Behördenstruktur in Deutschland und Baden-Württemberg

An der Bearbeitung von Asylanträgen und weiteren aufenthaltsrechtlichen Fragestellungen sind unterschiedliche staatliche Stellen beteiligt. Oftmals fällt es nicht leicht, den Überblick zu behalten bzw. die richtige Stelle für die Bearbeitung eines Anliegens zu identifizieren. Aus diesem Grund sollen die wesentlichen staatlichen Stellen im Folgenden kurz dargestellt werden.

I. Bundesverwaltung
II. Die Ausländerbehörden
III. Verwaltungsgerichtsbarkeit

I. Bundesverwaltung

Das Auswärtige Amt
Das Auswärtige Amt (Außenministerium) ist eins von insgesamt 15 Bundesministerien. Dem Auswärtigen Amt sind u.a. insgesamt weit über 200 deutsche Auslandsvertretungen untergeordnet. Diese Auslandsvertretungen spielen beispielsweise bei der Beantragung von Visa (z.B. beim Familiennachzug) eine wesentliche Rolle. Darüber hinaus sammelt und veröffentlicht das Auswärtige Amt Informationen zur Situation in allen Ländern der Welt. Auf diese Berichte greifen das weiter unten noch näher behandelte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die Verwaltungsgerichte zum Teil bei ihren Asylentscheidungen zurück.

Das Bundesministerium des Inneren
Das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) ist eines der 15 Bundesministerien. Im Ministerium werden vielfältige Aufgaben gebündelt. Das Spektrum reicht vom Bevölkerungsschutz über Integration und Sportförderung bis hin zu Sicherheitsaufgaben, z.B. der Steuerung und Koordination der Bundespolizei. Das BMI ist wesentlich für die Gestaltung der Migrationspolitik auf europäischer und deutscher Ebene verantwortlich. Es ist dem BAMF übergeordnet und leitet und beaufsichtigt dieses.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Das BAMF ist eine BMI untergeordnete (obere) Bundesbehörde. Als solche ist das BAMF in den Bereichen Asyl, Migration und Integration tätig. Neben der Durchführung von Asylverfahren (>> Das Asylverfahren) bzw. dem (Über-)Prüfen von Schutzbegehren übernimmt das BAMF Aufgaben im Bereich der Integration, z.B. durch Sprach- und Integrationskurse sowie die Jugendmigrationsdienste (JMD) und Migrationsberatung für Erwachsene (MBE). Daneben analysiert und erforscht das BAMF Migrationsprozesse. Es hat seinen Hauptsitz in Nürnberg und verfügt über zahlreiche dezentrale Standorte, die sog. Außenstellen, sowie Ankunfts- und Entscheidungszentren. Eine Übersicht der Standorte des BAMF finden Sie auf der Homepage des Bundesamts.

Weitere Informationen:

II. Die Ausländerbehörden

Das Aufenthaltsrecht und das Asylrecht werden, soweit nicht das BAMF zuständig ist, von den Ausländerbehörden durchgeführt. Welche Ausländerbehörde für welche Aufgabe zuständig ist, wird in Baden-Württemberg in der „Verordnung der Landesregierung und des Justizministeriums über Zuständigkeiten nach dem Aufenthaltsgesetz“ (AAZuVO) geregelt.

Die oberste Ausländerbehörde: das Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg

Das Ministerium der Justiz und für Migration (kurz: Justizministerium oder JM) ist eins von derzeit insgesamt elf Fachministerien der Landesregierung Baden-Württemberg. Zusätzlich zu den Fachministerien gibt es noch das Staatsministerium als Behörde des Ministerpräsidenten. Das JM ist die oberste Ausländerbehörde. Die Ausländer- und Flüchtlingspolitik des Landes Baden-Württemberg ist beim JM im Themengebiet „Migration“ angesiedelt. Das JM strukturiert über auf seiner Homepage veröffentlichte Verwaltungsvorschriften, Erlasse oder Dienstanweisungen das Verwaltungshandeln der untergeordneten Ausländerbehörden. Daneben entscheidet es etwa über die Erteilung von Aufenthaltstiteln, die im Rahmen eines Härtefallverfahrens der Härtefallkommission erlangt werden können (§ 23a AufenthG), über die Aufnahme oder Neuansiedlung von Schutzsuchenden im Rahmen sog. Landeskontingente nach § 23 Absatz 1 AufenthG oder die generelle Aussetzung von Abschiebungen in bestimmte Länder nach § 60a Absatz 1 AufenthG (sog. Abschiebestopp).

Hinweis: Das JM ist nicht nur oberste Ausländerbehörde, sondern auch oberste Aufnahmebehörde im Sinne des baden-württembergischen Flüchtlingsaufnahmegesetzes und kann als solche etwa auch Vorgaben hinsichtlich des Vollzugs des Asylbewerberleistungsgesetzes an die nachgeordneten Behörden machen.

Die höhere Ausländerbehörde: die vier Regierungspräsidien
Die Regierungspräsidien haben jeweils die Rechts- und Fachaufsicht über die unteren Ausländerbehörden in den Regierungsbezirken. Sie bearbeiten Widersprüche gegen Entscheidungen der unteren Ausländerbehörden und beraten diese in fachlichen und rechtlichen Fragen.

Das Regierungspräsidium Karlsruhe nimmt eine besondere Stellung ein, denn es ist u.a. landesweit für folgende Maßnahmen zuständig:

  • Förderung und Organisation von freiwilligen Ausreisen („Rückkehrmanagement“)
  • Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen (Abschiebung)
  • Entscheidung über die Aussetzung der Abschiebung (Duldung)
  • Vollzug der Abschiebungshaft
  • Erteilung von Beschäftigungserlaubnissen für Geduldete

In vielen Fällen sind die Regierungspräsidien auch für die Entscheidung über Ausweisungen von straffällig gewordenen ausländischen Personen oder auch über die Entfristung eines Aufenthalts- oder Einreiseverbots zuständig. Weitere Informationen zu den Aufgaben der Regierungspräsidien findet sich auf der Homepage der Regierungspräsidien Baden-Württemberg.

Darüber hinaus gibt es Fälle, in denen die Regierungspräsidien der Entscheidung einer nachgeordneten Ausländerbehörde zustimmen müssen. Diese Fälle sind zum einen in der oben erwähnten AAZuVO, zum anderen in einer Verwaltungsvorschrift geregelt. Eine Zustimmung ist danach etwa erforderlich

  • bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 5 AufenthG
  • beim Familiennachzug zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte (§ 36 Absatz 2 AufenthG)
  • bei der Erteilung eines Aufenthaltstitels, wenn von der Nachholung des Visumsverfahrens wegen Unzumutbarkeit abgesehen werden soll (§ 5 Absatz 2 Satz 2 AufenthG)
  • bei der erstmaligen Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose,

um einige besonders praxisrelevante Fälle zu nennen.

Die untere Ausländerbehörde: Landratsamt oder Stadtverwaltung
Untere Ausländerbehörden sind in Baden-Württemberg in den Landkreisen die Landratsämter bzw. die Gemeindeverwaltungen in den kreisangehörigen und kreisfreien Städten. Wenn in der Praxis von „der Ausländerbehörde“ die Rede ist, sind meist diese Ausländerbehörden gemeint, weil dies die Behörden sind, mit denen die betroffenen Personen vor Ort in (persönlichen) Kontakt treten und Termine vereinbaren, z.B. zur Beantragung, Verlängerung oder Abholung von Dokumenten. Allerdings sieht es manchmal nur so aus, als sei die untere Ausländerbehörde zuständig. So holt man sich als geduldete Person die Duldungsbescheinigung oder eine Beschäftigungserlaubnis zwar bei der unteren Ausländerbehörde ab. Die Entscheidung über die Erteilung der Duldung oder Beschäftigungserlaubnis ist aber zuvor vom Regierungspräsidium Karlsruhe getroffen worden, das die Ausländerbehörde lediglich in den „Aushändigungsprozess“ der Entscheidung einbindet. Will man eine Entscheidung zu seinen Gunsten beeinflussen und deshalb mit der zuständigen Behörde vorab Kontakt aufnehmen, müsste man sich im Beispielsfall direkt an das Regierungspräsidium Karlsruhe wenden.

Die Ausländerbehörden entscheiden über eine Vielzahl aufenthaltsrechtlicher Anträge selbst. Wenn nicht zuvor bereits ein Asylantrag gestellt worden ist, werden auch Abschiebungsverbote nach § 60 Absatz 5 und 7 AufenthG von der Ausländerbehörde geprüft. Die Ausländerbehörden entscheiden zum Teil über die Erteilung von Beschäftigungserlaubnissen (bei Menschen mit Duldung entscheidet allerdings das Regierungspräsidium Karlsruhe). Aufenthaltspapiere werden von den Ausländerbehörden ausgestellt bzw. verlängert.

Die Aufgaben und Bezeichnungen der unteren Ausländerbehörden können örtlich variieren (z.B. „Amt für Ausländerwesen“, „Ausländeramt-Amt für Zuwanderung“). Jede untere Ausländerbehörde hat einen Internetauftritt, über den Aufgaben, Öffnungszeiten usw. eingesehen werden können.

III. Verwaltungsgerichtsbarkeit

Verwaltungsgerichte
In Baden-Württemberg gibt es vier erstinstanzliche Verwaltungsgerichte (VG) und zwar in Karlsruhe, Stuttgart, Freiburg und Sigmaringen. Vereinfacht dargestellt sind die Verwaltungsgerichte für Streitigkeiten zwischen Bürger*innen und dem Staat, d.h. in der Regel staatlichen Behörden, zuständig. Dies beinhaltet neben dem Asyl- und Ausländerrecht beispielsweise auch Streitigkeiten im öffentlichen Baurecht, im Gewerbe- und Gaststättenrecht, im Jugendhilferecht, Polizeirecht oder Straßenrecht. Gegen jede behördliche Entscheidung, die eine Person belastet, steht der Rechtsweg zu den Gerichten offen, der innerhalb bestimmter Fristen beschritten werden muss. In asylrechtlichen Streitigkeiten ergeben sich diese aus dem AsylG, in aufenthaltsrechtlichen Streitigkeiten aus der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). In der Praxis ergeben sich die einzuhaltende Frist und das zuständige Gericht aus der Rechtsbehelfsbelehrung, die (negativen) Bescheiden angehängt sein sollte; fehlt sie, beträgt die Frist in der Regel ein Jahr ab Kenntnis der Entscheidung. Für Einzelheiten zu den Rechtsbehelfen im Asylverfahren siehe >> Ablehnungsformen.

Verwaltungsgerichtshof
Den Verwaltungsgerichten ist in Baden-Württemberg der sog. Verwaltungsgerichtshof (VGH) übergeordnet, der seinen Sitz in Mannheim hat. Der VGH ist das höchste Verwaltungsgericht des Landes Baden-Württemberg. Der VGH ist unter anderem für Berufungen gegen Urteile der Verwaltungsgerichte zuständig, die in asylrechtlichen Streitigkeiten aber stets erst mit einem Antrag auf Zulassung der Berufung „erkämpft“ werden muss. Da der VGH die Berufung nur aus ganz bestimmten Gründen zulassen darf, findet eine inhaltliche Kontrolle der erstinstanzlichen Entscheidung in asylrechtlichen Streitigkeiten häufig nicht statt, auch wenn Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des VG bestehen.

Dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg sowie den Obergerichten der anderen Bundesländer, die dort manchmal Oberverwaltungsgerichte (OVG) heißen, ist das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) übergeordnet.


Deutschland unterstützt Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen

Die vorherrschende Gewalt an den EU-Außengrenzen gegenüber Menschen auf der Flucht ist bereits seit langem bekannt. Nun enthüllen aktuelle Recherchen die Unterstützung der Bundesregierung dieser Menschenrechtsverletzungen und decken neue menschenverachtende Praktiken auf.

Monitor berichtet in der aktuellen Sendung über den menschenunwürdigen Umgang an den EU-Außengrenzen. An der bulgarisch-türkischen und ungarisch-serbischen Grenze berichten Augenzeugen von illegalen Gefängnissen, die sich in der Nähe der Grenze befinden. Dort werden Asylsuchende unrechtmäßig von Stunden bis zu mehreren Tagen unter unmenschlichen und erniedrigenden Bedingungen festgehalten. Danach werden sie wieder in die Türkei bzw. nach Serbien zurückgeschoben. Die ungarische Regierung und in Bulgarien eingesetzte Frontex-Beamte leugnen jeweils diese Vorwürfe.

An der kroatisch-bosnischen Grenze wird von vergitterten Kleinbussen ohne Fenster berichtet, welche die kroatischen Behörden für Pushbacks nach Bosnien nutzen. Asylsuchende werden in den Kleinbussen über mehrere Stunden beengt festgehalten. Dann werden sie mit einem gefährlichen Fahrmanöver an die Grenze gefahren, bei dem sich viele Personen verletzen und sich teilweise auch übergeben müssen. Monitor kommentiert dazu: „Eine solche Behandlung gilt als Foltermethode.“

Pro Asyl berichtet weiterführend zum systematischen und brutalen Rechtsbruch an den kroatischen EU-Außengrenzen und der Zusammenarbeit mit Deutschland. Die Bundesregierung unterstützt Kroatien personell, materiell und logistisch im Rahmen des Grenzschutzes. Unterstützt werden dabei insbesondere auch die kroatische Spezialpolizei und die Interventionspolizei. Dabei gilt letztere als besonders berüchtigt und gewaltbereit.
In dem Bericht „German Funding To Croatian Border Enforcement“ von Border Violence Monitoring Network (BVMN) wurde die Kooperation von 2016 bis 2021 zwischen Deutschland und Kroatien untersucht und festgehalten.

Monitor und Pro Asyl kritisieren die kürzliche Aufnahme Kroatiens in den Schengenraum, da dort gegen internationale und europäische Rechtsstandards verstoßen wird.

Auch die europäische Grenz- und Küstenwache Frontex ist an Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen beteiligt. Vor kurzem hat die Antibetrugsbehörde OLAF weitere Beteiligungen aufgedeckt. Deshalb fordert die Organisation FragDenStaat die Bundesinnenministerin Nancy Faeser in ihrer aktuellen Petition dazu auf, die deutsche Unterstützung in Form von Ausstattung und Personal an Frontex einzustellen.

Die Petition kann noch online unterschrieben werden!



BVerfG: AsylbLG-Leistungskürzungen verfassungswidrig

Die Einstufung in Regelbedarf 2 für alleinstehende und alleinerziehende Gestattete und Geduldete in Sammelunterkünften ist mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums unvereinbar. Zu diesem Ergebnis kam das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 19. Oktober 2022, 1 BvL 3/21.

Im April 2021 wurde dem BVerfG von einem Sozialgericht die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG vorgelegt. Auf dieser Grundlage erhalten seit 2019 alleinstehende/alleinerziehende Gestattete und Geduldete in Sammelunterkünften gekürzte Leistungen (Regelbedarf 2) in Höhe von 10%. Begründet wird dies mit einem Leben in einer eheähnlichen Lebenssituation in Gemeinschaftsunterkünften. Diese Annahme ist verfassungswidrig wie das BVerfG – mit Hilfe von Stellungnahmen durch Pro Asyl und anderen – urteilte.

Denn es gibt keine empirischen Befunde dafür, dass „in den Sammelunterkünften regelmäßig tatsächlich Einsparungen durch gemeinsames Wirtschaften erzielt werden oder werden können“. Die Begründung für die Kürzung der Leistungen ist daher nicht mehr tragfähig. Eine Absenkung von Leistungen sei nur möglich, wenn Betroffene „tatsächlich eröffnete, hierfür geeignete, erforderliche und zumutbare Möglichkeiten“ ergreifen können, „die Bedürftigkeit unmittelbar zu vermeiden oder zu vermindern“.

Das bedeutet in der Praxis:

Ab dem 24.11.2022 müssen alle alleinstehenden/alleinerziehenden Personen in Gemeinschaftsunterkünften im Analogleistungsbezug nach § 2 AsylbLG wieder Leistungen nach Regelbedarfsstufe 1 erhalten. Dies gilt auch rückwirkend, soweit gegen entsprechende Kürzungen noch fristgemäß Widerspruch oder Klage eingelegt wird oder wurde. Bei manchen Personen lohnt es sich noch, in ein Widerspruchsverfahren einzusteigen. Dies hängt von den Bescheiden bzw. Auszahlungen ohne Bescheide ab. Widerspruchsverfahren können ohne rechtliche (siehe auch Arbeitshilfe der GGUA) oder mit rechtlicher Unterstützung eingeleitet werden.  

Alleinstehenden/alleinerziehenden Personen in Gemeinschaftsunterkünften in Grundleistungen nach §§ 3/3a AsylbLG erhalten ebenfalls nur Leistungen nach Regelbedarfsstufe 2. Pro Asyl und das Bundesministerium für Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) halten die Entscheidung des BVerfG aber übertragbar. Wie Baden-Württemberg dies umsetzt, ist noch unklar.

Gibt es Zweifel, ob höhere Leistungen gewährt werden, gilt: Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig klagen.



Der Flüchtlingsrat macht Weihnachtspause!

Die Geschäftsstelle des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg ist vom 22.12.2022 bis einschließlich 15.01.2023 geschlossen. In dieser Zeit beantworten wir keine E-Mails und bieten keine telefonische Beratung an. Eingegangene Bestellungen bearbeiten wir im neuen Jahr. Wir wünschen entspannte Weihnachtsfeiertage und einen guten Rutsch ins neue Jahr!


Das Chancen-Aufenthaltsrecht ab 1. Januar 2023

Nach der Abstimmung im Bundesrat am 16. Dezember 2022 tritt das Gesetz zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts am 1. Januar 2023 in Kraft. Mit dem ersten Teil des neuen Migrationspakets wird für Geduldete, die sich schon lange in Deutschland aufhalten, eine neue Möglichkeit für einen langfristigen Aufenthalt eingeführt: Das Chancen-Aufenthaltsrecht (§ 104c AufenthG).

Für wen die neue Regelung in Frage kommt und wie es nach der Erteilung des Chancen-Aufenthaltsrecht weitergeht findet sich in der Übersicht von NUiF – Netzwerk Unternehmen Integrieren Flüchtlinge.


Chancenaufenthaltsrecht mit Einschränkungen

Am 01. Januar 2023 tritt das Gesetz zum Chancen-Aufenthaltsrecht nun endlich in Kraft. Das sind gute Neuigkeiten für viele Menschen in Deutschland, die seit Jahren im prekären Status einer Duldung leben. Schlechte Nachrichten gibt es allerdings für junge Menschen: Durch die Einführung einer einjährigen Vorduldungszeit in den §25a des Aufenthaltsgesetzes sind diese in Zukunft einer erhöhten Abschiebegefahr ausgesetzt, bevor sich ihnen eine Bleibeperspektive bietet. Darüber hinaus bleibt angesichts der aktuellen Überlastungssituation in den Ausländerbehörden fraglich, inwiefern Menschen ihr Recht auf einen Aufenthalt überhaupt zeitnah in Anspruch nehmen können.

Nach der Abstimmung im Bundesrat am 16. Dezember 2022 tritt das Gesetz zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts am 01. Januar 2023 endlich in Kraft. Menschen, die am 31. Oktober 2022 seit mindestens fünf Jahren in Deutschland leben, soll ein 18-monatiges Aufenthaltsrecht erteilt werden. Diese Zeit soll es ihnen ermöglichen, die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland zu erfüllen. „Wir begrüßen, dass mit dieser Regelung Perspektiven für Menschen geschaffen werden, die bereits seit vielen Jahren unter aufenthaltsrechtlich prekären Bedingungen in Deutschland leben“, kommentiert Dr. Annette Holuscha-Uhlenbrock, Vorsitzende der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg.

Schlechte Nachrichten hält das neue Gesetz allerdings für junge Menschen bereit. Zwar sollen junge Menschen künftig bereits nach drei statt nach vier Jahren des Aufenthalts in Deutschland Zugang zu einer Aufenthaltserlaubnis nach §25a des AufenthG erhalten und dies nicht mehr nur bis zum 21., sondern bis zum 27. Lebensjahr. Allerdings müssen sich die jungen Menschen hierfür zukünftig seit mindestens einem Jahr im Rechtsstatus der Duldung befinden. Durch die Einführung dieser Vorduldungszeit schafft die Bundesregierung zusätzliche Spielräume, betroffene junge Menschen abzuschieben, bevor die Bleiberechtsregelung überhaupt greift. Damit erschwert sie die gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten junger Menschen, die während dieser zwölf Monate in Unsicherheit leben müssen. „Ein Jahr ist eine lange Zeit im Leben eines jungen Menschen“, kommentiert Gottfried Härle von der Unternehmerinitiative Bleiberecht durch Arbeit, in der sich über 150 Unternehmen aus ganz Baden-Württemberg zusammengefunden haben. „Gerade auch im Hinblick auf den Arbeits- und Fachkräftemangel fordern wir die Landesregierung dazu auf, in Baden-Württemberg alle Spielräume pragmatisch zu nutzen, um jungen Menschen zu ermöglichen, sich ohne Angst vor Abschiebung auf ihre Ausbildung konzentrieren zu können.“

Insgesamt bleibt offen, inwiefern Menschen ihr Recht auf den Chancen-Aufenthalt überhaupt zeitnah in Anspruch nehmen können. Grund hierfür ist die Überlastungssituation vieler Ausländerbehörden. „Es ist zu befürchten, dass sich viele Anträge zunächst unbearbeitet auf den Schreibtischen der Sachbearbeiter*innen stapeln werden“, meint Lucia Braß, erste Vorsitzende des Flüchtlingsrats. Bereits aktuell müssen Antragsteller*innen zum Teil Monate auf eine Antwort warten. Diese Wartezeiten sind nicht nur psychisch zermürbend, sondern drohen auch, das Vertrauen in den Rechtsstaat zu untergraben. Außerdem ist diese Situation äußerst unbefriedigend für alle Arbeitgeber*innen, die Geflüchtete beschäftigen. Wir fordern die Landesregierung dazu auf, sich um zusätzliches Personal zu bemühen und pragmatische Lösungen zu finden, mit denen sich Bearbeitungszeiten verkürzen lassen. So könnten zum Beispiel innerhalb der aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen Duldungen oder Aufenthaltserlaubnisse für längere Zeiträume ausgestellt werden.  


Olileanya Kalender 2023

Der Verein Olileanya, verfolgt das Ziel Fluchtursachen vor Ort zu bekämpfen und hilfebedürftige Kinder und Jugendliche im Südosten von Nigeria zu unterstützen und zu fördern. 2014 hat Gabi Ayivi, ehemalieges Mitglied im Sprecher*innerat des Flüchtlingsrats, in dieser Region ein Waisenhaus gebaut und ist selbst dorthin gezogen, um sich für die Kinder und Jugendlichen direkt vor Ort einsetzen zu können. 2015 wurde sie mit dem „Sonderpreis Lebenswerk“ des Ehrenamtswettbewerbs des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet.

Der Olileanya Kalender steht dieses Jahr unter dem Motto „Die Zukunft, die kommen wird“ mit Bildern von Kindern und Jugendlichen aus Emene/Nigeria mit traditioneller Bemalung. Voller Würde präsentieren sie sich in der Hoffnung, dass sich die Lebensumstände in ihrem Land in eine positive Zukunft hinein verändern.


Factsheet: Unterbringung von LSBTIQ* Asylsuchenden

LSBTIQ* Personen gehören zu der Gruppe der besonders schutzbedürftigen Geflüchteten. Das Wohnen in Gemeinschaftsunterkünften stellt für sie eine hohe psychosoziale Belastung dar, da sie dort Diskriminierung fürchten müssen und häufig von sozialer Isolation bedroht sind. Daher sollte die Vulnerabilität von LSBTIQ* Personen bei der Unterbringung im Rahmen des Asylverfahrens unbedingt berücksichtigt werden.

Das Factsheet zur Unterbringung von LSBTIQ* Asylsuchenden wurde von Kargah e.V. erstellt. Aufgezeigt werden besondere Bedarfe, Leitlinien und Hinweise zur Beratung und Unterbringung, und Erfahrungen aus der Praxis werden geteilt.

Kargah e.V. fordert die Berücksichtigung der Vulnerabilität von LSBTIQ* Personen bereits zu Beginn des Asylverfahrens.



Dokumentation: Black book of pushbacks 2022

Flüchtende erleben an den europäischen Außengrenzen extrem viel Gewalt. Sie werden misshandelt, gefoltert und geschlagen sowie illegal zurückgedrängt (push back). Das „Black book of pushbacks“ dokumentiert Übergriffe, analysiert Zahlen und liefert Fakten. Es liegt nun in einer aktualisierten Fassung (auf englisch) vor.



Stellungnahmen: Grundleistungen nach § 3 AsylbLG auf dem Prüfstand

Auf Grund von zu niedrigen Leistungen, Intransparenz, fehlenden Begründungen  und  massiver Benachteiligung von Leistungsbezieher*innen ist der Grundbedarf des AsylbLG als verfassungswidrig und diskriminierend einzustufen. Zudem haben Leistungskürzungen im Bereich Bildung und Teilhabe eine negative Wirkung auf die Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt.

Das Bundesverfassungsgericht prüft umfassend die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG, die Asylsuchende in den ersten 18 Monaten ihres Aufenthalts erhalten. Auch Geduldete erhalten unter Umständen diese Leistungen. Für das Verfahren wurden unter anderen Pro Asyl und das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) eingeladen, Stellungnahmen zu schreiben.

Volker Gerloff schreibt für Pro Asyl und stellt fest, dass es keine transparenten Begründungen und Nachweise für anscheinend geringere Bedarfe von Asylbewerber*innen und Geduldete gibt. Es kommt zu Bedarfsunterdeckungen und fehlerhaften Bescheiden. Bisher wurde politisch argumentiert, dass soziale Transferleistungen sogenannte Pull-Effekte für Migration auslösen. Dies wird durch die Migrationsforschung entkräftet, da es dazu keine empirisch belastbaren Befunde gibt, berichten Herbert Brücker und Philipp Jaschke für das IAB.

Deshalb fordert Pro Asyl, dass das AsylbLG abgeschafft wird und Geflüchtete in das reguläre Leistungssystem nach SGB II/XII aufgenommen werden.