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (§ 8 Absatz 1 AufenthG).

III. Rechte und Pflichten nach der Anerkennung

Welche Rechte und Pflichten im Anschluss an das Asylverfahren bestehen, hängt von dem Schutzstatus ab, den das BAMF gewährt hat.

Asylberechtigung und Flüchtlingseigenschaft

Mit der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Asylberechtigung sind grundsätzlich identische Rechte und Pflichten verbunden. Liegen ausnahmsweise einmal die Voraussetzungen der Asylberechtigung vor, sollte die Person vorsorglich dennoch darauf achten, dass in dem Bescheid zusätzlich auch die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, deren Voraussetzungen dann ebenfalls erfüllt sein werden. Während die Asylberechtigung nämlich auf nationales, also deutsches Recht zurückgeht, ist für die Flüchtlingseigenschaft europäisches Recht maßgeblich, über dessen Auslegung der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entscheidet. Um von einer etwaigen günstigen Entscheidung des EuGHs profitieren zu können, muss man aber eine Flüchtlingseigenschaft haben. Ein aktuelles Beispiel liefert die Rechtsprechung des EuGH zum Familiennachzug zu Personen mit Flüchtlingseigenschaft (>> Familiennachzug). Es erscheint zweifelhaft, ob sich auf diese Rechtsprechung auch eine Person berufen kann, die „nur“ eine Asylberechtigung hat. Darauf kommt es jedoch nicht an, wenn man beide Schutzstatus besitzt.

Sowohl Asylberechtigung als auch Flüchtlingseigenschaft vermitteln einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (§ 25 Absatz 2 Satz 1 Alternative 1 AufenthG) die für drei Jahre erteilt wird (§ 26 Absatz 1 Satz 2 AufenthG).

Zwischen der Anerkennung durch das BAMF und der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis liegt häufig ein relativ langer Zeitraum. Der Aufenthalt gilt aber kraft Gesetzes bereits ab der Anerkennung als erlaubt (§ 25 Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 Satz 2 AufenthG). Personen sind also bereits mit der Anerkennung so zu behandeln, als hätten Sie die Aufenthaltserlaubnis schon in den Händen. In der Praxis wird für diesen Übergangszeitraum meist eine Bescheinigung über die Beantragung der Aufenthaltserlaubnis oder eine Fiktionsbescheinigung ausgestellt.

Nach Ablauf der drei Jahre wird die Aufenthaltserlaubnis für weitere drei Jahre verlängert (§ 8 Absatz 1 AufenthG), sofern der Schutzstatus weiterhin besteht und nicht schon die Voraussetzungen für eine Niederlassungserlaubnis erfüllt sind. Dabei muss die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis – und das gilt für jeden anderen Aufenthaltstitel auch – immer rechtzeitig, also zu einem Zeitpunkt, zu dem sie noch gilt, bei der Ausländerbehörde beantragt werden. Bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde gilt der Aufenthaltstitel und damit verbundene Rechte, etwa die Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit, als fortbestehend (§ 81 Absatz 4 Satz 1 AufenthG). Es besteht ein Anspruch auf die Ausstellung einer Bescheinigung darüber, die sog. Fiktionsbescheinigung (§ 81 Absatz 5 AufenthG).

Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt automatisch zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, d.h. sowohl zu einer abhängigen Beschäftigung als auch zu einer selbstständigen Tätigkeit (§ 25 Absatz 1 Satz 4, Absatz 2 Satz 2 und § 2 Absatz 2 AufenthG). Es besteht ein Anspruch – und häufig auch die Pflicht – zur Teilnahme an einem Integrationskurs (§ 44 Absatz 1 Nr. 1 c, § 44a Absatz 1 AufenthG). Der Teilnahmeanspruch erlischt – sofern man keine „Entschuldigungsgründe“ hat – ein Jahr nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis (§ 44 Absatz 2 AufenthG), Details siehe unter >> Sprachförderung.

Sozialrechtlich sind Personen mit Flüchtlingseigenschaft und Asylberechtigung deutschen Staatsangehörigen weitgehend gleichgestellt. Sie scheiden mit rechtskräftiger Anerkennung aus dem Anwendungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes aus und fallen in die „normalen“ sozialrechtlichen Sicherungssysteme. Kann der Lebensunterhalt also nicht (vollständig) aus eigener Kraft gesichert werden, besteht ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II (§ 7 Absatz 1 SGB II), bei Erwerbsunfähigkeit nach dem SGB XII. Für einen nahtlosen Leistungsbezug sollte nach der Anerkennung unverzüglich ein Antrag bei der zuständigen Behörde gestellt werden (Jobcenter/Sozialamt). Es besteht ebenfalls Zugang zu BAföG und Leistungen der Berufs- und Ausbildungsförderung, wenn die persönlichen Voraussetzungen (z.B. Altersgrenze) erfüllt sind.

Personen mit Flüchtlingseigenschaft und Asylberechtigung steht das Recht auf Familiennachzug uneingeschränkt zu (>> Familiennachzug).

Als Person mit Flüchtlingseigenschaft und Asylberechtigung besteht der Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Geflüchtete, den sog. „blauen Pass“ (Artikel 28 Genfer Flüchtlingskonvention = GFK, § 2 Absatz 1 AsylG). Dieser ermöglicht das Reisen nach Maßgabe der jeweiligen Visabestimmungen der Ziel- und Durchreisestaaten. Eine Reise in den Herkunftsstaat ist aber nicht zulässig, was auch ausdrücklich im Reiseausweis vermerkt wird. Reisen in das Herkunftsland gefährden den Status als Person mit Flüchtlingseigenschaft oder Asylberechtigung. Hiervon ist also dringend abzuraten. Aus demselben Grund ist Vorsicht bei der Nutzung und Verlängerung des eigenen Nationalpasses geboten, der der*dem Besitzer*in spätestens nach der Anerkennung wieder auszuhändigen ist.

Der subsidiäre Schutz

Die Rechte und Pflichten beim subsidiären Schutz entsprechen in vielerlei Hinsicht denen bei der Flüchtlingseigenschaft oder Asylberechtigung. In einigen Punkten sind die Rechtspositionen beim subsidiären Schutz aber deutlich schwächer. Dies ist ein Grund, warum eine Klage gegen die Ablehnung der Flüchtlingseigenschaft sinnvoll sein kann.

So besteht ebenfalls ein strikter Rechtsanspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis (§ 25 Absatz 2 Satz 1 Alternative 2 AufenthG), die ebenfalls automatisch, d.h. ohne gesonderte Erlaubnis durch die Ausländerbehörde, zur Erwerbstätigkeit berechtigt. Allerdings wird die Aufenthaltserlaubnis bei erstmaliger Erteilung nur für ein Jahr, bei Verlängerung dann für zwei weitere Jahre erteilt (§ 26 Absatz 1 Satz 3 AufenthG). Den Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis hat auch, wer gegen den BAMF-Bescheid klagt, um die Flüchtlingseigenschaft zu erhalten. Die Ausländerbehörde darf die Aufenthaltserlaubnis also nicht – wie es bisweilen in der Praxis zu beobachten ist – unter Hinweis auf das teilweise noch bei Gericht laufende Klageverfahren verweigern. Der subsidiäre Schutzstatus kann im gerichtlichen Verfahren auch nicht wieder verloren gehen; dort kann man sich also nur „verbessern“.

Ebenso wenig darf die Ausländerbehörde die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis für eine Person mit subsidiärem Schutz verweigern mit der Begründung, dass kein Pass vorliegt. Subsidiär Schutzberechtigte sind zwar möglicherweise verpflichtet, sich um einen Pass ihres Herkunftsstaates zu bemühen, allerdings darf das Vorliegen des Passes nicht zur Voraussetzung für die Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gemacht werden. Denn das Gesetz  regelt unmissverständlich, dass bei der der Erteilung von Aufenthaltstiteln wie dem subsidiären Schutz von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen abgesehen wird (§ 5 Absatz 3 Satz 1 AufenthG) . Zu diesen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gehört auch die Erfüllung der Passpflicht. Damit sich die Personen nicht wegen passlosen Aufenthalts strafbar machen, ist der Aufenthaltstitel zwingend als Ausweisersatz auszustellen (§ 48 Absatz 4 AufenthG), mit dem wiederum die Passpflicht für den Aufenthalt in Deutschland erfüllt wird.

Einer der gravierendsten Nachteile gegenüber Personen mit Flüchtlingseigenschaft oder Asylberechtigung besteht derzeit noch beim Familiennachzug. Dieser ist nur unter bestimmten Bedingungen möglich, und zwar für maximal 1.000 Personen im Monat (>> Familiennachzug).

Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass Deutschland subsidiär Schutzberechtigten nicht automatisch ein Reisedokument ausstellt. Sie werden grundsätzlich darauf verwiesen, bei ihrer „Heimatbotschaft“ die Verlängerung bzw. Ausstellung des Reisepasses zu beantragen. Nur wenn sie dort keinen Nationalpass erhalten können, z.B. weil ihnen die Beantragung nicht zumutbar ist, wird ein „Reiseausweis für Ausländer“, der umgangssprachlich „grauer Pass“ genannt wird, ausgestellt (§ 5 und § 6 AufenthV sowie Artikel 25 Absatz 2 der Qualifikationsrichtlinie). Für eritreische Staatsangehörige beispielsweise hat das Bundesverwaltungsgericht am 11.10.2022 entschieden, dass sie Anspruch auf einen Reiseausweis für Ausländer haben, weil es ihnen nicht zumutbar ist, eine „Reueerklärung“ zu unterzeichnen (Az. 1 C 9.21). Die Ausstellung des Reiseausweises dürfe dem Urteil entsprechend nicht mit der Begründung verweigert werden, die Person könne einen Pass ihres Herkunftsstaates auf zumutbare Weise erlangen, wenn der Herkunftsstaat (hier: Eritrea) die Ausstellung eines Passes an die Unterzeichnung einer „Reueerklärung“ knüpft, die mit der Selbstbezichtigung einer Straftat verbunden ist, und die betroffene Person plausibel darlegt, dass sie die Erklärung nicht abgeben will.

Schließlich sind die Voraussetzungen, unter denen subsidiär Schutzberechtigte eine Niederlassungserlaubnis erhalten, strenger als bei Personen mit Flüchtlingseigenschaft oder Asylberechtigung (>> Aufenthaltsverfestigung).

Das nationale Abschiebungsverbot

Der schwächste Schutz, der im Asylverfahren gewährt werden kann, ist das nationale zielstaatsbezogene Abschiebungsverbot. Mit ihm gehen die wenigsten Rechte einher. Zwar wird in der Regel eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, wenn das BAMF ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot feststellt. Es besteht aber kein strikter Rechtsanspruch, denn das Gesetz sagt nicht, dass die Aufenthaltserlaubnis zu erteilen „ist“, sondern dass sie erteilt werden „soll“ (§ 25 Absatz 3 Satz 1 AufenthG) und zwar mindestens für ein Jahr (§ 26 Absatz 1 Satz 3 AufenthG). Nach einer Gesetzesänderung vor einiger Zeit sind auch Personen mit Abschiebungsverbot zu jeder Form der Erwerbstätigkeit berechtigt (§ 4a Absatz 1 AufenthG), es bedarf also keiner Erlaubnis durch die Ausländerbehörde. Ein Anspruch auf Teilnahme am Integrationskurs besteht aber nach wie vor nicht. Im Rahmen verfügbarer Kapazitäten können betroffene Personen vom BAMF auf Antrag im Ermessenswege zugelassen werden und sind bei der Auswahl vorrangig zu berücksichtigen (>> Sprachförderung). Auch in anderen Bereichen, etwa beim Zugang zu BAföG, bestehen im Detail Nachteile gegenüber den zuvor genannten Gruppen.

Wie bei subsidiär Schutzberechtigten darf die Ausländerbehörde auch die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 3 AufenthG nicht mit der Begründung verweigern, dass kein Pass vorliegt. Menschen mit Abschiebungsverbot sind zwar in der Regel verpflichtet, sich um einen Pass ihres Herkunftsstaates zu bemühen, allerdings darf das Vorliegen des Passes nicht zur Voraussetzung für die Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gemacht werden, weil auch die Erfüllung der Passpflicht keine Erteilungs-/Verlängerungsvoraussetzung ist. Zur Vermeidung einer Strafbarkeit wegen passlosen Aufenthalts in Deutschland sieht das Gesetz auch hier die obligatorische Ausstellung eines Ausweisersatzes vor.

IV. Weiterführende Arbeitshilfen

  • Informationsverbund Asyl und Migration, Oktober 2022: Schutzformen

Familienasyl

Nach der Einreise von Familienangehörigen, z.B. im Rahmen des Familiennachzugs zu Personen mit Asylberechtigung, Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärem Schutz, oder auch nach Geburt eines Kindes von Schutzberechtigten stellt sich regelmäßig die Frage, ob ein Asylantrag für die neu eingereiste(n) bzw. neugeborene(n) Person(en) sinnvoll ist. Ein solcher Asylantrag führt unter bestimmten Umständen dazu, dass Familienasyl gemäß § 26 AsylG gewährt wird.

I. Grundsätzliches
II. Familienasyl beantragen – ja oder nein?
III. Voraussetzungen für Familienasyl
IV. Ablauf des Familienasylverfahrens
V. Familienasyl bei Geburt eines Kindes im Bundesgebiet
VI. Weiterführende Arbeitshilfen

I. Grundsätzliches

Familienasyl bedeutet, dass der Schutzstatus eines Mitglieds der Kernfamilie auf neu eingereiste bzw. neugeborene Familienangehörigen „übertragen“ wird.

Gemäß § 26 AsylG kann unter bestimmten Voraussetzungen folgenden Angehörigen einer in Deutschland schutzberechtigten Person Familienasyl gewährt werden:

  • Ehegatt*innen
  • eingetragenen Lebenspartner*innen (bis einschließlich September 2017 für gleichgeschlechtliche Paare wählbare Beziehungsform)
  • Eltern eines minderjährigen, unverheirateten Kindes
  • minderjährigen, unverheirateten Kindern und
  • minderjährigen, ledigen Geschwistern einer minderjährigen schutzberechtigten Person.

Es gibt keinen gesonderten Antrag auf Familienasyl. Um den Schutzstatus von einem*einer Familienangehörigen (sog. stammberechtigte Person) abzuleiten, muss folglich ein „normaler“ Asylantrag gestellt werden (>> Das Asylverfahren). Wenn die Voraussetzungen des § 26 AsylG vorliegen, wird ein Schutzstatus gewährt. Das Besondere am Familienasyl ist, dass der Schutzstatus unabhängig von einer eigenen Gefährdung erteilt wird.

Grundsätzlich kommt bei Angehörigen von Schutzberechtigten auch die Erteilung eines Status infrage, der besser ist als der Status des*der Familienangehörigen, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen. Wenn bei der nachgezogenen Person individuelle Schutzgründe vorliegen, also Gründe, die unabhängig von der stammberechtigten Person vorliegen, kann ein besserer Schutzstatus erteilt werden (Details siehe unten).

II. Familienasyl beantragen – ja oder nein?

Die Entscheidung, ob Angehörige von Schutzberechtigten einen Asylantrag stellen sollten, hängt von verschiedenen Faktoren ab, weshalb in der Regel die Hinzuziehung einer Beratungsstelle bzw. eines Rechtsanwalts*einer Rechtsanwältin notwendig ist. 

Zu bedenken sind ganz generell folgende Faktoren:

  • Welchen Schutzstatus hat der*die Angehörige?
    Diese Frage ist zum einen deshalb wichtig, weil eine Statusübertragung über das Familienasyl nur bei der Asylberechtigung, der Flüchtlingseigenschaft oder dem subsidiären Schutz in Betracht kommt. Beim nationalen Abschiebungsverbot (§ 60 Absatz 5, 7 AufenthG) ist das nicht möglich. Zum anderen gehen mit den unterschiedlichen Status unterschiedliche Rechtsfolgen einher. Beispielsweise erhalten nur Personen mit Flüchtlingseigenschaft einen Reiseausweis für Flüchtlinge (sog. Blauer Pass). Subsidiär Schutzberechtigte erhalten nicht standardmäßig ein Passersatzpapier von Deutschland, die Ausstellung der Aufenthaltserlaubnis darf bei ihnen allerdings nicht von der Passvorlage abhängig gemacht werden (§ 5 Absatz 3 Satz 1 AufenthG). Daher ist es für Personen mit einem familiären Aufenthaltstitel ggf. auch sinnvoll, einen Asylantrag zu stellen, wenn die stammberechtigte Person „nur“ subsidiären Schutz hat. Je nach Schutzstatus des*der Stammberechtigten bietet der mit dem Familienasyl verliehene Schutzstatus gegenüber einer familiären Aufenthaltserlaubnis Vorteile in weiteren Bereichen, z.B. in Bezug auf Aufenthaltsverfestigung und Ausweisungsschutz.
  • Droht bei der schutzberechtigten Person ein Widerruf des Schutzstatus?
    Der Antrag auf Familienasyl kann dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Anlass geben, ein Widerrufsverfahren gemäß § 73 AsylG für die stammberechtigte Person einzuleiten (>> Widerruf und Rücknahme des Schutzstatus).
  • Ist ein Nachzug von weiteren Angehörigen der Kernfamilie erwünscht?
    Diese Konstellation ist insbesondere bei unbegleiteten Minderjährigen mit Flüchtlingseigenschaft relevant. Diese haben gemäß § 36 Absatz 1 AufenthG einen Anspruch auf Nachzug der Eltern, der allerdings die minderjährigen Geschwister nicht einbezieht. Häufig wird in der Praxis deshalb ein sog. Kaskadennachzug angestrebt, d.h. die Eltern bzw. ein Elternteil reisen zum*zur unbegleiteten Minderjährigen nach, stellen dann unverzüglich (Begriffsklärung siehe unten) nach der Einreise einen Asylantrag, erhalten im Wege des Familienasyls denselben Status wie der*die ehemals Unbegleitete und holen dann den Rest der Familie im Wege des Ehegatt*innen- bzw. Kindernachzugs nach Deutschland.

III. Voraussetzungen für Familienasyl

Eine grundlegende Voraussetzung ist, dass die Anerkennung der stammberechtigten Person unanfechtbar, also endgültig, ist. Außerdem dürfen kein Widerruf und keine Rücknahme des Schutzstatus des Stammberechtigen erfolgt sein. Die weiteren Voraussetzungen unterscheiden sich je nach Verwandtschaftsverhältnis.

Familienasyl des Ehepartners*der Ehepartnerin

Um den Schutzstatus von dem*der Ehepartner*in abzuleiten, muss die Ehe schon im Herkunftsstaat bestanden haben und der*die Ehepartner*in muss vor der Anerkennung der stammberechtigten Person eingereist oder den Asylantrag unverzüglich („ohne schuldhaftes Zögern“) nach der Einreise gestellt haben. Bei Familienmitgliedern, die mit einem Visum zum Familiennachzug einreisen, bedeutet dies laut Dienstanweisung Asyl des BAMF, dass der Antrag innerhalb von drei Monaten nach der Einreise gestellt werden muss. In anderen Fällen geht man von einer Zweiwochenfrist aus. Wird die Frist unverschuldet überschritten, kann im Einzelfall ein längerer Zeitraum auch noch als unverzüglich gelten. In jedem Fall sollte aber rasch nach der Einreise geprüft werden, ob ein Asylantrag sinnvoll ist, um – falls dies bejaht wird – die Frist noch einhalten zu können.

Familienasyl des minderjährigen Kindes

Damit ein minderjähriges lediges Kind den Status von dem stammberechtigten Elternteil ableiten kann, ist es nicht nötig, unverzüglich nach der Einreise den Asylantrag zu stellen. Zum Zeitpunkt des Asylantrags muss das Kind allerdings noch minderjährig sein.

Familienasyl der Eltern eines unbegleiteten minderjährigen Kindes

Die Eltern einer unbegleiteten minderjährigen Person können im Rahmen des Familienasyls denselben Status wie ihr Kind erhalten, wenn die Familie schon im Herkunftsland bestanden hat, und sie vor der Anerkennung der stammberechtigten Person eingereist oder den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben (siehe oben). Die Eltern müssen die Personensorge für das Kind innehaben. Dies ist meist unproblematisch, wenn sie wirksam miteinander verheiratet sind. Auch minderjährige ledige Geschwister der minderjährigen schutzberechtigten Person können Familienasyl erhalten.

IV. Ablauf des Familienasylverfahrens

Wie wird Familienasyl beantragt?

Wenn man als Familienangehörige*r einer schutzberechtigten Person einen Asylantrag stellen möchte, muss man unterschiedlich vorgehen, je nachdem welche Konstellation zutrifft:

  • Wenn der*die Familienangehörige, der*die einen Asylantrag stellen möchte, einen Aufenthaltstitel mit einer Gesamtgeltungsdauer von sechs Monaten oder weniger hat, muss der Asylantrag gemäß § 14 Absatz 1 AsylG persönlich in einer Außenstelle des Bundesamtes gestellt werden. Dann entsteht für eine bestimmte Zeit die Verpflichtung, in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen (>> Unterbringung und Wohnen).
  • Wenn die Familienangehörigen, die einen Asylantrag stellen möchten, einen Aufenthaltstitel mit einer Gesamtgeltungsdauer von mehr als sechs Monaten besitzen, ist der Asylantrag gemäß § 14 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 AsylG schriftlich bei der Zentrale des BAMF in Nürnberg zu stellen. Hierfür kann ein Formular vom BAMF genutzt werden. In diesem Fall besteht keine Verpflichtung, in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen.
  • Wenn allein einreisende minderjährige Kinder einer schutzberechtigten Person einen Asylantrag stellen wollen, können sie diesen gemäß § 14 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 AsylG mittels des oben erwähnten Formulars schriftlich bei der Zentrale des BAMF in Nürnberg einreichen. Wohnen dürfen sie ab Einreise bei ihren Eltern.

Wichtig: Insbesondere über den Familiennachzug eingereiste Ehepartner*innen bzw. Eltern von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten sollten schnellstmöglich nach Ankunft in Deutschland einen Antrag auf Ausstellung einer familiären Aufenthaltserlaubnis stellen. Visa zum Familiennachzug werden nämlich in der Regel nur für eine Dauer von drei Monaten erteilt. Dadurch entsteht in der Regel eine Verpflichtung zum Wohnen in einer Erstaufnahmeeinrichtung. Diese kann ggf. umgangen werden, indem die Ausländerbehörden vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Visums eine Aufenthaltserlaubnis als Klebeetikett gemäß § 78a AufenthG mit einer Gültigkeitsdauer von mehr als sechs Monaten ausstellen. Unklar ist, ob auch eine Fiktionsbescheinigung mit einer Gültigkeitsdauer von mehr als sechs Monaten ausreicht. Wird ein Aufenthaltstitel mit einer Gültigkeitsdauer von mehr als sechs Monaten ausgestellt, entsteht keine Verpflichtung zum Wohnen in einer Erstaufnahmeeinrichtung. Familien werden somit nicht mehr für die Dauer des Asylverfahrens getrennt. Sollte das nicht gelingen, müssen die Familienangehörigen leider zunächst in einer Erstaufnahmestelle wohnen.

Um sicherzugehen, dass der Anspruch auf Familienasyl gewahrt wird, sollte man bei der Asylantragstellung auf Familienasyl verweisen und den Anerkennungsbescheid der stammberechtigten Person vorlegen.

Vor der Asylantragstellung sollte man sich bei einer Beratungsstelle bzw. einem Anwalt*einer Anwältin beraten lassen.

Gibt es bei Familienasyl eine Anhörung zu den Fluchtgründen?

Normalerweise gibt es auch bei Familienasyl eine Anhörung zu den Fluchtgründen. In bestimmten Fällen, wenn das BAMF die Flüchtlingseigenschaft bzw. subsidiären Schutz gewähren will, kann es auf die Durchführung einer Anhörung verzichten (EU-Verfahrensrichtlinie Art. 14 Absatz 2, § 24 Absatz 1 Satz 5 AsylG).

Bei der Anhörung sollten auch stets die individuellen Fluchtgründe und befürchteten Gefahren im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat vorgebracht werden, damit ggf. aufgrund einer individuell vorgetragenen Verfolgungsgefahr Schutz gewährt werden kann (>> Das Asylverfahren).

Beispiel: Die hier lebende Ehefrau hat einen subsidiären Schutzstatus. Dem nachziehenden Ehemann kann aufgrund des Familienasyl auch subsidiärer Schutz zugesprochen werden. Da er jedoch in seiner Anhörung individuelle Verfolgungsgründe (z.B. politisches Engagement) geltend macht, kann er auch die Flüchtlingseigenschaft erhalten.

Was passiert nach der Gewährung von Familienasyl?

Wird Familienasyl gewährt, erteilt die Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 1 oder 2 AufenthG, abhängig vom Schutzstatus der stammberechtigten Person. Diese muss unabhängig von der Erfüllung der Passpflicht erteilt (und verlängert) werden (§ 5 Absatz 3 Satz 1, § 8 Absatz 1 AufenthG). Hat die stammberechtigte Person die Flüchtlingseigenschaft oder Asylberechtigung, so erhält der*die Angehörige nach Gewährung des Familienasyls ebenfalls einen Reiseausweis für Flüchtlinge.

V. Familienasyl bei Geburt eines Kindes im Bundesgebiet

Wird ein Kind in Deutschland geboren und die Eltern bzw. ein Elternteil sind haben eine Asylberechtigung, Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz, kommt im Falle einer Asylantragstellung Familienasyl in Betracht. Die Entscheidung, ob ein Asylantrag gestellt werden soll, hängt auch hier von vielen Faktoren (u.a. potenzielles Widerrufsverfahren des jeweiligen Elternteils) ab, weshalb unbedingt eine Beratung in Anspruch genommen werden sollte. Hier gibt es keine Frist für die Stellung des Asylantrags.

Hinweis: Unabhängig von der Frage, ob ein Asylantrag für das neugeborene Kind gestellt werden soll, besteht die Option auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG. Diese Aufenthaltserlaubnis wird von Amts wegen erteilt, wenn beide Elternteile oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis haben. Wenn nur ein Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis hat, steht die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis im Ermessen der Behörde.

Weitere Informationen:

VI. Weiterführende Arbeitshilfen


Begleitung im Asylverfahren

Das Asylverfahren ist sehr komplex und stellt geflüchtete Menschen oft vor große Herausforderungen. Ehrenamtliche Helfer*innen können die betroffenen Menschen in diesem Prozess begleiten. Wo können sie Asylsuchende unterstützen und wo macht es Sinn, sich an Beratungsstellen oder Jurist*innen zu wenden?

Hinweis: Für grundlegende Informationen zum Ablauf des Asylverfahrens sei auf den Beitrag >> Das Asylverfahren verwiesen.

I. Grundsätzliche Hinweise
II. Unterstützung im Dublin-Verfahren
III. Unterstützung bei der Anhörung
IV. Nach der Anhörung
V. Weiterführende Arbeitshilfen

I. Grundsätzliche Hinweise

Voraussetzung dafür, dass ehrenamtlich Engagierte asylsuchende Menschen im Asylverfahren begleiten, ist grundsätzlich die Zustimmung der betroffenen Person. Ehrenamtliche Unterstützer*innen sollten daher proaktiv die Zustimmung der zu unterstützenden Person einholen. Auch ist die Abstimmung mit Expert*innen wie Sozialarbeiter*innen, Beratungsstellen und spezialisierten Rechtsanwält*innen – natürlich nach Rücksprache mit dem*der Asylsuchenden – wichtig. Bei der Begleitung von geflüchteten Menschen sollten ehrenamtliche Unterstützer*innen – idealerweise gemeinsam mit hauptamtlichen Kräften – überlegen, welche Aufgaben sie übernehmen können und wollen und welche sie besser hauptamtlichen Kräften überlassen.

Um alle entscheidenden Unterlagen für das Asylverfahren und mögliche weitere Schritte beisammen zu haben, kann es hilfreich sein, gemeinsam mit der geflüchteten Person, alle Unterlagen (z.B. Niederschrift über den Asylantrag, Ladung zur Anhörung, Anhörungsprotokoll) in einem Ordner abzuheften.

Wichtig: Die asylsuchende Person sollte regelmäßig ihre Post empfangen und öffnen, damit etwaige Fristen eingehalten werden können. Hierauf können ehrenamtliche Unterstützer*innen hinweisen – ebenso darauf, dass ein Adresswechsel immer dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und – wenn ein asylrechtliches Gerichtsverfahren läuft – dem zuständigen Verwaltungsgericht mitgeteilt werden muss (§ 10 Absatz 1 AsylG). Eine solche Mitteilung erfolgt nicht automatisch durch Anmeldung am neuen Wohnort und Aufsuchen der dortigen Ausländerbehörde, sondern die aktive Meldung der aktuellen Adresse an das BAMF ist eine der wichtigsten Mitwirkungspflichten einer asylsuchenden Person. Das gilt auch und gerade bei einem behördlich veranlassten Umzug.

II. Unterstützung im Dublin-Verfahren

Mit der Dublin III-Verordnung gibt es eine EU-Zuständigkeitsregelung, welche die Überstellung von Personen in einen anderen Staat des Dublin-Raums ermöglicht, wenn dieser für die inhaltliche Prüfung des Asylantrags zuständig ist (>> Das Dublin-Verfahren).

Hat die asylsuchende Person ihre Zustimmung zur Begleitung durch die ehrenamtliche Person gegeben, sollte möglichst rasch geklärt werden, ob ihr möglicherweise ein sog. Dublin-Verfahren droht. Hierzu kann man erfragen, auf welchem Weg die Person nach Deutschland gekommen ist und ob sie bereits in einem anderen Staat, der die Dublin III-Verordnung unterzeichnet hat, registriert wurde. Möchte die Person nicht in den sog. Ersteinreisestaat zurück, können Gründe gesammelt und – in Absprache mit Sozialarbeiter*innen und Rechtsanwält*innen – gegenüber den beteiligten Stellen vorgebracht werden, die gegen eine Abschiebung in den jeweiligen Staat sprechen. Diese können z.B. in der Reisewegsbefragung über den Asylantrag vorgebracht werden. Relevant können negative Erfahrungen sein, die der*die Betroffene im jeweiligen Dublin-Staat gemacht hat. Auch Krankheiten, die in dem anderen Land nicht oder nur unzureichend versorgt werden können, können gegen eine Abschiebung in dieses Land sprechen. In diesem Fall braucht es aussagekräftige ärztliche Gutachten sowie rechtsanwaltliche Unterstützung.

Andererseits kann über das Dublin-Verfahren auch eine Familienzusammenführung stattfinden, wenn sich Familienangehörige in einem anderen Dublin-Staat aufhalten. Zu diesem Zweck sollte erfragt werden, ob die Person Familienangehörige hat, die schon vorher in Deutschland waren. Hier laufen Fristen, weshalb eine kompetente Beratungsstelle oder ein Rechtsanwalt*eine Rechtsanwältin aufgesucht werden sollten.

Sollte der Asylantrag eines asylsuchenden Menschen aufgrund der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaats als „unzulässig“ abgelehnt werden, muss zunächst Folgendes geklärt werden:

  • Was will die betroffene Person? Will sie überhaupt in Deutschland bleiben oder ist sie zur Rückkehr in den zuständigen Staat bereit? Gibt es dort eventuell Familienangehörige, Verwandte oder Bekannte?
  • Unter Umständen möchte der*die Betroffene freiwillig in den zuständigen Staat zurückkehren, um eine mögliche Abschiebung zu verhindern. Das deutsche Asylgesetz sieht diese Möglichkeit grundsätzlich nicht vor, in bestimmten Konstellationen sind aber Ausnahmen möglich. Dazu bedarf es intensiver Kommunikation mit den beteiligten Behörden, insbesondere dem BAMF und dem Regierungspräsidium Karlsruhe.
  • In bestimmten Fällen ist es auch sinnvoll, mit der betroffenen Person zu klären, ob ein Abwarten der Überstellungsfrist die erfolgversprechendste Möglichkeit ist, die Chance auf ein inhaltliches Asylverfahren in Deutschland zu erhalten. Dazu muss man wissen, wann genau die Frist beginnt und abläuft.

Hinweis: Das Dublin Verfahren gilt nicht für Personen mit einem internationalen Schutzstatus in einem Dublin-Staat.

Weitere Informationen:

III. Unterstützung bei der Anhörung

Wie können ehrenamtlich Engagierte bei der inhaltlichen Vorbereitung auf die Anhörung unterstützen?

Ehrenamtlich Engagierte können geflüchtete Menschen bei der Vorbereitung auf die Anhörung auf verschiedenen Ebenen unterstützen. Sie können informieren über den Ablauf und die Besonderheiten des Asylverfahrens und der Anhörung. Sie können außerdem dazu anregen, die eigene Geschichte selbst aufzuschreiben, was dabei helfen kann, die Erlebnisse strukturiert wiederzugeben.

Manchen asylsuchenden Menschen hilft es, im Vorfeld der Anhörung die eigene Fluchtgeschichte mit einer anderen Person durchzusprechen. Das kann der*die zuständige Sozialarbeiter*in, eine unabhängige Beratungsstelle oder der Anwalt*die Anwältin sein. Ehrenamtliche Unterstützer*innen, die es sich inhaltlich und emotional zutrauen, können der geflüchteten Person auch anbieten, mit ihr gemeinsam diese Vorbereitung zu leisten. Wenn dies gewünscht ist, gilt es zunächst, die bereits existierenden BAMF-Dokumente (z.B. Niederschrift über den Asylantrag, Befragung zur Zulässigkeit des Asylantrags) zu sichten. Dies ist wichtig, um sicherzugehen, dass im Vortrag der geflüchteten Person keine Widersprüche zu bereits Gesagtem enthalten sind, die im Asylverfahren häufig als Indiz für die fehlende Glaubhaftigkeit des Vorbringens gewertet werden. Dann kann in Form eines Rollenspiels (die ehrenamtliche Person nimmt dabei die Rolle der anhörenden Person ein) die Anhörungssituation nachgestellt werden. Der*die Unterstützer*in kann dem betroffenen Menschen dann, wenn gewünscht, spiegeln, welche Elemente des Vortrags aus seiner*ihrer Sicht widersprüchlich oder nicht detailliert genug sind.

Was ist bei einer Begleitung zur Anhörung zu beachten?

Ehrenamtliche Unterstützer*innen können den asylsuchenden Menschen auf die Möglichkeit der Begleitung zur Anhörung hinweisen und fragen, ob dies erwünscht ist und falls ja, durch wen die Begleitung erfolgen soll. Rechtsanwält*innen können der Anhörung ihrer Mandantin*ihres Mandanten ohne vorherige Anmeldung beiwohnen. Gemäß § 14 Absatz 4 VwVfG hat darüber hinaus jede*r Verfahrensbeteiligte in behördlichen Gesprächen das Recht, mit einem Beistand*einer Beiständin zu erscheinen. Dies gilt auch für Asylsuchende, z.B. in ihrer Anhörung im Asylverfahren (§ 25 Absatz 6 AsylG). Dementsprechend können auch ehrenamtliche Begleiter*innen der Anhörung beiwohnen. Laut Dienstanweisung Asyl gibt es hierfür keine Anmeldepflicht, eine vorherige Anmeldung bei der Leitung der BAMF-Außenstelle kann allerdings ggf. den Zugang zu den Räumlichkeiten vereinfachen. Falls die Teilnahme des Beistands*der Beiständin an der Anhörung verwehrt wird, sollte dies nach Möglichkeit in der Anhörung zu Protokoll gegeben werden.

Ehrenamtliche Begleitpersonen haben grundsätzlich eine passive Rolle bei der Anhörung. Unter Umständen können die Unterstützer*innen nach Zustimmung der anhörenden Person, ergänzende Fragen an die geflüchtete Person richten; ob dies gewünscht ist, sollte im Vorfeld mit ihr abgesprochen worden sein. Zudem können Ehrenamtliche auf die genaue und vollständige Protokollierung achten. Allein die Anwesenheit einer Begleitperson kann die Anhörungssituation positiv beeinflussen, wenn die Person sich sensibel und der Situation angemessen verhält.

Weitere Informationen:

IV. Nach der Anhörung

Wie in allen Stadien des Asylverfahrens sollten die Betroffenen im Anschluss an die Anhörung die eigene Post im Auge behalten. Aufgrund der teilweise äußerst kurzen (Klage-) Fristen (>> Ablehnungsformen) ist es entscheidend, rechtzeitig auf den Bescheid vom BAMF zu reagieren. Sollte der asylsuchende Mensch also seinen Wohnort für mehrere Tage verlassen, so sollte er eine Vertrauensperson beauftragen, sich um die Post zu kümmern und ggf. zeitnah zu reagieren. Im Falle einer Ablehnung und einer möglichen Klage sollte ein Rechtsanwalt*eine Rechtsanwältin zu Rate gezogen werden.

V. Weiterführende Arbeitshilfen


Das Dublin-Verfahren

Bei jeder Person, die in Deutschland einen Asylantrag stellt, wird zunächst geprüft, ob Deutschland überhaupt für die inhaltliche Prüfung des Asylantrags zuständig ist. Hintergrund dafür ist, dass es eine europäische Verordnung gibt, die regelt, welcher Mitgliedstaat des sog. Dublin-Raums für einen Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist: die sog. Dublin III-Verordnung (VO).

I. Grundsätzliches
II. Ablauf des Dublin-Verfahrens in Deutschland
III. Rechtsmittel gegen den Dublin-Bescheid
IV. Weiterführende Arbeitshilfen

I. Grundsätzliches

Die Dublin-III-VO gilt für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Zusätzlich haben Norwegen, die Schweiz, Liechtenstein und Island die Verordnung unterzeichnet. Insgesamt gibt es also 31 Länder, in denen die Dublin III-Verordnung angewendet wird. Diese Länder bezeichnet man auch als sog. Dublin-Staaten.

Die wichtigste Zielsetzung der Dublin III-VO ist, dass jeder Asylantrag im Gebiet der Dublin-Staaten geprüft wird, die Betroffenen also nicht von Staat zu Staat weiterverwiesen werden („no refugees in orbit“). Der Asylantrag einer Person soll dabei nur einmal inhaltlich geprüft werden, selbst wenn in mehreren Ländern des Dublin-Raums Asylanträge gestellt werden („one chance only“).

Die Dublin III-VO ist anwendbar, sobald in irgendeinem Dublin-Staat ein Asylantrag gestellt wurde. Das muss kein förmlicher Asylantrag gewesen sein; auch ein nicht-förmliches Asylgesuch aktiviert die Dublin-III-VO. Um einen Dublin-Fall handelt es sich auch, wenn ein Asylantrag in einem anderen Land abgelehnt oder zurückgenommen wurde und die Personen dann in einem anderen Dublin-Staat einen weiteren Asylantrag stellen.

Wichtig: Die Dublin III-VO gilt aber nicht für Personen, die in einem anderen Staat bereits internationalen Schutz, also die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz, erhalten haben und dann in einen anderen „Dublin-Staat“ weitergewandert sind und dort einen Asylantrag gestellt haben. Die beiden Konstellationen sind gar nicht so leicht auseinanderzuhalten, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Asylantrag in beiden Fällen grundsätzlich als „unzulässig“ ablehnt. Hier muss man den Bescheid genau lesen, um zu verstehen, ob es sich um einen „Dublin-Fall“ oder einen sog. Anerkannten-Fall handelt.

II. Ablauf des Dublin-Verfahrens in Deutschland

Wie wird bestimmt, welcher Staat für eine asylsuchende Person zuständig ist?

Stellt eine Person in Deutschland einen Asylantrag, prüft das BAMF zunächst im Rahmen eines Dublin-Verfahrens, ob Deutschland für den Asylantrag zuständig ist. Hierbei wird zunächst anhand der Zuständigkeitskriterien geprüft, welcher Staat für das Asylverfahren zuständig ist. Das Verfahren zur Prüfung der Zuständigkeit für den Asylantrag ist sehr komplex, es soll daher im Folgenden nur in Grundzügen dargestellt werden.

Die Artikel 8 bis 15 Dublin-III-VO regeln die Zuständigkeit. Die Kriterien sind streng der Reihe nach zu prüfen. Dies bedeutet, dass Artikel 8 als erstes geprüft wird; ist dieser nicht einschlägig, wird Artikel 9 geprüft usw.

Artikel 8 bis 11 Dublin-III-VO enthalten familienbezogene Zuständigkeitskriterien:

  • Artikel 8: Unbegleitete Minderjährige werden mit ihren Angehörigen und Verwandten zusammengeführt, wenn sie dies wünschen.
  • Artikel 9: Asylsuchende werden mit ihren Angehörigen, die bereits internationalen Schutz erhalten haben, zusammengeführt, wenn sie dies wünschen.
  • Artikel 10: Asylsuchende werden mit ihren Angehörigen, die internationalen Schutz beantragt haben, zusammengeführt, wenn sie dies wünschen.
  • Artikel 11: Die Verfahren mehrerer Angehöriger werden in einem Staat durchgeführt, wenn sonst eine Trennung der Familie drohen würde.

Besteht ein Wunsch auf Familienzusammenführung, sollte dieser so früh wie möglich, d.h. idealerweise schon bei der Asylantragstellung, geäußert werden. Soweit vorhanden, sollten auch Nachweise über das Verwandtschaftsverhältnis bei der Behörde eingereicht werden.

Artikel 12 bis 15 Dublin III-VO enthalten einreisebezogene Zuständigkeitskriterien:

  • Artikel 12: Der Staat ist zuständig, der einen Aufenthaltstitel oder ein Visum ausgestellt hat.
  • Artikel 13: Der Staat ist zuständig, dessen Grenze eine asylsuchende Person illegal übertreten hat.
  • Artikel 14: Reist eine Person visumsfrei in einen Mitgliedstaat ein, weil für sie kein Visumszwang besteht, ist dieser Staat zuständig.
  • Artikel 15: Stellt eine Person im internationalen Transferbereich eines Flughafens eines Mitgliedstaates einen Antrag auf internationalen Schutz, ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig.

Die Frage, auf welchem Weg man nach Deutschland gekommen ist, ist also nur maßgeblich, wenn kein familienbezogenes Zuständigkeitskriterium greift. Es ist also nicht immer der Dublin-Staat zuständig, dessen Territorium zuerst betreten wurde.

Abweichend von den hierarchisch durchzuprüfenden Zuständigkeitskriterien gibt es zwei Möglichkeiten, die Zuständigkeit anderweitig zu bestimmen:

  • So kann gemäß Artikel 16 bei besonderer Hilfebedürftigkeit (z.B. Schwangerschaft, Krankheit oder Behinderung) eine Familienzusammenführung außerhalb der Kernfamilie durchgeführt werden.
  • Jeder Staat hat das Recht gemäß Artikel 17 Dublin-III-VO das sog. Selbsteintrittsrecht auszuüben, also sich abweichend von den Zuständigkeitskriterien für zuständig zu erklären.

Welche Fristen laufen im Dublin-Verfahren?

Steht die Zuständigkeit eines anderen Staates fest, wird der für zuständig befundene Staat angefragt, ob dieser die asylsuchende Person (wieder) aufnimmt. Bei dieser Anfrage handelt es sich entweder um ein Wiederaufnahmeersuchen, wenn die betreffende Person bereits in dem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat, oder um ein Aufnahmeersuchen, wenn dies nicht der Fall ist. Für diese Anfrage gilt eine Frist, deren Länge u.a. davon abhängig ist, ob ein sog. Eurodac-Treffer vorliegt oder nicht (weil die Fingerabdrücke der Person in der europäischen Datenbank zur Speicherung von Fingerabdrücken erfasst sind). Hält das BAMF die jeweils geltende Frist nicht ein, geht die Zuständigkeit auf Deutschland über.

Für den um (Wieder-)Aufnahme ersuchten Staat gilt ebenfalls eine bestimmte Frist, auf die Anfrage zu antworten. Reagiert der ersuchte Staat innerhalb dieser Frist nicht, gilt die Zustimmung zur (Wieder-)Aufnahme als erteilt (Zustimmungsfiktion).

Liegt die Zustimmung bzw. Zustimmungsfiktion eines anderen Dublin-Staates vor, wird der Asylantrag der jeweiligen Person wegen Unzuständigkeit Deutschlands als „unzulässig“ abgelehnt (>> Ablehnungsformen). Es ergeht dann ein sog. Dublin-Bescheid, der häufig so oder so ähnlich formuliert ist:

  1. Der Asylantrag wird als unzulässig abgelehnt.
  2. Abschiebungsverbote nach § 60 Absatz 5 und 7 AufenthG liegen nicht vor
  3. Die Abschiebung nach [= zuständiger Staat] wird angeordnet.

Manchmal, wenn die Abschiebung derzeit noch nicht durchgeführt werden kann, wird die Abschiebung nicht angeordnet, sondern angedroht. Dass es sich um einen Dublin-Bescheid handelt, erkennt man verlässlich nur aus dem Inhalt der Begründung. Wird ein anderer europäischer Staat in der Abschiebungsanordnung (oder Androhung) genannt, der nicht Herkunftsland des Antragstellers ist, spricht viel für einen Dublin-Bescheid es sei denn, der Antragsteller hat bereits in einem anderen europäischen Staat Schutz erhalten.

Sobald die Zustimmung bzw. die Zustimmungsfiktion des anderen Mitgliedstaats vorliegt, hat Deutschland in der Regel sechs Monate Zeit für die Überstellung der Person in den anderen Staat. Ist die Person „flüchtig“, verlängert das BAMF die Frist in der Regel auf 18 Monate, bei Haft beträgt sie zwölf Monate. Personen, die sich im Kirchenasyl befinden, sind nicht „flüchtig“, solange der Aufenthaltsort der Person den Behörden mitgeteilt wurde (offenes Kirchenasyl).

Erfolgt innerhalb der jeweils geltenden Frist keine Überstellung in den zuständigen Staat, geht die Zuständigkeit auf Deutschland über. In der Folge wird das Asylverfahren in Deutschland durchgeführt, der Asylantrag also inhaltlich geprüft.

Quelle: Informationsverbund Asyl & Migration

Welche Rechte haben Personen im Dublin-Verfahren?

Die Dublin-VO räumt Asylsuchenden bestimmte Verfahrensrechte und -garantien ein.

Artikel 4 Dublin-III-VO enthält das Recht, über das Dublin-Verfahren und die eigenen Rechte informiert zu werden (Recht auf Information). Diese Information muss bei der Asylantragstellung schriftlich in der Muttersprache oder einer Sprache, deren Verständnis vorausgesetzt werden kann, ergehen. Hierfür wird in der Regel ein Merkblatt verwendet. Wenn nötig, müssen die Informationen auch mündlich übermittelt werden, z.B. im persönlichen Gespräch gemäß Artikel 5 Dublin III-VO.

In Artikel 5 Dublin-III-VO ist das Recht auf ein persönliches Gespräch in einer Sprache, die die Person ausreichend versteht, festgehalten. Dieses Gespräch soll die Bestimmung des zuständigen Staates erleichtern und das Verständnis der antragstellenden Person über die Inhalte des in Artikel 4 Dublin-III-VO beschriebenen Merkblattes sichern. Dieses Gespräch soll möglichst früh im Verfahren geführt werden, in jedem Fall aber, bevor über die Überstellung der asylsuchenden Person entschieden wird. Der*die Asylsuchende sollte das persönliche Gespräch auch dazu nutzen, alle Gründe geltend zu machen, die gegen eine Überstellung in den anderen Staat sprechen. In bestimmten Fällen kann auf das persönliche Gespräch verzichtet werden, z.B. wenn bereits zuvor alle wesentlichen Angaben zur Bestimmung des zuständigen Staates gemacht wurden. In Deutschland ist die Praxis laut Dienstanweisung des BAMF folgendermaßen: Bereits bei der erkennungsdienstlichen Behandlung (z.B. Erfassung von Personendaten, Anfertigung von Fingerabdrücken und Lichtbildern) erfolgt die Erstbefragung zur Zulässigkeit (umgangssprachlich auch Reisewegsbefragung genannt). Danach findet die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags statt. Vorsorglich findet häufig im Anschluss eine Befragung zu den Fluchtgründen (sog. Anhörung zur Begründetheit) statt.

Dem Kindeswohl soll im Dublin-Verfahren besonders Rechnung getragen werden. Für Minderjährige formuliert Artikel 6 Dublin-III-VO folglich besondere Garantien. Unbegleiteten Minderjährigen müssen die Mitgliedstaaten demnach eine qualifizierte gesetzliche Vertretung zur Seite stellen.

Wie wird die Person in den zuständigen Staat überstellt?

Das deutsche Recht sieht bei Dublin-Fällen grundsätzlich die Überstellung in Form von Abschiebung vor (§ 34a AsylG). Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.9.2015 (1 C 27.14) sieht jedoch vor, dass auf Initiative der asylsuchenden Person die für den Vollzug von Dublin-Überstellungen zuständigen Behörden aus Gründen der Verhältnismäßigkeit prüfen müssen, ob der Person ausnahmsweise anstelle einer Abschiebung die Möglichkeit der selbstorganisierten Überstellung eingeräumt werden kann. Diese wird allerdings nur in absoluten Ausnahmefällen genehmigt. Personen, die dies versuchen möchten, sind auf intensive Kommunikation mit dem BAMF und dem Regierungspräsidium Karlsruhe angewiesen.

Weitere Informationen:

III. Rechtsmittel gegen den Dublin-Bescheid

Dem Dublin-Bescheid ist in aller Regel eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt. Darin ist bestimmt, bei welchem Gericht und in welcher Frist Rechtsmittel gegen den Bescheid eingelegt werden können.

In aller Regel ergeht im Dublin-Bescheid eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylG. Dann muss innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids Klage erhoben werden. Allerdings hindert eine fristgerecht eingereichte Klage die deutschen Behörden nicht an einer Abschiebung der antragstellenden Person, da die Klage keine aufschiebende Wirkung hat.

Einen (zumindest vorläufigen) Abschiebungsschutz kann man nur durch einen zusätzlichen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (sog. Eilantrag) erzielen. Auch für den Eilantrag gilt eine Frist von einer Woche (§ 34a Absatz 2 Satz 1 AsylG).

Wichtig: Die Entscheidung, ob ein Eilantrag gestellt wird oder nicht, sollte unbedingt von bzw. in Abstimmung mit einer Rechtsanwältin*einem Rechtsanwalt getroffen werden. Der Eilantrag führt nämlich immer dazu, dass die Überstellungsfrist wieder „auf Null“ gesetzt wird.

Hat der Eilantrag Erfolg, ordnet das Verwaltungsgericht also die aufschiebende Wirkung der Klage an, ist die betroffene Person jedenfalls bis zu einer abschließenden Entscheidung über die Klage vor einer Abschiebung sicher. In der Praxis führt ein erfolgreicher Eilantrag häufig dazu, dass das BAMF den Dublin-Bescheid aufhebt und die Person somit ein inhaltliches Asylverfahren durchläuft. Wird der Dublin-Bescheid nicht aufgehoben und die Klage scheitert im Hauptsacheverfahren, bleibt der Dublin-Bescheid in Kraft und die Überstellungsfrist beginnt ab Rechtskraft der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung neu zu laufen.

Wird der Eilantrag abgelehnt, beginnt die sechsmonatige Überstellungsfrist am Tag der Ablehnung durch das Gericht neu zu laufen.

In sehr seltenen Fällen enthält der Dublin-Bescheid eine Abschiebungsandrohung. Dann beträgt die Klagefrist zwei Wochen und die Klage hat aufschiebende Wirkung, schützt also vor Abschiebung.

IV. Weiterführende Arbeitshilfen

Hinweis: Dieser Artikel beruht auf einer Arbeitshilfe, die im Rahmen des Projekts „Aktiv für Flüchtlinge“ erarbeitet wurde. Die Erstellung der Arbeitshilfe wurde gefördert durch das Ministerium der Justiz und für Migration aus Landesmitteln, die der Landtag Baden-Württemberg beschlossen hat, erarbeitet.


Zahlen und Fakten

Im Jahr 2022 waren weltweit insgesamt 108,4 Millionen Menschen auf der Flucht. Aber nur ein kleiner Bruchteil der weltweit flüchtenden Menschen flieht nach Europa. In Deutschland stellten 2022 beispielweise nur 244.132 Menschen einen Asylantrag (BAMF: 2022).

I. Aussagekraft von Zahlen zu geflüchteten Menschen
II. Geflüchtete Menschen weltweit
III. Die Fluchtwege
IV. Geflüchtete Menschen in der EU
V. Geflüchtete Menschen in Deutschland
VI. Geflüchtete Menschen in Baden-Württemberg

I. Aussagekraft von Zahlen zu geflüchteten Menschen

Die regelmäßig veröffentlichten Zahlen liefern eine gute Möglichkeit, sich ein Bild über die gegenwärtigen Fluchtbewegungen zu machen. Trotzdem ist hier kritisches Mitdenken von Nöten: Es ist grundsätzlich sinnvoll, zu fragen, wer welche Daten auf welcher Grundlage erhebt. Der UNHCR weist beispielsweise explizit daraufhin, dass die Daten, die in den jährlichen Global Trends Reports veröffentlicht werden, auf verschiedenen Angaben von Regierungen, NGOs und eigenen Erhebungen basieren und behält sich darüber hinaus mögliche Änderungen vor. Es ist also immer zu prüfen, welche Personengruppen erfasst werden und welche nicht und wie die vorliegenden Zahlen vor diesem Hintergrund interpretiert werden müssen. Hilfreich ist stets, verschiedene Quellen zu Rate zu ziehen und miteinander abzugleichen.

II. Geflüchtete Menschen weltweit

Ende 2023 waren weltweit insgesamt 117,3 Millionen Menschen auf Grund von Verfolgung, gewaltsamen Konflikten oder anderweitigen Menschenrechtsverletzungen auf der Flucht (2022: 108,4, 2021: 89,3 Millionen). Somit waren Ende 2023 8,9 Millionen Menschen mehr auf der Flucht als noch Ende 2022 – dies entspricht einem Anstieg von 8 Prozent (UNHCR: 2024). Einen Anstieg gab es auch bei der Zahl der Asylanträge beim UNHCR oder bei einem Nationalstaat (2023: 3,6 Millionen, 2022: 2,6 Millionen), die meisten Asylanträge wurden dabei in den USA (2,1 Millionen), Deutschland (329.100) und Ägypten (183.100) gestellt. Die meisten der insgesamt 117,3 Millionen Flüchtenden im Jahr 2023 flüchteten allerdings nicht ins Ausland: Mehr als 68 Millionen Menschen (2022: 62 Millionen) und damit ungefähr 58 Prozent aller Flüchtenden suchten eine Zuflucht innerhalb des eigenen Landes (sog. Binnenvertriebene).

73 Prozent aller Geflüchteten kamen aus nur fünf Staaten: Afghanistan (etwas über 6,4 Millionen), Syrien (6,4 Millionen), Venezuela (6,1 Millionen), der Ukraine (6 Millionen) und dem Sudan (1,5 Millionen) (UNHCR: 2024). Auch dreizehn Jahre nach Kriegsbeginn kommt folglich ein großer Teil der weltweit geflüchteten Menschen aus Syrien. Aber auch die Gewaltherrschaft der Taliban (UNO Flüchtlingshilfe: 2024), der Krieg in der Ukraine und die angespannte Situation in Venezuela prägten das Fluchtgeschehen im Jahr 2023 maßgeblich. Weiterhin treibt auch der 2023 ausgebrochene Krieg im Sudan zunehmend mehr Menschen in die Flucht (UNO Flüchtlingshilfe: 2024).

Nur 25 Prozent der Geflüchteten lebten 2023 in wirtschaftlich stark entwickelten Ländern („high-income countries“). Dieser Prozentsatz ist allerdings höher als in den Jahren vor 2022, was auf die verstärkte Aufnahme von ukrainischen Geflüchteten, vor allem in europäischen Ländern, zurückgeführt werden kann. 21 Prozent aller Geflüchteten lebten 2023 in den am wenigsten entwickelten Ländern („least-income countries“), während die große Mehrheit aller Geflüchteten (75 Prozent) in Ländern mit mittlerem und geringem Einkommen („low-and-middle-income countries“) lebte. Allein im Iran lebten Ende 2023 3,8 Millionen geflüchtete Menschen, gefolgt von der Türkei (3,3 Millionen), von Kolumbien (2,9 Millionen), Deutschland (2,6 Millionen) und Pakistan (2 Millionen) (UNHCR: 2024).

40 Prozent der 117,3 Millionen Flüchtenden sind minderjährig (UNHCR: 2024). Diese Kinder sind ganz besonders gefährdet, denn sie werden häufig als Kindersoldat*innen rekrutiert, müssen Kinderarbeit leisten oder werden Opfer von Kinderhandel (ECPAT 2023). Lange Jahre der Flucht erschweren außerdem Schulbildung und verstärken das Risiko auf lebenslange Armut.

2023 kehrten über eine Million Geflüchtete freiwillig mit Hilfe des UNHCR oder eigenständig in ihre Heimatländer zurück. (UNO Flüchtlingshilfe: 2024).

III. Die Fluchtwege

Flucht ist ein gefährliches und teures Unterfangen, da es nur selten Visa für Flüchtende gibt und diese somit zu illegalen Grenzüberschreitungen gezwungen werden. Die meisten Vertriebenen bleiben daher in ihrem Land oder in den angrenzenden Staaten. Die allerwenigsten begeben sich auf den Weg nach Europa. Wurden 2015 laut FRONTEX, der Europäischen Agentur für Grenz- und Küstenwache, noch mehr als 1,8 Millionen irreguläre Grenzüberschreitungen gezählt, lag die Zahl 2022 bei ca. 330.000 (FRONTEX: 2023).

Insgesamt sind im Jahr 2022 weltweit mindestens 6.876 Menschen auf der Flucht gestorben oder wurden vermisst gemeldet, die Dunkelziffer wird weit höher geschätzt (IOM: 2023). In afrikanischen Staaten allein wurden 2022 993 Todes- und Vermisstenfälle registriert (Statista: 2023). Die Zahl der nicht registrierten Fälle dürfte auch hier um ein Vielfaches höher liegen. Ein großes Risiko stellt insbesondere die sogenannte Sahelroute dar, die durch die Sahara verläuft: Viele Menschen verdursten in der Wüste auf dem Weg aus ihren Heimatländern (z.B. Mali, Sudan oder Tschad) in Zielländer wie Libyen, Südafrika und die Golfstaaten (UNO Flüchtlingshilfe: 2022).

Zu den häufigsten Fluchtrouten zählt nach wie vor der Weg über das Mittelmeer. Aus westafrikanischen Ländern flüchten viele Schutzsuchende über Niger und Mali nach Algerien oder Marokko, um über die westliche Mittelmeerroute nach Spanien zu gelangen. Die zentrale Mittelmeerroute, die viele Flüchtende aus Ländern wie Somalia, Eritrea oder dem Sudan nutzen, führt über Libyen nach Italien oder Malta. Insbesondere der Weg durch Libyen ist gefährlich, denn dort werden Schutzsuchende häufig Opfer von Sklaverei, Inhaftierung, Folter und gezielter Gewalt.

Die Mittelmeerroute wird als „tödlichste Seeroute der Welt“ bezeichnet. Im Jahr 2022 sind 150.177 Menschen über das Mittelmeer nach Europa gekommen, 1.940 Menschen starben bei der Überquerung oder werden noch vermisst (UNO Flüchtlingshilfe: 2022). Damit sind die Zahlen sogar höher als vor der Corona-Pandemie (2019: 123.663 Ankünfte und 1.335 Todesfälle, UNHCR: 2023). Die europäische Politik unternimmt weiterhin keinerlei Anstrengung in Richtung einer institutionalisierten Seenotrettung. Stattdessen häufen sich völkerrechtswidrige und gewaltsame „Push-Backs“ (Zurückdrängung) von Flüchtenden an den Außengrenzen (PRO ASYL: 2022). Als Antwort auf die vielen Sterbenden im Mittelmeer gründeten sich private Initiativen wie die internationale Bewegung „Seebrücke“, die diese Lücke zu schließen versuchen, zunehmend aber behindert und kriminalisiert werden (UNHCR: 2022).

Wie sich die Zahlen der Menschen, die übers Mittelmeer nach Europa kamen, in den letzten Jahren entwickelt haben, ist in der folgenden Grafik zu sehen:

(Quelle: UNHCR 2023)

Weitere Informationen:

  • Watch the med: Online Mapping Plattform, die Todesfälle und Menschenrechtsverletzungen an Migrant*innen an den Außengrenzen der EU nachverfolgt
  • Alarmphone: ein selbstorganisiertes Call-Center für Geflüchtete, die auf dem Mittelmeer in Seenot geraten

IV. Geflüchtete Menschen in der EU

In der EU richten sich Asylverfahren nach dem „Gemeinsamen Europäischen Asylsystem“ (GEAS), u.a. bestehend aus der Asylverfahrens-, Aufnahme- und der Qualifikations-Richtlinie sowie der Dublin-III-Verordnung. Die Richtlinien müssen von den EU-Staaten umgesetzt werden. Sie sollen bewirken, dass EU-weit einheitliche Schutzstatus (Qualifikationsrichtlinie) sowie bestimmte Rechte und Aufnahmestandards während des Asylverfahrens gewährleistet sind (Asylverfahrens- und Aufnahmerichtlinie). Die Dublin-Verordnung schreibt fest, dass Geflüchtete in nur einem EU-Staat einen Asylantrag stellen dürfen. Zudem können sich Geflüchtete grundsätzlich nicht aussuchen, in welchem Staat ihr Asylverfahren durchgeführt wird (>> Das Dublin-Verfahren).

Seit 2016 wird in der EU über mögliche Reformen des GEAS verhandelt. Eine „gerechte Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten“ wird gefordert und Sekundärmigration soll unterbunden werden. Am 8. Juni 2023 einigte sich der Europäische Rat auf drastische Verschärfungen der Asyl- und Migrationspolitik (Europäischer Rat: 2023). Diese werden allerdings erst dann Gesetz, wenn EU-Kommission, EU-Rat und Europäisches Parlament sie endgültig beschließen.

Im Jahr 2022 wurden in der EU 962.160 Asylanträge gestellt, das ist ein Anstieg um rund 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 881.220 davon waren Erstanträge (64 Prozent mehr als im Vorjahr). Die meisten Asylerstanträge wurden von Personen aus Syrien gestellt (15 Prozent), gefolgt von Afghanistan (12,9 Prozent), Venezuela (6 Prozent) und der Türkei (6 Prozent). 25,2 % der Asylsuchenden waren noch minderjährig, über 42.000 kamen als unbegleitete Minderjährige in die EU. Insgesamt wurden etwa 384.000 Asylsuchende innerhalb der EU als schutzberechtigt anerkannt. Insgesamt warteten Ende 2022 noch über 870.000 Menschen auf eine Entscheidung ihres Asylantrags (Eurostat: 2023).

Die Anerkennungsquoten innerhalb der EU unterscheiden sich stark: Beispielsweise lag im Jahr 2021 die Schutzquote für Menschen aus Afghanistan zwischen 9 Prozent in Bulgarien und 100 Prozent in Spanien und Portugal (EU: 2022).

V. Geflüchtete Menschen in Deutschland

2023 stellten 351.915 Personen einen Asylantrag in Deutschland. Im Vergleich zum Vorjahr (244.132) bedeutet dies einen Anstieg um rund 44 Prozent. Von den 329.120 Erstanträgen entfallen 6,8 Prozent auf Anträge, die für in Deutschland geborene Kinder gestellt wurden. Die meisten Menschen, die 2023 in Deutschland Erstanträge stellten, kamen aus Syrien (31,3 Prozent), der Türkei (18,6 Prozent) und Afghanistan (15,5 Prozent) (BAMF: 2023). 

Auch wenn die Zahlen im Vergleich zum letzten Jahr deutlich angestiegen sind, liegen sie immer noch deutlich hinter den von 2015 (476.469) und 2016 (745.545). Die vergleichsweise niedrigen Zahlen haben u.a. mit der europäischen Abschottungspolitik zu tun (siehe oben).

2023 wurden 15.269 Asylerstanträge von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten gestellt (2022: 7.277). 40,7 Prozent dieser Personen kamen aus Syrien, 39,9 aus Afghanistan und 5,4 Prozent aus der Türkei. Unbegleitete minderjährige Geflüchtete sind Personen unter 18 Jahren, die ohne Begleitung eines für sie verantwortlichen Erwachsenen einreisen. Damit sind sie besonders vulnerabel (BAMF: 2024).

Die folgende Grafik schlüsselt alle Asylerstanträge aus dem Jahr 2023 nach den Staatsangehörigkeiten der Antragsteller*innen auf.

(Quelle: BAMF 2023)

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat 2023 über insgesamt 261.601 Asylanträge (Erst- und Folgeanträge) entschieden (2022: 228.673). Dabei lag die Gesamtschutzquote für alle Staatsangehörigkeiten und Schutzformen (Asylberechtigung, Flüchtlingseigenschaft, subsidiärem Schutz oder nationalem Abschiebungsverbot, >> Anerkennungsformen) bei 51,8 Prozent (135.277 positive Entscheidungen von insgesamt 261.601). Im Ergebnis ging mehr als die Hälfte aller Asylverfahren positiv aus. Rechnet man die Anträge heraus, die aus formellen Gründen abgelehnt wurden (z.B. weil ein anderer EU-Mitgliedstaat für das Asylverfahren zuständig ist), lag die sog. „bereinigte“ Schutzquote bei etwa 69 Prozent (PRO ASYL:2024). Personen aus Syrien (88,2 Prozent) und Afghanistan (76,5 Prozent) bekamen deutlich häufiger einen Schutzstatus (BAMF: 2024).

Gegen Entscheidungen des BAMF klagten (im Zeitraum Januar bis August 2023) insgesamt 30,9 Prozent der Geflüchteten, bei den Ablehnungen als „unbegründet“ beträgt dieser Wert 88,3 Prozent (Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke, BT-Drs.:20/9933).

Insgesamt wurden 2023 16.430 Menschen und damit deutlich mehr Menschen als im Vorjahr (2022: 12.945 Menschen) aus Deutschland abgeschoben (Kleine Anfrage der Fraktion AfD, BT-Drs: 20/10520).

Weitere Informationen:

VI. Geflüchtete Menschen in Baden-Württemberg

Jedes Bundesland ist dazu verpflichtet, einen bestimmten Prozentanteil der Geflüchteten, die nach Deutschland kommen, aufzunehmen. Dieser Anteil wird jedes Jahr durch den Königsteiner Schlüssel berechnet, der sich zu 2/3 aus den Steuereinnahmen und zu 1/3 aus der Bevölkerungszahl ergibt. Dementsprechend musste Baden-Württemberg im Jahr 2022 13,04 Prozent der registrierten Geflüchteten aufnehmen (BAMF: 2022).

In Baden-Württemberg werden die Geflüchteten zunächst in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht, die über das ganze Land verteilt sind. Mehr dazu unter >> Unterbringung und Wohnen.


Das Asylverfahren

Der erste Schritt zum Stellen eines Asylantrags ist die Abgabe eines Asylgesuchs. In der Regel erfolgt dies in einer Erstaufnahmeeinrichtung. Damit ist der Asylantrag allerdings noch nicht gestellt, dafür gibt es einen separaten Termin. Danach wird die antragstellende Person zu einer persönlichen Anhörung eingeladen. Die dort gemachten Angaben sind entscheidend für den Ausgang des Asylverfahrens.

Im folgenden Artikel wird in aller Kürze der Ablauf des Asylverfahrens dargestellt. Für Hinweise, wie ehrenamtlich Engagierte asylsuchende Personen während des Asylverfahrens unterstützen können, sei auf den Beitrag >> Begleitung im Asylverfahren verwiesen.

I. Das Asylgesuch
II. Die Asylantragstellung
III. Die Anhörung
IV. Exkurs: Folgeantrag
V. Die Entscheidung
VI. Weitere Informationen

I. Das Asylgesuch

Der erste Schritt im Asylverfahren ist die Abgabe des sog. Asylgesuchs. Hierbei handelt es sich nicht um einen formellen Akt, sondern lediglich um die Mitteilung, dass man Asyl beantragen will. Das Asylgesuch kann bei einer Polizeidienststelle, Grenzbehörde, Ausländerbehörde oder direkt in einer Aufnahmeeinrichtung für Asylsuchende gestellt werden.

Wenn das Asylgesuch nicht in einer Erstaufnahmestelle geäußert wurde, muss man sich unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, in eine Erstaufnahmeeinrichtung begeben. Als Richtwert gilt hier ein Zeitraum von ein bis zwei Wochen. Im Einzelfall kann aber auch ein etwas längerer Zeitraum noch als unverzüglich gelten, wenn die Person, z.B. wegen einer Krankheit, am Aufsuchen der Erstaufnahmestelle verhindert war.

Wichtig: Personen die neu in Deutschland sind und einen Asylantrag stellen wollen, sollten sich so bald wie möglich von einer unabhängigen Beratungsstelle zur anstehenden Anhörung beraten lassen. Denn zwischen dem Stellen des Asylgesuchs und der Anhörung ist häufig nur wenig Zeit.

Nach Stellen des Asylgesuchs in einer Erstaufnahmeeinrichtung erhält man ein erstes Dokument. In der Regel ist dies der sog. Ankunftsnachweis (Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender) (§ 63a AsylG).

II. Die Asylantragstellung

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist für Asylanträge zuständig. Der Asylantrag wird in der Regel in einer BAMF-Außenstelle in der Erstaufnahmeeinrichtung gestellt (§ 14 Absatz 1 AsylG). Nach der Registrierung bzw. dem Asylgesuch erhält die Person, die einen Asylantrag stellen möchte, einen Termin bei der Außenstelle des BAMF, um dies zu tun. Beim Termin zur Antragsstellung werden die Geflüchteten mithilfe von Dolmetscher*innen über ihre Rechte und Mitwirkungspflichten im Asylverfahren informiert.

Die wichtigste Mitwirkungspflicht ist die Bekanntgabe der jeweils aktuellen Adresse an das BAMF. Falls noch nicht zuvor geschehen, werden bei der Asylantragstellung die persönlichen Daten der Asylsuchenden erhoben, sie werden fotografiert und von Personen ab 14 Jahren werden auch Fingerabdrücke genommen. Die Menschen werden auch gefragt, auf welchem Weg bzw. auf welcher Route sie nach Deutschland gekommen sind. Dies tut man, um herauszufinden, ob ein anderes europäisches Land im Rahmen der Dublin-Verordnung für die asylsuchende Person zuständig ist (>> Das Dublin-Verfahren).

Nach der Asylantragstellung erhält der*die Asylsuchende die sog. Aufenthaltsgestattung (§ 55 AsylG). Dieses Dokument besagt, dass die Person sich rechtmäßig in Deutschland zum Zweck der Durchführung des Asylverfahrens aufhält. Manchmal wird das Dokument erst einige Zeit nach der Antragsstellung ausgehändigt, der Status entsteht aber unabhängig vom Besitz des Dokuments.

Für unverheiratete Kinder unter 18 Jahren wird automatisch ein Asylverfahren eingeleitet, wenn die Eltern einen Asylantrag stellen und die Kinder mit ihren Eltern gemeinsam einreisen oder sich bereits ohne Aufenthaltserlaubnis in Deutschland aufhalten (§ 14a Absatz 1 AsylG). Auch für Kinder unter 18 Jahren, die später nachkommen, oder für Kinder, die in Deutschland geboren werden, wird automatisch ein Asylverfahren eingeleitet – auch dann, wenn die Eltern bereits eine Ablehnung im Asylverfahren erhalten haben. Es besteht die Möglichkeit, auf die Durchführung eines Asylverfahrens für die Kinder zu verzichten.

Nachdem der Asylantrag gestellt wurde, prüft das BAMF im Rahmen des Dublin-Verfahrens, ob ein anderer Staat für das Asylverfahren zuständig ist. Ausführliche Informationen hierzu sind unter >> Das Dublin-Verfahren zu finden.

Weitere Informationen:

III. Die Anhörung

Welche Bedeutung hat die Anhörung?

Der mit Abstand wichtigste Bestandteil des Asylverfahrens ist die Anhörung beim BAMF. Die Anhörung findet in aller Regel in einer BAMF-Außenstelle statt, § 25 Absatz 7 AsylG sieht jedoch seit 1.1.2023 vor, dass sie ausnahmsweise auch per Video erfolgen kann. Zur Anhörung wird die asylsuchende Person schriftlich geladen. Kann der Termin aus triftigen Gründen nicht wahrgenommen werden, kann um eine Verlegung gebeten werden. Falls die Person unentschuldigt der Anhörung fernbleibt, wird der Asylantrag abgelehnt oder das Verfahren eingestellt.

In der Anhörung bekommen Asylbewerber*innen die Gelegenheit, die Gründe für ihre Flucht ausführlich und detailliert darzulegen. Das Vorbringen in der Anhörung stellt häufig die einzige Grundlage für die Entscheidung des Bundesamts dar, wobei (Übersetzungs-)Fehler und Missverständnisse im Nachhinein schwer korrigierbar sind und bis in ein mögliches Gerichtsverfahren fortwirken können. Das Vorbringen der asylsuchenden Person muss glaubhaft sein; daher kommt es darauf an, das Erlebte möglichst detailreich und authentisch zu schildern. Sehr zu warnen ist vor vermeintlich erfolgreichen erdachten Fluchtgeschichten, die in Geflüchtetenkreisen manchmal kursieren. Selbst kleine Unstimmigkeiten oder Widersprüche können nämlich dazu führen, dass dem gesamten Vortrag des geflüchteten Menschen kein Glauben geschenkt wird und somit eine Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“ – die „schlechteste“ Form der Ablehnung – ergeht (>> Ablehnungsformen).

Für Geflüchtete stellt die Anhörung oftmals eine Extremsituation dar – nicht nur aufgrund des Wissens um die Bedeutung für das eigene Asylverfahren. Häufig haben die Menschen auch schlechte Erfahrungen im Umgang mit Behörden gemacht und verhalten sich deshalb zurückhaltend oder ängstlich während der Anhörung. Dies kann dazu führen, dass auf Fragen nur sehr knapp geantwortet wird und möglichem Drängen der anhörenden Person auf einen schnellen Abschluss der Anhörung nachgegeben wird. Dies ist jedoch alles andere als zielführend, da gerade in der Anhörung alle wesentlichen Fluchtgründe vorgebracht werden müssen. Auch stellt die Anforderung, über traumatische Erlebnisse sprechen zu müssen, für viele Menschen eine hohe Hürde dar.

Was ist im Vorfeld der Anhörung zu organisieren?

Die Anhörungen sind meist auf 8 Uhr morgens terminiert. Je nachdem, von welchem Ort aus die Anreise erfolgt, kann es ggf. sinnvoll sein, am Vorabend anzureisen und zu übernachten.

Wenn es aus wichtigen Gründen nicht möglich ist, so früh vor Ort zu sein, kann man versuchen, mit dem BAMF einen späteren Termin auszumachen.

Die asylsuchende Person muss pünktlich vor Ort sein, es kann aber sein, dass sie lange darauf warten muss, dass ihre Anhörung beginnt. Daher sollte man ausreichend Essen und Trinken mitbringen.

Für besonders schutzbedürftige Geflüchtete (z.B. unbegleitete Minderjährige, Folteropfer, Betroffene von Menschenhandel) gibt es speziell geschulte Entscheider*innen, die sog. Sonderbeauftragten. Diese können beim BAMF im Vorfeld der Anhörung angefordert werden. Zudem ist es Menschen, die geschlechtsspezifische Verfolgung erlitten haben, oftmals nicht möglich, das Erlebte gegenüber Vertreter*innen des anderen Geschlechts zu erzählen. In solchen Fällen können weibliche oder männliche Dolmetscher*innen beantragt werden.

Wer nimmt an der Anhörung teil?

Die Anhörungen sind nicht öffentlich. Es können aber ein Rechtsanwalt*eine Rechtsanwältin sowie ein*e Vertreter*in des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) und bei unbegleiteten Minderjährigen deren Vormund teilnehmen. Eine weitere Vertrauensperson – z.B. ein*eine ehrenamtlich Engagierte*r – kann als sog. Beistand*Beiständin (§ 14 VerwVfG) teilnehmen, dies sollte aber vorher beim BAMF angezeigt werden (für genauere Informationen >> Begleitung im Asylverfahren).

Wie läuft die Anhörung ab?

Die Anhörung findet in der Muttersprache des*der Antragsstellenden statt oder in einer anderen Sprache, die die Person beherrscht. Das BAMF stellt dann eine*einen Dolmetscher*in für die entsprechende Sprache. Bei Vorbehalten in Bezug auf die*den Dolmetscher*in oder bei Verständnisproblemen (z.B. weil die*der Dolmetscher*in einen anderen Dialekt spricht), sollte die antragstellende Person ihre Einwände zu Protokoll geben und eine andere dolmetschende Person verlangen. Zur Not muss die Anhörung vertagt werden.

Bei der Anhörung werden in der Regel Fragen zur Person, zum Herkunftsland und zum Fluchtweg gestellt. Anschließend wird die Person aufgefordert, ihre individuellen Fluchtgründe zu schildern und zu erläutern, was ihr im Falle einer Rückkehr ins Heimatland drohen würde. Hier steht das eigene Fluchtschicksal im Vordergrund. Die Erlebnisse von Angehörigen oder die allgemeine politische Situation im Heimatland können zur Veranschaulichung herangezogen werden, dabei sollte jedoch beschrieben werden, inwiefern dies in Zusammenhang mit der asylsuchenden Person selbst steht.

Der*die Antragsteller*in hat das Recht, alles vorzutragen, was ihm*ihr relevant erscheint. Anhörende und dolmetschende Person dürfen nicht darauf drängen, sich auf kurze Antworten zu beschränken oder Fragen nur mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten.

Wichtig: Die Schilderungenwerden ins Deutsche übersetzt und protokolliert. Die antragstellende Person hat das Recht, sich das Protokoll am Ende der Anhörung in die eigene Sprache rückübersetzen zu lassen. Sie bekommt so Gelegenheit, das Gesagte noch während der Anhörung zu ergänzen oder richtigzustellen. Da dies die einzige Möglichkeit darstellt, Fehldarstellungen zu korrigieren, sollte nicht auf die Rückübersetzung verzichtet werden. Schließlich wird dem*der Asylsuchenden das Protokoll zur Unterschrift vorgelegt. Wenn weiterhin Fehler darin enthalten sind und keine Änderung erfolgt, sollte das Protokoll nicht unterzeichnet werden.

Welche weiteren Rechte haben geflüchtete Menschen bei der Anhörung?

Neben der vom BAMF gestellten dolmetschenden Person können Asylantragsteller*innen die Anwesenheit eines*einer zusätzlichen Dolmetscher*in beim BAMF beantragen. Er*sie kann unter Umständen auf Übersetzungsfehler hinweisen und/oder die Übersetzer*innen des BAMF unterstützen.

In einigen Fällen kommt es vor, dass geflüchtete Menschen gehemmt sind, die von ihnen erfahrene Verfolgung detailliert zu schildern. Grund hierfür kann die Angst sein, Angehörige im Heimatland könnten durch die eigene Aussage zu Schaden kommen. Grundsätzlich dürfen die beim BAMF zu Protokoll gegebenen Informationen nicht herausgegeben werden. Bestehen dennoch entsprechende Befürchtungen, so sollten diese im Interview zumindest geäußert und ins Protokoll aufgenommen werden.

Die Anhörung kann im Notfall jederzeit unterbrochen oder abgebrochen und an einem anderen Tag fortgeführt werden. Dies ist insbesondere dann ratsam, wenn aufgrund von Retraumatisierung eine psychische Dekompensation droht.

Weitere Informationen:

IV. Exkurs: Folgeantrag

Hat man bereits einen Asylantrag in Deutschland gestellt, der entweder zurückgenommen oder unanfechtbar abgelehnt worden ist, so ist jeder weitere Asylantrag ein so genannter Folgeantrag (§ 71 AsylG). In diesem Fall prüft das BAMF zunächst, ob es Gründe gibt, die ein Wiederaufgreifen des Verfahrens rechtfertigen (Details unter >> Asylfolgeantrag).

V. Die Entscheidung

Auf Basis der bei der Anhörung gemachten Angaben und der vorliegenden Dokumente und Beweismittel entscheidet das Bundesamt über den Asylantrag. Dabei gilt das Einzelschicksal als maßgeblich. Die Entscheidung wird schriftlich begründet und den Beteiligten, also dem*der Antragsteller*in oder Verfahrensbevollmächtigten, sowie den zuständigen Ausländerbehörden mitgeteilt. Im Falle einer Ablehnung im Asylverfahren, sind die Rechtsmittelfristen sehr kurz, daher sei an dieser Stelle nochmals auf die Pflicht des*der Asylsuchenden, dem BAMF die jeweils aktuelle Adresse mitzuteilen, verwiesen.

Bei jedem Asylantrag prüft das Bundesamt auf Grundlage des Asylgesetzes, ob eine der vier Schutzformen – Asylberechtigung, Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz oder ein Abschiebungsverbot – vorliegt. Nur wenn keine dieser Schutzformen in Frage kommt, wird der Antrag abgelehnt und eine Abschiebung angedroht. Unterschieden wird zwischen einer „einfachen“ Ablehnung und einer Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“ oder „unzulässig“. Über die Anerkennung oder Ablehnung eines Asylantrages und die sich daraus ergebenen Konsequenzen informieren die Beiträge >> Ablehnungsformen und >> Anerkennungsformen.

Das Bundesamt muss grundsätzlich innerhalb von sechs Monaten über den Asylantrag entscheiden, in bestimmten Fällen ist eine Verlängerung der Frist möglich (§ 24 Absatz 4 AsylG).

VI. Weiterführende Arbeitshilfen


Fluchtursachen

Hinter jeder Fluchtgeschichte steht ein Mensch. Ein Mensch mit individuellen Eigenschaften, Erfahrungen und Bedürfnissen. Die einzige Gemeinsamkeit von geflüchteten Menschen ist, dass sie in der Hoffnung auf Schutz und ein besseres Leben ihr Land verlassen haben. Entsprechend unterschiedlich und vor allem vielschichtig sind die Ursachen, die zur Flucht geführt haben. Allen Gründen gemein ist die Angst um das eigene Leben, um das Wohlergehen der Familie und die Hoffnung auf ein besseres Leben. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über unterschiedliche Fluchtursachen und deren komplexes Zusammenwirken gegeben werden.

I. Krieg und Gewalt
II. Menschenrechtsverletzungen
III. Klimawandel/Naturkatastrophen
IV. Informationsressourcen zu weiteren Fluchtursachen

I. Krieg und Gewalt

Krieg ist weltweit die zentrale Fluchtursache. In jedem siebten Staat der Erde herrscht entweder Krieg oder eine bewaffnete Auseinandersetzung Im Jahr 2021 gab es 22 Kriege und  sechs bewaffnete Konflikte (Frieden fragen: 2022). Geflüchtete aus Ländern, in denen seit Jahrzehnten Krieg und Gewalt herrschen, wie Syrien, Somalia, dem Sudan oder Afghanistan, leben oftmals seit Generationen im Exil. Auch mehr als 70 Prozent der Menschen, die in Deutschland nach Asyl suchen, kommen aus akuten Krisen- und Kriegsgebieten (UNO Flüchtlingshilfe: 2022).

Jeder kriegerische Konflikt führt zu existenziellen Bedrohungen für die Bevölkerung: Menschen fliehen vor Kämpfen und Bomben. Die Gewalt richtet sich oft auch gezielt gegen Zivilist*innen: Menschenrechtsverletzungen, Vergewaltigungen, Massenhinrichtungen, Verschleppung oder die zwangsweise Rekrutierung von jungen Männern oder auch Kindern sind in vielen Regionen zu Mitteln der Kriegsführung geworden. Ein normales Leben wird oftmals unmöglich, gewaltsame Konflikte und Kriege führen zu Tod und Verletzungen, Armut und Hunger. Auch die Lebensgrundlage wird zerstört: Felder können nicht mehr bestellt werden, Arbeitsplätze fallen weg, Lebensmittel werden knapp und Preise steigen. Weiterhin gibt es Angriffe auf die Infrastruktur: Straßen, Brücken, Strom- und Wasserversorgung, Schulen und Krankenhäuser werden beschädigt oder zerstört, Medikamente und medizinisches Gerät wird knapp.

An bestehenden Konflikten sind Deutschland und andere Nationen des Globalen Nordens (die neutralen Bezeichnungen Globaler Norden und Globaler Süden sind weniger geografisch zu verstehen, sondern zielen vor allem darauf ab, ein Land nach seinen ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Charakteristiken im globalen Kontext einzuordnen) nicht unbeteiligt: Durch Waffenhandel tragen diese Staaten eine entscheidende Mitverantwortung für die gewaltsame Eskalation dieser Konflikte und den Tod tausender Zivilist*innen. So verkauft Deutschland jährlich Waffen und Rüstungsgüter für mehrere Milliarden Euro und gehört dadurch nach den USA, Russland, China und Frankreich zu den größten Waffenexporteuren weltweit.

Weitere Informationen:

II. Menschenrechtsverletzungen

Menschenrechte sind laut der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte universell, unveräußerlich und unteilbar. In der Realität sieht es jedoch ganz anders aus.

Häufig macht die stumme Gewalt der Lebensverhältnisse ein Leben in Würde, Freiheit und Sicherheit unmöglich: Kein Zugang zu sauberem Wasser, ausreichender Nahrung, einem Dach über dem Kopf, zu Bildung und Gesundheit. Darüber hinaus ist die Beschneidung von Rechten durch Gesetze und staatliches Handeln in vielen Ländern gang und gäbe: Drei von vier Regierungen schränken die Meinungsfreiheit ein. In mehr als drei von fünf Ländern werden Menschen gefoltert oder anderweitig misshandelt. Beispielsweise gibt es in 69 Ländern Gesetze, die gleichgeschlechtliche Beziehungen unter Strafe stellen (ILGA World: 2020). Das sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass die Verfolgung von politischen Meinungen und von der Mehrheit abweichenden Lebensweisen auf der Welt nicht die Ausnahme, sondern die Regel darstellt und zu Flucht führt.

Obwohl Deutschland alle internationalen Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte unterzeichnet hat, vergibt die EU Milliarden an Staaten wie Eritrea, den Sudan, Marokko oder die Türkei, die Menschenrechte systematisch missachten, damit diese Staaten Menschen von der Flucht in Richtung Europa abhalten.

Weitere Informationen:

III. Klimawandel/Naturkatastrophen

Naturkatastrophen und die Auswirkungen des Klimawandels zwingen Menschen zur Flucht. Naturkatastrophen mit fatalen Folgen gab es schon immer. Jedoch werden sie durch die globale Klimaerwärmung um ein Vielfaches verschärft und entstehen auch häufiger. Das Weltklima ändert sich deutlich schneller als angenommen und verursacht in vielen Regionen der Welt Dürre, Überschwemmungen und schwere Stürme. Betroffen sind vor allem krisengeschüttelte Länder des Globalen Südens. Diese haben meist nicht die Ressourcen, um die Auswirkungen zu verhindern oder sich an die zunehmend unwirtliche Umwelt und die erschwerten Lebensbedingungen anzupassen. Laut dem Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) haben 2021 rund 23,7 Millionen Menschen ihre Heimat aufgrund von Naturereignissen, wie Dauerregen, langanhaltenden Dürren, Hitzewellen und Stürmen sowohl kurz- als auch langfristig verlassen müssen (UNO-Flüchtlingshilfe: 2022). In Deutschland und Europa ist diese Entwicklung jedoch kaum sichtbar, da zum einen die Folgen des Klimawandels hier nur bedingt spürbar sind und zum anderen der Großteil der betroffenen Menschen Zuflucht in den angrenzenden Regionen sucht und somit häufig nicht nach Europa kommt.

Klimawandel, Konflikte, Armut, Ernährungsunsicherheit und Vertreibung überschneiden sich zunehmend, so dass immer mehr Menschen auf der Suche nach Sicherheit fliehen müssen. Prognosen von Klimaforscher*innen zeigen ganz klar, dass sich die bestehenden Probleme zukünftig vervielfachen werden: Begrenzte natürliche Ressourcen wie Trinkwasser werden noch knapper. Land- und Viehwirtschaft werden in vielen Gebieten aufgrund von Hitze und Trockenheit nicht mehr möglich sein. Die bereits kritische Situation und die bestehenden Konflikte um Ressourcen werden sich deutlich verschärfen.

Weitere Informationen:

IV. Informationsressourcen zu weiteren Fluchtursachen